Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle herzlich zu unserer heutigen, 74. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Geburtstag feiert hier und heute der Kollege Börschel von der Fraktion der SPD. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!
Ein Untersuchungsausschuss, ein Minister, ein Verdacht – Wie schwer wiegen die aktuellen Vorwürfe gegen den Minister der Justiz?
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der AfD haben jeweils mit Schreiben vom 25. November 2019 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Aussprache zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik beantragt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich vor Eröffnung der Aussprache an alle Rednerinnen und Redner appellieren, bei der Teilnahme an der Diskussion die notwendige Zurückhaltung zu üben und vorgezogene Beweiswürdigungen zu unterlassen.
Dieser Hinweis erfolgt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss II seine Beweiserhebung noch nicht abgeschlossen hat. Eine vorgezogene Beweiswürdigung würde nach meinem Empfinden dem Gebot rechtsstaatlicher Fairness widersprechen. Für Mitglieder des Untersuchungsausschusses ist dieses Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung
sogar ausdrücklich im Untersuchungsausschussgesetz geregelt. – Ich danke Ihnen dafür, dass Sie das so zur Kenntnis nehmen.
(Christian Dahm [SPD]: Dann sollten wir ein- mal die Redeliste überprüfen, Herr Präsi- dent! – Zurufe von der CDU und den GRÜNEN)
Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der Grünen dem Abgeordneten Engstfeld das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde im Landtag beantragt, weil ein ungeheuerlicher Verdacht im Raum steht. Es steht nämlich der Verdacht im Raum, dass ein Regierungsmitglied im Zeugenstand des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Hackerangriff/Stabsstelle“ die Unwahrheit gesagt hat.
Wir erwarten, dass der Justizminister heute zu diesen schwerwiegenden Vorwürfen im Parlament eindeutig Stellung bezieht und heute hier aufklärt. Denn sollte sich bestätigen, dass der Minister im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gelogen hat, ist er als Justizminister nicht mehr tragbar.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im März 2018 gibt die Staatskanzlei bekannt, dass die damals amtierende Umwelt- und Landwirtschaftsministerin, Frau Schulze Föcking, Opfer eines Hackerangriffs geworden sei. Wie sich später herausstellt, handelt es sich lediglich um einen Bedienfehler eines Familienmitglieds – ebenso wie beim zweiten gemeldeten Hackerangriff.
Am Abend des 29. März 2018 ist der ermittelnde Oberstaatsanwalt auf dem Hof der Familie Schulze Föcking, um ihr dies mitzuteilen. Genau zu diesem Zeitpunkt ruft Justizminister Biesenbach auf dem Handy des Oberstaatsanwaltes an, um sich, wie er später im Untersuchungsausschuss aussagt, einfach erklären zu lassen, wie der vermutete Bedienfehler technisch möglich gewesen sei.
Ich zitiere aus dem öffentlichen Protokoll, Herr Präsident, des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Herr Biesenbach hat damals zu Protokoll gegeben: Ich wusste nicht, dass er – also der Oberstaatsanwalt – zu dem Zeitpunkt auf dem Hof von Frau Schulze Föcking war.
Der Minister versicherte im Untersuchungsausschuss, er habe in diesem Telefonat keinen Einfluss auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen zum vermeintlichen Cyberangriff auf das Privathaus von Frau Schulze Föcking genommen.
Schulze Föcking, auf deren Handy an. Dieses Telefonat zwischen den beiden Kabinettskollegen dauert eine Minute.
Auf die Frage des Vorsitzenden im Untersuchungsausschuss im Juli dieses Jahres – ich zitiere den Kollegen Körfges; er hat den Zeugen Biesenbach befragt – „Über diesen, ich sage mal, Termin vor Ort haben Sie mit der Frau Schulze Föcking persönlich nie gesprochen, auch im Nachhinein nicht?“ antwortet der Zeuge Peter Biesenbach wörtlich – klar und deutlich und kurz – mit: Nein.
Frau Schulze Föcking gibt im Untersuchungsausschuss an, sich an kein Telefonat über das seinerzeit anhängige Ermittlungsverfahren mit Minister Biesenbach erinnern zu können.
Minister Biesenbach erklärt am 24. November 2019 in der WDR-Sendung „Westpol“, sich ebenfalls nicht an diesen Anruf und dessen Inhalt erinnern zu können, führt dann aber weiter aus, dass er sich aber ganz genau erinnern kann, niemals über das Ermittlungsverfahren mit der damaligen Kabinettskollegin gesprochen zu haben.
Ich fasse zusammen: Der Justizminister ruft den ermittelnden Oberstaatsanwalt zufällig dann an, als dieser sich auf dem Hof von Frau Schulze Föcking befindet. Im direkten Anschluss daran, eine Minute später, ruft der Minister Frau Schulze Föcking an. Beide Teilnehmer des Gespräches geben an, sich nicht an das Gespräch und dessen Inhalt zu erinnern. Herr Minister Biesenbach ist sich aber sicher, zu wissen, dass er niemals mit Frau Schulze Föcking über das Ermittlungsverfahren gesprochen hat.
Lieber Herr Minister Biesenbach, wer soll Ihnen das glauben? Wer soll Ihnen diese Geschichte glauben?
Wer soll Ihnen glauben, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem siebenminütigen Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt, der sich zufälligerweise auf dem Hof von Frau Schulze Föcking befindet, und dem direkt anschließenden Telefonat mit Frau Schulze Föcking selbst, bei dem es zufälligerweise dann ja um etwas anderes ging, gibt und dass Sie sich beide zufälligerweise nicht mehr erinnern können? Erinnerungslücke bei beiden Beteiligten im Kollektiv!
Das kennen wir ja von dieser Landesregierung – Kabinettsamnesie. Herr Reul hatte auch so einen Amnesieanfall, als es beim Hambacher Wald darum
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Den gibt es nicht! – Gegenruf von Christian Dahm [SPD]: Zu Ihnen kommen wir auch noch, Herr La- schet!)
Herr Biesenbach, ich frage Sie noch einmal. Denn ich halte mir immer die konkrete Situation vor Augen. Sie beenden das Telefonat mit dem ermittelnden Oberstaatsanwalt und rufen direkt danach die damalige Ministerin an, die ja im laufenden Ermittlungsverfahren Zeugin ist. Ich frage Sie: Wie realistisch ist das im Leben? Wie realistisch ist man, wenn man glaubt, dass es nichts miteinander zu tun hat, wenn man erst sieben Minuten mit dem Oberstaatsanwalt telefoniert und sich dann umdreht und die Kabinettskollegin anruft? Ich kann das einfach nicht glauben. Ich kann das nicht glauben!
Bitte kommen Sie mir gleich nicht mit der Theorie, die ich gestern schon auf den Fluren des Landtags gehört habe, dass Ihr Handy sich einfach selbstständig gemacht hat, quasi in der Hosentasche.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Diet- mar Bell [SPD]: Bedienfehler! – Christian Dahm [SPD]: Ein Hackerangriff!)
Das haben gestern ein paar Leute erzählt. Sie haben gar nicht aktiv Frau Schulze Föcking angerufen. Das lag nur an der nicht aktivierten Tastensperre Ihres Handys. Das Handy hat also automatisch die Nummer Ihrer damaligen Kabinettskollegin gewählt.
Ganz ehrlich: Diese Theorie ist doch so etwas von albern. Ich gehe darauf nicht weiter ein. Wer es glaubt, wird selig.
Ein anderer Punkt, der mich in dieser Geschichte beschäftigt, ist folgender: Hat der Justizminister wirklich in seinem Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt keinen Einfluss auf die Ermittlungen genommen? Oder haben wir es bei Peter Biesenbach hier nicht mit einem Wiederholungstäter zu tun?
Ich erinnere an das Jahr 2003. Damals ging es darum, dass ein Schöffe von seiner Tätigkeit entbunden werden wollte.
Da haben Sie zum Telefon gegriffen und den Richter angerufen. Sie haben nachher gesagt, Sie wollten nur einem Freund helfen. Verteidigung und Staatsanwaltschaft sprachen im Anschluss von einem unsäglichen und skandalösen Vorgang.