Protokoll der Sitzung vom 18.12.2019

doch zumindest darüber diskutieren, ob wir die Einnahmeseite nicht an anderer Stelle erhöhen können. Ich spreche hier von der Wiedereinführung der Vermögensteuer.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

70 % der Deutschen sind dafür. Selbst 60 % der Unionsanhänger und sogar 50 % der FDP-Anhänger sprechen sich dafür aus. Sie haben also nichts zu verlieren. Warum zögern Sie?

(Henning Höne [FDP]: Auch aus der Motten- kiste!)

Das Vermögen in Deutschland ist so ungleich verteilt wie seit 100 Jahren nicht mehr. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist aber auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft: Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnte der Staat dadurch bis zu 20 Milliarden Euro einnehmen.

Wenn ich vom Staat spreche, meine ich die Länder, denn die Vermögensteuer ist eine Ländersteuer. Für Nordrhein-Westfalen wäre das ein zusätzlicher Einnahmegewinn von 4 Milliarden Euro. Damit schaffen wir die beste Infrastruktur und das beste Bildungssystem in ganz Europa. Worauf warten wir noch? – Ergreifen Sie endlich die Initiative.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, während dieser Haushaltsdebatte heute Vormittag werden in Nordrhein-Westfalen 90 Kinder geboren. Das ist es, was im Durchschnitt in viereinhalb Stunden in den Kreißsälen unseres Landes passiert.

Ich kann zwar nicht hellsehen, aber ich kann Ihnen trotzdem mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen, welchen Bildungsabschluss diese 90 Kinder, die heute während dieser Haushaltsdebatte in Nordrhein-Westfalen geboren werden, in 18 Jahren haben werden.

Ich kann Ihnen auch heute schon mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen, ob diese Kinder zukünftig im oberen, mittleren oder unteren Einkommensdrittel sein werden. Für diese Vorhersage muss ich nur zwei Dinge wissen: den Bildungsabschluss ihrer Eltern und das Einkommen ihrer Eltern.

Leider sagt die Postleitzahl mehr über die Zukunftschance eines Kindes aus als sein Talent. Das ist die Wahrheit über den Stand der Bildungsgerechtigkeit in unserem Land.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie uns das Problem gerne auch gemeinsam an den Wurzeln packen. Das geht aber nur, wenn man Prioritäten setzt. Wir müssen dort in Bildungsarbeit investieren, wo es bislang am wenigsten davon gibt.

Wir müssen dort investieren, wo die Familien arm sind, wo es soziale Spannungen gibt und wo Kinder Sprachprobleme haben. Ungleiches ungleich behandeln – das, meine Damen und Herren, geht nur mit einem schulscharfen Sozialindex.

(Beifall von der SPD)

Ihre 60 Talentschulen, Frau Gebauer, sind sicherlich gut gemeint. Ich mag das auch gar nicht kritisieren, und ich freue mich auch für die 60 Schulen, dass sie zu Talentschulen ernannt worden sind, aber das geht doch tatsächlich am Bedarf vorbei.

Alexander Schäfer hat es in einem Kommentar im „Westfälischen Anzeiger“ auf den Punkt gebracht: Sie fördern Schulen, deren Lehrer geschickt darin sind, Anträge zu formulieren, aber Sie fördern nicht die Schulen, deren Kinder besonders dringend eine Förderung brauchen. – Recht hat er, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es gibt in Nordrhein-Westfalen rund 1.000 sogenannte Standorttyp-5-Schulen. Das sind Schulen in und mit besonderen Problemlagen. Es ist doch nur gerecht, nicht nur 60 Schulen zu nehmen, sondern all diesen 1.000 Schulen eine besondere Förderung zukommen zu lassen.

Ja, das ist teuer, aber es ist möglich. Wir haben heute dazu einen Antrag vorgelegt. Sie haben die Chance mitzumachen. Man muss die richtigen Prioritäten setzen, damit man nicht an den Menschen vorbeiregiert, liebe Frau Gebauer. Machen Sie bitte mit.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, trotz des zehnjährigen Aufschwungs ist unser Land heute tiefer gespalten, als es noch vor der großen Wirtschafts- und Finanzkrise der Fall gewesen ist: ökonomisch, kulturell und politisch.

Von dieser Spaltung profitiert vor allem die politische Kraft rechts außen in diesem Parlament: Es ist die AfD. Gleichzeitig erleben wir, wie rechtsradikales Gedankengut auf den Straßen in Taten umgesetzt wird, wie zum Beispiel die Anschläge in Kassel und Halle in diesem Jahr gezeigt haben. Die geistigen Brandstifter für solche Taten sitzen in Parlamenten, sie sitzen auch in unserem nordrhein-westfälischen Landtag, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Diese Partei ist auch mit der Grund dafür, dass sich leider viele jüdische Landsleute wieder mit dem Gedanken der Auswanderung aus unserem Land beschäftigen müssen.

(Markus Wagner [AfD]: Lächerlich!)

Quatschen Sie nicht dazwischen. – Ihre Partei ist doch der politische Arm des antisemitischen Rechtsradikalismus in Deutschland, Herr Wagner.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Wi- derspruch von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Sie sind ein Hetzer!)

Sie brauchen gar nicht zu protestieren. In Thüringen wird Ihre Partei doch von einem Mann geführt, der Remigrationsprojekte für kulturfremde Menschen fordert, der dabei wohltemperierte Grausamkeiten für nötig hält, und seine politischen Gegner mit eisernem Besen vertreiben kann.

(Markus Wagner [AfD]: Ihre Partei importiert Antisemiten nach Deutschland!)

Das sind die Deportations- und Gewaltfantasien eines Faschisten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN sowie von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Alle AfD-Mitglieder, die hier sitzen, haben nicht den Willen oder die Kraft, diesen Faschisten und seine faschistischen Anhänger aus der Partei auszuschließen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN sowie Alexander Langguth [fraktionslos] – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Ja, ja, Herr Wagner, Sie nennen sich selbst eine konservative Partei, aber das ist nicht wahr. Ich kenne den Unterschied zwischen Konservativen und Rechtsradikalen. Die Anständigen haben Ihre Partei längst verlassen, und die Verbliebenen müssen sich fragen, warum sie immer noch dabei sind, Herr Wagner. Das ist die Wahrheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU sowie von Alexan- der Langguth [fraktionslos] – Zurufe von der AfD)

Jetzt höre ich gerade aus der vierten Reihe der AfD: Die Arbeiter sind verraten worden. – Sie gebärden sich hier als Arbeiterpartei, und das ist eine Lüge, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Christian Loose [AfD])

Sie schauen doch auf die Menschen mit geringem Einkommen mit der gleichen Verachtung und Geringschätzung wie auf Flüchtlinge und Einwanderer. Wann immer Sie können, stimmen Sie doch gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Bundestag genauso wie im Landtag. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Christian Loose [AfD] – Unruhe – Glo- cke)

Rechtspopulisten sind Arbeiterverräter, und Ihre Partei wird auf Dauer Gott sei Dank isoliert bleiben. Das ist auch gut so.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Es mag nach den vergangenen Wahlen verstörende Debattenbeiträge über Koalitionen oder Tolerierungen gegeben haben. Dennoch bin ich mir sicher, dass Liberale und Christdemokraten der AfD nicht die Hand reichen werden: nicht in Nordrhein-Westfalen, nicht in Thüringen und nirgendwo, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU)

Es gibt keine Beschwichtigung mehr mit Faschisten. Wir werden Ihnen dieses Land nicht noch einmal ausliefern; wir werden es Ihnen nie wieder ausliefern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU und der FDP sowie von Alexander Langguth [fraktionslos])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Spaltung unserer Gesellschaft überwinden können.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist ja armselig!)

Auf unser Land kommen enorme Veränderungen zu. Umso wichtiger ist es, dass die demokratische Politik jetzt für die echten Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in unserem Land Partei ergreift: für Handwerk und Erzieherinnen, für Lehrerinnen und Maschinenführer, für Frauen und Männer, die für uns alle fahren, putzen, kochen, pflegen, reparieren, erfinden, entwickeln und bauen.

Denn bei allem, was sie unterscheiden mag, sind sie doch in vielem gleich: Sie sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Mieterinnen und Mieter, die Eltern und Großeltern. Zusammen sind sie die vielen mit vielen Gemeinsamkeiten.

Sie brauchen gute und bezahlbare Wohnungen. Deshalb soll eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft dort für bezahlbare Wohnungen sorgen, wo der Markt versagt, meine Damen und Herren.