Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Weitere Wortmeldungen sind nicht angezeigt. Deshalb kann ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8 schließen.
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass der Innenausschuss in Drucksache 17/8604 die Kenntnisnahme der beiden Vorlagen, über die gerade debattiert wurde, empfiehlt. Einwände gegen diese Empfehlung – ich schaue einmal in die Runde – sehe ich nicht. Damit sind die beiden Vorlagen 17/2104 und 17/2715 vom Parlament zur Kenntnis genommen.
Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt, und Herr Abgeordneter Röckemann von der AfD hat das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor Gericht und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand. Diese alte römische Juristenweisheit wird gern verwendet, um die scheinbare Hilflosigkeit der Menschen im Umgang mit Recht und Gesetz zu beschreiben. Sie beschreibt insbesondere das Verhältnis zwischen den Institutionen, die staatlicherseits Recht anwenden, wie einerseits den Gerichten und Staatsanwaltschaften, und andererseits denjenigen, die mit den Ergebnissen der Rechtsanwendung, der Rechtsfindung und der Rechtsvollstreckung leben müssen.
In einem Land, in dem Tätern schwerster Straftaten durch linke Kuscheljustiz häufig zu viel Verständnis entgegengebracht wird, bleiben regelmäßig deren Opfer auf der Strecke. Denn während sich Täter in aller Regel aussuchen können, ob sie Straftaten begehen möchten, hat das Opfer diese Wahl nicht. Es erlebt Tätergewalt und wird zudem einem weiteren Zwang ausgesetzt. Es muss zur Verhandlung erscheinen, es muss aussagen und wird erneut mit Tat und Täter konfrontiert.
Wie unerträglich es für das Opfer einer Gruppenvergewaltigung sein muss, den Tätern im Gerichtssaal noch einmal zu begegnen, kann sich wohl keiner von uns hier ausmalen. Allein der Weg in den Saal kann zum Spießrutenlauf werden, dann nämlich, wenn die Täter etwa einen Clanhintergrund haben oder einen, in dem Frauen einen niedrigen gesellschaftlichen Stellenwert haben.
Meine Damen und Herren Kollegen, wir können die Taten natürlich nicht ungeschehen machen, aber wir können ihre Folgen für die Opfer abmildern und zur Verbesserung der Wahrheits- und Rechtsfindung beitragen. Unser Antrag zielt darauf ab, die Opfer schwerer und schwerster Straftaten vor allem prozessual zu stärken und ihnen von Amts wegen automatisch das Institut der Nebenklage und damit auch einen Nebenklageanwalt als Beistand zu bestellen.
Denn Nebenklage bedeutet konkret: Das Opfer wird vom bloßen strafprozessualen Objekt als Mittel der Beweiswürdigung zum aktiven Beteiligten innerhalb des Strafprozesses. Ein Nebenkläger zum Beispiel ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er kann Richter und Sachverständige ablehnen, Beweismittel beantragen, aktiv Fragen im Prozess stellen oder sogar Rechtsmittel einlegen. Das Opfer als Nebenkläger wird also vom passiven Zeugen zum aktiven Helfer der Rechtsfindung.
Genau wie in unserem letzten Antrag zur psychosozialen Prozessbegleitung ist dies eine massive Verbesserung für Justiz, Strafverfolgung und vor allem für den Opferschutz. Denn durch diese wichtige Verbesserung wird der Geschädigte aus der Opferrolle befreit und ist nicht mehr in der passiven Funktion eines reinen Zeugen im Strafverfahren.
Der Geschädigte kann natürlich auf die Beiordnung der Nebenklage oder die Bestellung eines Verteidigers, eines Rechtsanwalts, verzichten. Das, meine Damen und Herren Kollegen, ist der entscheidende Unterschied zum bisherigen Verfahren. Bislang musste das Opfer einen Antrag auf Bestellung stellen. Mit unserem Antrag geschieht die Beiordnung von Amts wegen, und dies unabhängig von Stand, Nationalität, Bildung, Geschlecht und Einkommen.
Unser Antrag verbessert dadurch nicht nur die Mittel und Möglichkeiten von Opfer und Gericht. Es stellt auch endlich Waffengleichheit zwischen Opfer und Täter her; denn ein Angeklagter, das wissen wir alle, kann sich von bis zu drei gewieften Strafverteidigern verteidigen lassen. Dank unseres Antrags werden sich zukünftig Nebenkläger und Angeklagter im Strafprozess auf rechtlicher Augenhöhe und annähernder Mittelgleichheit begegnen.
Natürlich ist uns bewusst, dass dieses wichtige Institut nicht in jedem Verfahren Anwendung finden kann – allein schon aus Kostengründen. Seien Sie sich aber nicht zu schade, Geld an der richtigen Stelle in die Hand zu nehmen, nämlich für die Opfer schwerer und schwerster Straftaten, die unsere Unterstützung dringend benötigen.
Dabei kommt Ihnen der Antrag entgegen. Der Straftatenkatalog des § 397a StPO, der sich unter anderem auf die schwerwiegenden Delikte und solche mit minderjährigen Opfern bezieht, wird von uns als Maßstab herangezogen. Springen Sie über Ihre
Schatten, befreien Sie sich von Ihrem parteipolitischen Korsett und stimmen Sie zunächst der Überweisung dieses Antrags zu! – Schönen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Ich habe es bereits mehrfach betont: Opferschutz und Opferhilfe sind Kernanliegen der NRW-Koalition. Deshalb werden Opferschutz und Opferhilfe auch in diesem Jahr und in Zukunft für uns von zentraler Bedeutung sein.
Bereits in unserem Antrag vom November letzten Jahres haben wir deutlich gemacht, dass die psychosoziale Prozessbegleitung zusehends an Bedeutung gewinnen muss.
Aus diesem Grund forderten wir unter anderem die Abschaffung des Antragserfordernisses für Minderjährige im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung. Minderjährigen fehlt im Unterschied zu mündigen Erwachsenen das Bewusstsein über die Tragweite der strafprozessualen Optionen, sodass es an uns liegt, ihnen von Amts wegen Hilfestellungen zu geben und diese entsprechend in die Wege zu leiten. Das war ein richtiger und wichtiger Schritt.
Kommen wir aber nun zu Ihrem heutigen Antrag. Sie fordern, die Nebenklage in den Fällen des § 397a Abs. 1 StPO grundsätzlich von Amts wegen einzuführen. Als Begründung dafür verweisen Sie auf die Zahl der Verfahren vor den Amtsgerichten in 2018.
Dass die Nebenklage grundsätzlich eher bei schwerwiegenden Straftaten zulässig ist und diese eher vor den Landgerichten verhandelt werden, lassen Sie völlig außer Acht. Die Zahl der Verfahren vor den Landgerichten wird gar einfach unter den Teppich gekehrt. Das ist nicht nur unsauber argumentiert, sondern auch sachlich falsch argumentiert. Dass das Instrument der Nebenklage bei den Amtsgerichten fast gar nicht greift, wäre aber eigentlich für jedermann recht einfach zu recherchieren gewesen.
Es gibt einen zweiten Grund, warum Ihr Antrag von uns heute zurückgewiesen wird: Eine Beiordnung von Amts wegen würde dem Instrument der Nebenklage sowie dem Gedanken eines mündigen Bürgers entschieden entgegenstehen. Wir wollen keinen Zwang. Wir wollen kein Muss. Wir wollen, dass sich die Opfer frei entscheiden können, ob sie sich als Nebenkläger dem Strafverfahren anschließen.
Wir wollen die Bekanntheit der Opferschutzangebote stärken. Wir wollen eine breitere Aufklärung über die Rechte von Opfern in Strafverfahren.
Lassen Sie uns verstärkt daran arbeiten, dass die Möglichkeiten, dass die Rechte und Informationen – auch über die Möglichkeit der Nebenklage – besser an die betroffenen Opfer herangetragen werden. Lassen wir die Opfer selbst bestimmen, ob sie sich als Nebenkläger einem Strafverfahren anschließen möchten, ob sie sich an dem Verfahren beteiligten möchten. Ihr Antrag ist jedenfalls weder sinnvoll noch zielführend und in der Begründung sogar sachlich falsch. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich bei der Kollegin Erwin ausdrücklich dafür, dass sie den einen Punkt mit den Amtsgerichten aufgeführt hat. Ich wollte mich eigentlich in sehr sachlicher Art und Weise mit diesem Antrag auseinandersetzen. Das fällt mir allerdings etwas schwer, weil in der Einleitung mal wieder so ein verräterisches Wort vorkommt, das die Sinnhaftigkeit dieses Antrags aus Sicht der Antragsteller deutlich macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, wer im Zusammenhang mit unserer unabhängigen Justiz immer wieder von „Kuscheljustiz“ spricht, der hat die Gewaltenteilung offensichtlich nicht begriffen
und der ist sich der Bedeutung einer unabhängigen Rechtsprechung für unseren Staat nicht bewusst. Das ist doch sehr verräterisch!
Ach, passen Sie mal auf, sehr geehrter Herr da vorne: Von einem Mitglied einer Partei, die Mitglieder duldet, die beim Mahnmal für die Opfer des Holocausts von einem „Mahnmal der Schande“ sprechen, lasse ich mir hier nichts über Opferschutz erzählen.
Die Nebenklage ist ein gutes und wichtiges Instrument des Opferschutzes. Allerdings ist die Beteiligung an einem Strafverfahren aus Sicht von Opfern manchmal durchaus nicht unproblematisch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren.
Deshalb sind auch wir dafür, dass es keine pflichtige, im Einzelfall dann abzulehnende Nebenklägersituation bei schwerwiegender Kriminalität gibt. Wir haben da ein ganz anderes Menschenbild. Wir gehen von der unabhängigen Entscheidung von mündigen Bürgerinnen und Bürgern aus, die bitte selbst darüber zu entscheiden haben, ob sie dieses Instrument wünschen oder nicht.
Ich habe darüber hinaus, wie auch die Kollegin Erwin ausgeführt hat, großes Verständnis dafür, dass sich Opfer von Straftaten einer umfassenden Beratung bedienen können sollen und dass Angebote dazu, wie man sich in Strafverfahren einbringen kann, klargemacht werden. Ich will auch jedem, der es möchte, die Möglichkeit eröffnen, sich aktiv an einem Strafverfahren zu beteiligen.
Hier im Antrag wird dann allerdings eine gute Seite lang eine aus meiner Sicht oberflächliche rechtshistorische Betrachtung über die Entwicklung des Strafrechts angestellt, und im Anschluss daran wird lapidar gefordert, man solle bitte dem Geschädigten von Amts wegen einen Anwalt bzw. eine Bevollmächtigte oder einen Bevollmächtigten zur Seite zu stellen.
Ein bisschen mehr Anspruch hätte ich mir an dieser Stelle schon vorstellen können. Wie stellen Sie sich das bitte konkret vor? Ist das nur eine populistische Forderung, die, wenn man genau hinschaut, jeder sachlichen Grundlage entbehrt? Anstatt sich wirklich an die richtigen Stellen zu erinnern – zum Beispiel die Frage, wie man Informationen an Opfer bringen kann –, machen Sie es sich wie schon mit Ihrem Antrag zur psychosozialen Prozessbegleitung mal wieder sehr leicht.
Darüber hinaus will ich noch ein paar Worte auf die parlamentarische Entwicklung verwenden. Ich habe es mir notiert: Am 10. Dezember hat es im Deutschen Bundestag ein Strafrechtsmodernisierungsgesetz gegeben. Da ist unter anderem über die Nebenklage und über die Modernisierung dieses Instruments beraten und beschlossen worden.
Ich habe mich dann darum bemüht, in Protokollen, Änderungsanträgen usw. nachzuschauen, wie die einzelnen Fraktionen sich mit diesem Gesetz auseinandergesetzt haben. Es gibt in Berlin durchaus interessante Ansätze von Oppositionsparteien. Nur die AfD, die im Bundestag auch vertreten ist – in Klammern: leider –, hat sich bezogen auf die Nebenklage nicht eingebracht. Wollen Sie etwa hier Ihre Versäumnisse auf Bundesebene, die aus meiner Sicht
keine sind, kaschieren, indem Sie irgendwelche Anträge im Landtag stellen, die eigentlich in den Bundestag gehört hätten?