Protokoll der Sitzung vom 12.02.2020

(Beifall von der SPD – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Ich kann Ihnen sagen: Wir werden der Überweisung an den Rechtsausschuss heute zustimmen. Ich darf Ihnen versprechen, dass wir uns inhaltlich mit den Widersprüchlichkeiten und Unsinnigkeiten in Ihrem Antrag auseinandersetzen. Eines kann ich Ihnen allerdings nicht in Aussicht stellen: dass wir diesen Antrag wohlwollend begleiten werden. Dazu werden wir uns dann im Rechtsausschuss verhalten können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Mangen.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich interessiere mich ein bisschen für Geschichte, und deswegen lese ich mit gewissem Interesse die Ausführungen in den Anträgen von der AfD. Die ersten Seiten begleiten Sie immer gerne mit historischen, in diesem Fall mit rechtshistorischen Ausführungen.

Wenn Sie nur aus diesen rechtshistorischen Ausführungen auch die richtigen Schlüsse ziehen würden, wären wir sicherlich ein ganzes Stück weiter. Leider passiert hier genau das Gegenteil.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Die Nebenklage ist in den §§ 395 ff. StPO geregelt. Bei bestimmten, einzeln aufgezählten Delikten kann der Verletzte neben der Staatsanwaltschaft als Nebenkläger auftreten. Dazu zählen beispielsweise Opfer schwerwiegender Straftaten, aber auch Angehörige eines getöteten Opfers.

Der Nebenkläger kann nicht von sich aus ein Verfahren in Gang bringen, sondern er kann sich lediglich einem bereits eingeleiteten Verfahren anschließen. Der Nebenkläger kann als Verfahrensbeteiligter jedoch unabhängig von der Staatsanwaltschaft seine in § 397 StPO aufgeführten Rechte ausüben und insbesondere selbst Anträge stellen.

Im vorliegenden Antrag fordert die AfD, über den Bundesrat einen Gesetzentwurf mit dem Ziel einzubringen, dass nunmehr alle Geschädigten in den Fällen des § 397a Abs. 1 StPO – also in Fällen, in denen dem Nebenkläger auf Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen ist – von Amts wegen als Nebenkläger dem Verfahren anzuschließen sind. Sie

sollen lediglich die Möglichkeit haben, durch ausdrückliche Erklärung auf die Stellung als Nebenkläger zu verzichten.

Es ist völlig richtig, dass einem Geschädigten, der sich dazu in der Lage sieht, die Möglichkeit eröffnet wird, sich selbst als Nebenkläger an dem Verfahren zu beteiligen. So sieht es die bestehende Gesetzeslage ja auch vor. Ihm dies allerdings als Verpflichtung zu aufzuoktroyieren – mit der Notwendigkeit, ausdrücklich auf den Anschluss zu verzichten, wenn er das nicht will –, erscheint allerdings gerade nicht im Interesse des Opfers.

Laut Ihres Antrags wird insbesondere Handlungsbedarf bei Opfern schwerwiegender Delikte und bei Minderjährigen gesehen. Gerade minderjährigen Opfern versucht man doch, wenn möglich, die Anwesenheit als Zeuge zu ersparen, um sie nicht weiter zu belasten. Das haben Sie, Herr Kollege Röckemann von der AfD, gerade selbst ausgeführt. Und genau diese minderjährigen Opfer wollen Sie jetzt dazu zwingen, dass sie möglichst häufig und die ganze Zeit über in einem solchen Prozess zugegen sein müssen? – Das ist nicht nur unüberlegt, sondern geradezu grausam, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Auch erwähnen Sie in Ihrem Antrag, dass die verpflichtende Nebenklage solcher Opfer wichtig wäre, die der deutschen Sprache nicht oder nur zum Teil mächtig sind. Ich nehme an, Sie meinen Geflüchtete und Ausländer.

Es erstaunt bereits, dass gerade Ihre Partei sich für die Opfer einsetzt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, da Sie doch sonst für Remigrationsprogramme sind. Wenn man mangels ausreichender Sprachkenntnisse noch nicht einmal in der Lage ist, den Antrag für eine Nebenklage zu stellen, wie soll man denn dann als Verfahrensbeteiligter erfolgreich ein ganzes Verfahren als Nebenkläger führen können? Oder verwechseln Sie hier einfach nur den Nebenklagevertreter mit dem Dolmetscher? Das wäre dann natürlich noch etwas trauriger. Da sollten Sie unsere Zeit nicht sinnlos in Anspruch nehmen.

Es ist auch insgesamt nicht realistisch, dass die meisten Opfer gerne den gesamten Prozess erleben möchten. Im Gegenteil ist es häufig für ein Opfer einer Straftat schon schwer genug, als notwendiger Zeuge im Strafverfahren – so ist ja seine prozessuale Stellung – aufzutreten. Gerade hierfür gibt es das von Ihnen genannte und in diesem Haus schon häufig besprochene Werkzeug der psychosozialen Prozessbegleitung.

Nebenklage und psychosoziale Prozessbegleitung stehen eher im Widerspruch zueinander. Opfer, die durch ihre Zeugenstellung bereits an die Grenze des Machbaren und Erträglichen geraten und hierfür Hilfe

in Form der psychosozialen Prozessbegleitung benötigen, können doch nicht auf der anderen Seite dadurch belastet werden, dass sie sich durch eigenes, aktives Tun einer Rolle als Nebenkläger entziehen müssen.

Die fehlende Notwendigkeit eines obligatorischen Anschlusses als Nebenkläger spiegelt sich gerade auch in der geringen Zahl der Nebenklagen wider, die Sie selbst in Ihrem Antrag angeführt haben. Auf die Fehler bei der Recherche wurden Sie gerade schon angesprochen. Aber es ist doch schizophren, wenn Sie argumentieren, Sie müssten die übrigen 98,5 % dazu verpflichten und in die Nebenklage drängen, weil nur 1,5 % der Betroffenen das Instrument nutzen.

Aus den genannten Gründen ist der vorliegende Antrag vollumfänglich abzulehnen. Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank und Glück auf.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Mangen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lehnen den Antrag ab, da die Forderung, Opfer bestimmter Straftaten automatisch zu Nebenklägerinnen und Nebenklägern zu erklären, weder zielführend für den Opferschutz ist noch eine sinnvolle Ergänzung für das Strafverfahrensrecht darstellt. Viele Opfer möchten nicht in die Rolle der Nebenklägerin oder des Nebenklägers gedrängt werden. Einige Opfer suchen sich diese Rolle bewusst aus, während andere durch eine automatisierte gesetzliche Zuweisung schlichtweg überfordert wären.

Das Antragserfordernis schützt die Opfer, die keine zu aktive Rolle im Strafverfahren einnehmen und sich auf die nötigen Zeugenaussagen beschränken möchten.

Die in dem Antrag geäußerte Annahme, dass sich Opfer durch die Nebenklage automatisch psychisch aus der Opferrolle lösen, ist schlichtweg falsch. Erstens sind diese Menschen Opfer einer Straftat geworden und daher natürlich auch in der Opferrolle. Zweitens kann daran auch eine Nebenklage oft nichts ändern. Und auch eine Rolle in der Nebenklage kann eine negative oder sogar traumatische Erfahrung sein, zum Beispiel durch die Begegnung mit dem Täter oder der Täterin oder aufgrund der Schilderung der Tat durch den Täter oder die Täterin.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es braucht mehr Beratung und Information, Begleitung von Op

fern und Bekanntmachung des Rechts auf Nebenklage, damit Opfer gut aufgeklärt frei entscheiden können, ob sie eine Nebenklagerolle einnehmen möchten oder nicht. Was wir aber nicht brauchen, ist eine automatisierte Nebenklage.

Opferschutz bedeutet nicht, Opfer von Straftaten zu bevormunden, sondern sie bestmöglich aufzuklären und zu begleiten und sie so zu ermächtigen, gut informiert eigene Entscheidungen zu treffen.

Der Überweisung des Antrages stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Biesenbach jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag will die AfD-Fraktion Opfer schwerer Straftaten – ich zitiere – auf gleiche Augenhöhe – Ende des Zitats – mit Tätern bringen. Tatsächlich begegnet sie aber Opfern mit der Forderung nach einer Nebenklage von Amts wegen gerade nicht auf Augenhöhe, sondern bedrängt sie.

Die AfD knüpft damit nahtlos an ihren Antrag zur psychosozialen Prozessbegleitung an, der aus guten Gründen am 18. Dezember letzten Jahres hier auf breite Ablehnung gestoßen ist. Die damalige Grundidee, dass Opferschutzmaßnahmen gerichtlich verordnet werden, wenn die Betroffenen nicht rechtzeitig widersprechen, überträgt sie nun auf die Nebenklage. Ich habe bereits im Dezember-Plenum dazu Stellung genommen, aus welchen Gründen dieser staatliche Paternalismus aus fachlicher Sicht nicht angezeigt und für die Opfer eventuell sogar schädlich ist.

Ich spare es mir, diese Ausführungen heute zu wiederholen, und fasse zusammen: Der vorliegende Antrag ist aus denselben Gründen abzulehnen wie der damalige.

Auch Ihre Behauptung, meine Damen und Herren von der AfD, es bestehe ein Anwendungsdefizit bei der Nebenklage, hält einer kritischen Betrachtung nicht stand. Sie stützen Ihre Argumente völlig willkürlich allein auf die für die Amtsgerichte veröffentlichte Zahl. Richtig gewesen wäre es, die Zahlen der Verfahren an den Landgerichten zugrunde zu legen, denn gerade dort werden häufig die schweren und überhaupt nebenklagefähigen Straftaten behandelt.

Hier sehen die Zahlen aber ganz anders aus. 2018 lag die Quote der Nebenklagebeteiligungen in den vor den nordrhein-westfälischen Landgerichten erstinstanzlich verhandelten Strafsachen bei rund 23 %.

Schon das zeigt, dass die Nebenklage fester Bestandteil des Strafverfahrens vor den Landgerichten in Nordrhein-Westfalen ist.

Welches Bild Sie, meine Damen und Herren von der AfD, von Opfern tatsächlich haben, zeigt sich ganz deutlich daran, wie Sie ohne jeden empirischen Beleg deren angebliche Lebensrealität beschreiben. Ich zitiere: Opfer verharren derzeit in der Rolle eines bloßen Beweismittels. – Oder: „Viele Opfer sind der deutschen Sprache nicht oder nur zum Teil mächtig; viele können weder lesen noch schreiben“. Diese Sichtweise wird weder den Opfern gerecht noch der nordrhein-westfälischen Justiz.

Nur am Rande: Opfer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, haben bereits jetzt das Recht auf eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher. Daneben halten Justiz und Opferschutzeinrichtungen ein breites Beratungsangebot vor. Broschüren und Internetangebote in einer Vielzahl von Sprachen informieren über Opferrechte einschließlich der Nebenklage.

Ich betone es immer wieder: Die weitere Stärkung der Rechte von Opfern im Strafverfahren und die Steigerung von Bekanntheit, Akzeptanz und Effizienz der bestehenden Opferschutzeinrichtungen sind der Landesregierung wichtige Anliegen. Opfer müssen dabei aber mit ihren individuellen Bedürfnissen ernst genommen und dürfen nicht von oben herab behandelt werden. Das steht für mich im Zentrum. Es setzt voraus, dass Opfer aktiv über ihre Rechte informiert werden und ihnen Beratung, Unterstützung und Hilfe angeboten wird.

Hierfür tragen wir Sorge. Wir nehmen Opfer von Straftaten in ihrer Persönlichkeit und ihrer Autonomie ernst. Und das bedeutet gerade nicht, Entscheidungen zu erzwingen, wie Sie, meine Damen und Herren von der AfD, es wollen.

Opfer müssen das Recht haben, in Ruhe gelassen zu werden, Abstand zu finden, sich nicht im Detail mit dem Verfahren gegen den Täter auseinanderzusetzen.

Der Vorschlag der AfD-Fraktion spricht Opfern diese Selbstbestimmtheit ab. Der Antrag reicht Opfern nicht – wie in seiner Überschrift behauptet wird – die Hand, sondern will sie in die kollektive und aktive Konfrontation mit Angeklagten zwingen. Das ist abzulehnen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Henning Höne [FDP])

Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 9.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/8584 an den Rechtsausschuss. Dort wird dann die abschließende Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Beides war nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

10 Weiterentwicklung der Förderung der 3R-For

schung zur Überwindung der Notwendigkeit von Tierversuchen

Antrag der fraktionslosen Abgeordneten Alexander Langguth, Frank Neppe und Marcus Pretzell Drucksache 17/8552