Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Paul.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Demokratie lebt von Beteiligung und von den Menschen, die das Gemeinwesen gestalten wollen. Das ist natürlich mehr oder weniger eine demokratietheoretische Binsenweisheit.
Das ist natürlich nicht nur eine Frage des Wahlrechts, aber in einer repräsentativen Demokratie ist das Wahlrecht ganz entscheidend. Wichtig ist in diesem Zusammenhang natürlich auch, dass in dieser repräsentativen Demokratie die unterschiedlichen Interessen tatsächlich repräsentiert sein sollten. Die Diskussion um das Wahlalter – das ist gerade schon sehr deutlich geworden – ist weder generell neu, noch ist sie in diesem Haus neu.
als Sie irgendwie versucht haben, die Haltung Ihrer Partei und die Haltung der CDU-Fraktion in Einklang zu bringen. Es gab in der letzten Legislaturperiode nämlich eine verfassungsändernde Mehrheit in diesem Haus, allerdings konnte sich eine Fraktion nicht dazu entscheiden, zu springen, obwohl sie eigentlich für die Absenkung des Wahlalters ist.
Es ist kaum einzusehen, warum 16- und 17-Jährige – Herr Kollege Preuß, das haben Sie gerade nicht wirklich gut rüberbringen können –, die im September bei den Kommunalwahlen in einer Millionenstadt mit einem riesigen Haushaltsvolumen wie Köln den Oberbürgermeister und den Rat wählen dürfen und damit auch entscheiden dürfen, wer dieses riesige Haushaltsvolumen bewegt, nicht den Landtag wählen dürfen. Ist Ihre Ansicht, dass das auf kommunaler Ebene nicht so wichtig sei und die Jugendlichen da mal üben könnten?
Ich meine, das ist eine Argumentation, die so nicht verfängt. Selbstverständlich können sie auch auf Landesebene mitgestalten; insbesondere weil die Landesebene – nicht zuletzt im Bereich der Schulpolitik – das Leben der jungen Menschen ganz elementar mitbestimmt. Trotzdem dürfen die jungen Menschen die Politik in diesem Land nicht mitgestalten. Ich finde, das ist falsch.
Andere Länder machen es doch vor. Andere Bundesländer haben auch bei Landtagswahlen die Wahlgrenze bereits abgesenkt. Kollege Bovermann hat es sehr breit erläutert: In Österreich ist das Wahlalter für alle Wahlen auf 16 Jahre abgesenkt worden. Die Erfahrungen damit sind positiv.
Im Übrigen gibt es auch keinerlei Beleg dafür, dass junge Menschen dramatisch anders wählen würden als über 18-Jährige; zumindest wählen sie nicht dramatisch häufiger in eine extremistische Richtung.
Herr Kollege Preuß, ganz ehrlich: Ihr grundsätzliches Misstrauen, das hier gerade gegenüber jungen Menschen durchklang, haben diese jungen Menschen nicht verdient.
Aber warum braucht es eigentlich eine Absenkung des Wahlalters? – Weil Jugendliche Expertinnen und Experten in eigener Sache sind und weil wirkliche Mitbestimmung auch Selbstwirksamkeitserfahrungen generiert und das Interesse erhöht.
Auch hier zeigen die Zahlen aus Österreich ganz deutlich, dass sich das Interesse an Politik durch die Absenkung des Wahlalters dramatisch erhöht hat.
Nur wer die Wahl hat, muss sich nämlich auch tatsächlich entscheiden. Offensichtlich nehmen junge Menschen diese Entscheidungsbefugnis sehr, sehr ernst und informieren sich dann auch.
Es klang an, dass wir bereits den Jugendlandtag hätten. Das ist gut. Aber der Jugendlandtag ist ein Planspiel, und Demokratie ist nicht in erster Linie ein Planspiel, sondern wird über tatsächliche Teilhabe und über tatsächliche Beteiligung an politischen Prozessen gelernt.
Nicht zuletzt ist es auch eine Frage der Generationengerechtigkeit; auch bei Kollegin Freimuth ist das gerade angeklungen. Wegen des demografischen Wandels treffen deutlich mehr lebensältere Menschen Entscheidungen, mit denen die Jüngeren dann allerdings länger leben müssen. In diesem Fall ist die Abbildung aller Interessen, also der Interessensausgleich, auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Deswegen gilt auch hier, dass junge Menschen ihre Interessen selbst mit einbringen können sollten und selbst mitbestimmen können sollten.
Kollege Bovermann hat darauf hingewiesen, dass Volljährigkeit und Wahlalter durchaus schon einmal auseinandergefallen sind. 1970 beschloss der Bundestag die Absenkung des Wahlalters auf 18 Jahre. Die Absenkung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre erfolgte allerdings erst 1975. Das Argument, das hier immer wieder ins Feld geführt wird, hat schon damals nicht verfangen, und es verfängt auch heute nicht.
Nicht zuletzt zeigt „Fridays for Future“, dass junge Menschen eine sehr klare Vorstellung davon haben, wie sie sich politisches Handeln vorstellen, wo sie uns in die Verantwortung nehmen wollen, wo sie gestalten wollen und wo sie mitbestimmen wollen. Sie haben sehr klare Forderungen, was die Berücksichtigung ihrer Interessen angeht.
Aber – und das ist eine mitentscheidende Frage – müssen sie das überhaupt nachweisen? Wieso sprechen wir eigentlich immer nur bei jungen Menschen darüber, ob sie überhaupt die Reife haben, ob sie sich genug informieren, ob sie Interesse daran haben?
Unser Wahlrecht kennt keine Voraussetzungen in diesem Bereich. Unser Wahlrecht kennt nicht die Voraussetzung, sich informieren zu müssen. Nein, glücklicherweise sagt das Wahlrecht, dass man auch ganz uninformiert zur Wahl gehen darf. Dieses Recht haben alle Menschen über 18, und wir brauchen doch jetzt keinen Wahlrechtskompass für Menschen unter 18 einzuführen. Das hat die Anhörung auch
sehr klar gezeigt. Herr Dr. Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung hat das sehr deutlich gesagt. Er hat sehr deutlich gesagt, dass er diese Frage schlicht und ergreifend irrelevant findet.
Genau, diese Frage ist schlicht und ergreifend irrelevant, weil es bei Wahlen keinen Informiertheitstest gibt und weil das auch gut so ist, dass es diesen Informiertheitstest nicht gibt.
Sehr geehrte Damen und Herren, das Wahlrecht ist selbstverständlich ein ganz entscheidender Teil demokratischer Teilhabe. Aber es ist eben nicht der einzige. Das ist auch bei der Anhörung noch einmal sehr deutlich geworden. Insbesondere der Landesjugendring hat betont, dass politische Teilhabe nicht nur davon abhängt, ob ich zur Wahl gehen kann oder nicht.
In Zeiten, in denen sich zunehmend mehr Menschen fragen, wie sie sich politisch einbringen können, sich zuweilen auch vom politischen System abwenden, sind wir doch vielmehr herausgefordert, auch neue Formate der Beteiligung zu finden. Wir als Politik müssen doch auf die Menschen zugehen, wenn immer mehr Menschen drohen, sich von der Politik abzuwenden.
Das heißt, die Frage der Absenkung des Wahlalters ist eine ganz entscheidende in einer repräsentativen Demokratie, aber es ist eben nicht die einzige Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen müssen.
Genauso ist es doch klar, dass Demokratie keine einmalige Entscheidung ist. Ich entscheide mich nicht dafür, demokratisch wählen zu gehen und informiert zu sein, sondern das ist ein dauerhafter Prozess, und der muss natürlich auch durch politische Bildung begleitet werden. Diese zu stärken ist unsere Verantwortung – völlig unabhängig davon, wie das Wahlalter nun ausgestaltet ist. Aber eine Absenkung – das haben die Beispiele aus Österreich sehr deutlich gezeigt – kann eine positive Auswirkung auf die politische Bildung haben und eben auf das Interesse und quasi den inneren Drang junger Menschen, sich selbst zu informieren.
Ich finde, sehr geehrte Damen und Herren, junge Menschen sind Expertinnen und Experten in eigener Sache, und sie haben eigene Interessen, die es wert sind, berücksichtigt zu werden. Geben wir ihnen doch endlich auch eine Stimme.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Monaten haben wir hier zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode über die Absenkung des Wahlalters auf 16 debattiert. Zwischenzeitlich gab es eine Anhörung. Die Anhörung hat viele gute Argumente dafür geliefert, das Wahlalter bei 18 zu belassen, und relativ schwache Argumente dafür, das Wahlalter auf 16 abzusenken.
Beginnen wir mit dem Einfachsten und Naheliegendsten. Das Wahlalter 18 Jahre wäre natürlich auch weiterhin Bestandteil eines einheitlichen Systems. Auch die Vorredner haben es ja gerade schon häufiger erwähnt. Mit 18 sind junge Menschen voll geschäftsfähig, werden sie strafrechtlich zur vollen Verantwortung gezogen – zumindest rein theoretisch. Praktisch sieht es ja allerdings eher so aus, dass das meistens sogar erst ab 21 geschieht. Ich darf ab 18 alleine einen Pkw fahren. Ich darf an der EU-Wahl teilnehmen und auch die Mitglieder des Deutschen Bundestages wählen.
Ausgerechnet bei der Landtagswahl jetzt das Wahlalter auf 16 herabzusetzen, kann natürlich auch als Willkür ausgelegt werden. Wir haben ein einheitliches System. Das 18. Lebensjahr scheint eine sinnvolle Benchmark zu sein für einen gewissen Reifeprozess. Wieso jetzt 16? Warum nicht 17? Warum nicht 15?
Bei der Beratung im Ausschuss hatte Frau Paul von den Grünen geäußert, mit 16 hätte man schon eine gewisse Mündigkeit und eine gewisse Reife. – Ja, in der Tat, die wollen wir den jungen Menschen auch überhaupt nicht absprechen. Aber warum diese gewisse Mündigkeit jetzt dazu ausreichen soll, um eine so wichtige Entscheidung zu treffen, wie sich die Mehrheitsverhältnisse in einem Landtag zusammensetzen – die Zusammensetzung des Landtags entscheidet ja letzten Endes auch darüber, wer dieses Land regiert, wer zum Beispiel einen Innenminister stellt usw. –, das erschließt sich uns nicht.
Zum nächsten Punkt wurde sehr häufig die Politisierung der Jugend genannt. – Ja, das ist natürlich gut und richtig. Ja, junge Menschen sind auch politisch interessiert und politisch engagiert. Junge Menschen sind in der Regel, wenn sie sich politisch engagieren, auch eine ganze Ecke rebellischer, als man es im fortgeschrittenen Alter ist. Das kann fast jede Partei auch anhand ihrer eigenen Jugendorganisation beobachten. Die Jusos haben eine ganz andere Agenda als die SPD, und auch unsere Junge Alternative ist häufig etwas forscher, als es die Mutterpartei ist.
Man sieht es ja auch bei den Aktivisten von „Fridays for Future“, die hier immer wieder als Beispiel genannt werden, warum die Jugend gerade jetzt so viel politischer ist, als sie es in anderen Zeiten war. „Fridays for Future“ betont immer wieder auch, dass
sie sich eben nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen wollen. Ja, viele Protagonisten machen eigentlich sogar sehr deutlich, dass sie überhaupt gar kein Vertrauen in das Parteiensystem haben.
Die Shell-Studie hat auch gezeigt: Ja, es gibt einen kleinen Anstieg, was das politische Interesse bei jungen Menschen betrifft, aber es ist kein signifikanter Wert. Man muss auch dazu sagen: Wir sprechen immer von Jugendlichen, aber in der Regel werden dort auch junge Menschen bis zum 25. Lebensjahr betrachtet.
Warum sollten wir also diesem Zeitgeist hinterherlaufen? Was wäre denn zum Beispiel, wenn in Nordrhein-Westfalen Heerscharen zur Jungen Alternative strömen würden? In den neuen Bundesländern, in den ostdeutschen Bundesländern, hatte gerade die AfD hervorragende Wahlergebnisse bei den jungen Wählern. In Thüringen zum Beispiel wäre die AfD bei den Wählern unter 30 stärkste Kraft gewesen. Wenn es ein ähnliches Szenario in Nordrhein-Westfalen gegeben hätte, bezweifle ich, dass wir heute über die Herabsenkung des Wahlalters sprechen würden.
Als wichtigster Punkt kam bei der Anhörung zum Tragen, dass die Absenkung des Wahlalters ein Mittel gegen die Politikverdrossenheit in diesem Land sein soll und zu einer höheren Wahlbeteiligung zumindest mittelfristig oder langfristig führen soll. Das ist meiner Meinung nach der spannendste Punkt bei dieser Auseinandersetzung.
Denn zum einen: Wie sieht es in den Bundesländern, in denen das Wahlalter schon auf 16 herabgesetzt wurde, aus? Sowohl in Bremen und Hamburg als auch in Brandenburg haben lediglich zwischen 45 und 52 % aller 16- bis 17-Jährigen überhaupt ihr Wahlrecht in Anspruch genommen. Die Wahlbeteiligung der jungen Leute lag deutlich unter dem Durchschnitt der generellen Wahlbeteiligung. – Das ist das eine.
Zum anderen – das wiegt meiner Meinung nach viel schwerer – beobachten wir auch in Nordrhein-Westfalen im ganzen Land, aber vor allen Dingen in den Städten, dass es einen Zusammenhang zwischen der sozialen, demografischen, ethnischen Segregation und der Wahlbeteiligung gibt. Je niedriger der sozioökonomische Status einer Region ist, desto niedriger ist die Wahlbeteiligung. Im Umkehrschluss heißt das: Je besser es den Menschen geht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zur Wahl gehen.
Das ist ja auf den ersten Blick eigentlich absurd. Man könnte meinen, gerade wenn es mir schlecht geht, wenn ich in einer miserablen Situation lebe, dann ergreife ich das Wahlrecht, dann erhebe ich meine Stimme in der Hoffnung, etwas zu verändern. In der Realität sieht das allerdings ganz anders aus.