Ganz viele Menschen, wie zum Beispiel Medizinstudierende – der Ministerpräsident sprach von 400 Studierenden in Düsseldorf; ich habe noch höhere Zahlen von der Fakultät in Münster gehört –, sind bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren und einzubringen. Es gibt viele pensionierte Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte, die sagen: Ja, wir sind bereit, in dieser schwierigen Situation zu helfen.
Aber was ist passiert, Herr Laschet, dass Sie gut eine Woche nachdem wir hier gemeinsam für diese Kräfte applaudiert haben, einen Gesetzentwurf vorlegen, der genau diese Menschen zu Arbeiten verpflichten soll? Öffentlich applaudieren und in Gesetzen mit Zwangsverpflichtungen drohen, das ist kein Ausdruck von Wertschätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Karl- Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesund- heit und Soziales: Darum geht es doch gar nicht!)
Dieses Engagement, das jetzt an den Tag gelegt wird, sollten wir besser für die Schaffung guter Rahmenbedingungen zum Anlass nehmen. Wie schaffen wir es, diese Ehrenamtlichen in die Strukturen einzubinden? Dafür sind haftungsrechtliche und versicherungstechnische Fragen zu klären. Lassen Sie uns im Augenblick diese Probleme lösen. Ich glaube, das ist viel wichtiger, als über zwangsweises Arbeiten nachzudenken.
Wir sollten allen Kräften garantieren, dass die Überstunden, die sie leisten und noch leisten werden, mit Aufschlägen bezahlt werden. Das ist das Mindeste, das wir allen Kräften im Augenblick schuldig sind.
Wer zwangsweise Arbeit einführen möchte, gefährdet die große Bereitschaft der ganz vielen in unserem Land, die im Augenblick arbeiten und sich ehrenamtlich engagieren wollen. Deswegen sage ich auch in aller Deutlichkeit, dass wir die Regelung in dieser Form – schon aus Respekt vor dem herausragenden Einsatz dieser Menschen – nicht mittragen werden.
(Beifall von der SPD – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Darum geht es doch gar nicht!)
Das Grundgesetz bestimmt in Art. 19 Abs. 1, dass der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, in jedem Gesetz, das er vorlegt, auszuführen, ob ein – und gegebenenfalls welches – Grundrecht durch dieses Gesetz konkret eingeschränkt wird. Das dient der Selbstkontrolle der Parlamente.
Herr Laschet, wir haben beide mal Jura studiert. In den Staatsrechtsklausuren war „Zitiergebot erfüllt“ eigentlich immer nur eine Floskel; Sie können sich daran erinnern. Ich habe bislang auch nie gedacht, dass dieses Zitiergebot in einem Gesetz, das eine Landesregierung einem Parlament vorlegt, einmal nicht erfüllt sein könnte. Heute weiß ich, dass es nicht nur eine Formvorschrift ist. Das ist ein guter Zweck der Selbstkontrolle, sodass sich alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier Gedanken machen: Wie weit geht eigentlich ein Gesetz? In welches Grundrecht greifen wir ein?
Deswegen ist es richtig und wichtig, in ein Gesetz hineinzuschreiben, dass es die Rechte der Menschen in Artikel soundso und soundso beeinträchtigt.
Ich war wirklich entsetzt, als ich in Ihren Gesetzentwurf hineingeschaut habe. Das Problem war nicht nur das, was ich gelesen habe, sondern auch das, was ich nicht gelesen habe.
In Art. 1 § 16 werden die Grundrechte aufgelistet, die durch dieses Gesetz beeinträchtigt werden. Das Grundrecht auf freie Berufswahl, auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz ist da überhaupt nicht erwähnt.
Meine Damen und Herren, Sie wollen Ärzte und Pflegekräfte notfalls dazu zwingen, medizinische Arbeiten durchführen zu müssen, und gleichzeitig vertreten Sie die Auffassung, dass das Grundrecht der freien Berufswahl, der freien Berufsausübung nicht berührt wird. Das kann doch nicht wahr sein, Herr Laschet, das kann doch nicht funktionieren.
Ich habe gedacht, das sei ein Redaktionsfehler, und schaute weiter hinten in die Begründung hinein. Vielleicht ist das nur versehentlich passiert, es ist ja mit heißer Nadel gestrickt. Das kann ja schon mal passieren in dieser Phase, das will ich Ihnen auch gar nicht übel nehmen.
Aber auch in der Begründung auf Seite 74 steht kein Wort zu Art. 12 Grundgesetz. Dabei muss ein Gesetzgeber solche massiven Eingriffe sehr ausführlich begründen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur formell falsch, sondern auch materiell extrem fehlerhaft, meine Damen und Herren.
Gehen wir weiter zu Art. 1 § 14, der Möglichkeit, bestimmte medizinische Geräte beschlagnahmen zu lassen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das ganz massiv in das Eigentumsrecht eingreift. Es gibt Maßnahmen, bei denen das sinnvoll ist; das habe ich auch schon gesagt. Auch ich möchte alle möglichen Geräte zur Verfügung gestellt haben. Aber wenn ich einen solchen massiven Grundrechtseingriff vornehme – der gerechtfertigt sein kann –, dann muss ich ihn auch zitieren; Art. 14 Grundgesetz gehört mit hinein.
Sie haben sich offensichtlich keine ausreichenden Gedanken gemacht, wie weit dieses Gesetz in die Grundrechte der Menschen eingreift. Das ist fahrlässig bei solchen Dingen, wenn man das Vertrauen der Menschen tatsächlich gewinnen möchte.
setzes. Demnach muss ein Gesetzgeber die Formulierungen so fassen, dass der Betroffene Inhalt und Grenzen der Rechtslage genau erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann. Doch genau das tut der Gesetzentwurf nicht.
Art. 1 § 13 ist ein Beispiel dafür. Das Gesundheitsministerium soll danach die Befugnis bekommen – wörtlich – „weitergehende Anordnungen zu treffen“. Was soll das sein? Wo enden diese Befugnisse? Was darf Herr Laumann genau tun und was nicht? Alles ist irgendwie „weitergehend“. Ist das eine pauschale Ermächtigungsgrundlage für alles? Ich weiß es nicht. Das Bestimmtheitsgebot ist hier auf jeden Fall erheblich verletzt.
Aber der schlimmste Verstoß kommt noch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf verstößt auch gegen die Wesentlichkeitstheorie. Demnach muss der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst regeln und darf das auf keinen Fall der Regierung allein überlassen. Wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung muss das Parlament auch alle wesentlichen Gesetze selbst machen.
In Ihren Gesetzentwurf wollen sie an acht Stellen vom Landtag die Erlaubnis erhalten, dass die Landesregierung Gesetze, die der Landtag gemacht hat, einfach durch Rechtsverordnungen verändern darf.
Ein Gesetz kann durch ein Gesetz verändert werden. Die Möglichkeit der Rechtsverordnung ist die absolute Ausnahme. Ein solcher Weg kann ausnahmsweise zulässig sein, doch in diesem Gesetzentwurf ist es nicht die Ausnahme, da ist das die Regel. Sie wollen in gleich acht Fällen am Parlament vorbei Rechtsverordnungen erlassen.
Ich bin sehr dankbar, dass wir in den nächsten Tagen noch Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Ich weiß, dass sich auch in den Regierungsfraktionen an der einen oder anderen Stelle Unmut auftut.
Mich wundert, dass liberale Minister einen solchen Entwurf mitunterzeichnen konnten; darüber werden wir noch in den Beratungen sprechen können. Ich bin relativ optimistisch, dass wir zu vernünftigen Lösungen kommen können.
Das ist bei Weitem aber nicht alles und auch nicht das Schlimmste, was uns im Augenblick Sorgen macht. In der Krise muss eine Regierung sagen, was sie tut, und sie muss tun, was sie sagt. Das war leider in den letzten Tagen nicht immer der Fall. Im Gegenteil, die Botschaften der Landesregierung waren zeitweise widersprüchlich.
„Wir als Politiker sind deshalb gut beraten, nicht dem Rausch des Ausnahmezustands und der Tatkraft zu verfallen, sondern auch in dieser Stunde der Exekutive Maß und Mitte zu wahren.“
Das war genau einen Tag nachdem seine Regierung einen Gesetzentwurf vorlegte, der sich durch alles das auszeichnet, was der Ministerpräsident in seinem Artikel kritisiert. Dieser Gesetzentwurf atmet den Geist des Ausnahmezustandes. Das ist nicht gut. Herr Laschet, an dieser Stelle haben Sie Ihr Gespür für Maß und Mitte leider verloren.
Widersprüchliche Botschaften schaffen kein Vertrauen, aber Vertrauen ist das, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland jetzt tatsächlich brauchen. Wir müssen wieder klare und eindeutige Botschaften kommunizieren. Alles andere schafft kein Vertrauen, sondern verbraucht Vertrauen; das kann sich niemand von uns leisten.
Der Erfolg des Krisenmanagements ist übrigens ganz entscheidend von vielen praktischen Fragen abhängig und nicht nur von gesetzgeberischen Fragestellungen. Wir müssen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten noch ganz viel Praxisarbeit machen und Fragen klären.
Haben unsere Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeheime genug Schutzmasken und Schutzkleidung? Haben wir genug Beatmungsgeräte?
Hier gibt es an der einen oder anderen Stelle noch Engpässe. Wir sehen die Bemühungen, das jetzt auszugleichen, aber ich glaube, wir müssen alles dafür tun, was möglich ist, um unsere Kräfte noch weiter zu bündeln und noch bessere Ausstattungen hinzubekommen.
Werden die Bestände auch noch in drei bis vier Wochen reichen, wenn sich die Lage möglicherweise weiter zuspitzt? Wie können wir unsere Bestände noch weiter steigern?
Das sind ganz wichtige Fragen, denn die Wahrheit ist: Die Regierung kann so drastische Zwangsverpflichtungen für medizinisches Personal beschließen, wie sie will – sie wird das Personal nicht bekommen, wenn wir keine ausreichende Schutzkleidung für die Bekämpfung des Virus haben.
Die Betroffenen schicken uns gerade – das geht wohl allen Abgeordneten so – ganz viele Briefe und E-Mails, in denen sie ihre Sorgen zum Ausdruck bringen. Ich glaube, wir müssen noch stärker zuhören. Das muss unsere Talkshow sein. Wir müssen den Betroffenen in den nächsten Wochen und Monaten noch stärker zuhören und auf ihre Probleme und Bedürfnisse eingehen. Denn ohne Schutzanzug läuft kein Feuerwehrmann in ein brennendes Haus – Zwang hin oder her.
Das Einzige, was diese Menschen gerade verlangen, ist, dass sie ihre Arbeit machen können, dass sie bestmöglich vom Staat dafür ausgestattet und geschützt werden. Dafür müssen Regierung und Parlament sorgen. Das ist unsere Pflicht in dieser Krise, die wir gemeinsam erfüllen müssen.
Spätestens nach der Krise werden wir an einer fairen Bezahlung und besseren Bedingungen für die Beschäftigten nicht vorbeikommen. Wir merken doch heute, dass gute Arbeitsbedingungen zur richtigen Krisenvorsorge dazugehören. Dazu zählt, dass wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch Vertrauen, Anerkennung und Wertschätzung schenken.
Daher gilt es jetzt, eine Belastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Wirklich niemand will, dass das öffentliche Leben auch nur einen Tag länger stillliegen muss als unbedingt notwendig.
Immer noch verdoppelt sich die Anzahl der Infizierten viel zu schnell. Bis sich das ändert, müssen wir alles tun, um Leben zu retten, Arbeitsplätze zu sichern und Unternehmen und Soloselbstständige vor dem Ruin zu bewahren.
Nach allem, was ich höre und lese, funktioniert die Auszahlung der Soforthilfen schnell und unbürokratisch. Dafür möchte ich die Regierung nach all der notwendigen Kritik ausdrücklich loben, insbesondere Sie, Herr Minister Pinkwart, und vor allem ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksregierung aussprechen, die diese Hilfe in vielen Überstunden möglich gemacht haben.