Protokoll der Sitzung vom 09.04.2020

Zu dem Ergebnis, das uns jetzt vorliegt, können alle Ja sagen. Aber man muss hinzufügen, dass der Gesundheitsminister oder die Schulministerin, wenn sich die Lage dramatisch veränderte, mit ihren Themen wieder in den Landtag kommen und sagen müssten: Wir brauchen euch noch mal.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist auch richtig so!)

Es ist ja in Ordnung, dass der Parlamentsvorbehalt gestärkt wird.

(Sarah Philipp [SPD]: Natürlich ist das in Ord- nung!)

Insofern besteht doch gar kein Dissens. Ich bitte nur um Verständnis dafür, unter welchem immensen Druck ein Gesundheitsminister in diesen Tagen steht. Die Menschen machen nicht das örtliche Gesundheitsamt verantwortlich, sondern fragen den Minister, warum es nicht möglich ist, dass, wenn in Heinsberg ein Krankenhaus überlastet ist, der Patient in den Nachbarkreis, nach Düren oder Köln, gebracht wird. – Das ist das Problem, vor dem der Minister steht. Ich finde, auch dafür sollten wir in dieser Sondersituation Verständnis aufbringen.

Letzte Bemerkung: Wir haben den „Expertenrat Corona“ berufen. Das ist das Besondere, dass wir das gleichzeitig machen. Wir reden gerade über die Pandemie und den Tag X, den wir vorbereiten, damit wir dann schnell entscheiden können; und wir reden gleichzeitig über die Frage, wie wir aus diesen großen Freiheitsbeschränkungen und den großen sozialen Belastungen für die Menschen wieder herauskommen. Beides machen wir an einem Tag, beides gleichzeitig.

Deshalb war mir dieser Expertenrat, besetzt mit Psychologen, Soziologen, Sozialarbeitern, Medizinern und Philosophen, so wichtig. Frau Düker – oder Frau Schäffer; ich weiß nicht mehr, wer es war – hat deutlich gemacht, dass der Landtag auch mal gerne mit dem Expertenrat diskutieren würde.

(Monika Düker [GRÜNE] nickt.)

Das alles hat bisher nur digital und virtuell in Schalten stattgefunden. Ich habe mit den zwölf Personen gesprochen. Wir könnten in der nächsten Woche versuchen – das müssen wir mit dem Landtagspräsidium und den Fraktionen besprechen –, eine solche Konferenz im Landtag digital durchzuführen. Dort könnten dann auch Ihrerseits Fragen an die unterschiedlichen Akteure gestellt oder Debatten geführt werden. Wir werden über die technischen Voraussetzungen sprechen. Der Expertenrat ist jedenfalls dazu bereit, sich dieser Diskussion auch mit dem Landtag zu stellen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Mein Ziel ist es, dass wir drei unterschiedliche Phasen im Blick haben. Die eine Phase ist die Eindämmung. Das ist die Phase, an der wir tagtäglich arbeiten.

Die zweite Phase ist die Wiederbelebung des sozialen und öffentlichen Lebens – eine verantwortungsvolle Normalität. Es wird nichts mehr sein wie vorher, aber es werden möglichst viele unserer Freiheiten – in neuer Rücksichtnahme, in neuer Verantwortung, in Distanz und mit all den Regeln, die wir in diesen Wochen gelernt haben – wieder entstehen.

Die Mediziner haben das heute in medizinischen Kategorien beantwortet und attestiert, dass es gelungen ist, in der Gesellschaft in diesen drei Wochen jedem

bewusst zu machen, worauf es ankommt – mit einigen wenigen Ausnahmen, die dann auch belangt worden sind.

Mit dieser hohen Verantwortung, die die Menschen heute haben, kann man auch zum dritten Schritt, einer Rückkehr in die verantwortungsvolle Normalität, überleiten. Das werden wir in der nächsten Woche mit der Bundeskanzlerin und den 16 Ministerpräsidenten erörtern. Das wird behutsam und nicht auf einen Schlag geschehen.

Aber ich bin heute davon überzeugt, dass wir nach Ostern diesen Versuch wagen sollten. Das ist es dann auch, was uns in den nächsten Wochen gemeinsam prägen wird, nämlich diesen Weg gemeinsam zu gestalten und genau zu besprechen: Was heißt das für Kitas? Was heißt das für Schulen? Was heißt das für Geschäfte? Was heißt das für Großveranstaltungen, die noch lange nicht stattfinden können?

Eine Abstufung werden wir also gemeinsam erörtern. Ich glaube, dass wir dann auch nach dem Osterfest voller Zuversicht in die nächsten Wochen gehen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem Tag, an dem das Coronavirus in unser Land kam, gibt es auch eine rege Diskussion darüber, ob wir Grundrechte einschränken dürfen, um das Virus zu bekämpfen, und ob solche Maßnahmen überhaupt zu rechtfertigen sind.

Denn nicht immer heiligt der Zweck die Mittel. Das hat schon Gerhart Baum in der vergangenen Woche deutlich zum Ausdruck gebracht, als er den Entwurf des Pandemiegesetzes – den wir im Anschluss noch beraten werden – gesehen hat.

So groß und berechtigt die Angst über das Ausmaß der Coronainfektionen ist – wie wir es jetzt in Italien, in Spanien, in den USA sehen –, dürfen wir eins aber auch nicht vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Grundrechte haben die Bürgerinnen und Bürger nicht vom Staat verliehen bekommen. Vielmehr hat der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern den Auftrag erhalten, ihre Grundrechte zu schützen.

(Beifall von der SPD, Henning Höne [FDP] und Angela Freimuth [FDP])

Dazu gehört ohne Zweifel auch das Recht auf Leben. Deswegen ist es richtig, dass wir alles Mögliche, aber auch alles Nötige dafür tun, die Gefahren für Leib und Leben von uns allen so gut es eben geht abzuwenden. Wir als SPD haben daran auch nie den geringsten Zweifel gelassen.

Zu den Grundrechten gehören aber eben auch die individuellen Freiheitsrechte. Wenn der Staat also Kontaktsperren verhängt, die Berufs- und die Bewegungsfreiheit einschränkt, das öffentliche Leben stilllegt, dann hat er auch die Pflicht, fortlaufend zu überprüfen, ob seine Maßnahmen erfolgreich, notwendig und verhältnismäßig sind.

Im Augenblick wird auch viel über Ausstiegsszenarien aus der Stilllegung gesprochen. Viele eigenartige Vorschläge tauchen auf. Deswegen lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit zu dem einen oder anderen Vorschlag jetzt etwas sagen.

Auch alte, kranke und behinderte Menschen haben Freiheitsrechte, die geschützt werden müssen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Wer behinderte oder alte Menschen isolieren und auf unbestimmte Zeit in Quarantäne zwingen will, nur damit junge Leute und gesunde Menschen wieder leben können wie zuvor und in Einkaufszentren shoppen gehen können, der schafft keine Normalität, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Er zementiert damit nämlich einen unsozialen Ausnahmezustand, in dem Grundrechte an Gesundheit gebunden werden und Solidarität nur noch eine Worthülse ist. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir doch alle hoffentlich nicht.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Matthias Kerkhoff [CDU])

Deshalb ist es auch richtig und wichtig, den Infektionswegen des Coronavirus wissenschaftlich nachzuspüren. So können wir erfahren, welche Verbote vielleicht sinnvoll sind und wo wir etwas schneller oder weniger schnell lockern können. Wo kann man vielleicht auch noch etwas schärfer machen, um wirksamer dagegen vorgehen zu können? Was ist aber auch vielleicht völlig überflüssig?

Deswegen bin ich auch froh und dankbar, dass es diese Heinsberg-Studie jetzt gibt. Die ersten Informationen, die uns heute präsentiert werden können, sind ja noch relativ übersichtlich. Das braucht wahrscheinlich auch noch seine Zeit. Aber vielleicht kann die Studie sogar die Frage beantworten, ob eine Eindämmung der Virusverbreitung auch mit anderen Maßnahmen möglich gewesen wäre, um auch für die Zukunft daraus zu lernen.

In jedem Fall gilt aber: Verbote, die ihren Zweck nicht erfüllen, müssen aufgehoben werden, ja, selbst dann, wenn ein geringes Restrisiko verbleiben sollte. Auch in normalen Zeiten wägen wir die Freiheiten mit Risiken ab und akzeptieren geringe Restrisiken, wenn es gesellschaftlicher Konsens ist, dass diese Restrisiken akzeptabel sind.

Im Falle des Coronavirus ist die Akzeptanzschwelle für Restrisiken die Kapazitätsgrenze unseres Gesundheitssystems und alle damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben. Was die Versorgungs- und Behandlungskapazitäten zu überlasten droht, ist inakzeptabel. Was diese nicht gefährdet, muss dann im Gegenzug aber auch zukünftig wieder erlaubt sein.

Dass namhafte Wissenschaftler oder Regierungsmitglieder in Bund und Ländern bereit wären, eine andere Akzeptanzgrenze zu definieren und etwa das Risiko einer Überforderung des Gesundheitssystems aus ökonomischen Gründen in Kauf zu nehmen, habe ich noch nicht vernommen. Das ist auch gut so. Das muss auch weiter so bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Aber wenn vom Einzelhandel nur eine geringe Gefahr ausgeht und wir sehen, dass wir Lebensmittel kaufen können, aber Textilien im Augenblick vielleicht nicht kaufen können, dann muss man sich jetzt schon schrittweise Gedanken machen, ob unter den Auflagen, unter denen ich Lebensmittel kaufen kann, vielleicht auch demnächst wieder andere Produkte zu erwerben sein werden. Das müssen wir nach Ostern diskutieren und vielleicht nach Ostern das eine oder andere Geschäft zusätzlich wieder öffnen.

Gleichwohl hätten solche Lockerungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem einen symbolischen Wert. Die großen Herausforderungen sind doch tatsächlich unsere Schulen, unsere Kindertagesstätten und unsere Unternehmen. Wann Schulen und Kitas wieder geöffnet werden können, das weiß heute noch niemand. Auch die Landesregierung hat heute dazu nichts gesagt. Das ist auch kein Vorwurf. Das kann man an diesem Tage wahrscheinlich auch noch nicht abschließend beurteilen. Wir kennen ja wahrscheinlich noch nicht einmal das Risiko der Ansteckungsgefahr, das von Kindern tatsächlich ausgehen kann.

Das ist übrigens auch ein Argument, warum wir nicht darauf verfallen sollten, nach den Osterferien pauschal und auf gut Glück zu versuchen, alle Schulen wieder zu öffnen. Aber wir sollten darüber nachdenken, ob es gegebenenfalls unter strengen Auflagen für bestimmte Gruppen Öffnungsmöglichkeiten gibt. Da sind wir sehr gespannt auf die Vorschläge, die das Ministerium uns sicherlich in den nächsten Tagen auch noch unterbreiten wird.

Aber so lange die Schulen und Kitas geschlossen sind, können viele Eltern nicht zu ihren Arbeitsplätzen. Viele Unternehmen haben ihre Produktion eingestellt, weil ihnen Arbeitskräfte fehlen, weil sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen wollen oder weil auch schlichtweg die Nachfrage eingebrochen ist: Es gibt nichts mehr zu produzieren, was mir jemand abkaufen könnte. Auch die Öffnung eines Einzelhandels möglicherweise sukzessive in den nächsten Wochen wird die Industrieproduktion nicht wieder auf das VorCorona-Niveau heben.

Ein wirksamer Exitplan, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre daher ein Plan zur Beschaffung von ausreichend Schutzkleidung und Schutzmasken. Es wäre vor allem ein Plan zur drastischen Ausweitung von Tests und von medizinischer Forschung.

Wenn wir ausreichend Testkapazitäten schaffen und auch die dafür erforderlichen Ressourcen bereitstellen, werden wir das öffentliche Leben in kontrollierter Form auch in der Breite wieder hochfahren können. Wir werden dafür sorgen müssen, dass wir jederzeit größtmögliche Klarheit auch darüber haben, wo sich das Virus aktuell befindet.

Eine Studie des Bundesinnenministeriums sagt dazu in aller Deutlichkeit, dass wir pro Tag 200.000 Tests brauchen. Das ist realistisch. Das ist aber auch realisierbar. Das ist der erste Schritt zu einem echten Plan aus der Krise. Das dürfte eine Grundbedingung sein.

Bis es einen solchen Plan wirklich gibt und bis er wirkt, dürfen wir aber niemandem falsche Hoffnungen machen. Versprechungen sind jetzt fehl am Platz. Aber wir brauchen berechtigten Mut.

Am Ende wird die Krise nicht durch die Politik überwunden, sondern durch die Umsicht und die Solidarität eines jeden Einzelnen. Jede Mutter und jeder Vater, die zu Hause bleiben und mit ihren Kindern gerade Schulaufgaben machen, bekämpfen das Virus. Jede Supermarktkundin, die den Mindestabstand einhält, schützt Leben. Jede Beamtin, die Überstunden macht, um Hilfsgelder auszuzahlen, verhindert das Abgleiten in eine wirtschaftliche Depression. Sie alle sorgen gemeinsam dafür, dass diese Krise nicht einen Tag länger dauern muss als unbedingt nötig. Dafür sagen wir: Herzlichen Dank an alle die, die sich daran halten.

(Beifall von allen Fraktionen)

Aber ganz gleich, wie lange diese Krise noch andauern wird – sie erfordert von der Politik Umsicht und Besonnenheit, auch und gerade im Umgang mit individuellen Grundrechten. Das werden Sie, Herr Laschet, auch nicht müde zu betonen. Aber gleichzeitig haben Sie diesem Landtag vor einigen Tagen ein Epidemiegesetz vorgelegt, das vor exekutiven Selbstermächtigungen, Grundrechtseinschränkungen und Verstößen gegen die Gewaltenteilung nur so überquoll.

Ja, die Krise verlangt nach einem Epidemiegesetz und auch nach entschlossenem Handeln.

„Keine Krise rechtfertigt es jedoch, im Vorfeld solch massiver Eingriffe nicht das Für und Wider zu überdenken und abzuwägen. Selbst in der größten Krise gilt unsere Verfassung. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gelten immer. Nicht die schnellste Entscheidung ist die beste, sondern diejenige, die wirksam ist und gleichzeitig dem Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht. Wir als Politiker sind deshalb gut beraten, nicht dem Rausch des Ausnahmezustands und der Tatkraft zu verfallen, sondern auch in dieser Stunde der Exekutive Maß und Mitte zu wahren.“