Protokoll der Sitzung vom 29.04.2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 89. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch den Vertretern der Medien auf der Besuchertribüne sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich auf folgende Änderungen der Tagesordnung verständigt:

Der ursprünglich für morgen vorgesehene Tagesordnungspunkt 5, der Antrag der Fraktion der AfD „Gemeinsam gegen das Virus – Handlungen brauchen wissenschaftliche Grundlagen“, Drucksache 17/9047, wird heute als Tagesordnungspunkt 6 behandelt.

Der heutige Tagesordnungspunkt 6, der Antrag der Fraktionen von CDU und FDP mit dem Titel „Sofortprogramm für Heimat und Brauchtum – Unsere nordrhein-westfälischen Vereine halten die Gesellschaft während und nach der Pandemie zusammen!“, Drucksache 17/9040, wird morgen anstelle des Tagesordnungspunktes 5 aufgerufen.

Des Weiteren wird der ursprünglich für Donnerstag vorgesehene Tagesordnungspunkt 2, der Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Tarnen, täuschen und verschleiern: Die Informationspolitik der Landesregierung ist eine Farce! – Was ist mit dem Neubau der Leverkusener Rheinbrücke?“, Drucksache

17/9034, in Verbindung mit der Aktuellen Stunde – heutiger Tagesordnungspunkt 1 – beraten.

Ich sehe, dass es dagegen keinen Widerspruch gibt. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf:

1 Jahrelange Verzögerung und Verdoppelung

der Baukosten bei der Leverkusener Brücke – Landesregierung hat zu spät reagiert

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/9097

In Verbindung mit:

Den drohenden Super-Gau für die Verkehrsinfrastruktur in der Rheinregion verhindern: Was tut die Landesregierung, um den Neubau der Leverkusener Brücke schnellstmöglich fertig zu stellen?

Aktuelle Stunde auf Antrag

der Fraktion der SPD Drucksache 17/9098

In Verbindung mit:

Leverkusener Rheinbrücke – Was passiert jetzt nach der Kündigung? Was plant die Landesregierung?

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/9099

In Verbindung mit:

Tarnen, täuschen und verschleiern: Die Informationspolitik der Landesregierung ist eine Farce! – Was ist mit dem Neubau der Leverkusener Rheinbrücke?

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/9034

Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und AfD haben jeweils mit Schreiben vom 27. April 2020 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen dem Abgeordneten Klocke das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der maroden Leverkusener Brücke und dem notwendigen Neubau haben wir uns hier im Landtag und im zuständigen Verkehrsausschuss in den letzten Jahren viele Male beschäftigt.

Bereits im November 2012 wurde die Brücke aufgrund der gravierenden baulichen Mängel für Fahrzeuge über 3,5 t gesperrt. Die zwischen 2012 und 2014 erfolgte Lockerung und durchgeführte Zwischensanierung hatte keinen Erfolg, sodass die Sperrung seit 2014 mit den entsprechenden Sperranlagen, die wir noch heute an der Brücke sehen können, dauerhaft gilt.

Die Leverkusener Brücke wurde bundesweit zu dem Symbol für die bröckelnde Infrastruktur in Deutschland. Die damalige rot-grüne Landesregierung beauftragte den notwendigen Neubau der Rheinbrücke 2016. Am Jahresende 2016 erging auch der Planfeststellungsbeschluss durch die zuständige Kölner Bezirksregierung.

Ziel war, bis zum Jahr 2020, also quasi jetzt, eine neue Rheinbrücke zu errichten und für den Verkehr freizugeben. Der Spatenstich erging im Dezember

2017 durch den neuen Verkehrsminister Wüst. Tempo war angesagt.

Wir Grüne hatten wegen der zentralen Rolle für das NRW-Verkehrsnetz und aufgrund der besonderen Situation mit zugestimmt, zwei Klagestufen bei Einsprüchen gegen den Bau wegfallen zu lassen und die Bürgerbeteiligung wegen der hohen Dringlichkeit einzuschränken. Damit haben wir uns bei vielen Leverkusener Anwohnern und auch bei den Umweltverbänden keine Freunde gemacht.

Umso verheerender ist es jetzt, im April 2020, dass der Bau wegen der mangelhaften Qualität des angelieferten Stahls und der notwendigen Asbestsanierung beim Abriss der alten Brücke voraussichtlich mindestens drei Jahre länger dauern wird – drei Jahre mehr Staus, Umgehungsverkehre, Schadstoffe und Chaos am Leverkusener Dreieck.

(Beifall von den GRÜNEN und Jochen Ott [SPD])

Ich gehöre nun in der dritten Legislaturperiode dem Verkehrsausschuss an und frage mich, warum die sich abzeichnende und sich zuspitzende Problematik in den letzten Monaten kein einziges Mal Thema im Ausschuss gewesen ist, sehr geehrte Damen und Herren und lieber Verkehrsminister Wüst.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir hatten im Verkehrsausschuss in diesen Monaten weiß Gott unwichtigere Themen auf der Tagesordnung.

Minister Hendrik Wüst sagt heute in einem offenen Interview im „Kölner Stadt-Anzeiger“ über die Abläufe: „Auch ich habe mich wegen der Bedeutung des Projekts regelmäßig informieren lassen.“

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Lieber Minister Wüst, es wäre nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig gewesen, wenn Sie auch das Parlament und zumindest den zuständigen Fachausschuss informiert hätten. Eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses wäre bei diesem Thema, bei dieser Problematik und bei der bundesweiten Bedeutung dieses Projektes zu diesem Zeitpunkt mehr als berechtigt gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dies führt zu der Frage, warum vom Verkehrsministerium und dem zuständigen Fachminister nicht informiert wurde und ob es möglicherweise etwas zu vertuschen gibt.

Immerhin war eines der zentralen Wahlversprechen der CDU und der FDP bei der Landtagswahl 2020 und bei Ihrem mehr als hauchdünnen Wahlsieg, lieber Herr Ministerpräsident Laschet, den Verkehr in Nordrhein-Westfalen flüssig zu machen, die Staus zu beenden. NRW gegen den Stillstand, NRW kommt voran, gegen die Staus – das war Ihr Wahlversprechen.

Und heute – drei Jahre nach dieser Landtagswahl, auch mit Stichtag vor der Coronakrise – haben wir mehr Staus in Nordrhein-Westfalen, wir haben mehr Stillstand. Durch das Bauchaos an der Leverkusener Brücke wird es zu vielen zahlreichen Staus in den nächsten Jahren kommen, sehr geehrte Damen und Herren.

Auch über die von der Baufirma Porr angeführten Verzögerungen durch eine Asbest- und PCBBelastung der alten Brücke ist nie informiert oder vom Minister berichtet worden. Man fragt sich, wie es sein kann, dass acht Jahre nach Beginn der ersten Sanierungsarbeiten im Jahre 2012 erst jetzt eine Asbestbelastung aufgedeckt wird, die den Fortgang der Arbeiten dort maßgeblich verzögern kann. Diese Frage stelle ich mir jetzt als Abgeordneter, aber auch als jemand, der in rot-grüner Regierungszeit hier Abgeordneter war.

Der Verkehrsausschuss hat mehrere Begehungen der Brücke gemacht. Ich erinnere mich an einen Termin in 2013, damals noch mit dem SPD-Kollegen Reiner Breuer als verkehrspolitischem Sprecher, heute Bürgermeister von Neuss. Man fragt sich, warum das Ministerium und die zuständige Fachabteilung keine Informationen zur Frage einer Asbestverseuchung an uns als Abgeordnete weitergegeben haben. Informationen an den Fachausschuss sind in diesem Fall nicht erfolgt.

Dagegen ist die Debatte um den jetzt eingesetzten Stahl keine neue. Schon zu Jahresbeginn 2018 wurde in der Presse und damit in der Öffentlichkeit über die Qualität des in China produzierten Stahls ausgiebig diskutiert. Damals hieß es sowohl von der Firma Porr als auch von Straßen.NRW, dass das anzuliefernde Material höchsten europäischen Standards entsprechen wird. Jetzt wissen wir, dass dem nicht so ist.

Die jetzt erfolgte Kündigung mag ein konsequenter Schritt sein, sie ist vermutlich der richtige Schritt. Aber die Tragödie, dass das Verkehrsministerium diesem sich abzeichnenden Trauerspiel so lange tatenlos zugesehen hat, war abzusehen. Und es ist wirklich eine Schande, dass Sie dem so lange zugesehen und uns nicht informiert haben, sehr geehrter Herr Verkehrsminister.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dass Verkehrsstaatssekretär Schulte zuvor unter anderem bei dem jetzt gekündigten Bauunternehmen Porr in Lohn und Brot stand, hat aus unserer Sicht zumindest ein Geschmäckle.

(Zuruf von der CDU)

Die Landesregierung und der Minister müssen hier und heute …

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ja, es scheint Sie zu treffen. Deswegen rufen Sie jetzt dazwischen.