Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Frau Ministerin Gebauer das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz zur Sicherung von Schul- und Bildungslaufbahnen im Jahr 2020 legen wir die Grundlage, um die notwendigen Antworten auf das Ruhen des Unterrichtsbetriebs an den Schulen und den Einrichtungen der Weiterbildung geben zu können; denn unser aller Anspruch sollte sein, dass niemand aufgrund der Coronapandemie Nachteile in seiner Bildungslaufbahn erleiden muss.
Abschlüsse und Berechtigungen sollen auf einer rechtssichereren Basis erworben werden. Im Vordergrund steht dabei selbstverständlich – das betone ich immer wieder – der Schutz der Gesundheit aller am Schulleben Beteiligten.
Meine Damen und Herren, wir benötigen eine Änderung des Schulgesetzes, weil zentrale Entscheidungen für die Bildungslaufbahnen von Schülerinnen und Schülern unmittelbar im Gesetz geregelt sind und wegen ihrer Bedeutung für den Einzelnen auch in einem Gesetz geregelt werden müssen.
Artikel 1 erlaubt Abweichungen vom Schulgesetz. Diese erstrecken sich im Wesentlichen auf den Bereich der schulischen Prüfungen und der Versetzungen. Im Einzelnen sind dies das Abschlussverfahren am Ende der Sekundarstufe I, das Verfahren am Ende der Erprobungsstufe, die zentrale schriftliche Leistungsüberprüfung, das Abschlussverfahren am Ende der Sekundarstufe I am Weiterbildungskolleg, die Feststellung der Sprachentwicklung zwei Jahre vor der Einschulung und die Versetzung.
Angesichts der dynamischen Entwicklung der Pandemie ist es notwendig, auch kurzfristig auf Entwicklungen reagieren und zügige Entscheidungen herbeiführen zu können. Die Detailregelungen sind daher den einzelnen untergesetzlichen Normen, insbesondere den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen nach § 52 Schulgesetz, vorbehalten.
Das Ministerium für Schule und Bildung hat dem Landtag einen Entwurf zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung nach § 52 Schulgesetz zukommen lassen. Er ist parallel zum Gesetzentwurf Gegenstand der Beratungen im Schulausschuss.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den gestern noch eingereichten Änderungsantrag eingehen, mit dem Sie in den Gesetzentwurf eine Regelung aufnehmen möchten, nach der die Abiturprüfungen ausgesetzt werden, und abweichend von § 18 Abs. 5 Schulgesetz die allgemeine Hochschulreife auf der Grundlage von Vornoten vergeben sehen möchten. Sie möchten einen generellen Verzicht auf die diesjährigen Abiturprüfungen.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle als Schul- und Bildungsministerin: Wer unsere Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen im nationalen Vergleich abhängen will und ihnen Chancengerechtigkeit absprechen möchte, der fordert so etwas.
Sie sagen, es müsse jetzt um Pädagogik gehen. – Es muss immer um Pädagogik gehen. Das tut es bei allen unseren Entscheidungen, die wir entsprechend treffen.
Dass allerdings ein Verzicht auf Prüfungen, insbesondere die Abiturprüfungen, eine Form der Förderung für Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Familien ist, kann ich nicht nachvollziehen. Dieser Verzicht hätte auf Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen, Realschulen und Sekundarschulen überhaupt keinen Effekt. Ich halte diesen Verzicht auch für verantwortungslos.
Im Übrigen haben wir die Durchführung der diesjährigen Abiturprüfungen – auch das werde ich nicht müde zu wiederholen – in der Kultusministerkonferenz einstimmig beschlossen, also auch mit Bundesländern, in denen die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen oder auch der SPD an der Regierung sind.
Sich jetzt gegen diesen Beschluss zu stellen, würde nicht nur die Zusammenarbeit mit allen Bundesländern infrage stellen, sondern auch die bundesweite Anerkennung der nordrhein-westfälischen Abschlüsse gefährden. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich glaube, jetzt besteht noch die Gelegenheit für die Zwischenfrage. Oder gibt es eine Kurzintervention?
Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben gerade ausgeführt, im internationalen Vergleich würden Schülerinnen und Schüler auch benachteiligt, wenn jetzt die Abschlussprüfungen ausgesetzt würden.
Ihnen ist sicherlich bekannt, dass im internationalen Ausland, gerade in Europa, die Abschlüsse im Augenblick mehrheitlich ohne entsprechende Ab
schlussprüfung vergeben werden. Das ist das eine. Das wird auch die Hochschulzugangsberechtigung in Nordrhein-Westfalen und in der gesamten Bundesrepublik in keiner Weise beeinflussen.
Sie haben aber auch ausgeführt, dass es vor allen Dingen um Bildungsgerechtigkeit geht. – Sind Sie der Ansicht, dass alle Schülerinnen und Schüler sich in dieser Situation angemessen auf die Prüfung vorbereiten konnten und die gleichen Ausgangslagen haben?
Ich begrüße ausdrücklich das Instrument der Standardsicherung. Das ist ja das Ziel zentraler Prüfungen. Aber dass diese in einem Jahr ausgesetzt werden, ändert nichts an der Zielrichtung dieser Standardsicherung, sondern berücksichtigt nur die Notfallsituation, in die wir durch die Pandemielage gekommen sind und in der man Schülerinnen und Schülern aus ganz anderen Gründen gerecht werden muss.
Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Zur Reaktion auf die Kurzintervention hat Frau Ministerin das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, mich erinnern zu können – andernfalls müsste es ein Versprecher gewesen sein –, dass ich gesagt habe, die Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen würden im nationalen Vergleich – nicht im internationalen Vergleich – abgehängt. Das ist ein großer Unterschied. Aber das kann man ja dann im Protokoll nachlesen.
Ich habe auch schon mehrfach betont, dass ich die Sorgen, Nöte und Ängste unserer Schülerinnen und Schüler – nicht nur unserer Abiturienten, sondern aller Prüflinge, auch der Schülerinnen und Schüler, die jetzt in den Unterricht zurückkehren werden – und auch der Eltern, weil ich selber Mutter bin, sehr ernst nehme. Aber die Abiturienten und alle anderen Prüflinge haben nicht nur in Nordrhein-Westfalen diese Sorgen, sondern sie haben sie in ganz Deutschland und auch weltweit, weil in ganz Deutschland im Zusammenhang mit den Prüfungen die Pandemie herrscht. Das heißt, dass die Voraussetzungen überall die gleichen sind.
Wir haben uns – ich sage es noch einmal – als Kultusministerkonferenz einstimmig auf den Beschluss geeinigt, auch in diesen Zeiten Prüfungen ablegen zu lassen. An diesen Beschluss halte ich mich als Kultusministerin des Landes Nordrhein-Westfalen
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Das war die Einbringung durch Frau Ministerin Gebauer. Jetzt eröffne ich die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Beer das Wort.
Vielen Dank für die Fürsorge am Redepult. Unter Gendergesichtspunkten ist es toll, dass die Männer das machen. Das finde ich auch immer sehr gut.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich muss das zu Hause auch! – Jochen Ott [SPD]: Das ist wirklich unglaublich!)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in einer Krise, die das Miteinander in unserer Gesellschaft tiefgreifend verändert. Wir müssen Schulen schließen, was vor der Krise undenkbar gewesen wäre.
Danke an die engagierten Lehrerinnen, Erzieherinnen und Pädagoginnen, die sich sofort daran gemacht haben, ihre Kinder nicht nur digital zu betreuen und zu begleiten. Ich danke auch den Eltern, die neben vielen anderen Belastungen plötzlich ganz neu zu Lernbegleiterinnen für ihre Kinder werden müssen.
Deswegen ist es jetzt in dieser Krise Zeit, sich zu besinnen, was sozial, gesellschaftlich und pädagogisch in Sachen Schulen sinnvoll und notwendig ist. Wir brauchen jetzt eine bewusste Bildungspolitik, wir brauchen keine Prüfungspolitik, Frau Ministerin; denn wer sich für eine Prüfungspolitik entscheidet, nimmt nicht nur eine massive Ungerechtigkeit in Kauf, er verschärft sie sogar noch.
Die familiären und häuslichen Voraussetzungen, um lernen zu können und sich vorzubereiten, sind höchst unterschiedlich und ungleich verteilt. Auch wenn Abschlussjahrgänge jetzt gegebenenfalls stundenweise in die Schule kommen können – und auch das läuft wieder ganz unterschiedlich ab –, gleicht es das nicht aus, schon gar nicht, wenn einzelne Schulen und Lerngruppen jetzt wieder reihenweise in den kleinen Lockdown müssen und Schülerinnen nach Hause gehen müssen.
Übrigens: Alles, was in dieser Hinsicht möglich geworden ist, ist das Verdienst der Schulen und Schulträger,