Die Pandemie ist noch nicht vorbei, und wie gefährlich und fragil die Lage auch heute noch ist, zeigen die Vorkommnisse in den Kreisen Gütersloh und Warendorf. Doch so traurig und qualvoll jeder einzelne COVID-19-Fall auch ist, so sind es doch weit weniger Fälle, als wir vor dreieinhalb Monaten befürchtet hatten. Durch gegenseitige Rücksicht und Hilfsbereitschaft ist es den Menschen in Nordrhein-Westfalen gelungen, ein hoch ansteckendes Virus in Schach zu halten.
Nordrhein-Westfalen hat einmal mehr bewiesen, was ein Land stark macht: die Kraft der Vernunft und die Macht der Solidarität. Dafür bin ich nicht nur dankbar, darauf bin ich auch stolz. Wir alle können stolz auf unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sein und Danke sagen.
Die bisher weitgehend erfolgreiche Eindämmung dieser Infektion ist auch ein Verdienst der hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die uns in den vergangenen Monaten beraten haben. Wir können uns glücklich schätzen, sie in unserem Land zu haben, auch weil sie die kostbare Gabe haben, ganz normalen Menschen zu erklären, was eine Pandemie bedeutet und wie man sie bekämpft. Sie können das besser, als es jede Verordnung überhaupt formulieren könnte.
Keine seriöse Wissenschaftlerin und kein seriöser Wissenschaftler sollte es je bereuen müssen, in die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Wir brauchen diese Form der wissenschaftlichen Gesellschaftsberatung.
Umso wichtiger ist es, dass die Politik der Wissenschaft mit Respekt begegnet und sich dabei auch an ein paar Regeln hält. Wir machen Wissenschaftler weder zu politischen Verbündeten wider Willen, noch zu politischen Gegnern. Weder schmücken wir uns mit ihnen, noch greifen wir sie öffentlich an, wenn uns ihre Ergebnisse nicht passen. Wir nutzen ihr Wissen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen, aber wir benutzen sie nicht für PR-Kampagnen in eigener Sache, meine Damen und Herren.
Wissenschaft soll dem Allgemeinwohl und der Aufklärung dienen. Das kann sie aber nur, wenn sie frei und unvoreingenommen forschen und arbeiten kann. Wenn Wissenschaft jedoch schon gefasste politische Entscheidungen nur noch legitimieren soll oder für politische Einzelinteressen instrumentalisiert wird, dann ist das keine Aufklärung. Das ist das Gegenteil von Aufklärung.
Ich hoffe, dass sich in Zukunft kein Ministerpräsident mehr den Vorwurf von NGOs gefallen lassen muss, er habe sich durch die Verquickung von Wissenschaft, PR-Kampagnen und Politik unglaubwürdig gemacht. Es wäre für uns alle besser, wenn es solche Vorwürfe zukünftig nicht mehr gäbe, Herr Ministerpräsident.
Es ist schon erstaunlich. Viele Menschen sind in dieser Krise über sich hinausgewachsen: die Pflegerinnen und Pfleger, Schulleiterinnen, Lehrer, Bürgermeister, Bundes- und Landesminister. Doch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen verspielt in der Stunde der Exekutive seine Glaubwürdigkeit. Es
heißt ja immer: Krisenzeiten sind die Stunde der Exekutive. Wenn dies die Stunde der Exekutive in Nordrhein-Westfalen ist, dann haben Sie, Herr Laschet, gar nichts daraus gemacht.
In einer Krise erwarten die Menschen von einer Regierung nicht Unfehlbarkeit – wir alle müssen in einer solchen Phase auch lernen; das ist ein lernender Prozess –, aber sie erwarten zu Recht Verlässlichkeit, Entschlossenheit und Führungsstärke. Keine dieser Erwartungen hat die Regierung Laschet bisher erfüllt.
Diese Führungsschwäche ist ein Risiko für die Pandemiebekämpfung. Rheda-Wiedenbrück ist heute der größte Hotspot in ganz Europa. Es ist schlimmer als in Heinsberg und schlimmer als in Ischgl. Das Land hätte hier eine Regierung gebraucht, die schnell und entschlossen eingreift und nicht erst eine Woche wartet, um zu verhindern, dass eine zweite Infektionswelle über ganz Deutschland und Europa hinwegrollt. Eine solche Regierung hatte NordrheinWestfalen aber nicht. Die Regierung Laschet zögerte und zauderte. Sie zögerte und zauderte, bis es nicht mehr ging. Und jetzt können wir nur noch hoffen, dass es nicht schon zu spät ist.
Ischgl, meine Damen und Herren, wurde aufgrund untätiger Behörden mit nur einigen Hundert Fällen zum Ground Zero der COVID-19-Epidemie in Deutschland und Nordeuropa – mit all ihren Folgen.
Im Kreis Gütersloh waren es weit über 1.500 Fälle, und trotzdem griff die Landesregierung nicht frühzeitig ein. Warum nicht? Warum diese Unentschlossenheit? Ich sage es Ihnen. Weil Sie jedes politische Risiko scheuen, Herr Laschet, weil Ihnen der Mut fehlt, Verantwortung zu übernehmen.
Wann immer es geht, schieben Sie die Verantwortung ab, nach ganz unten zu den Lehrerinnen und Lehrern, zu den Erzieherinnen und Erziehern, zu den Landräten, zu den Bürgermeistern.
Sie alle müssen im Einzelfall zurechtkommen. In dieser Phase gab es keine ausreichende Hilfe und Orientierung. Das war nicht nur verantwortungslos, das war auch politisch feige, Herr Laschet.
Ich halte es auch bis heute für fahrlässig, dass wir die Menschen, die in Risikoberufen arbeiten, im Krankenbereich, in der Pflege, nicht kontinuierlich und
flächendeckend testen lassen, nicht einmal die Pfleger und Krankenschwestern in unseren Hospitälern. Grob fahrlässig, wenn nicht gar skandalös, ist es auch, dass die Landesregierung die Firma Tönnies von Anti-Corona-Maßnahmen wie Abstandsgeboten befreit hat.
Wie konnten Sie das tun, ohne sich zuvor ein Bild von der Lage zu machen?! Sie wussten von den schlechten Arbeitsbedingungen. Ich gebe zu, wir alle wussten davon.
Selbstverständlich hätte man der Firma Tönnies niemals gestatten dürfen, in Eigenverantwortung zu testen. Wir haben es doch jetzt selbst erlebt, und Sie haben es gerade bestätigt: Sie konnten fast nur unter Androhung von Verwaltungszwang an die Personaldaten kommen. – Dann verlassen Sie sich darauf, dass die Firma Tönnies in eigener Verantwortung testet?! Da haben Sie den Bock zum Gärtner gemacht, meine Damen und Herren.
Herr Laumann hatte das schon vier Wochen vorher im Blick. Sie haben ja sogar im Plenum gesagt: Denen traue ich auch nicht mehr richtig. – Aber warum haben Sie die nicht gestoppt? Warum haben Sie die einfach machen lassen? Warum haben Sie sich von der Firma Tönnies an der Nase herumführen lassen?
Das Schlimmste ist: In Pressestatements nutzt der Ministerpräsident die gleiche Wortwahl wie Clemens Tönnies. Was ist da passiert? Wie soll da glaubhaft ein vernünftiges Krisenmanagement vermittelt werden, meine Damen und Herren?
Jetzt haben wir die Situation, dass Bürgerinnen und Bürger aus dem Kreis Gütersloh und aus dem Kreis Warendorf – Bürgerinnen und Bürger unseres Landes – aus ihren Urlaubsorten verwiesen werden. Auch Markus Söder verweigert unseren Bürgerinnen und Bürgern aus den betroffenen Kreisen die Einreise nach Bayern. Weitere Länder folgen. Was für eine Demütigung! Armin Laschet kann nur hilflos zuschauen. Der Ministerpräsident steht hier vor einem Scherbenhaufen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Alle bisherigen Erfolge dieser Pandemiebekämpfung stehen jetzt auf dem Spiel. Es kann gut gehen, es kann aber auch nicht gut gehen. Wir können nur hoffen, dass Rheda-Wiedenbrück nicht der Ground Zero einer zweiten Welle wird, die das ganze Land zurück in den Lockdown zwingt, und das nur, weil die Regierung Laschet nicht den Mut hatte, vor Ort durchzugreifen.
Auf dem Feld der Schulpolitik ist die Liste ihrer Fehler und Versäumnisse besonders lang, ganz gleich, um was es ging: Schulöffnungen, Hygienestandards, Onlineunterricht oder Personalplanung. Sie haben Versprechen gebrochen, Ankündigungen widerrufen und Ihre Verantwortung ignoriert.
Diese Regierung war unzuverlässig, ihre Kommunikation widersprüchlich und ihr Handeln unberechenbar. Das ist übrigens nicht allein das Urteil der Opposition. Es ist das Urteil der Betroffenen, das Urteil von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen und Schülern.
Am 4. Mai sah sich der Verband Bildung und Erziehung gezwungen, einen Brandbrief an den Ministerpräsidenten zu schreiben. Dieser Brief ist in der Geschichte unseres Landes einmalig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich darf daraus zitieren:
„Schulleitungen und Lehrkräfte sind in großem Maße tief verärgert und fassungslos über ihren Dienstherrn, die Landesregierung, durch die sie sich in keiner Weise in ihrem Aufgabenfeld verstanden und vertreten fühlen.“
„in erschreckender Weise, dass nicht alle … in der Landesregierung … über den aktuellen Schulalltag informiert sind und anscheinend nicht annähernd wissen, was Schulleitungen und Lehrkräfte in diesen schwierigen Zeiten für die Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern und damit für unsere Gesellschaft leisten.“
Heute, fast zwei Monate nach diesem Brief, steht fest, dass sich an diesem katastrophalen Urteil überhaupt nichts geändert hat; denn Ihre planlose und chaotische Politik geht weiter.