Protokoll der Sitzung vom 24.06.2020

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Strotebeck. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hagemeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD-Fraktion rennt zum wiederholten Mal mit dem Kopf vor die gleiche Wand; denn nicht zum ersten Mal fordert sie die Verkleinerung unseres Parlaments. Dabei ist die parlamentarische Demokratie ein hohes Gut unserer Gesellschaft, das es zu schützen und zu verteidigen gilt.

(Zustimmung von Andreas Keith [AfD])

Die zentralen Fragen, die wir alle uns selbst beantworten sollten, sind, wie viel uns eine bürgernahe, demokratische Politik für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen wert ist und wie effektiv unsere Parlamentsarbeit derzeit ist.

Wir Abgeordnete haben einen vollen Terminkalender, insbesondere in den Sitzungswochen des Landtags. Selbst in der Coronakrise waren unsere Arbeitstage nicht mit acht Arbeitsstunden zu bewältigen. Ganz im Gegenteil: Nicht wenige meiner Kolleginnen und Kollegen haben von morgens früh bis abends spät an mobilen Endgeräten gesessen und versucht, die Flut an Herausforderungen digital zu bewältigen.

Aber gehen wir nicht von der Krise, sondern vom Normalzustand aus, den ich beispielhaft anhand meines Wahlkreises aufzeigen möchte. Warendorf I ist ein recht großer, ländlicher Wahlkreis mit acht Kommunen. Mit dem Auto brauche ich von einem Ende zum anderen gut eine Stunde und lege dabei eine Entfernung von rund 60 km zurück. Über Arbeitsmangel vor Ort kann ich mich absolut nicht beklagen, auch nicht in der sitzungsfreien Zeit.

Mein persönlicher Anspruch als Wahlkreisabgeordneter ist es, so oft wie möglich an unserer Basis präsent zu sein. Der Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern ist enorm wichtig. Denn wenn wir unserem Wahlauftrag gerecht werden wollen, müssen wir

immer wissen, was die Menschen in unseren Wahlkreisen aktuell bewegt, und diese Themen für unsere Arbeit hier im Parlament mitnehmen. Und umgekehrt ist es genauso: Wir Abgeordneten transportieren die Politik zu den Menschen.

Eine Verkleinerung des Landtags bedeutet zwangsläufig eine Vergrößerung der Wahlkreise. Die AfD fordert, dass die Zahl der Wahlkreise auf 64 halbiert und die Zahl der Abgeordneten auf 129 reduziert wird. Grob über einen Kamm geschert, hieße das, dass sich die Arbeit der Wahlkreisabgeordneten verdoppelt. Wenn man es logisch betrachtet, hieße das aber auch, dass sich die Zeit, die wir Volksvertreter für unsere parlamentarische Demokratie aufwenden können, quasi auf die Hälfte reduziert.

Speziell in den ländlichen Wahlkreisen betreuen wir Abgeordnete große Gebiete, fahren jeden Monat Hunderte von Kilometern und verbringen tagsüber, abends und an so gut wie jedem Wochenende Stunde um Stunde bei denen, die wir hier in Düsseldorf vertreten.

Demokratie ist mehr, als ein Kreuzchen auf einem Wahlzettel zu hinterlassen. Meine Damen und Herren, Demokratie ist, wenn sich die Wählerinnen und Wähler von uns Abgeordneten vertreten fühlen. Das Vertrauen in politische Institutionen sowie die Demokratieakzeptanz sind auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von besonderer Bedeutung.

Gerade in Zeiten von Politikverdrossenheit ist die Bindung des einzelnen Abgeordneten an die Menschen im Wahlkreis sehr wichtig. Wird die Anzahl der Wahlkreise reduziert und die Größe der Wahlkreise deutlich ausgedehnt, wird die Bindung zu den Bürgerinnen und Bürgern zumindest schwieriger.

Wir demokratischen Fraktionen wollen, dass der Landtag auch zukünftig die Vielfalt der Menschen und Meinungen in unserem Land abbildet. Dazu gehört nicht nur der Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition, wie wir ihn beispielsweise in der heutigen Plenarsitzung verfolgen konnten, sondern wegen unseres Verhältniswahlrechts auch die Beteiligung kleinerer Parteien an der Meinungsbildung in diesem Hause.

Derzeit werden zehn Abgeordnete benötigt, um eine Fraktion zu bilden. Auf diese Zahl bewegt sich die AfD seit 2017 im Trend konsequent zu. Aber auf die Interna der selbsternannten Alternative möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.

Meine Damen und Herren, Demokratie sollte es uns wert sein, finanziert und gepflegt zu werden. Wir lehnen den von der AfD vorgelegten Gesetzentwurf ab, stellen uns aber gerne einer sachlichen und weiterführenden Diskussion und Auseinandersetzung im federführenden Hauptausschuss. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, Angela Freimuth [FDP] und Henning Höne [FDP])

Danke schön, Herr Hagemeier. – Jetzt spricht Herr Professor Dr. Bovermann für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeden Morgen um 6 Uhr wird Phil Connors, ein TVWetteransager, vom Radiowecker geweckt. Er erlebt in der US-Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ denselben Tag immer wieder. Auch ich fühlte mich wie in einer Zeitschleife, als ich den Gesetzentwurf der AfD las.

Nachdem die AfD bereits in den Landtagen von Thüringen und Brandenburg und während des Wahlkampfs in Sachsen mit der Forderung nach einer Verkleinerung der Landesparlamente aufgetreten war, stellte sie im November 2017 auch im nordrheinwestfälischen Landtag einen entsprechenden Antrag. Mit derselben Zielsetzung und denselben Argumenten legt sie nun einen Gesetzentwurf vor.

(Andreas Keith [AfD]: Nächstes Jahr wieder!)

2018 sollte es dazu im Hauptausschuss auch eine Anhörung geben. Doch aufseiten der AfD fand sich kein Sachverständiger.

(Andreas Keith [AfD]: Weil sie unter Druck ge- setzt werden!)

Selbst der Bund der Steuerzahler ahnte, dass er vor den Karren der Rechtspopulisten gespannt werden sollte, und sagte seine Teilnahme ab.

Lediglich der von den demokratischen Fraktionen benannte Gutachter, der Politikwissenschaftler Professor Dr. Werner Reutter, reichte eine Stellungnahme ein. Da die Anhörung schließlich ausfiel, arbeitete er sein Papier zu einem Aufsatz mit dem Titel „Zur Größe von Landesparlamenten. Kriterien für eine sachliche Diskussion“ um.

Meine Damen und Herren von der AfD, Sie können den Text in der „Zeitschrift für Parlamentsfragen“, Heft 02/2019, nachlesen. Darin wendet Reutter eine Formel des estnischen Politikwissenschaftlers Taagepera auf alle Landtage an und kommt zu dem Ergebnis, dass die Landesparlamente mit Ausnahme der Stadtstaaten unter der erwartbaren Größe bleiben. Ich zitiere:

„Auch der Landtag Nordrhein-Westfalen wäre aktuell zu klein: Auf Grundlage der Wahlberechtigten hätte der 17. Landtag rechnerisch 236 Abgeordnete umfassen müssen...“

Reutter legt seiner Einschätzung drei Referenzkriterien zur Parlamentsgröße zugrunde: die Repräsentationsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit und finanzielle

Aspekte. Letztere haben jedoch für ihn die geringste Relevanz.

Parlamente – das hat gerade auch Kollege Hagemeier betont – müssen demnach groß genug sein, um eine responsive Wahlkreisarbeit zu gewährleisten. Die Abgeordneten im Landtag Nordrhein-Westfalen repräsentieren schon jetzt im Vergleich zu den anderen Landtagen die meisten Wahlberechtigten. Würde der Vorschlag der AfD zur Verkleinerung umgesetzt, müssten sie dreimal so viele Wahlberechtigte vertreten wie die Abgeordneten in den anderen Landtagen.

Parlamente müssen zweitens so groß sein, dass sie die Spezialisierung und Arbeitsteilung abbilden können. Das gilt ganz besondere für Arbeitsparlamente wie dem Landtag Nordrhein-Westfalen, der eben nicht, wie behauptet, ein Feierabendparlament ist.

Schließlich muss die Parlamentsgröße im Verhältnis zu den Kosten stehen. Auch hier ist unser Landtag mit Aufwendungen von 7,52 Euro pro Kopf der Bevölkerung im Ländervergleich vorbildlich. Durch den Vorschlag der AfD würden von diesen Betrag gerade einmal 39 Cent eingespart.

Wenn ich nun diese wissenschaftlich erarbeiteten Kriterien mit der Begründung in dem aktuellen Gesetzentwurf der AfD vergleiche, so muss ich ihn als Zumutung empfinden. Der Unterschied zwischen der Gesamtzahl der Abgeordneten nach § 14 Landeswahlgesetz und der Ausgangszahl für die Sitzverteilung nach § 33 ist den Autoren genauso unklar wie die Entstehung von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Als Belege werden nur aus dem Zusammenhang gerissene Presseberichte und keine wissenschaftlichen Expertisen herangezogen. Die AfD kennt nur ein Kriterium: Demokratie als finanzielle Belastung.

Schließlich geht der Vorschlag einer Reduzierung auf 129 Abgeordnete völlig am Problem vorbei, zumal die Einteilung in 64 Wahlkreise wie für die Wahl zum Bundestag zugrunde gelegt werden soll. Damit wird die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Landtags infrage gestellt. Dazu zitiere ich noch einmal Werner Reutter:

„In dieser Forderung“

also in der Forderung der AfD nach einer Verkleinerung –

„mag sich vielmehr eine grundsätzlich skeptische, wenn nicht sogar ablehnende Haltung gegenüber den Funktionsprinzipien repräsentativ-parlamentarischer Demokratie verbergen.“

So erklärt sich auch der Unterschied zu der eingangs angeführten US-Filmkomödie. Mit der Zeit lernt der Protagonist, Einfluss auf den Verlauf des Murmeltiertages zu nehmen, indem er sein Wissen über die

kommenden Ereignisse nutzt. Am Ende findet er sogar sein persönliches Glück.

Hinsichtlich der AfD bin ich da skeptisch. Kein Wissen, kein Lernen; da bleibt es wohl bei der Zeitschleife und der Erfolglosigkeit des Gesetzentwurfs. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Professor Dr. Bovermann. – Jetzt spricht Herr Höne für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Debatte steht ein Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zur Verkleinerung des Landtags. Das kommt – Herr Kollege Bovermann hat gerade darauf hingewiesen – uns allen bekannt vor. Wir haben das im November 2017 schon einmal fast gleichlautend debattiert – übrigens nicht nur hier im Plenum; der damalige Antrag der AfD war auch Gegenstand von nicht weniger als sechs Ausschusssitzungen in diesem Hause. Das Parlament hat sich also bereits intensiv mit dem Vorhaben und dem Ziel des hier vorliegenden Gesetzentwurfs beschäftigt.

In der Begründung dieses Gesetzentwurfs führt die AfD nun Effektivität und Kosteneinsparungen an. Ich zitiere:

„Der Landtag NRW wäre auch mit einer Soll-Zahl von 129 Abgeordneten uneingeschränkt arbeitsfähig und zugleich effektiver und kostengünstiger.“

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung: Wer dasselbe Thema innerhalb so kurzer Zeit zweimal in unseren Beratungsprozess einbringt, hat jedes Recht verwirkt, über Effektivität und Kostenersparnis zu sprechen.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Debatten über Parlamentsgrößen und Wahlsysteme sind so alt wie die Systeme selber. Das ist vom Grundsatz her auch vollkommen in Ordnung. Nun sage ich Ihnen aber: Alle Gründe, die gegen Ihren Antrag sprachen, sprechen auch gegen Ihren Gesetzentwurf. Meine beiden Vorredner sind darauf schon entsprechend eingegangen.

Da geht es um die Frage der Arbeitsfähigkeit und die Frage, wie viel Zeit einzelne Abgeordnete haben, sich in Fachausschüssen mit Themen, die in den Ministerien behandelt werden, nicht nur zu beschäftigen, sondern auch die Exekutive wirklich zu kontrollieren. Es geht um die Frage der Erreichbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger usw. usf.

Ich kürze das an dieser Stelle ab. Denn für die Freien Demokraten steht fest: 199 Abgeordnete, im eigen

tlichen Sinne 181 Abgeordnete, sind für die Repräsentation von 18 Millionen Einwohnern nicht überdimensioniert, sondern passend. Mit dieser Größe können wir unseren Aufgaben in jeglicher Hinsicht – sowohl, was die Erreichbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger betrifft, als auch, was die Kontrolle der Landesregierung angeht – gut nachkommen.