Rainer Bovermann
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute am 11.11. muss der Start in die Karnevalssession aufgrund der Coronapandemie ausfallen. Vielleicht hat das die AfD dazu verleitet, selbst etwas Prohibitionsstimmung zu verbreiten.
Tatsächlich wird jedoch mit dem behaupteten Prohibitionsdiktat ein doppelter Zweck verfolgt: Zum einen soll ein Anlass geschaffen werden, um in diesem Haus den Mythos von der Aufgabe der Freiheit und der Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger zu propagieren. Zum anderen soll in einem Akt des Widerstands die Landespolitik gegen die Bundespolitik instrumentalisiert werden.
Doch die Versuche, ausgerechnet die AfD als Verteidigerin der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und als einzig wahre Opposition zu inszenieren,
sind zum Scheitern verurteilt.
Die Darstellung der Ausgangslage im Antrag bleibt der Realität fern und erschöpft sich in unbewiesenen Behauptungen. Die einzige konkrete Forderung nach einem Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht erweist sich als Schuss in den Ofen.
Da es sich beim Infektionsschutzgesetz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz um ein Bundesgesetz handelt, ist die Kompetenzverteilung klar geregelt. Vielleicht sollte sich die AfD einmal mit den Grundlagen des bundesdeutschen Föderalismus beschäftigen oder Herrn Beckamp fragen, der ja in der Enquetekommission III mit uns gemeinsam zum Thema „föderale Grundordnung“ berät.
Die SPD lehnt diesen Antrag ab und leistet so ihren Beitrag zur Prohibition im Sinne des Schutzes vor bestimmten gefährlichen Substanzen, in diesem Fall vor den Substanzen des Rechtspopulismus. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade 30 Jahre deutsche Einheit gewürdigt. Im Einigungsprozess haben Symbole wie die in der Verfassung verankerte schwarz-rot-goldene Bundesflagge eine große Rolle gespielt. Einmal mehr ist deutlich geworden, dass auch ein demokratischer Staat auf Symbole nicht verzichten kann. Es sind geronnene Werte, und sie tragen zur kollektiven Identität bei.
Zugleich darf der Staat nicht zulassen, dass Gegner der Verfassung sich der politischen Symbolik bemächtigen, sie mit ihren Inhalten füllen und diese gegen die Demokratie wenden.
Uns allen sind noch die Bilder von den Demonstranten mit Reichskriegsflaggen und Reichsflaggen auf den Stufen des Reichstags in Erinnerung. Schon seit Längerem verwenden unterschiedliche Gruppierungen diese Flaggen, wobei das Spektrum von der Partei Die Rechte über Pegida bis hin zu den selbst ernannten Reichsbürgern reicht. Sie alle eint die Ablehnung der Verfassungsordnung des Grundgesetzes.
Woher kommen diese Flaggen, und was bedeuten sie? – Seit 1867 existiert die Kriegsflagge des Norddeutschen Bundes; zur Erinnerung: weißer Grund mit schwarzem Balkenkreuz und preußischem Adler, im oberen Feld schwarz-weiß-rot mit dem Eisernen Kreuz. Sie wurde 1871 vom Kaiserreich übernommen, bis 1892 als kaiserliche Kriegsflagge bezeichnet und dann in Reichskriegsflagge umbenannt.
1921 trat an ihre Stelle eine neue Reichskriegsflagge: schwarz-weiß-rotes Grundtuch mit schwarzrot-goldenem Eck und dem Eisernen Kreuz. Mit der nationalsozialistischen Diktatur fiel der schwarz-rotgoldene Bezug dann einfach weg, und ab 1935 gab es nur noch die Variante mit dem Hakenkreuz.
Diese Reichskriegsflaggen standen für Kolonialismus und Imperialismus des Kaiserreichs, für Militarismus und Expansionspolitik im Ersten Weltkrieg. Sie waren Kennzeichen antirepublikanischer Parteien und Kriegervereine in der Weimarer Republik. Sie dienten den Nationalsozialisten in den ersten Jahren dazu, das nationalkonservative Bürgertum zu gewinnen.
Heute, da Hakenkreuzfahnen verboten sind, werden diese Reichskriegsflaggen zum Ersatz- und Identifikationssymbol rechtsextremer Gruppen umgedeutet.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs zur Reichsflagge – schwarz-weiß-rot –, die 1892 eingeführt wurde. Zwar bestimmte 1919 die Weimarer Verfassung – Zitat –: „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold.“ Zugleich wurde aber ein
verhängnisvoller Kompromiss eingegangen: Die Handelsflagge blieb schwarz-weiß-rot, mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.
Die faktische Gleichwertigkeit der beiden Trikoloren mündete in einem Flaggenstreit zwischen demokratischen Kräften – SPD, Zentrum und Linksliberale – auf der einen und den antirepublikanischen rechten Parteien auf der anderen Seite.
Von 1933 bis 1935 wurde Schwarz-Weiß-Rot zusammen mit der Hakenkreuzfahne wieder Reichsflagge. Aus sozialdemokratischer Sicht ist auch diese Flagge mit Blut befleckt und gehört verboten, auch wenn sie als Handelsflagge zeitweise durch die Weimarer Verfassung legitimiert war.
Zudem sind die juristischen Positionen leider nicht so eindeutig wie bei der Reichskriegsflagge. Daher bietet die SPD den demokratischen Fraktionen weiterhin Gespräche an, um nach einer rechtssicheren und bundeseinheitlichen Lösung auch im Hinblick auf die Reichsflagge zu suchen.
Lassen Sie mich zur Reichskriegsflagge zurückkommen, um die es heute geht. Die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen haben sich auf den vorliegenden gemeinsamen Antrag verständigt. Das ist ein wichtiges Zeichen der Demokraten in diesem Hause.
Aktuell sind schon in einer Reihe von Bundesländern Erlasse zum Verbot der Reichskriegsflagge ergangen. Andere Länder denken darüber nach, ein Verbot einzuführen. Es ist an der Zeit, dass sich das Parlament des größten Bundeslandes positioniert.
Die wehrhafte Demokratie muss rechtsextremen Tendenzen auch im Bereich der politischen Symbolik entschieden entgegentreten. Wir müssen aber zugleich die demokratischen Symbole mithilfe der politischen Bildung noch stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung rücken. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeden Morgen um 6 Uhr wird Phil Connors, ein TVWetteransager, vom Radiowecker geweckt. Er erlebt in der US-Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ denselben Tag immer wieder. Auch ich fühlte mich wie in einer Zeitschleife, als ich den Gesetzentwurf der AfD las.
Nachdem die AfD bereits in den Landtagen von Thüringen und Brandenburg und während des Wahlkampfs in Sachsen mit der Forderung nach einer Verkleinerung der Landesparlamente aufgetreten war, stellte sie im November 2017 auch im nordrheinwestfälischen Landtag einen entsprechenden Antrag. Mit derselben Zielsetzung und denselben Argumenten legt sie nun einen Gesetzentwurf vor.
2018 sollte es dazu im Hauptausschuss auch eine Anhörung geben. Doch aufseiten der AfD fand sich kein Sachverständiger.
Selbst der Bund der Steuerzahler ahnte, dass er vor den Karren der Rechtspopulisten gespannt werden sollte, und sagte seine Teilnahme ab.
Lediglich der von den demokratischen Fraktionen benannte Gutachter, der Politikwissenschaftler Professor Dr. Werner Reutter, reichte eine Stellungnahme ein. Da die Anhörung schließlich ausfiel, arbeitete er sein Papier zu einem Aufsatz mit dem Titel „Zur Größe von Landesparlamenten. Kriterien für eine sachliche Diskussion“ um.
Meine Damen und Herren von der AfD, Sie können den Text in der „Zeitschrift für Parlamentsfragen“, Heft 02/2019, nachlesen. Darin wendet Reutter eine Formel des estnischen Politikwissenschaftlers Taagepera auf alle Landtage an und kommt zu dem Ergebnis, dass die Landesparlamente mit Ausnahme der Stadtstaaten unter der erwartbaren Größe bleiben. Ich zitiere:
„Auch der Landtag Nordrhein-Westfalen wäre aktuell zu klein: Auf Grundlage der Wahlberechtigten hätte der 17. Landtag rechnerisch 236 Abgeordnete umfassen müssen...“
Reutter legt seiner Einschätzung drei Referenzkriterien zur Parlamentsgröße zugrunde: die Repräsentationsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit und finanzielle
Aspekte. Letztere haben jedoch für ihn die geringste Relevanz.
Parlamente – das hat gerade auch Kollege Hagemeier betont – müssen demnach groß genug sein, um eine responsive Wahlkreisarbeit zu gewährleisten. Die Abgeordneten im Landtag Nordrhein-Westfalen repräsentieren schon jetzt im Vergleich zu den anderen Landtagen die meisten Wahlberechtigten. Würde der Vorschlag der AfD zur Verkleinerung umgesetzt, müssten sie dreimal so viele Wahlberechtigte vertreten wie die Abgeordneten in den anderen Landtagen.
Parlamente müssen zweitens so groß sein, dass sie die Spezialisierung und Arbeitsteilung abbilden können. Das gilt ganz besondere für Arbeitsparlamente wie dem Landtag Nordrhein-Westfalen, der eben nicht, wie behauptet, ein Feierabendparlament ist.
Schließlich muss die Parlamentsgröße im Verhältnis zu den Kosten stehen. Auch hier ist unser Landtag mit Aufwendungen von 7,52 Euro pro Kopf der Bevölkerung im Ländervergleich vorbildlich. Durch den Vorschlag der AfD würden von diesen Betrag gerade einmal 39 Cent eingespart.
Wenn ich nun diese wissenschaftlich erarbeiteten Kriterien mit der Begründung in dem aktuellen Gesetzentwurf der AfD vergleiche, so muss ich ihn als Zumutung empfinden. Der Unterschied zwischen der Gesamtzahl der Abgeordneten nach § 14 Landeswahlgesetz und der Ausgangszahl für die Sitzverteilung nach § 33 ist den Autoren genauso unklar wie die Entstehung von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Als Belege werden nur aus dem Zusammenhang gerissene Presseberichte und keine wissenschaftlichen Expertisen herangezogen. Die AfD kennt nur ein Kriterium: Demokratie als finanzielle Belastung.
Schließlich geht der Vorschlag einer Reduzierung auf 129 Abgeordnete völlig am Problem vorbei, zumal die Einteilung in 64 Wahlkreise wie für die Wahl zum Bundestag zugrunde gelegt werden soll. Damit wird die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Landtags infrage gestellt. Dazu zitiere ich noch einmal Werner Reutter:
„In dieser Forderung“
also in der Forderung der AfD nach einer Verkleinerung –
„mag sich vielmehr eine grundsätzlich skeptische, wenn nicht sogar ablehnende Haltung gegenüber den Funktionsprinzipien repräsentativ-parlamentarischer Demokratie verbergen.“
So erklärt sich auch der Unterschied zu der eingangs angeführten US-Filmkomödie. Mit der Zeit lernt der Protagonist, Einfluss auf den Verlauf des Murmeltiertages zu nehmen, indem er sein Wissen über die
kommenden Ereignisse nutzt. Am Ende findet er sogar sein persönliches Glück.
Hinsichtlich der AfD bin ich da skeptisch. Kein Wissen, kein Lernen; da bleibt es wohl bei der Zeitschleife und der Erfolglosigkeit des Gesetzentwurfs. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Gesetzentwurf der AfD – wir haben es gerade schon gehört – hat der Hauptausschuss eine Anhörung durchgeführt, die streckenweise zu einer Lehrstunde der politischen Bildung wurde. Das war auch gut so, handelt es sich doch bei politischer Bildung aus meiner Sicht um das wichtigste Mittel zur Bekämpfung von Rechtspopulismus.
Die Anhörung hat die wesentlichen Bedenken gegen den Gesetzentwurf – mein Kollege Hagemeier hat gerade schon darauf hingewiesen – bestätigt. Zunächst komme ich zu den allgemeinen Punkten.
Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob es sich bei direktdemokratischen Verfahren eher um „Fremdkörper“, so der Sachverständige Professor Decker, oder um eine sinnvolle Ergänzung der parlamentarischen Demokratie handelt, so die Position von Mehr Demokratie e.V.
Die AfD vertritt jedoch eine ganz andere Position: Sie strebt mit der radikalen Ausweitung der direkten Demokratie einen Systemwechsel an. Zugleich wird das gestörte Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie erkennbar, das wir auch schon in anderen Bundesländern zur Kenntnis nehmen mussten.
In der Anhörung ist deutlich geworden, dass das von der AfD propagierte Schweizer Modell nicht auf die Bundesrepublik bzw. Nordrhein-Westfalen übertragen werden kann. In der Schweizer Konkordanzdemokratie mit Allparteienregierungen liegt die Oppositionsrolle bei der Bevölkerung und wird durch
direktdemokratische Verfahren ausgeübt. In unserer Konkurrenzdemokratie werden Regierungsrolle und Oppositionsrolle im Parlament abgebildet. Die Bürger haben die Möglichkeit, die Regierung abzuwählen.
Davon haben sie in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren auch reichlich Gebrauch gemacht. Die Bürgerinnen und Bürger sind in Sachen „Opposition“ nicht allein auf direktdemokratische Verfahren angewiesen.
Ich komme nun zu den konkreten Vorschlägen im Gesetzentwurf der AfD. Die meisten Punkte wurden – wir haben es gerade schon gehört – von den Sachverständigen abgelehnt, einzelne mögen diskutabel erscheinen, gehen aber zu weit. Die Zusammenlegung von Volksentscheiden und Wahlen würde eine höhere direktdemokratische Beteiligung künstlich erzwingen und die Quoren zum Schutz vor aktivistischen Minderheiten aushebeln.
In diesem Zusammenhang ist die von der AfD geforderte Beseitigung von Beteiligungs- und Zustimmungsquoren besonders problematisch.
Anstelle dieser extremen Lösungen plädierte Professor Decker in seiner Stellungnahme für das sogenannte Kieler Modell, das eine niedrige Hürde in der Eingangsphase und ein moderates Beteiligungsquorum wie in Nordrhein-Westfalen vorsieht.
Die Aufhebung des Verbots von Volksbegehren in Finanzfragen, bei Abgabengesetzen und Besoldungsordnungen wirft verfassungsrechtliche Fragen auf, da sie das Budgetrecht als Königsrecht des Parlaments verletzt. Obligatorische Volksentscheide bei Verfassungsänderungen sind entbehrlich.
Schließlich wird von der AfD noch die Möglichkeit zur Auflösung des Landtags per Volksentscheid gefordert. Dazu Professor Decker – ich zitiere –:
„Es wäre sinnvoller, dieses Instrument aus allen Verfassungen zu streichen, als es in einigen neu einzuführen, …“
Herr Trennheuser von Mehr Demokratie e. V. – Zitat –: „Das brauchen wir schlicht und ergreifend nicht.“
Meine Damen und Herren, all diese Einwände aus der Anhörung nimmt die AfD nicht zur Kenntnis. Zu der zweiten Lesung legt sie einen unveränderten Gesetzentwurf vor, der nicht einmal die kritischen Anmerkungen ihres eigenen Sachverständigen aufgreift. Das zeigt einmal mehr: An konstruktiver Arbeit ist die AfD nicht interessiert.
Den Gesetzentwurf lehnt die SPD ab. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 1976 konnte ich zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen. Damit profitierte mein Jahrgang als einer der ersten von der Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre, die 1972 von einer sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt auf den Weg gebracht worden war.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, aber das erste Mal wählen zu gehen, war für mich etwas Besonderes und prägend für die weitere Wahlbiografie. Der damalige Dortmunder Oberbürgermeister, Günter Samtlebe, hatte mir mit dieser Urkunde hier
nicht nur zur Vollendung des 18. Lebensjahres gratuliert, sondern auch auf die Wahlberechtigung und auf die staatsbürgerlichen Pflichten hingewiesen. Das war eigentlich gar nicht notwendig; denn es war
die Zeit der sogenannten partizipatorischen Revolution, und die Beteiligung an Wahlen war für uns junge Menschen eine Selbstverständlichkeit.
Heute, mehr als vier Jahrzehnte später, haben sich Gesellschaft und Wahlverhalten verändert. Die Wahlbeteiligung ist in den letzten Jahren gesunken. Unsere Demokratie verliert an Legitimation. Die Partizipation junger Menschen – viele sitzen heute auf der Tribüne – verlagert sich auf unkonventionelle Beteiligungsformen, wie gerade die „Fridays-for-Future“-Bewegung zeigt.
Vor diesem Hintergrund diskutieren wir erneut über eine Absenkung des Wahlalters, in diesem Fall des aktiven Wahlalters, auf 16 Jahre bei Landtagswahlen – nicht zum ersten Mal und, je nachdem, wie es heute ausgeht, auch nicht zum letzten Mal in diesem Hohen Haus.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Verfassungskommission hat sich in der letzten Wahlperiode mit dem Thema befasst, aber nicht so, Herr Kollege Preuß, wie Sie das dargestellt haben. Das Scheitern der Herabsetzung des Wahlalters ist darauf zurückzuführen, dass das Wahlalter in einem politischen Korb mit anderen Themen diskutiert worden ist und wir uns damals leider nicht einigen konnten.
Heute legt die SPD einen neuen Gesetzentwurf vor, den wir abschließend beraten. Parallel wird auch in der Enquetekommission zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie über eine Ausweitung der Partizipation nachgedacht. Die Argumente liegen also auf dem Tisch. Das erleichtert mir heute die Aufgabe. Ich kann mich auf eine Zusammenfassung der Diskussion beschränken, werde aber nicht so einseitig vorgehen, wie das in der vorherigen Rede der Fall war.
Ich beginne mit den Pro-Argumenten. Dabei gilt es zunächst, mit einem Missverständnis aufzuräumen. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre wird nicht kurzfristig zu einem Anstieg der Wahlbeteiligung führen; denn wie alle Wahlanalysen zeigen, steigt die Wahlbeteiligung mit dem Alter an, bevor sie dann in einem höheren Alter aus gesundheitlichen Gründen zurückgeht.
Mit der Absenkung des Wahlalters wird vielmehr das Ziel verfolgt, eine langfristige Verbesserung der Wahlbeteiligung zu erreichen. Dabei sind zunächst positive Effekte in der Gruppe der jüngeren Wahlberechtigten bis 21 Jahre zu erwarten. Da Partizipation pfadabhängig verläuft, ist davon auszugehen, dass der sogenannte Erstwählereffekt zum Kohorteneffekt wird, also über das gesamte Leben eines Wahlbürgers durchträgt.
Dr. Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung hat das in der Anhörung im Hauptausschuss so formuliert – ich zitiere –:
„Die Erstwahlwahrscheinlichkeit … ist also ein strategischer Hebel zur langfristigen Steigerung der Gesamtwahlbeteiligung.“
Doch, meine Damen und Herren, dieser Effekt ist kein Selbstläufer. Eine wichtige Voraussetzung ist die Begleitung der politischen Sozialisation durch Maßnahmen der politischen Bildung. Dazu eröffnet nun die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre neue Möglichkeiten; denn die 16- und 17-Jährigen leben häufig noch im Elternhaus und besuchen die Schule, während für die jungen Menschen ab 18 Jahre – jedenfalls teilweise – der Schulbesuch schon beendet ist.
Allerdings muss die politische Bildung in unseren Schulen und Jugendeinrichtungen dringend verbessert werden. Wir brauchen einen kontinuierlichen Politikunterricht, weniger fachfremd unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer und eine Überarbeitung der Lehrpläne.
In Bremen und Hamburg, wo bereits ab 16 Jahren gewählt werden kann, ist es beispielsweise gelungen, durch Juniorwahlen und Informationskampagnen das Interesse und die Wahlbereitschaft zu steigern.
Schließlich ist noch ein weiterer Effekt mit der Absenkung des Wahlalters verbunden: Die Interessen der jüngeren Menschen werden vom politischen System stärker berücksichtigt, wenn sie früher wahlberechtigt sind. Wir leben in einer alternden Gesellschaft, in der zugleich die älteren Menschen die höchste Wahlbeteiligung aufweisen. Entsprechend hoch ist ihr Stimmengewicht. Die Absenkung des Wahlalters und damit die Vergrößerung des Anteils der jüngeren Wahlberechtigten kann hier zumindest ein kleines Gegengewicht bilden.
Hinzu kommt, dass die Parteien gezwungen werden, in ihren Programmen und Wahlkämpfen auf die Interessen der Jungwählerinnen und Jungwähler stärker einzugehen.
Als Zwischenresümee lässt sich folgende Argumentationskette festhalten. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Landtagswahlen in Kombination mit einer verbesserten politischen Bildung trägt zu einem Empowerment junger Menschen und der Berücksichtigung ihrer Interessen durch das Parteiensystem bei. Dank des Erstwähler- und Kohorteneffekts ist zu erwarten, dass langfristig die Wahlbeteiligung gesteigert wird.
Doch nun zu den Kontra-Argumenten. Ich bin dem Kollegen Preuß fast dankbar, dass er das gesamte Spektrum an Vorurteilen noch einmal aufgeblättert hat, die es in diesem Zusammenhang so gibt.
Bezogen auf die 16- und 17-Jährigen wird fehlendes Wissen, ein geringes politisches Interesse, mangelnde Reife und mangelnde Entscheidungsfähigkeit unterstellt. All diese Vorurteile lassen sich jedoch zum großen Teil durch empirische Untersuchungen widerlegen.
Ich möchte hier auf die Ergebnisse der Professorin Kritzinger der Universität Wien im Rahmen der Österreichischen Nationalen Wahlstudien verweisen. Warum gerade Österreich? – Österreich eignet sich als Untersuchungsfeld insbesondere, weil dort seit 2007 das Wahlalter für die Teilnahme an allen nationalen Wahlen auf 16 Jahre abgesenkt wurde.
Die Studien machen deutlich, dass das politische Interesse der jüngsten Wähler nach der Wahlaltersabsenkung gestiegen ist und insbesondere schulische Maßnahmen den gewünschten positiven Effekt zeigen. Das politische Interesse der 16- bis 17-Jährigen ist auf einem ähnlichen Niveau wie das der 18- bis 21-Jährigen. Warum sollten wir ihnen also das Wahlrecht verweigern?
Auch hinsichtlich der politischen Reife kann festgestellt werden, dass auch die jüngsten Wahlberechtigten in der Lage sind, die Parteien zu wählen, die ihre Meinungen am besten widerspiegeln. Überhaupt ist der Vorwurf eines zu geringen Wissens und einer uninformierten Entscheidung fragwürdig. Unser Wahlrecht kennt keinen Wissens- oder Eignungstest. Es wäre allerdings interessant, ob dieser bei älteren Wahlberechtigten so viel besser ausfiele als bei den jüngeren.
Ein anderes Argument der Kritiker besagt, dass eine Absenkung des Wahlalters keine Akzeptanz bei Jugendlichen fände. In der Tat stehen viele Jugendliche einem Wahlalter von 16 Jahren skeptisch gegenüber, während ihre Interessensvertretungen vom Landesjugendring bis zur Landesschülervertretung, aber auch von den Jungen Liberalen bis zum Bund der Katholischen Jugend dafür werben. Die Umfragen messen allerdings immer die Einstellung vor einer Reform des Wahlalters. Die Akzeptanz dürfte steigen, wenn eine Reform eingeführt wird. Das zeigt auch das Beispiel Österreichs.
Schließlich gibt es noch das Argument, die Jugendlichen müssten vor sich selbst geschützt werden, da sie besonders anfällig für extremistische Positionen seien. Auch das hält der empirischen Überprüfung nicht stand. Herr Preuß, ich weiß nicht, welche Wahlstudien Sie lesen, aber ich bin in der Thematik drin und kann Ihnen sagen, dass in Nordrhein-Westfalen die jüngeren Wählerinnen und Wähler nicht überdurchschnittlich extreme Parteien wählen. Und wenn es noch eines Beweises bedarf: Sie sehen, dass die
AfD in diesem Hause keinen Gefallen an einer allgemeinen Absenkung des Wahlalters findet.
Wir halten also fest: Die Befürchtungen treten in der Regel nicht ein. Das Beispiel Österreichs zeigt aber, dass Wähler, die bereits mit 16 oder 17 Jahren an Wahlen teilnehmen durften, mit größerer Wahrscheinlichkeit als die 18- bis 21-Jährigen auch an den folgenden Wahlen teilnehmen.
Wenn die genannten Punkte empirisch weitgehend zu widerlegen sind, was bleibt dann noch? – Dann bleiben formaljuristische Argumente.
Wir haben es gerade gehört: Es wird dann davon gesprochen, dass die Abkopplung des Wahlalters von der Volljährigkeit, das Auseinanderfallen von aktivem und passivem Wahlrecht sowie überhaupt der drohende Flickenteppich beim Wahlalter gegen eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sprächen.
Auch diese Argumentation ist nicht überzeugend. Es existieren in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Abstufungen der Mündigkeit. Das Spektrum reicht von zwölf Jahren bis 21 Jahren, von der Religionsmündigkeit bis zur vollen Strafmündigkeit.
Auch bei der Absenkung des Wahlalters im Jahr 1972 wichen für einige Jahre Volljährigkeit und Wahlalter voneinander ab. Sogar aktives und passives Wahlalter waren unterschiedlich, ohne dass daraus Probleme erwuchsen. Schließlich ist unser föderatives System schon immer durch unterschiedliche Wahlsysteme auf kommunaler, Landes- und Bundesebene gekennzeichnet gewesen. Die Länderebene ist geradezu ein Testlabor, um dann vielleicht auch auf der Bundesebene über eine Absenkung des aktiven Wahlalters zu diskutieren.
Folgerichtig haben bereits in der Verfassungskommission die beiden juristischen Sachverständigen Professor Gärditz und Professor Wittreck keine verfassungsrechtlichen Bedenken zur vorgeschlagenen Wahlaltersabsenkung geäußert, sondern diese ausdrücklich für politisch möglich erklärt.
Und mein Kollege Professor Decker von der Universität Bonn schlussfolgert in seiner Stellungnahme zur Anhörung im Hauptausschuss:
„Wägt man die Pro- und Kontra-Argumente im Lichte der vorliegenden empirischen Erfahrungen gegeneinander ab, spricht aus politikwissenschaftlicher Sicht mehr für als gegen eine Reform.“
Meine Damen und Herren, es bleiben noch zwei Fragen.
Erstens. Wann soll die Reform kommen? – Ich sage: Wann, wenn nicht jetzt? Zwei Jahre vor der nächsten
Landtagswahl ist der richtige Zeitpunkt. Es bleibt noch genügend Zeit, um begleitende bildungspolitische Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Ich weiß, die Absenkung des Wahlalters ist kein Allheilmittel. Aber wäre es nicht gerade in diesen Tagen wichtig, ein Zeichen zur Stärkung der Demokratie zu setzen?
Die zweite Frage lautet: Wer soll es denn machen, wenn nicht wir? Und mit „wir“ meine ich die Parteien in diesem Haus, die für das parlamentarische System eintreten. Meine Damen und Herren, es liegt in unserer Hand, nach über vier Jahrzehnten wieder ein kleines Stück mehr Demokratie zu wagen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir am 18. Januar 2018 hier den Antrag „Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen für die Menschen greifbar und erlebbar machen“ diskutierten, habe ich auf drei Punkte im Zusammenhang mit der Schaffung eines „Hauses der Geschichte Nordrhein-Westfalen“ hingewiesen:
erstens, dass man dafür viel Zeit braucht; zweitens, dass nicht die Haupt- und Staatsaktionen, sondern die Menschen im Mittelpunkt stehen müssen, und drittens, dass es sich nicht um ein Vorhaben der Regierung oder einer einzelnen Partei handeln dürfe.
Meine Damen und Herren, alle drei Bedingungen sind bisher erfüllt worden. Sie bleiben aber aktuell.
Fast zwei Jahre später stehen die Fundamente für das „Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen“. Planungsgruppe und Kuratorium – wir haben es gerade gehört – haben in vielen Sitzungen Ausstellungs-, Sammlungs-, Veröffentlichungs- und Veranstaltungsplanungen diskutiert und auf den Weg gebracht.
Auch ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei den Mitgliedern des Kuratoriums für die kollegiale und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu bedanken. Ebenso danke ich der Planungsgruppe unter Leitung von Dr. Hitze und Professor Goch für die konzeptionelle Arbeit.
Mit der Einbringung des Entwurfs für ein Stiftungsgesetz wird nun eine neue Bauphase eingeleitet. Uns war von vornherein klar, dass eine Verankerung der Planungsgruppe in der Landtagsverwaltung keine Dauerlösung sein könnte. Daher hat sich das Kuratorium frühzeitig um eine geeignete Organisationsform für das „Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen“ bemüht.
Auf Vorschlag eines Gutachtens von Professor Andrick sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nur eine Stiftung öffentlichen Rechts sein kann. Sie bietet die Vorteile der Eigenständigkeit, der Dauerhaftigkeit und der Rechtssicherheit.
Das Stiftungsgesetz geht jedoch über die Festlegung der Organisationsform hinaus und regelt die Organe der Stiftung und ihr Verhältnis zueinander.
Das bisher mit vier Mitgliedern des Landtagspräsidiums und sechs weiteren Landtagsabgeordneten besetzte Kuratorium wird nun größer. Auch die Gewichte der beteiligten Akteure verschieben sich. Neu hinzu kommen die fünf Mitglieder der Landesregierung und die Vorsitzenden der Landschaftsversammlungen. Neben dem Landtagspräsidium gehören dem Kuratorium zukünftig je eine Abgeordnete bzw. ein Abgeordneter der im Landtag vertretenen Fraktion an.
Angesichts des Geschichtsverständnisses der AfD wird es umso wichtiger sein, den bisherigen Konsens der demokratischen Fraktionen im Kuratorium fortzusetzen.
Ich sage das hier sehr bewusst – auch vor dem Hintergrund der geschichtspolitischen Debatte, die wir kürzlich erst zum 9. November 1938 geführt haben.
Ohne nun auf die anderen Organe im Einzelnen einzugehen, möchte ich noch einmal einen Punkt hervorheben. In § 2 des Gesetzentwurfes heißt es – ich zitiere –:
„Der Stiftungszweck wird insbesondere durch die Leitgedanken ,Demokratie, Vielfalt, Wandel‘ verwirklicht.“
Meine Damen und Herren, das Alleinstellungsmerkmal des „Hauses der Geschichte Nordrhein-Westfalen“ soll nach unserem Willen die Demokratiegeschichte sein – nicht als Meistererzählung einer Staatsform, die von oben verordnet wurde, sondern als von unten gewachsene bestmögliche Staats- und Lebensform.
Demokratie, Vielfalt, Wandel – das ist die DNA unseres Landes. Wenn es uns gemeinsam gelänge, diese Leitgedanken eines Geschichts- und Landesbewusstseins zu vermitteln und zu fördern, wäre viel erreicht.
In diesem Sinne unterstützt die SPD-Fraktion auch weiterhin den Weg zu einem „Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen“. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der AfD eingebrachte Gesetzentwurf zur Stärkung der Frage- und Informationsrechte der Abgeordneten verändert sowohl das Binnenverhältnis zwischen dem Parlament als Ganzem und den einzelnen Abgeordneten als auch das Außenverhältnis von Parlament und Regierung.
Zum ersten Aspekt hat Frau Professorin Schönberger in ihrer Stellungnahme zur Anhörung festgestellt – ich zitiere –:
„Vor allem aber verlagert die Regelung auch die Kontrolle der Regierung von der Ebene des Parlaments auf den einzelnen Abgeordneten und individualisiert sie so in gewisser Weise.“
Unser Parlamentarismus kennt Kontrollrechte des einzelnen Abgeordneten wie die Mündliche Anfrage oder die Kleine Anfrage ebenso wie kollektive Rechte von Ausschüssen oder Fraktionen. Dabei partizipiert selbstverständlich der einzelne Abgeordnete auch von den kollektiven Kontrollrechten des Parlaments.
Die AfD hat offensichtlich andere Vorstellungen von Parlamentarismus. Das ist nicht erst gestern deutlich geworden. Gerade hat mein Kollege Preuß schon die
Einbringungsrede des Abgeordneten Röckemann zitiert, der von einem Scheinparlament gesprochen hat, im Vergleich zum Landtag Brandenburg.
Auch der von der AfD benannte Sachverständige argumentierte in der Anhörung – ich zitiere –: „Die Abgeordneten werden durch das Fraktionswesen mediatisiert.“ Ich will nicht abstreiten, dass die AfD-Fraktion demnächst durch Herrn Röckemann mediatisiert wird.
Für meine Fraktion kann ich aber feststellen: Das ist nicht unser Verständnis vom Verhältnis zwischen Abgeordneten und Fraktionen. Es entspricht auch nicht dem einer Parteiendemokratie oder eines Fraktionenparlaments.
Auch im Hinblick auf den zweiten Aspekt der Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung bedeutet der Gesetzentwurf eine Verschiebung der Balance. Nach den Vorstellungen der AfD soll sich das Frage- und Informationsrecht zukünftig auf die gesamte nachgeordnete Verwaltung erstrecken.
Auch diese Forderung ist nicht neu. Dazu noch einmal ein Zitat von Frau Professorin Schönberger aus der Anhörung:
„Es gab schon während der Französischen Revolution entsprechende Ideen, dass die Abgeordneten die Exekutive vollkommen kontrollieren und alles vor Ort regeln sollten.“
Die Auswirkungen auf die Gewaltenteilung wären beträchtlich. Es käme nicht nur zu Beeinträchtigungen von Arbeitsabläufen, sondern auch zu einer Politisierung der Verwaltung und zu einem Eingriff in den Kernbereich der Regierung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird Sie nicht verwundern: Die SPD kommt abschließend zu derselben Bewertung wie schon in der Verfassungskommission der 16. Wahlperiode. Wir lehnen die Ausweitung der Frage- und Informationsrechte für einzelne Abgeordnete in der von der AfD beantragten Form ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch heute meine Rede mit einem Zitat beginnen:
„Wenn man sieht, wie bei dem glücklichsten Volke auf Erden Scharen von Landleuten die Staatsangelegenheiten unter einer Eiche entscheiden und dabei stets mit großer Weisheit zu Werke gehen, kann man sich dann wohl erwehren, die Spitzfindigkeiten anderer Völker zu verachten, die sich mit einer solchen Fülle von Kunst und Geheimnistuerei berühmt und elend machen?“
Mit dem „glücklichsten Volke auf Erden“ sind die Schweizer gemeint, und der Bewunderer ist kein Geringerer als Jean-Jacques Rousseau, der im 18. Jahrhundert in seinem Gesellschaftsvertrag die unmittelbare Herrschaft des Volkes konzipierte. Im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie zeichnet sich die direkte Demokratie bei Rousseau durch die Identität von Regierten und Regierenden aus und setzt kleine, homogene Gesellschaften voraus, in denen ein allgemeiner Wille zum Ausdruck kommt.
Heute, unter den Bedingungen moderner Gesellschaften und großer politischer Einheiten, werden di
rektdemokratische Elemente nicht mehr im Gegensatz, sondern als Ergänzung repräsentativer Demokratie verstanden. Trotzdem ist der Rousseau‘sche Geist nicht tot, wie der vorliegende Gesetzentwurf der AfD zeigt.
Die Einführung direkter Demokratie und ihre konkrete Ausgestaltung sind stets Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen gewesen. Auch in diesem Hohen Haus wurde oftmals über das richtige Maß an direkter Demokratie debattiert, vor allem seit unsere Demokratie in eine Legitimationskrise geraten ist, die durch Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligung und Protestwahlen gekennzeichnet ist.
Mehr direkte Demokratie soll die Vertrauens- und Partizipationslücke schließen, zumal in der Bevölkerung direktdemokratische Reformen immer eine hohe Zustimmung finden. So hat in der 16. Wahlperiode die Verfassungskommission über die Höhe von Quoren und zulässige Abstimmungsgegenstände debattiert. Leider landete die direkte Demokratie mit anderen strittigen Themen im sogenannten politischen Korb, für den sich am Ende keine Zweidrittelmehrheit fand.
In dieser Wahlperiode beschäftigt sich die Enquetekommission „Subsidiarität und Partizipation“ mit diesem Thema. Auch hierbei geht es unter anderem um direktdemokratische Verfahren.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Gesetzentwurf der AfD einzuordnen ist. Neu ist das Thema jedenfalls nicht. Neu ist aber, dass die Forderung nach mehr direkter Demokratie nicht von eher progressiven Parteien erhoben wird, sondern nun von rechts propagiert wird.
Wir haben es schon gehört: Die AfD tut dies auf allen Politikebenen. Offensichtlich ist ihr dieses Thema sehr wichtig, doch die Problembeschreibung im Gesetzentwurf liefert dazu nur wenig Hintergrundwissen. Bezug genommen wird auf die Weimarer Erfahrung, das Misstrauen gegenüber dem Volk und auf die Schweiz als großes Vorbild.
Nun wissen wir, dass die Weimarer Republik nicht an Volksentscheiden zugrunde gegangen ist – übrigens auch nicht an der SPD, wie Herr Seiffen unlängst weismachen wollte –, sondern an den linken und rechten Feinden der Demokratie, darunter die deutschnationalen und rechtsextremistischen Vorläufer der heutigen AfD.
Insofern waren die Vorbehalte gegenüber der direkten Demokratie eine Fehlinterpretation, die spätestens seit der partizipatorischen Revolution der späten 60er-Jahre der Vergangenheit angehörte.
Um dem direktdemokratischen Verständnis der AfD auf die Spur zu kommen, hilft ein Blick in das Grundsatzprogramm der AfD. Darin heißt es zur Forderung nach Volksentscheiden in Anlehnung an das Schweizer Vorbild – Zitat –:
„Die Schweizer Erfahrung belegt, dass sich die Bürger gemeinwohlorientierter verhalten als Berufspolitiker, selbst wenn Eigeninteressen damit kollidieren. Macht- und interessengetriebene Entscheidungen sind eher in rein repräsentativen Demokratien zu beobachten.“
Drei Punkte fallen auf: die Konfrontation von Bürgern und Berufspolitikern, der Bezug zum Gemeinwohl und die antipluralistische Sichtweise. Mein Kollege, der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker, hat dies prägnant zusammengefasst – Zitat –:
„Für den Rechtspopulismus ergibt sich die Forderung nach mehr direkter Demokratie folgerichtig aus der Kritik am gesellschaftlichen und politischen Establishment, die sein eigentliches Wesensmerkmal darstellt, gepaart mit der letztlich anmaßenden Behauptung, man selbst würde den ‚wahren‘ Willen des Volkes vertreten.“
Zitat Ende.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Das Eintreten für direkte Demokratie ist nicht mit Rechtspopulismus gleichzusetzen. Aber umgekehrt ist das spezifische Verständnis von direkter Demokratie konstitutiv für den Rechtspopulismus.
Dass das Schweizer Modell überhaupt nicht mit den Vorstellungen der AfD kompatibel ist – wen stört‘s, wenn man ohnehin nicht an Fakten interessiert ist!
In der Schweiz gibt es zwar eine ausgeprägte Referendumsdemokratie, also obligatorische Abstimmungen über Verfassungsänderungen und fakultative über Bundesgesetze, aber nur sehr eingeschränkte, von unten ausgelöste Verfahren, also echte Volksinitiativen. Die Schweizer können keine einfachen Gesetze, sondern nur Verfassungsänderungen begehren und haben damit weniger direktdemokratische Einflussmöglichkeiten als die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen.
Zudem funktioniert die direkte Demokratie in der Schweiz vor dem Hintergrund eines Konsens- und Konkordanzsystems, bei dem alle wichtigen Parteien in die Regierung integriert sind und somit das Volk selbst das Oppositionsrecht über direktdemokratische Verfahren ausübt und für das notwendige Gegengewicht sorgt.
Deutschland aber wird vom Wettbewerbsmodell des parlamentarischen Systems mit Regierung und Op
position geprägt. Direkte Demokratie ist nur in bestimmten Grenzen mit diesem Konkurrenzmodell vereinbar. Die Schweiz bleibt also ein Sonderfall in Europa, deren institutionelle Merkmale sich nicht ohne Weiteres auf Deutschland oder NordrheinWestfalen übertragen lassen – es sei denn, die AfD will ein anderes politisches System, in dem die Kompetenzen der Parlamente reduziert werden und direktdemokratische Verfahren den – in Anführungszeichen – „wahren“ Willen des Volkes zum Ausdruck bringen.
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf die ausgewählten Vorschläge im Gesetzentwurf der AfD. Großen Wert legt sie auf die Zusammenlegung von Volksentscheiden mit landesweiten Wahlen, um auf diese Weise die Beteiligung an der direkten Demokratie zu erhöhen. Damit wird eingeräumt, dass die Beteiligung an den meisten Volksabstimmungen hinter der Beteiligung an Wahlen zurückbleibt.
Nun sollen also Wahlen als Instrumente repräsentativer Demokratie die Defizite direkter Demokratie heilen. Dabei werden zeitliche Verzögerungen und eine Überlagerung von Sachentscheidungen durch parteipolitisch geprägte Wahlkämpfe in Kauf genommen. Auch das Problem der sozialen Selektivität der Partizipation wird nicht gemildert.
In Verbindung mit der terminlichen Zusammenlegung steht auch die Absicht der AfD, die Unterstützungs- und Abstimmungsquoren zu senken. Bei Volksinitiativen soll das Quorum nur noch 0,25 % statt 0,5 % der Stimmberechtigten betragen, bei Volksbegehren 3 % statt 8 %. Fallen Volksentscheidungen mit Wahlen zusammen, sollen gar keine Abstimmungsquoren mehr gelten.
Hier ist zu beachten, dass niedrige Eingangsquoren gut organisierte Mehrheiten mit partikularen Interessen begünstigen. Umso wichtiger ist ein ausreichendes Beteiligungsquorum bei Volksabstimmungen. Darüber haben wir auch schon in der Verfassungskommission diskutiert.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist der Negativkatalog, mit dem bisher Finanzfragen, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen von Volksbegehren ausgeschlossen wurden. Diese thematischen Beschränkungen sollen nach dem Willen der AfD komplett aufgehoben werden. Zumindest hinsichtlich des Haushaltsgesetzes kollidiert hier das Königsrecht des Parlaments mit der Volksgesetzgebung. Das gilt insbesondere, wenn das Parlament für die Deckung von Ausgaben verantwortlich sein soll, die durch direktdemokratische Entscheidungen verursacht werden.
Über die bisherigen Formen hinaus möchte die AfD die Möglichkeiten direkter Demokratie massiv ausweiten. Dazu gehören fakultative Referenden zu einfachgesetzlichen Regelungen, obligatorische Referenden zu Verfassungsänderungen und die Auflösung des Landtags durch Volksentscheid. Letzteres
soll durch ein Begehren von mindestens 5 % der Stimmberechtigten eingeleitet werden können. Damit würde die bisherige Balance zwischen direktdemokratischen Verfahren und parlamentarischem System in Nordrhein-Westfalen verschoben werden.
Darüber und über die weiteren Punkte im Gesetzentwurf der AfD sollte in den Ausschüssen sehr sorgfältig beraten werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Seifen, Sie sind wieder einmal von einer Rede enttäuscht, die ich gehalten habe. Also muss ich wieder etwas richtig gemacht haben. Vielen Dank!
Aber nun zum Inhalt: Ich streite gar nicht ab, dass es in der repräsentativen Demokratie Probleme gibt. Sie haben meiner Rede sicherlich aufmerksam zugehört. In ihr habe ich durchaus benannt, dass wir Demokratiedefizite, Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit haben. Ich glaube, es wäre völlig falsch, wenn die Parteien das nicht zur Kenntnis nehmen würden.
Die Frage ist aber, welche Lösungen es dafür gibt. Da ist für mich die direkte Demokratie eine mögliche Lösung, aber nicht das Allheilmittel. Wir werden auch mit direkter Demokratie nicht alle Probleme der repräsentativen Demokratie lösen können. Ich sehe auch, dass Sie mir da zustimmen. Also geht es darum, das richtige Maß zwischen direkter Demokratie auf der einen Seite und repräsentativer Demokratie auf der anderen Seite zu finden.
Ich habe mir Ihren Gesetzentwurf sehr genau angesehen. In ihm werden sehr weitgehende Vorstellungen vertreten, die nicht die Vorstellungen meiner Fraktion sind. Ich führe das – das habe ich, glaube ich, auch analytisch belegen können – darauf zurück, dass Sie ein anderes Demokratieverständnis als wir verfolgen. Das ist der eigentliche Hintergrund. Herr Tritschler hat eine sehr weichgespülte, sachorientierte Rede gehalten. Dahinter aber stehen Überlegungen der AfD, die mit unseren Vorstellungen nicht kompatibel sind.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern.“ Diese gern zitierten Worte von Max Weber aus dem Jahr 1919 treffen auch auf die Verankerung der Individualverfassungsbeschwerde und der Kommunalverfassungsbeschwerde in der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zu.
Fast 70 Jahre hat es von den Verfassungsberatungen 1950 bis heute gedauert. Damals bestand Einigkeit über alle Fraktionsgrenzen hinweg, keine allgemeine Verfassungsbeschwerde vorzusehen, da es auch keinen eigenen Grundrechtsteil in der Landesverfassung gab und der Grundrechtsschutz dem Bundesrecht zugeordnet wurde.
In den nachfolgenden Jahren ist immer wieder anlässlich der Novellierung des Verfassungsgerichtsgesetzes über die Einführung der Individualverfassungsbeschwerde diskutiert worden – zuletzt in der Verfassungskommission der 16. Wahlperiode. Einige hier im Plenarsaal haben an der damaligen Diskussion teilgenommen. Doch hier kam weder für die Individual- noch für die Kommunalverfassungsbeschwerde eine notwendige Mehrheit zustande, wobei die Gründe eher in anderen Rechtsbereichen lagen.
Mit der Verabschiedung einer einfachgesetzlichen Regelung für die Individualverfassungsbeschwerde im vergangenen Jahr wurde ein Zwischenschritt erreicht. Heute, zu später Stunde, können wir, wie es einer der führenden Staatsrechtler der Weimarer Republik, Richard Thoma, ausdrückte, den „Schlussstein im Gewölbe des Rechtsstaates“ setzen.
Die Verankerung der Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde in der Verfassung ist dabei mehr als ein symbolischer Akt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, hat es in seiner Stellungnahme zur Anhörung treffend ausgedrückt. Ich zitiere noch einmal:
„Der Verfassungsgerichtshof des Landes ist ein Verfassungsorgan, seine Zuständigkeiten sollten sich daher im Grundsätzlichen bereits aus der Verfassung ergeben. Das gilt insbesondere für das Verfahren der Individualverfassungsbeschwerde, weil damit die Stellung und Funktion des Verfassungsgerichtshofes von einem reinen ‚Staatsgerichtshof‘ zu einem ‚Bürgergericht‘ verändert wird.“
Auch die kommunale Selbstverwaltung genießt Verfassungsrang, während deren Schutz bisher nur einfachgesetzlich geregelt war. Die materiell-institutionelle Rechtsgarantie und der prozessuale Schutz fielen also auseinander. Die kommunalen Spitzenverbände haben es daher in ihrer Stellungnahme ausdrücklich begrüßt, wenn durch die Verankerung der
Kommunalverfassungsbeschwerde in der Verfassung diese, wie sie es nannten, „normhierarchische Schieflage“ nun ausgeglichen wird.
Aufgrund der Verankerung in der Verfassung genießen beide Beschwerdemöglichkeiten eine höhere Absicherung gegenüber sich möglicherweise verändernden politischen Mehrheiten. Schließlich kann ihre Aufnahme in Art. 75 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen einen Beitrag dazu leisten, das Verfassungsbewusstsein in der Bevölkerung zu stärken und die Eigenstaatlichkeit unseres Landes zu betonen.
Zum Schluss möchte ich mich bei den Kollegen von CDU und FDP herzlich dafür bedanken, dass sie dem Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beigetreten sind. Last not least ist das auch ein Zeichen für die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen in diesem Haus. Ich meine, das ist auch schon ein Wert an sich. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, gibt es einen Kostenrahmen, also eine Obergrenze, für die Planungen, oder erfolgen die Planungen erst mal völlig ins Blaue hinein, was die Kosten angeht?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich meinem Vorredner weitgehend anschließen und mich daher in der Argumentation auch kurzfassen.
Die SPD-Fraktion lehnt den Gesetzentwurf der AfD zu einem sogenannten Kommunalvertretungsdemokratisierungsgesetz – ein irreführender Titel – ab; denn er sieht die vollständige Streichung der Sperrklausel vor.
Für diese Ablehnung gibt es erstens inhaltliche Gründe. Die im Hauptausschuss schriftlich angehörten Gutachter haben beide bestätigt, dass der Gesetzentwurf über das verfassungsrechtlich gebotene Maß hinausgeht. Während die Abschaffung einer
Sperrklausel für Gemeinderäte und Kreistage auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs zurückzuführen ist, gilt dies aber nicht für Bezirksvertretungen und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr. Dadurch ergibt sich ein Gestaltungsspielraum, den wir gerne nutzen würden. Im Unterschied zur AfD halten wir als SPD eine Sperrklausel zumindest für Bezirksvertretungen und RVR für erforderlich, um Funktionsverlusten entgegenzuwirken.
Zweitens lehnt die SPD den Gesetzentwurf der AfD wegen der in der Begründung angedeuteten Diffamierung der demokratischen Parteien ab; mein Vorredner hat auch schon darauf hingewiesen. Diese Andeutungen wurden in der Rede des Abgeordneten Tritschler dann noch weit übertroffen. In seiner Wutrede – nachzulesen im Plenarprotokoll 17/17 – sprach er vom – Zitat – „Symptom der Korruption“ und der „Verkommenheit der politischen Klasse“, einem „scheindemokratischen Schmierentheater“ und dem „Würgegriff des Parteienkartells“. Am Ende verstieg er sich gar zu der Behauptung, die AfD sei die einzige Partei, „die den Namen ‚demokratische Partei‘ wirklich verdient“ habe.
Ich habe bereits damals in meiner Erwiderung darauf hingewiesen, dass dieser Alleinvertretungsanspruch, nach dem die AfD allein den imaginären Volkswillen vertrete, mit den pluralistischen Wertevorstellungen unserer Demokratie nicht vereinbar ist. Oder – um mit Jürgen Habermas zu sprechen –: In der Demokratie tritt das Volk immer nur im Plural auf. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute komme ich wieder einmal in den Genuss, eine Haushaltsrede halten zu können; denn ich vertrete meine Kollegin Frau Müller-Witt. Ich beschränke mich dabei auf die Gebiete des Hauptausschusses, die nach dem Neuzuschnitt der Kompetenzen noch übrig geblieben sind, das heißt vor allem auf das Kapitel 02 010 aus dem Einzelplan des Ministerpräsidenten.
An den Anfang stelle ich ein Lob für die Landesregierung zur Schaffung und Besetzung des Amtes einer nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftrag
ten. 73 Jahre nach dem Ende der Shoah machten zunehmende antisemitische Äußerungen und Straftaten gegen unsere jüdischen Mitbürger diesen Schritt notwendig.
Nachdem bereits auf der Bundesebene ein Antisemitismusbeauftragter berufen worden war und sich auch in Nordrhein-Westfalen entsprechende Stimmen mehrten, hat die SPD-Fraktion die Initiative ergriffen und ist auf die anderen demokratischen Fraktionen zugegangen. Letztlich hat das Parlament einstimmig die Landesregierung beauftragt, dieses Amt einzurichten. Selbstverständlich tragen wir als SPDFraktion die Personalstellen und die Sachmittel für dieses Amt mit.
Damit komme ich auch schon vom Lob zur Kritik. Die Haushaltsberatungen gelten als parlamentarische
Königsdisziplin. Auch wenn der letzte preußische König vor 100 Jahren verjagt wurde und wir seit 72 Jahren Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben, ist es Aufgabe des Parlaments, darauf zu achten, dass die Ausgaben der Regierung nicht königliche Ausmaße erreichen.
Ministerpräsident Laschet hat in seiner Regierungserklärung Maß und Mitte zum Motto seiner Amtszeit erhoben.
Prüfen wir also, wie maßvoll sein eigener Etat ist. Die Gesamtausgaben im Kapitel 02 010 steigen um etwas mehr als 3 Millionen Euro auf 73,72 Millionen Euro an. Das entspricht 4,3 %.
Den weitaus größten Anteil an der Steigerung haben die Personalausgaben. Seit der Regierungsbildung wurden immer wieder neue Stellen geschaffen. Im Jahr 2017 waren es 17, im Jahr 2018 waren es 25, und nun werden weitere 18 Planstellen in diesem Bereich beantragt.
Ursächlich für den Personalaufwuchs sind Umsetzungen und neue Aufgaben der Staatskanzlei. Dabei konnten bisher noch nicht einmal alle Stellen besetzt werden, wie zum Beispiel im Fall des Referats „Gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung“, dessen Aufgabe immer noch unklar ist.
Ich erinnere mich noch gut an den Kollegen Jostmeier von der CDU, der bei seiner letzten Haushaltsrede unter der rot-grünen Regierung kritisierte – ich zitiere –: „Die Landesregierung weitet das StellenSoll massiv aus. Es findet keine Aufgabenkritik statt.“ – An anderer Stelle sagte er – Zitat –: „Noch nie hat sich eine Landesregierung so deutlich mit Personal ausgestattet.“
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, diese Vorwürfe fallen heute auf die schwarz-gelbe Landesregierung zurück.
In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen sind Ihnen in kürzester Zeit Maß und Mitte abhandengekommen.
Doch nicht nur die Personalausgaben laufen aus dem Ruder. Die Umressortierung von Ministerien und insbesondere der Umzug der Staatskanzlei verursachten ebenfalls hohe Kosten. Geplant waren Umzugskosten in Höhe von 500 Euro pro Mitarbeiter. Tatsächlich lagen die Kosten dann bei 700 Euro pro Mitarbeiter. Auch der Umzug der Server- und ITTechnik hat sehr viel mehr gekostet als zunächst angesetzt war.
Die nächsten Ausgaben stehen bereits ins Haus. Im Hauptausschuss haben der CdS und der Architekt
Professor Petzinka die Umbaupläne für das Landeshaus vorgestellt. Neben notwendigen Sanierungsarbeiten sollen die Sicherheits- und Repräsentationsbedürfnisse erfüllt werden. Wie hoch die Kosten sein werden? – Unbekannt. Ein Kostenlimit soll es zwar geben, doch auch dessen Höhe ist nicht bekannt.
Wir als SPD werden dazu weiter kritische Fragen stellen. Den Einzelplan 02 Kapitel 02 010 lehnen wir wegen der intransparenten Steigerungen und der nicht aufgeführten Kosten ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der „… Stärkung der … Demokratie im föderalen System …“ – so der Untertitel des Antrags der CDU – behandeln wir heute ein überaus aktuelles und wichtiges Thema, wobei – die Bemerkung sei mir gestattet – der Zeitpunkt am Ende von drei Debattentagen an einem Freitagmittag nicht gerade für die notwendige Wertschätzung spricht.
Die SPD ist der CDU durchaus dankbar dafür, dass sie dieses Thema zum Gegenstand einer Enquetekommission vorschlägt – auch wenn die CDUFraktion wieder einmal etwas spät dran ist. Wie Sie wissen, hat die SPD bereits mehrfach in dieser Wahlperiode Anträge zur Demokratieförderung und zur politischen Bildung gestellt.
Bei uns rennen Sie jedenfalls mit dem Thema offene Türen ein. Darauf, ob das allerdings auch für die vorgeschlagenen Fragestellungen gilt, werde ich nun im Einzelnen eingehen.
Unsere Demokratie als Staats- und Lebensform steht ohne Zweifel vor großen Herausforderungen, von denen die Globalisierung und Digitalisierung in dem Antrag explizit genannt werden. Darüber hinaus werden die Veränderungen der Legitimation und die Gefahren von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus kurz angesprochen. Hier hätte ich mir eine vertiefende Betrachtung zur Entwicklung bezüglich der Nichtwähler, zur rückläufigen Parteiidentifikation und zur Krise der Volksparteien, aber auch zum Entstehen einer neuen Konfliktlinie zwischen libertären und autoritären Positionen im Parteiensystem gewünscht.
Ganz aktuell liegen ja Erkenntnisse der Bertelsmann Stiftung vor, die zeigen, dass populistische Einstellungen in der Bevölkerung zunehmen und vor allen Dingen auch die politische Mitte betroffen ist. Zwar kann man noch sagen, dass neun von zehn Befragten die Demokratie für das beste politische System halten. Aber wir müssen eben auch zur Kenntnis nehmen, dass die Zufriedenheit mit dem Funktionieren unserer Demokratie leider abnimmt.