Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen, 103. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie allen, die uns am Stream zuschauen.
Für die heutige Sitzung haben sich zwölf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zu diesem Thema zu unterrichten.
Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch den Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Herrn Professor Dr. Pinkwart. Ich erteile ihm nun das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anfang des vergangenen Jahres hat die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, abgekürzt WSB-Kommission, nach intensiven fachlichen Erörterungen einen Kompromiss für eine planvolle Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland erzielt, hinter dem sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen versammelt haben. Die vorgelegten Empfehlungen bilden ein ausgewogenes und in sich schlüssiges Gesamtpaket.
Der Deutsche Bundestag hat zur Umsetzung dieses historischen Schrittes, neben der Kernenergie auch aus der Kohleverstromung in Deutschland auszusteigen, in diesem Sommer das Kohleausstiegsgesetz verabschiedet. Es setzt die wesentlichen Punkte dieses gesellschaftlichen Konsenses um und schafft darüber hinaus Perspektiven für den Strukturwandel in der Region.
Nordrhein-Westfalen wird durch die Festlegungen im Kohleausstiegsgesetz Vorreiter beim Kohleausstieg in Deutschland. Mit der beschleunigten Beendigung der Kohleverstromung leistet der Energiesektor einen Sonderbeitrag in Deutschland zur Erreichung
der nationalen Klimaziele über das europäische Emissionshandelssystem hinaus. Bis in das Jahr 2028 hinein erfolgen alle endgültigen Stilllegungen von Braunkohleblöcken ausschließlich im Westen Deutschlands, hier im Rheinischen Revier. Bis einschließlich 2029 übernimmt Nordrhein-Westfalen damit 70 % der zu reduzierenden Braunkohlekapazitäten. Bis 2030 folgt daraus auch der bei Weitem größte Beitrag zur CO2-Einsparung.
Blieben durch die letzte Leitentscheidung der rot-grünen Vorgängerregierung aus dem Jahr 2016 400 Millionen Tonnen Kohle unter der Erde, sind es jetzt zusätzliche 1,2 MilliardenTonnen Braunkohle – und die entsprechende Menge an CO2.
Damit übernimmt Nordrhein-Westfalen eine besondere Verantwortung für den Klimaschutz und trägt wesentlich dazu bei, dass die klimapolitischen Ziele der Bundesrepublik Deutschland, aber auch die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden können. Spätestens Ende des Jahres 2038, möglichst schon im Jahre 2035, wird die letzte Tonne Braunkohle zur Verstromung in der Region genutzt. Die erneuerbaren Energien werden dann neben dem Gas die entscheidende Säule der Energieversorgung in Deutschland bilden.
Dabei hat die Kohlekommission auch unverzichtbare Maßnahmen für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung empfohlen. Wir konnten uns in Deutschland bislang darauf verlassen, dass Strom und Wärme jederzeit zuverlässig und sicher zur Verfügung stehen. Dies hat maßgeblich zum Wohlstand in unserem Land beigetragen.
Aber wir dürfen uns nichts vormachen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ein gleichzeitiger Ausstieg aus Kernenergie und Kohleverstromung stellt unsere Energieversorgung vor gewaltige Herausforderungen; denn durch die Stilllegung von Kern- und Kohlekraftwerken geht ein großer Anteil der regelbaren Energie in Deutschland zurück. Das heißt: Deutschland ist in kritischen Situationen zunehmend und maßgeblich auf Stromimporte aus anderen Teilen Europas angewiesen.
Im aktuellen Leistungsbilanzbericht der Übertragungsnetzbetreiber wird allein schon für das Jahr 2022 eine Deckungslücke von ca. 7 Gigawatt Strom prognostiziert.
Laut einer jüngsten Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln mit Fokus auf das Jahr 2030 könnte es bei einer ausgeprägten Kälteperiode zu erheblichen Deckungslücken im nordwesteuropäischen Energiesystem kommen.
Denn aufgrund von strombasierten Heizungstechnologien wie zum Beispiel Wärmepumpen steigt die Temperaturabhängigkeit der Stromnachfrage und damit die Spitzenlast in Winterzeiten. Nach diesen
Ergebnissen des Kölner Instituts könnte es in bis zu 250 Stunden dazu kommen, dass die Stromnachfrage nicht gedeckt werden kann.
Die zu erwartende signifikante Deckungslücke bei der versorgungssicheren Kraftwerksleistung muss zum großen Teil durch moderne Gaskraftwerke in Deutschland geschlossen werden.
Deshalb ist es nicht nur realitätsverneinend, sondern auch grob fahrlässig, wenn nun von Gruppierungen bereits die nächste Ausstiegsdebatte in Deutschland eröffnet und mit Düsseldorf-Lausward das weltweit sauberste GuD-Kraftwerk nun auch noch bestreikt wird, meine Damen und Herren.
Denn zur Wahrheit gehört: Ohne ausreichende Gaskapazitäten, die die Kohlekraftwerke ersetzen, droht aus Gründen der Versorgungssicherheit ein verlangsamter Kohleausstieg. Das ist über mehrere Mechanismen im Kohleausstiegsgesetz so angelegt. Diese Mechanismen können letztlich dazu führen, dass vor allem Steinkohlekraftwerke nicht endgültig stillgelegt, sondern lediglich in eine Sicherheitsreserve außerhalb des Strommarkts überführt werden.
Damit das nicht geschieht, meine Damen und Herren, und wir auch nicht wie unsere niederländischen Nachbarn zur CO2-armen, aber atombasierten Verstromung zurückkehren müssen, gilt es, verlässlich zu handeln.
Dazu gehört die Schaffung belastbarer Investitionsbedingungen für modernste GuD-Kraftwerke ebenso wie ein planvoller Ausstieg für die Kohleverstromung in Deutschland. Nur so bauen wir das Energiesystem nachhaltig auf erneuerbare Energien um und gewährleisten zu jeder Zeit für alle Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Betriebe eine sichere Strom- und Wärmeversorgung.
Diese entscheidenden Erfolgsbedingungen für den Kohleausstieg hat die WSB-Kommission gemeinsam mit den maßgeblichen Expertinnen und Experten unseres Landes auf diesem Gebiet herausgearbeitet und der Bundesregierung die von breitester Mehrheit mitgetragenen notwendigen Maßnahmen empfohlen. Sie haben in diesem Sommer im von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Kohleausstiegsgesetz und im Strukturstärkungsgesetz Rechtskraft erlangt.
Ich möchte mich hier mit Blick auf die 28-köpfige Kommission noch einmal seitens der Landesregierung für die herausragende Arbeit der Kommission bedanken und auch deutlich machen, dass 27 der 28 Mitglieder, darunter alle Expertinnen und Experten auf den jeweiligen Gebieten,
Vertreter der Umweltverbände und Vertreter der Klimaforschungseinrichtungen diesem Kompromiss zugestimmt haben.
Auf dieser Grundlage hat die Landesregierung am 6. Oktober 2020 einen weiteren wichtigen Schritt für den gesicherten Kohleausstieg gemacht und den Entwurf einer neuen Leitentscheidung zum Rheinischen Braunkohlerevier beschlossen. Damit übersetzen wir die vom Bund verabschiedeten Gesetze in eine räumlich konkrete Perspektive für das Rheinische Revier.
Gerne möchte ich Sie heute über die Hintergründe, Inhalte und Zielsetzungen informieren, die die Landesregierung mit der Leitentscheidung verfolgt.
Durch den stetig abnehmenden Kraftwerkspark wird weniger Braunkohle zur Stromerzeugung benötigt, und durch das gesetzliche Abschlussdatum werden die gesicherten Braunkohlevorräte nicht mehr vollständig ausgeschöpft. Der Gewinnungsbetrieb in den Tagebauen wird deutlich früher als bislang geplant enden. Der vorgezogene Kohleausstieg führt jetzt zu schnelleren Veränderungen auch in der Wirtschaftsstruktur des Reviers. Ebenso ist auch das räumliche Umfeld der Tagebaue betroffen, wo Pläne für die Wiedernutzbarmachung und Rekultivierung angepasst werden müssen.
Die Leitentscheidung schafft den erforderlichen Rahmen für die anstehende Verkleinerung der Tagebaue und gleichzeitig für eine anspruchsvolle Raumentwicklung in der Zukunft. Gemeinsam mit den Wirtschafts- und Strukturprogrammen der Region ist die Leitentscheidung ein wichtiger Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft des Rheinischen Reviers.
Die Landesregierung übernimmt mit der Leitentscheidung ihren Teil der gesellschafts- und strukturpolitischen Verantwortung, damit der Kohleausstieg und der Strukturwandel im Rheinischen Revier bestmöglich und mit einer guten Perspektive für die Zukunft unserer Menschen im Land umgesetzt werden können.
Wir haben die Leitentscheidung unter den Titel „Neue Perspektiven für das Rheinische Revier“ gesetzt. Damit verdeutlichen wir, dass die neue Leitentscheidung das gesamte Rheinische Revier in den Blick nimmt und den Boden für den Strukturwandel und die damit verbundenen Chancen bereitet.
Für die Erarbeitung des Entwurf der neuen Leitentscheidung waren wir seit Februar in einem intensiven Austausch mit den unterschiedlichen Akteuren im Rheinischen Revier und, soweit möglich, auch vor Ort. Wir haben diese Leitentscheidung also nicht hier von Düsseldorf aus am grünen Tisch entworfen, sondern wir haben den aktiven Dialog gesucht und geführt.
Lassen Sie mich stellvertretend für die vielen Bürgermeister und Vertreter der Region, mit denen wir über
diese Pläne haben sprechen können, den Bürgermeister von Erkelenz begrüßen, der heute auf der Zuschauertribüne sitzt.
Ich möchte mit dem ersten Themenblock beginnen, der sich mit der Raumentwicklung für die Zukunft und neuen Chancen für die Region beschäftigt.
Die Braunkohleförderung in Großtagebauen und ihre Verstromung in Kraftwerken haben das Rheinische Revier viele Jahrzehnte geprägt. Die Tagebaue und die zugehörigen Betriebsflächen waren bisher alleine für den Bergbau reserviert und haben eine trennende Wirkung im Raum entfaltet. Jetzt gilt es, diese Flächen wieder in den umgebenden Raum einzubinden, zu nutzen und zu entwickeln. Das ist eine große Herausforderung, aber auch eine einmalige Chance, aus der bisherigen Prägung als Kohlerevier eine neue Zukunftsregion zu entwickeln.
Über gute Leitlinien für diese zukünftige Entwicklung wird hier in der Region zu diskutieren und auch zu entscheiden sein. Der Revierknoten „Raum“ bei der Zukunftsagentur Rheinisches Revier bietet dazu die Plattform, um gemeinsam mit den verschiedenen Akteuren wie den Kommunen und den für die Regionalplanung zuständigen Regionalräten eine integrierte Raumstrategie 2038+ zu entwickeln.
Die Städte und Gemeinden im Kernrevier haben sich bereits auf den Weg gemacht und sich in den Tagebauumfeldinitiativen indeland GmbH und LANDFOLGE Garzweiler sowie der Strukturentwicklungsgesellschaft Hambach zusammengeschlossen. Hier sind bereits erste Vorschläge und Ideen entwickelt sowie Maßnahmen umgesetzt worden. Das sind gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Strukturwandel, der vor allem in den Kommunen vor Ort wirken wird.
In der Leitentscheidung hat die Landesregierung deshalb festgelegt, die kommunale Zusammenarbeit rund um die Tagebaue weiter zu unterstützen, damit die sich ergebenden Chancen für eine innovative wie nachhaltige Entwicklung im Rheinischen Revier bestmöglich genutzt werden können.
Vonseiten der Landesregierung wollen wir der Region drei wichtige Zukunftsthemen besonders mit auf den Weg geben.
Das Rheinische Revier soll sich, der Empfehlung der WSB-Kommission folgend, von einer vom Kohlebergbau geprägten Region hin zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Energieregion der Zukunft entwickeln. Wir wollen dem Rheinischen Revier zeigen, dass der Industriestandort Rheinisches Revier mit seinen zahlreichen energieintensiven Unternehmen