Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 97. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung: Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, einen neuen Tagesordnungspunkt 21 – Gesetzentwurf der Landesregierung „Gesetz zur Änderung des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und zur Änderung weiterer Vorschriften“ Drucksache 17/9842 – in zweiter Lesung zu behandeln. Die folgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend nach hinten. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Des Weiteren haben sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt, den Tagesordnungspunkt 3 – „Lebendige Städte – Innenstädte stärken“ – in Verbindung mit dem bisherigen Tagesordnungspunkt 12 – „Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digitale Zeitalter unterstützen“ – in einer gemeinsamen Block-II-Debatte zu beraten. – Auch dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Die Fraktion der SPD, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie die Fraktionen von CDU und FDP haben jeweils mit Schreiben vom 24. August 2020 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu den oben genannten aktuellen Fragen der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kutschaty das Wort.
Schönen guten Morgen! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit acht Monaten kämpft unser Land nunmehr gegen die schlimmste Pandemie seit der Spanischen Grippe aus dem Jahre 1918. In diesen acht Monaten haben wir viel gelernt. Wir wissen zwar noch nicht alles, was wir über Corona wissen müssen, aber wir haben mittlerweile eine ziemlich gute Vorstellung davon gewinnen können, welche Maßnahmen in den vergangenen acht Monaten erfolgreich waren und warum.
Deswegen möchte ich vorab eines betonen: Durch gegenseitige Rücksicht und Hilfsbereitschaft ist es den Menschen in unserem Lande gelungen, ein hochansteckendes Virus in Schach zu halten. Die Begrenzung des öffentlichen Lebens auf das Notwendige war keine autoritäre Anmaßung. Ohne die Zustimmung und die Unterstützung einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung wäre sie auch gar nicht möglich, geschweige denn erfolgreich gewesen. Darüber bin ich sehr froh, und dafür bedanke ich mich bei allen im Lande.
Doch wir stehen jetzt an einem Scheideweg. Die Infektionszahlen steigen in den letzten Wochen wieder, und an vielen Orten merken wir, dass die Akzeptanz für Einschränkungen spürbar sinkt. Damit erleben wir gerade eine sehr gefährliche Kombination, meine Damen und Herren.
Entweder lernen wir aus unseren Erfolgen und ziehen entsprechende Konsequenzen, oder wir verspielen diese Erfolge – mit allen Konsequenzen für unsere Gesundheit, für unsere Wirtschaft und für unsere Kinder.
Deshalb möchte ich ein Zweites betonen: Es gibt keinen Zielkonflikt zwischen der Bekämpfung der Pandemie und der Bekämpfung der Rezession. Die Bekämpfung des Virus ist die Bekämpfung der Rezes
sion. Mehr noch: Sie ist der Weg zurück in unseren Alltag. Aber eine wirksame Pandemiebekämpfung erfordert eine wirksame Strategie.
Der Ministerpräsident sagt dazu – er hat es in der vergangenen Woche in Anwesenheit der Kanzlerin noch einmal sehr deutlich gesagt –: Wenn Infektionszahlen sinken, dann müssen die Maßnahmen zurückgenommen werden; wenn Infektionszahlen wieder steigen, dann müssen die Schutzvorkehrungen verstärkt werden.
Mit Verlaub, Herr Ministerpräsident: Das ist falsch. Denn das ist keine Strategie zur Bekämpfung der Pandemie. Vielmehr ist das der Mechanismus, der die Ansteckungswellen in Schwung hält. So wird die Krise verwaltet, aber nicht bewältigt. So bekommen wir die Kontrolle nicht zurück. Da müssen Sie schon deutlich mehr tun, Herr Ministerpräsident.
Solange es keinen Impfstoff gibt – und wir alle wissen nicht, wann er kommt; wir setzen im Augenblick sehr viel auf Hoffnung, glaube ich –, gibt es nur eine Chance, um vor die Lage zu kommen. Diese eine Chance, um vor die Lage zu kommen, heißt: testen, testen, testen.
Der Bundesinnenminister hat bereits im März dieses Jahres eine Studie dafür auf den Weg gebracht und festgehalten, dass wir die Testkapazitäten in Deutschland weitaus mehr ausbauen müssen. Von täglich 50.000 Tests für Nordrhein-Westfalen ist da die Rede. Ich zitiere aus dieser Studie:
„Jeglicher Verzicht auf Testen führt jedoch mit Sicherheit zu einer schnellen exponentiellen Verbreitung des Virus.“
Deswegen halte ich die Diskussion, die auch gerade auf Anregung des Bundesgesundheitsministers im Kreise der Landesgesundheitsministerinnen und -minister geführt wird, für sehr kritisch.
Ja, ich halte es für sehr kritisch, jetzt zu sagen: Wir fahren Testkapazitäten in bestimmten Bereichen zurück. – Das ist im Augenblick die falsche Antwort.
Bei Reiserückkehrern wollen Sie es doch machen. Da wollen Sie ja nicht mehr entsprechend testen. Das ist doch Tatsache. Wir brauchen aber flächendeckende Tests, Herr Laumann, um herauszufinden, wo das Virus sich aktuell befindet. Darum geht es doch jetzt.
Nur dann können wir die Infizierten bestmöglich medizinisch versorgen und im Gegenzug immer mehr Menschen ihren Alltag zurückgeben. Jetzt höre ich Sie wieder gleich schreien und rufen: Das wird doch gar nicht gehen; das funktioniert nicht; so viele Kapazitäten haben wir nicht. – Das werden Sie sicherlich gleich auch sagen.
Der Bundesinnenminister hat schon im April Wege aufgezeigt, wie Kapazitäten zu erhöhen sind. Man muss es nur wollen. Deswegen schlage ich Ihnen hier sechs ganz konkrete Maßnahmen vor, mit denen wir gemeinsam daran arbeiten können, die Testkapazitäten in unserem Land zu erhöhen.
Sie können ja gleich einmal erklären, warum Sie meinen, dass wir Testkapazitäten nicht brauchen. Das ist eine abenteuerliche Auffassung eines Gesundheitsministers.
Der erste Punkt: Wir brauchen mehr mobile Testzentren. Wir haben feststellen müssen: Die Testung von Erzieherinnen und Erziehern in Kindertagesstätten ist gescheitert.
Sich eine Arbeitgeberbescheinigung holen zu müssen und Hausarzttermine machen zu müssen, war ein viel zu langes Prozedere. Viele haben keine Termine bekommen und sind bis heute nicht getestet worden. Lassen Sie uns mobile Testwagen einrichten, die zu den Einrichtungen fahren und in einem Rutsch die gesamte Belegschaft testen. So können wir mehr Leute in unserem Land testen.
Der zweite Punkt: Zu Beginn der Pandemie gab es mobile Drive-in-Schalter in besonderen Krisengebieten. Wo sind sie geblieben? Warum bauen wir so etwas nicht auf?
Der dritte Punkt: Ich habe bei meiner Sommerreise auch mit Menschen in Gesundheitsberufen und in Pflegeeinrichtungen gesprochen. Da haben mir Ärzte gesagt: Wir haben viele Beschäftigte und auch viele Bewohnerinnen und Bewohner, um die wir uns kümmern. Ich könnte sie alle testen, wenn ich dürfte. Aber es gibt formale Hinderungsgründe, wenn es
darum geht, dass Ärzte in Einrichtungen eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter testen. – Das muss aufhören. Wir brauchen gerade in diesen sensiblen Einrichtungen mehr Testkapazitäten.