Historisch gesehen – deshalb hat das Dokument an der Stelle meiner Ansicht nach eine gewisse Tücke; sie ist nicht bewusst herbeigeführt, steckt aber da einfach drin, aus der Historie heraus begründbar – kann man es, glaube ich, schon so halten, wie es Ralph Giordano am 5. August 2011 in der „WELT“ formuliert hat. Er hat gesagt, dass die Vertreibung vom Holocaust nicht zu trennen ist. Ich zitiere, Frau Präsidentin:
„Kein Verbrechen von Deutschen rechtfertigt Verbrechen an Deutschen. Die heutigen Staatsmänner in Mittel- und Osteuropa wären deshalb gut beraten, auch da nicht zurückzuschrecken, wo die Geschichte des eigenen Landes nach 1945 nun ihrerseits Gegenstand schmerzhafter Aufarbeitung wird. Aber: Keine Geschichte der Vertreibung ohne ihre Vorgeschichte, und keine Vorgeschichte der Vertreibung ohne ihre Geschichte – die Humanitas ist unteilbar.“
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Keymis. – Als nächster Redner spricht für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt es ausdrücklich, wenn hier nach über 70 Jahren der Opfer von Flucht und Vertreibung nach Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht wird. 15 Millionen Landsleute, davon 2 Millionen Todesopfer, verdienen einen prominenten, ja, einen prominenteren Platz in unserer deutschen Erinnerungskultur.
Während das Schicksal der vertriebenen Deutschen in den Nachkriegsjahren allgegenwärtig und nicht zu übersehen war, wurde das Gedenken an die brutalen Schicksale der Betroffenen schnell das Opfer ihres eigenen Erfolges. Sie gingen in der prosperierenden Nachkriegsgesellschaft auf, bildeten eben keine Parallelgesellschaften und – so würde man es heute nennen – integrierten sich schnell in die Mehrheitsgesellschaft der Nichtvertriebenen.
Sie waren eben Deutsche. Es gab keine Sprachbarrieren, keine religiösen Hemmnisse und kein kulturelles oder ethnisches Gefälle.
Auch wenn sie im Einzelfall nicht immer mit offenen Armen empfangen wurden – das hat Kollege Keymis bereits angesprochen –, so war es doch breiter Konsens in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, dass diese Menschen, die einen besonders großen Anteil an den Folgelasten des verlorenen Krieges tragen mussten, auch besondere Unterstützung verdienen.
Das Lastenausgleichsgesetz von 1952 schaffte da eine gewisse materielle Gerechtigkeit, aber auch die Möglichkeit, sich zu organisieren in Landsmannschaften und Vertriebenenverbänden und in einer eigenen Partei, die sogar teilweise an der Bundesregierung beteiligt war.
In der DDR hatten Vertriebene diese Chancen nicht. Jede Form der Organisation wurde ihnen verweigert, weil sie auch die Lebenslüge von den sozialistischen Brudervölkern infrage gestellt hätte.
Mit zunehmendem Wohlstand und der Schaffung einer neuen Heimat im Westen verlor die Frage ein Stück ihrer politischen Brisanz.
Hinzu kam – das gehört auch zur Wahrheit –, dass der zunehmend linke Zeitgeist das Gedenken an die Schicksale der Vertriebenen zu etwas Anrüchigem machte – als würde man, wenn man eines Unrechts gedenkt, automatisch ein anderes kleinreden oder relativieren.
So hat sich insbesondere die SPD nach und nach über die Jahre von jeder Vertriebenenpolitik verabschiedet, während die Unionsparteien zumindest mit Symbolen lange an dem Thema festhielten und sich so ungeheuer treue Wähler sicherten.
Aber wie so oft hat sich die Union mit etwas zeitlicher Verzögerung dann dem politischen Zeitgeist angepasst und fasst das Thema – das sieht man jetzt auch hier am Antrag – heute nur noch mit spitzen Fingern an.
Der Abgang der langjährigen Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach und die äußerst schäbige Behandlung, die sie von der CDU erfuhr, der sie jahrzehntelang angehörte, sind dafür symptomatisch.
Dass die CDU jetzt ein paar Tage vor der Kommunalwahl dieses Thema hervorkramt, nachdem sie es jahrelang quasi ignoriert hat, ist dann doch sehr fadenscheinig, meine Damen und Herren. Etwa 1,3 Millionen Vertriebene hatten sich um 1950 in NRW niedergelassen, und ihre Kinder, Enkel und Urenkel sollen doch am besten wieder ihr Kreuzchen dort machen, wo es jahrelang schon war.
Um aber bloß nicht irgendwie anzuecken, vermengen Sie das begrüßenswerte Gedenken an die Heimatvertriebenen mit zeitgeistigen und falschen Vergleichen zur aktuellen Migrationsbewegung. Nein, meine Damen und Herren von der CDU, es ist eben nicht dasselbe, wenn jemand mit Waffengewalt aus seiner deutschen Heimat vertrieben wird und sich in einem anderen Teil Deutschlands niederlässt oder wenn jemand aus einem fremden Kulturkreis sich freiwillig aufmacht, weil ihm Wohlstand und Sozialstaat hierzulande besonders reizvoll erscheinen.
Wer Heimatvertriebene, Russlanddeutsche oder auch die DDR-Emigranten mit all dem in einen Topf steckt, was sich heutzutage Flüchtling nennt, der vergeht sich am Schicksal dieser Landsleute.
Das ist schäbig, meine Damen und Herren von der CDU, und im Übrigen auch keinen Deut besser, als wenn man versucht, NS-Verbrechen nachträglich mit der Vertreibung zu rechtfertigen.
15 Millionen Heimatvertriebene und Entrechtete sowie 2 Millionen Todesopfer sind für die CDU aber offensichtlich nur noch dafür gut, kurz vor der Wahl ein wenig politisches Kleingeld zu wechseln. Das ist durchschaubar und billig. Wir können da trotz einiger richtiger Punkte im Antrag nicht mitgehen.
Das war Herr Abgeordneter Tritschler. – Als nächste Rednerin hat nun für die Landesregierung Frau Ministerin PfeifferPoensgen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Nordrhein-Westfalen ist ein weltoffenes und vielfältiges Land, das sich in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich, sozial und kulturell enorm entwickelt hat. Deutsche Heimatvertriebene, Aussiedler und Spätaussieder haben dazu einen großen Beitrag geleistet, den es zu würdigen gilt. Zugleich ist es aber unsere Verantwortung, die Erinnerung an Flucht und Vertreibung, aber auch – das klang hier in mehreren Beiträgen bereits an – an die schweren Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg wachzuhalten.
Den Impuls der Fraktionen von CDU und FDP, den 70. Jahrestag der Charta der deutschen Heimatvertriebenen als einem Dokument des Friedens und der Versöhnung zum Anlass zu nehmen, diesen wichtigen Teil der deutschen Erinnerungskultur zu pflegen und vor allen Dingen auch fortzuentwickeln, begrüßen wir daher ausdrücklich.
Die Landesregierung unterstützt die Brauchtumspflege der Vertriebenen und Spätaussiedler engagiert. Schon Anfang 2018 haben wir – auch das wurde schon erwähnt – Heiko Hendriks als Beauftragten für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern bestellt. Seither steht er für die Landesregierung in einem sehr engen und auch verlässlichen Austausch mit den Institutionen und Organisationen der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler, die eben auch für eine beeindruckende Integrationsleistung in ganz Deutschland stehen.
Neben der traditionellen Kulturpflege und der Arbeit für die Erlebnisgeneration hat aber auch die Aufarbeitung der Vertreibung als erinnerungskulturelle Arbeit für die jüngeren Generationen eine immer wichtiger werdende Bedeutung.
Die Zahl der Menschen, die selbst Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg erlitten haben, wird naturgemäß immer kleiner. Um die Erfahrungen und Erinnerungen der Vertriebenen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben und lebendig zu halten, werden in der Erinnerungsarbeit längst auch neue Wege bestritten. Erinnerungsarbeit verändert sich so mehr und mehr in die Richtung einer stärker generationenübergreifenden historisch-politischen Bildung.
Auch bei diesem Übergang unterstützt die Landesregierung die Vertriebenen und ihre Verbände als verlässliche Partner. Den Rückhalt, den uns die Fraktionen von CDU und FDP mit ihrem Antrag dazu geben, werden wir gerne nutzen, um die Zusammenarbeit weiter zu intensivieren.
Das aktuelle und vom Land geförderte Projekt „Virtuelle Heimatsammlungen in NRW“ erfasst Objekte fotografisch und präsentiert sie samt einer Beschreibung in Form einer virtuellen Heimatsammlung im Internet. So bleiben sie erfahrbar, auch wenn die entsprechende Sammlung eines Tages vielleicht nicht mehr zugänglich ist, weil es die Sammlerin oder den Sammler nicht mehr gibt.
Die Landeszentrale für politische Bildung hat bereits in der Vergangenheit mit dem Landesbeirat, der hier auch schon genannt wurde, zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit wird sie weiter ausbauen, um die politisch-historische Bildungsarbeit mit Vertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern zu intensivieren, wie es der Antrag fordert.
sowie mögliche Kooperationspartner und hat breite Expertise im Einsatz neuer und verschiedener Medien.
Nicht zuletzt strebt die Landesregierung auch eine stärkere wissenschaftliche Begleitung an, die dabei helfen kann, die Erinnerungsarbeit in einem europäischen und – im Hinblick auf aktuelle internationale Ausprägungen von Flucht und Vertreibung, wie gerade auch schon angesprochen – in einem weltweiten Kontext zu sehen und weiterzuentwickeln.
Es ist unser gemeinsames Ziel, die Erfahrungen und Erinnerungen der Vertriebenen auch für künftige Generationen fruchtbar zu machen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache angelangt sind.
Da die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP direkte Abstimmung beantragt haben, lasse ich nunmehr über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/10633 abstimmen. Ich darf fragen, wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte. – Das sind die anwesenden Abgeordneten von CDU, FDP und SPD. Herr Abgeordneter Langguth stimmt ebenfalls zu. – Gegenstimmen? – Keine. Wer enthält sich? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD. Habe ich irgendjemanden übersehen? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich hiermit fest, dass der Antrag Drucksache 17/10633 angenommen wurde.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Abgeordneten Rüße das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Samstag war der sogenannte Earth Overshoot Day. Das ist der Tag, an dem die in einem Jahr nachwachsenden Ressourcen des Planeten von uns verbraucht sind.
sonst, weil die Wirtschaft weltweit nicht ganz so brummt. Wir sind also immerhin bis in den August gekommen, aber wir haben eben noch ein paar Monate vor uns, dafür aber eigentlich keine Ressourcen mehr zur Verfügung.
Um welche Ressourcen geht es dabei? – Es geht zum Beispiel um den Sojaanbau. Es geht um die heißdiskutierte Frage des Palmölanbaus. Jeder von uns weiß, welche Auswirkungen das in den betroffenen Ländern hat. Am Ende geht es auch um einen Stoff wie Kautschuk, der auf großen Plantagen angebaut und dann Teil von Reifen wird.
Ausgangspunkt des Antrags, den wir heute stellen, war ein Bericht in der ARD mit dem Titel „schmutzige Reifen“. Es ging darum, wie und unter welchen Bedingungen in Thailand Kautschuk produziert wird und wie eine expandierende Reifenindustrie immer mehr Kautschuk für Reifen nachfragt.
Diesen globalen Prozess können wir hier in Nordrhein-Westfalen sicherlich nicht aufhalten – das ist so –, aber wir müssen ihn nicht mitmachen. Wenn wir so einen Tag, wenn wir Nachhaltigkeit ernst nehmen wollen, sind wir alle, sind wir als Land NordrheinWestfalen gehalten, unseren kleinen Beitrag zu leisten, den übermäßigen Verbrauch von Rohstoffen einzudämmen.
Wenn man die Arbeitsbedingungen, unter denen Kautschuk angebaut wird und unter denen die Reifen in Fernost teilweise auch für unseren Markt als Wegwerfreifen hergestellt werden, gesehen hat, kann man sich fragen, ob es nicht besser ist – und das ist im Zusammenhang mit runderneuerten Reifen nicht unwichtig –, heimische Arbeitsplätze mit guten sozialen Standards in Deutschland für die Runderneuerung zu erhalten.