Protokoll der Sitzung vom 27.08.2020

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Ott, wir haben immer deutlich gemacht, dass uns die Einführung von neuen Technologien und die Verbesserung des ÖPNV-Angebotes auch im Sinne der Flexibilisierung und der Ausweitung so wichtig sind, dass wir dahinter durchaus auch die Systemfrage stellen.

Ich würde nicht so weit gehen, jetzt hier im Rahmen einer Nachfrage eine so weitreichende politische Aussage zu treffen. Aber Sie können sicher sein, dass wir den Verbünden deutlich gemacht haben, dass wir auch die Systemfrage stellen würden, wenn es nicht gelingt, den landesweiten E-Tarif in dieser Legislaturperiode umzusetzen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Middeldorf. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Vogel das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema „Gratis fahren mit Bus und Bahn“ hört

man andauernd, auch hier im Parlament – egal ob es die Azubis, die Studenten, Arbeitslose oder Kinder sind.

Ich sage regelmäßig dazu: Kostenloses Fahren gibt es nicht, weil überall dort, wo Kosten entstehen, die Kosten einfach nur von anderen getragen werden.

(Carsten Löcker [SPD]: So ist das!)

Das halte ich für nicht fair, nicht für demokratisch und auch nicht für marktwirtschaftlich.

Die Stadt Wuppertal als Modellversuch ins Spiel zu bringen, halte ich aus vielerlei Gründen ebenfalls für falsch. Wuppertal hat wirklich nicht gerade den ÖPNV, von dem man sagen würde: Da ist jeder im Großraum Wuppertal wirklich gleichsam begeistert.

Ich kenne Wuppertal sehr gut. Ich habe da früher mal in einer Rockband gesungen und war immer sehr froh, wenn ich zwei, drei Stationen mit der Schwebebahn fahren konnte. Das hatte so ein bisschen was vom Phantasialand.

Damals hätten Sie mich wahrscheinlich auch gekriegt, wenn Sie gesagt hätten: ticketlos. Ticketlos ist auch wieder so eine Sache bei einer einzelnen Stadt. Ich wäre als Düsseldorfer runtergefahren und hätte mich gefreut, noch weiter zu fahren.

Die ganze Geschichte wurde in verschiedenen kleineren Gazetten sehr groß beworben. Man hatte auf einen Informationsbus aufmerksam gemacht. Da sind 60 interessierte Wuppertaler aufgetaucht. Viele haben aus dem Bauch heraus gesagt: Wenn es billiger wird, bin ich dabei.

Aber auch die Staffelung von 10 bis 50 Euro halte ich für bedenklich. Da sagt vielleicht jemand, der in einer etwas höheren Einkommensstufe ist: Jetzt bin ich gerade in eine Einkommensstufe hineingerutscht, in der ich eigentlich mehr arbeite und weniger herausbekomme, und dann kommt auch noch so etwas.

Unser ÖPNV ist an vielen Stellen in den Ballungsräumen in den Hauptverkehrszeiten sehr, sehr belastet. Ich weiß auch nicht, ob das Timing für so eine Diskussion so gut ist, nämlich in Zeiten von Corona zu sagen: Leute, quetscht euch noch mehr in die Busse und Bahnen. – Es wurde gerade schon erwähnt, dass wir nicht wissen, was kommt, und wir hoffen, dass es bald wieder die alte und nicht die neue Normalität geben wird.

Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Angebot, das ich nicht wahrnehmen kann oder will, wofür ich aber bezahlen muss, halte ich für absolut unethisch. So sieht es nun einmal aus. Es gibt viele Verkehrsteilnehmer, die den ÖPNV gar nicht nutzen können.

Dabei beziehe ich mich noch nicht einmal auf die, die sagen, sie seien sehr schlecht angebunden und dafür wollten sie nicht noch zur Kasse gebeten werden, denn notfalls führen sie mit dem Fahrrad.

Aber wie sieht es beispielsweise mit einer Mutter aus, die ihre drei Kinder, die in verschiedenen Altersstufen sind, zur Schule fahren möchte? Wie sieht es mit den Wocheneinkäufen aus? Man kann in der Bahn nicht drei Kästen Wasser oder Bier mitschleppen.

Man kann nicht alles mit dem ÖPNV regeln. Das ist die Quintessenz der Sache. Es muss nach wie vor Wahlfreiheit geben. Das ist das Entscheidende.

Herr Klocke, wir haben eben über die Stadt Wien und darüber geredet, dass Städte ruhig einmal Modellcharakter haben müssen. Ich frage mich sowieso, was heute los ist. Sie haben jetzt das erste Mal gesagt, dort, wo Kosten entstehen, gibt es de facto kein kostenlos. Es freut mich schon, dass es da ein erstes Umdenken gibt.

Zu diesem Antrag muss ich einfach sagen, und zwar nicht nur aus dem Bauch heraus: falsche Stadt, falsches Konzept, falsche Zeit. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Wüst das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal danke ich für diese kompetente und sachliche Debatte zu einem in der Tat nicht unterkomplexen Thema.

Die antragstellende Fraktion belegt ihr Ansinnen mit einem Gutachten, das keinerlei Bedenken für die Einführung eines sogenannten solidarischen Bürgertickets beschreibt.

Dem stehen allerdings zwei höchstrichterliche Entscheidungen in durchaus vergleichbarer Angelegenheit entgegen, einmal eine des Bundesverwaltungsgerichts aus Juni 2016 und in gleicher Sache eine des Bundesverfassungsgerichts aus Juli 2018 zu den sogenannten Rundfunkurteilen.

Ich zitiere – mit Erlaubnis der Präsidentin – aus der ersten Entscheidung, Bundesverwaltungsgericht

18.06.2016:

„Daher ist es ausgeschlossen, Vorzugslasten bereits für die Bereitstellung … des öffentlichen Personennahverkehrs zu erheben, für deren … Inanspruchnahme … sich keine tragfähige tatsächliche Grundlage findet.“

Es wird also expressis verbis ein ÖPNV mit Umlagefinanzierung verworfen. Auf gut Deutsch heißt das: Die Bereitstellung eines solchen Tickets für alle reicht nicht aus, alle auch zur Kasse zu bitten, sofern nicht

nachgewiesen wird, dass das Ticket tatsächlich ganz konkret in Anspruch genommen wird.

Das zweite Gerichtsurteil, nämlich das vom Bundesverfassungsgericht, konkretisiert den Punkt. Es beschreibt das Erfordernis eines – ich zitiere wieder – „individuell-konkret zurechenbaren Vorteils“.

Im Falle einer Klage hätte also dieses angeblich solidarische Bürgerticket vor Gericht keine Chance, weil es eben am Ende so solidarisch doch nicht ist, weil eben zu viele Menschen keinen Nutzen davon hätten, aber bezahlen müssten, weil zu viele Menschen Mobilitätsbedürfnisse haben, die mit dem ÖPNV jedenfalls noch nicht zu decken sind.

Wir alle wünschen uns mehr Menschen, die Bus und Bahn nutzen. Wir wollen, dass Deutschland wieder Bahnland wird. Aber, weil die Debatte so kundig geführt worden ist, will ich glauben, und von den meisten Rednern weiß ich das auch: Wir wissen doch alle, wieviel bis dahin zu tun ist. Wir freuen uns über die Rekordinvestitionen in das deutsche Bahnnetz, eineinhalb Milliarden Euro, übrigens genauso viel, wie in die Straßen Nordrhein-Westfalens investiert wurde. Das geht jetzt sicherlich in beiden Säulen hoch in Richtung 2 Milliarden. Aber das muss über Jahre so laufen, um die Sünden der Vergangenheit, nicht nur, was den Bestand, sondern auch das Streckennetz angeht, wieder aufzuholen.

Wir haben eine ÖPNV-Offensive, auf die ich wirklich stolz bin, 2 Milliarden Euro Volumen mit einer ganzen Vielzahl von Maßnahmen für Stadt und Land, um die Angebote zu verbessern. Die 1 Milliarde Euro für die Stadt- und Straßenbahnsysteme für ein echtes System-Upgrade ist die größte Zahl, aber auch nur für eine kleine Zahl von Städten, 180 Millionen für ein robustes Netz in der Zeit der eben genannten Rekordinvestitionen, 120 Millionen für On-Demand-Verkehre, um in Randzeiten oder in Gebieten jenseits der 15-Minuten-Takte bessere Angebote zu schaffen, 100 Millionen Euro für Schnellbussysteme für den suburbanen, den ländlichen Raum, Reaktivierungen.

Das AzubiTicket haben wir gemacht, weil wir natürlich die Realität wahrnehmen, dass ÖPNV bei Weitem nicht billig ist.

Ich glaube, es ist der richtige Weg, immer wieder zu diskutieren – das tun wir hier ja gelegentlich auch –, zu identifizieren, für welche Gruppen wir die Hürde absenken können, damit sie dann aber wirklich den ÖPNV nutzen können.

Kollege Klocke hat auf die Niederlande und die Komplexität unseres Ticketwesens verwiesen. – Das ist unbestritten. Aber die Lösung kann doch nicht sein, auf den Ticketverkauf ganz zu verzichten.

Zum Thema „Landeseisenbahngesellschaft“: Ich war Herrn Ott ja dankbar für die Frage; gerade macht er aber den Eindruck, als würde er mir nicht folgen. Ich

hatte gehofft, er würde mich unterbrechen und mir die Frage ebenfalls stellen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Leute, das muss doch alles so nicht sein! Wir haben doch mit der Digitalisierung die Chance, für die Kunden all diese Strukturen vergessen zu machen. Wir können doch ganz andere Dinge inzwischen digital regeln, die in Wahrheit viel komplexer sind.

(Beifall von der CDU)

Deswegen kümmern wir uns auch um E-Ticket und E-Tarif. Wir schaffen damit ein besseres Angebot.

(Carsten Löcker [SPD]: Das löst nicht die Fi- nanzierungsprobleme!)

Sie wollen eine ÖPNV-Abgabe. Es ist ja gar nicht so schlimm, dass in der Demokratie auch mal Unterschiede deutlich werden. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und auf das weitere sachkundige Vertiefen dieses Themas. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, lieber Herr Minister Wüst. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Das bleibt auch nach einem Blick in die Runde so. Wir sind damit am Schluss der Aussprache angelangt.

Somit können wir zur Abstimmung kommen, und zwar in diesem Falle über die Empfehlung des Ältestenrats, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/10628 an den Verkehrsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich frage, ob es hierzu Gegenstimmen gibt. – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich die einstimmige Zustimmung zu dieser Überweisungsempfehlung fest.

Wir kommen zu:

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