Protokoll der Sitzung vom 16.02.2000

Vielen Dank.

(Beifall der SPD Und der F.D.P.)

Es spricht Herr Abgeordneter Berg.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedes Jahr am 18. Mai wehen auf den öffentlichen Gebäuden die Fl_aggen des Landes Rheinland-Pfalz. Doch werweiß eigentlich warum?

-Wenn ein Bürger unseres Landes erfährt, dass es der Tag der Landesverfassung ist, ist er dann schlauer? Kann er sich dar

unter irgendetwas vorstellen; oder will er damit überhaupt behelligt werden? Welche Schjüsse haben wir als Abgeordne

te daraus zu ziehen, wie wir die Interessen unserer Bürger zu vertreten haben? Haben wir den Kontakt zur'Realität, zu den Problemen der Bürger verloren? Darf es sich bei der Novellierung der Landesverfassung etwa nur noch um eine Themen

stellung handeln, die den Binnenbetrieb einer abgeschotteten Politikerkaste beschäftigt?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, nein. Je

der Staat und auch jedes Bundesland sind auf eine Verfassung angewiesen, mit der sich der weitaus überwiegende Teil der Bürger identifizieren kann. Ohne einen Konsens über wesentliche Grundwerte ist ein friedliches 'Miteinander unter den Bürgern kaum vorstellbar, und für ein funktionierendes Staatswesen ist es darüber hinaus unerlässlich, erstens die Handlungs- und Eingriffsr:nöglichkeiten des Staates gegenüber dem Bürger, also eine klare Kodifizierung des Verhält-nisses des Bürgers zum Staat und des Staates zum- Bürger, festzuschreiben, und zweitens ist eine klare Aufgabenabgrenzung vo':l exekutiver, legislativer und judikativer Gewalt erforderlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Systematik findet sich auch in unserer Landesverfassung wieder. Unsere Landesverfassung ist übrigens die älteste Verfassung der Bun-·

desrepublik Deutschland. Sie trat bereits im Mai 1947 in Kraft und damitschon lange vor der Formulierung des Grundgesetzes.

Die darin enthaltenen, uns heute als selbstverständlich er

scheinenden Mitwirkungsrechte bedeuteten nach einer Zeit

der Einschüchterung und totalen Entmündigung der Bürger durch-den Staat einen ~p_ochalen Wandel. Von nun an sollte jeder Bürger die Möglichkeit zur Mitbestimmung erhalten.

_Man war nicht länger staatlicher Willkur ausgesetzt.

Meine sehr verehrten Dameh und Herren, heute muss man feststellen, dass sich leider gegenüber den demokratischen

Mitwirkungsmögli~hkeiten zunehmend. Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit bis h-in zu Desinteresse breit gemacht hat. Deshalb ist es unsere Aufgabe als Abgeordnete, den Wert ei-ner funktionierenden demokratischen Ordnung im Bewusst

sein der Bürger wachzuhalten. Dazu trägt eine l~bendige Verfassung bei. Lebendig kann eine Verfassung nur sein, wenn sie von Zeit zu Zeit behutsam den tatsächlichen Gege

benheiten und dem gesellschaftlichen Wandel angep

(Dr.ßraun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und wennsie eingehalten-wird!- Weitere Zuru~e von BÜNDI\IIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herre·n, die Neuerung unserer Verfassung kennen Sie. Ebenso bedarf es keiner weiteren Erwähnung, dass es sich bei vielen dieser Änderungen letztlich um Kompromisse handelt. Die ursprü~glicheri Positionen der einzelnen Fraktionen sind hinreichend bekannt.

Wir als Christdemokraten freuen uns besonders darü_ber, dass es uns gelungen ist, den Schutz des ungeborenen Lebens zu stärken. Bereits bisher genießt das ungeborene Leben - das ist unstreitig- den Grundrechtsschutz gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und Artikel3 Abs._1 der Landesverfassung. ln dem neu gefass

teil Artikei3Abs. 2, der an die bestehenden Regelungen und an die Rechtsprechung des BundesverfassungsgerichtS an

knüpft, heißt es, ich zitie·re:.,Für deri Schutz des ungeborenen Lebens ist insbeseneiere durch umfassende Aufklärung, Beratung und soziale Hilfe zu sorgen."

Ziel der _Regelung ist es al~o, der spezifischen Gefährdungssi:tuation des ungeborenen Lebens zusätzlich Rechnung zu tra~

gen. Dieser Schutz darf von Verfassungs wegen nicht auf einen reinen Strafrechtsschutz verengt sein. Es-handelt sich bei dieser Regelung somit um eine Konhetisierung des für das ungeborene Leben bereits bestehenden Grundrechtsschutzes.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Weiteren be

schränke ich mich auf die folgenden Problemkreise, zum ei

nen auf die ausufernde Festschreibung von Staatszielen, die sich aus unserer Sicht.als wirklich nicht unproblematisch darstellt, zum Zweiten auf die Parlamentsreform und zum Dritten aufdie unterbliebene Neufassung der Wirtschaftsverfas

Ich komme zu Punkt 1: Staatsziele.- Die inflationäre Aufnah-. me neuer Staatsziele war- das ist bekannt - sicherlich kein· Herzensanliegen der CDU. In den vorangegangenen ßeratun:·

gen. haben wir dies auch _imme~ wiec!er deutlich gemacht; äenn nach un~erer Auffassung widerspricht dieses Ansinnen sowohl unserer Verfassungstradition als auch der. politisch notwendigen Beschränkung des Staates auf seine Kernbereiche. Gerade ein liberales Staatsverständnis -.der Liberalismusist bekanntlich ein ganz prägendes Element unserer Verfas

sungsgeschichte- verbietet eine zu starke Einflussnahme des

c Staates auf den Bürger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle h'ätten wir als Christdemokraten auf etwas mehr Protest v~m

seiten der F.D.P. gehoft. So muss man sich fragen, handeln wir mit der Aufnahme weiterer zusätzlicher-Staatsziele nicht liberalem Gedankengut zuwider? Warum soll der Staat immer.mehr soziale Wohltaten versprechen, kann er-diese doch wegen mangelnder Ressourcen offenkundig ohnehin nicht mehr leisten? Das ist aber nicht das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem wird eher in der Frage deutlich, ob ein Mehr an sozialen Wohltaten überlaupt ein Mehr an Lebens

qualität,

(Zuruf von der SPD: Wo bitte?)

Lebenserfüllung oder mehr Gerechtigkeit ·bedeuten oder nicht vielleicht das Gegenteil der Fall ist

(Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ist das:nicht sehr gewagt?)

De:;halb 'ist weiter zu fragen: Besteht nicht die Gefahr de~ Verselbstständigung dieser Staatsziel_e hin zu Lefstungsansprochen? Steckt deshalb nicht in jedem s~aatsziel ~in Stück

unbekanntes Risiko? Man fragt sich schon, was für ein Staats

verständnis - ich schaue auf die Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ~ haben diejenigen, die einerseits bei so verschiedenen Feldern wie Schutz des ungeborenen Lebens oder beispielsweise bei _i:ler Verbrechensbekämpfung

(Dr. Braun, BQNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Staatss-chutz des ungeborenen Lebe_ns!} zu weit gehende Eingriffe des Staates geißeln, aber anderer- sei1s unzählige private Risiken verstaatlichen wollen. Hier werden nach meiner·Auffassung unverkennbar Widersprü- che deutlich. (Zur_uf der Abg. Frau Themas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Christ~e[llokraten haben uns immer dagegen gewehrt, bewährte Regelungen auf dem Altar des Zeitgeistes zu opfern. Wir wollen keine Verfassung, die gerade aktuelle

politische Probleme_in allgemein gültige Aussagen kleidet.

(Frau Themas, BÜNDNIS 90/DlE GRÜNEN: Kann ich mirvorstellen bei derCDUim Moment!)

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