Herr Präsident. meine Damen und Herren! Wir sind uns in diesem Hause natOrlich einig darOber, welche verfassungsrechtlichen Grundlagen insbesondere im Hinblick auf Pressefreiheit, auf die Freiheit der elektronischen Medien und auf die Freiheit der Kultur zu beachten sind. Niemand in diesem Hause ist sich der diesbezOgliehen Verantwortung nicht bewusst. Es ist aber genauso wichtig, dass wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass wir fOr unser Zusammenleben in einer humanen Gesellschaft Spielregeln vereinbart haben, die als unveräußerbare Grundrechte unsere Verfassung prägen.
Insoweit gilt es, alle gesellschaftlichen Entwicklungen abzuwägen und immer wieder die Frage zu stellen: Wo bedarf es einer Regelung, und wo ist eine Regelung eher kontraproduktiv, weil sie die Freiheitsrechte des Einzelnen oder von Gruppen in unserer Gesellschaft beschneidet?
Es ist sicherlich wahr, dass Geschmacksfragen zwar diskutiert werden dürfen und können- ich bin sogar der Meinung, dass sie diskutiert werden müssen -, um eine Meinungsbildung in der Gesellschaft zu unterstützen und zu fördern, sie können aber nicht Maßstab von politischem Handeln oder gar von politischem und rechtlichem Einschreiten sein, gerade nicht, wenn man diese Abwägungen, von denen ich und meine Vorredner gesprochen haben, im Auge behält.
Wenn man in den letzten Jahren verfolgt hat, wie sich die elektronischen Medien mit dieser Verantwortung auseinander gesetzt haben, kommt man zu einer Reihe von positiven,
aber auch zu erschreckenden Erfahrungen. Als wir uns mit den so genannten Reality-TV-Shows auseinander gesetzt haben, hat die Diskussion zu Recht begonnen. Auch damals ist sie notwendigerweise öffentlich gefOhrtworden.lch erkenne ausdrOcklich an, dass die Verantwortlichen im Bereich der privaten Medien Konsequenzen gezogen haben, indem man das lm-großen-Bildausschnitt-auf-sterbende-Menschen-oderauf-schwerstverletzte-Menschen-Gehen mit der Kamera aus den Sendungen weitgehend herausgenommen hat.
Es muss natürlich immer gelten, dass abzuwägen ist, dass bestimmte Dinge, also auch Grausamkeiten, einmal gezeigt werden können mOssen, wenn sie zur Vermittlung eines Sachverhalts unverzichtbar dazu gehören. Man kann nicht -um ein ganz schreckliches Beispiel aus unserer Geschichte zu nennen - Ober die Schrecklichkeit in Konzentrationslagern berichten, ohne grausame Bilder zu zeigen, weil man sonst die Eindringlichkeit und den Beleg einer solchen Dokumentation dem Zuschauer nicht nahe bringen kann.
Bei diesen Abwägungen müssen wir äußerst vorsichtig sein. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Als sich die
se Spirale weiterentwickelt hat, habe ich mich als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder gefragt, wie wir dieser Situation Herr werden können. Wir haben immer darauf gesetzt, und ich setze auch weiterhin darauf, die freiwillige Selbstkontrolle, die Verantwortung derjenigen, die mediale Angebote unterbreiten, an oberster Stelle zu sehen.
Insoweit bin ich froh darüber, dass die Diskussion Ober diese Talkshows, von denen zu Recht die Rede gewesen ist, auch in diesem Zusammenhang geführt wird. ln diesen Talkshows wird teilweise tief in die menschliche Würde eingedrungen, und sie wird auch häufig verletzt. Daran kann es Oberhaupt keinen Zweifel geben.
Es ist der Versuch unternommen worden, diese Entwickl~ng in einer freiwilligen Vereinbarung einzudämmen. Ich be
dauere außerordentlich, dass ich aus der Beobachtung dessen, was sich abspielt, den Eindruck gewinnen musste, dass diese Selbstkontrolle im Begriff ist, sich wieder aufzulösen. Deshalb muss sie erneut angemahnt werden. Wir müssen mit den Verantwortlichen im Bereich der privaten Medien dar
ser kritischen Betrachtung von vornherein frei. Man muss aber auch sagen, dass sich das, was an Verletzungen in diesem Zusammenhang festgestellt werden musste, in einer Reihe von privaten Sendern abspielt. Daran führt kein Weg vorbei. Das istdie Wahrheit.
Die Spirale dreht sich also, und das ist nicht zu übersehen. Im November hat sie eine neue Umdrehung genommen, als die Absicht bestand, in einer dieser Talkshows einer jungen Frau für Geld mit einem glühenden Eisen ein Brandzeichen aufzudrücken. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich entschlossen, die öffentliche Diskussion Ober die Grenzen in diesem von mir angesprochenen Abwägungsfeld hinweg zu suchen und die Frage zu diskutieren, wie wir diese Grenzen bestimmen, aber auch die Einhaltung der so bestimmten Grenzen kontrollieren und dem Nachdruck verleihen können, was wir als notwendig erachten.
Die Sendung ist damals abgesetzt worden, bevor sie ausgestrahlt worden ist, leider nicht aus besserer Einsicht. sondern -wenn m~ine Informationen richtig sind- weil die junge Frau in Ohnmacht gefallen ist, bevor diese Katastrophe im Sinne der Menschenwürde Realität werden konnte.
Sie wissen auch, wenn Sie die öffentliche Diskussion verfolgt haben, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt öffentlich positioniert habe. Es hatte aber keinen Sinn, diese Diskussion an der Stelle zu suchen, weil die Sendung nicht ausgestrahlt wurde.
Dann folgte die Übertragung des holländischen.,Big Brother"-Sendeformats mit verschärfter Ausformung für
Feld bewegen, auf dem die Menschenwürde eindeutig nicht nur tangiert, sondern von der gesamten Grundanlage dieser Sendung herverletzt wird.
Wenn man schon über solche Dinge nachdenkt, könnte man sich einmal überlegen - das habe icl'! auch mit den Verantwortlichen von RTL II in einem langen Gespräch diskutiert -, ob man eine solche Sendeform nicht mit positiven Inhalten zeigt, nämlich wie Menschen eine besonders schwierige Situation vertragen oder wie sie soziale Konflikte auflösen. Man könnte auch so etwas mit Geldprämien belohnen.
Stattdessen wird derjenige belohnt, der übrig bleibt, der herausgemobbt oder dazu beigetragen hat, dass die anderen dem Konflikt auf die.eine oder andere Weise nicht mehr standgehalten haben. Das ganze Format ist so angelegt, dass
man, wenn es nicht noch generell verändert wird, nicht erst fragen muss, ob dies mit der Menschenwürde vereinbar ist.
Zunächst einmal wird aus meiner festen Überzeugung die Menschenwürde verletzt, und zwar nicht nur in Form dessen, was tatsächlich gesendet wird, sondern auch durch die Tatsache, dass Menschen in dieser Art und Weise wie in einem Rattenkäfig -solche Experimente gab es; diese waren nach mei
Die Aussage, dass das, was auf Toiletten, in Badezimmern und bei Nacht mit Infrarotkameras während der Dunkelphase in den Schlafzimmern aufgenommen, aber nicht gesendet wird, um die Leute für den Fall zu schützen, dass es psychische oder sonstige Defekte gibt, halte ich für zynisch. Das habe ich deutlich gemacht. Dabei bleibe ich auch.
Ich habe mir bereits im November, als es um diese erste Sendegeschichte mit der Brandzeichenproblematik ging, sehr sorgfältig überlegt, ob ich die Diskussion öffentlich führen soll.
Herr Kollege MittrOcker, ich stimme Ihnen völlig zu, dass man sich natürlich diese Frage stellen muss. Ungewollt • das ist Oberhaupt nicht zu bestreiten • befördert man natürlich ein solches Thema in das Bewusstsein, wenn man es öffentlich diskutiert.
Die andere Frage ist, wie man diesem Thema Herr werden will, ohne öffentlich darauf einzugehen. Es muss auch die Frage gestellt werden, ob nicht die öffentliche Diskussion auch ein Schutz der Grundrechte im Sinne von Meinungsfreiheit, Zensurfreiheit und Freiheit von Kunst und Kultur etc. darstellt, wenn gerade seitens der Politik eine solche Diskussion angestoßen wird und man durch die Öffentlichkeit auch die Kontrolle gegenOber dem Politiker ode[ der Politikerin hat, die eine solche Diskussion anregen. Ich hielte es für viel problematischer, zu sagen, ich schreibe an die Direktoren der Landesmedienanstalten- was ich getan habe· mit einem Hinweis und der Bitte, in dieser. Hinsicht nach entsprechender Prüfung tätig zu werden.
Außerdem hielte ich es für äußerst problematisch, wenn dies, ohne die Öffentlichkeit zu informieren, ablaufen würde, weil damit zu Recht der Verdacht aufkommen könnte, dass die Politik versucht, eine Aufteilung der Verantwortung, die wir in diesem Bereich bewusst gewählt haben, zu untertunneln. Auf der einen Seite geht es darum, dass die Politik versucht,
Ober die Rundfunkstaatsverträge die allgemeinen Spielregeln in der Gesellschaft zu fixieren, nämlich die Verantwortung der Politik und die Verantwortung der Parlamente Ober die Gesetzgebung. Auf der anderen Seite haben wir uns mit den
schaffen, die die Einhaltung dieser rundfunkstaatsvertragliehen Regeln zu Oberwachen haben, ohne dass sie unmittelbar der politischen Verantwortung unterliegen.
Das haben wir sehr bewusst gemacht. Das hängt mit der Staatsferne zusammen. Das hängt aber auch damit zusam
men, dass wir so weit wie möglich unterschiedliche Verant· wortungen wählen wollen, damit diese Grundrechte, wie Pressefreiheit etc., Ober die wir uns einig sind, auch de facto geschützt werden. Deshalb habe ich es aus diesem Grund für