Protokoll der Sitzung vom 17.02.2000

unverzichtbar gehalten, diese Diskussion öffentlich zu machen.

Ich habe es aber auch noch aus einem zweiten Grund getan. Mindestens so wichtig wie die juristische Auseinandersetzung mit dieser Frage ist, in der Gesellschaft eine Diskussion zu

führen, die hoffentlich dazu gelangt, nach einem entsprechenden Diskussionsprozess zu fragen, ob wir Möglichkeiten und Notwendigkeiten haben, rundfunkstaatsvertragsrechtliche Entscheidungen zu treffen, die eine stärkere Kontrolle in diesem angesprochenen sensiblen Bereich ermöglichen.

Wir sind zu der Entscheidung gekommen· ich bitte Sie schon jetzt um Zustimmung zum Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag; Herr Kollege Dr. Schiffmann hat die Passage zitiert ·, den Schutz der Menschenwürde stärker herauszuar

beiten und nicht nur die Beachtung der Menschenwürde vorzugeben, sondern zu sagen: Rundfunk und Fernsehen haben den Auftrag, die Einhaltung und die Beachtung der Menschenwürde zu fördern. · Wir haben damit eine positive Grundanlage den Menschen und dem Menschsein gegenOber in die allgemeinen Programmgrundsätze aufgenommen.

Ich erhoffe mir durch diese Diskussion Anstöße. Ich hoffe auch, dass bei den Eltern, Erzieherinnen und Erziehern die schulische und gesellschaftliche Diskussion dazu führt, dass man das; was sich hier abspielt, besser einzuordnen weiß. Man muss wissen, dass es nicht um von Schauspielern gespiel

te Szenen geht, sondern darum, dass Menschen real in diese Situation gebracht werden.

Ich unterstreiche ausdrücklich, dass die Freiwilligkeit kein Kri

terium ist. Ich bin im Übrigen überzeugt, dass, obwohl es noch nicht im Rundfunkstaatsvertrag steht - das wird erst heute in diesem Parlament mit entschieden -, die Freiwilligkeit kein Kriterium ist, das ein solches Verhalten erlaubt;

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

denn • ich stütze mich auf die Entscheidungen der höchsten Verwaltungsgerichte • es gab schon einmal eine solche Auseinandersetzung bei den Sendungen Ober das so genannte

Zwergenwerfen. Damals ist der Versuch unternommen worden, einen kleinwüchsigen Menschen - dieser hatte zugestimmt- als Ball zu ben1:1tzen.

Dennoch istdiese Sendeform untersagt worden, weil deutlich gemacht worden ist - ich denke, dass es Anlehnungspunkte an unsere heutige Diskussion gibt-, dass dort ein Mensch zu einer Sache degradiert und zum Schauobjekt für andere gemacht wird. Damit wird er nicht nur selbst, sondern werden auch andere Menschen in einer ähnlichen Situation in ihrer Würde betroffen sein können. Ich glaube, dass es durchaus auch jetzt schon Anlehnungspunkte gibt, die sich aus der Verankerung derWürde der Menschen und den Rundfunkstaatsverträgen ergeben, um handeln zu können.

Ich komme zu der spannenden Frage, ob wir wegen des Zensurverbots, das wir in keiner Weise einen Hauch infrage stellen wollen, abwarten, oder ob es nicht auch möglich sein muss, dass wir uns damit auseinander setzen, bestimmte Din

ge, die eindeutig gegen unsere Grundspielregeln in unserer Gesellschaft verstoßen, vorher zu entschärfen oder zu verbieten.

Ich bin mir der hohen Sensibilität dieser Frage sehr bewusst. ln mir wehrt sich vieles dagegen- das möchte ich Ihnen offen sagen -, dass wir allem und jedem hilflos ausgeliefert sein sollten und es zumindest einmal über unsere Gesellschaft ergehen lassen müssen, um uns dann als Gesellschaft zur Wehr setzen zu können. Ich bin mir der Sensibilität dieser Abwägungsfrage sehr bewusst. Darüber müssen wir reden. Was machen wir, wenn die Spirale weitergedreht wird, und es entscheidet jemand, dass in Deutschland einmal eine Hinrichtung aus einem Land in der Dritten Weit gezeigt wird? Müssen wir abwarten, bis diese Hinrichtung übertragen worden ist und die Ausstrahlung dann verbieten?

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

Wir sind Gott sei Dank noch nicht so weit. Ist es ausgeschlossen? Ich denke, es ist nicht auszuschließen, dass auch ein sol

cher Versuch in Erwägung gezogen würde.

Ich habe mir berichten lassen, dass es in Amerika zwischenzeitlich so genannte Kampfsportarten gibt, die nicht wie Boxen oder anderes darauf ausgerichtet sind, einen sportlichen Erfolg zu erzielen, sondern die auf die körperliche Verletzung des Gegners ausgerichtet sind. Es gibt Sendeformate, die so

·etwas übertragen. Müssen wir das hinnehmen? Müssen wir nicht zuerst hinschauen, ob Blut geflossen ist, und zwar ab

sichtlich, nicht als etwas, was beim Sport passieren kann, oder haben wir nicht die Verpflichtung, darüber nachzudenken, ob es Grenzen geben kann? Das ist der Anstoß, den ich geben wollte.

Wir werden über diese Fragen im März im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz reden. Ich bin sehr froh darüber, dass es überhaupt keinen Parteienstreit darüber gibt, aber sehr wohl über die Sorge um die Sensibilität des Themas und

die richtige Abwägung öffentlich diskutiert wird. Aber es gibt keinen Konflikt darüber, dass man sich mit diesen Fragen auseinander setzen muss.

Der Landtag in Nordrhein-Westfalen hat sich - ich habe die Protokolle nachgelesen - mit dieser Frage auseinander ge

setzt und die Beurteilungen so vorgenommen, wie ich sie auch für meine Verantwortung sehe.

Meine Damen ·und Herren, insoweit glaube ich, dass es notwendig ist, dass wir diese Diskussionen führen und uns darüber bewusster werden, als wir es sind, dass wir uns nicht nur im technologischen Sinn, was ich äußerst begrüße, nicht nur hinsichtlich einer Informationsfreiheit und Vielfalt, wie es sie noch nie gab, was ich äußerst begrüße, in ein neues mediales Zeitalter hinein bewegen, sondern auch bezüglich der Verantwortung, die wir wahrzunehmen haben für die Werte unserer Verfassung. Da sind wir noch nicht so weit, dass wir mit diesen Dingen zurechtkommen können. Das gilt für das Fernsehen, es gilt aber in noch stärkerem Maße für das Internet. Dort wissen wir, bei allen Bemühungen und Erfolgen, die erzielt werden konnten--- Frau Kollegin Dr. Götte hat mehrfach öffentlich darOber berichtet, was im Bereich Jugendschutz etc. auf den Weg gebracht wird. Wir sind aber immer noch in der fast verzweifelten Situation, dass sich diejenigen, die Anbieter solcher unglaublicher Dinge sind, wie Kinder

pornographie, Menschenhandel, Rassendiskriminierung und was es sonst noch alles gibt, natürlich durch Verlagerung ihres Standorts im world wide web de facto fast beliebig jedem Zugriff entziehen können.

Deshalb müssen wir auch dort Spielregeln finden. Ich glaube, auch darauf muss die Diskussion ausgedehnt werden. Ich ha

be deshalb wiederholt angesprochen und werde dies auch vor diesem hohen Hause tun, dass ich glaube, so wie wir dazu gefunden haben, immer wenn es um H~ndelsfragen, um Umweltfragen, um Fragen der Kinderarbeit geht, internationale Konferenzen zu machen, dass wir uns auch mit diesen Fragen auseinander setzen müssen. Unabhängig davon, ob jemand christlich, buddhistisch, mus1imisch in seiner Glaubensausrichtung ist oder keiner Glaubensrichtung angehört oder einem Naturvolk angehört: Kinderpornographie, Handel mit Men

schen usw. sind Dinge, die in jeder Gesellschaft geächtet sind.- Dann muss es uns auch gelingen, darOber einen Grundkonsens herbeizuführen.

Ich denke, dies wäre ein Auftrag, der die UNO durchaus angeht und den sie aufnehmen sollte.

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

Ich habe auch in einem Gespräch mit dem Nuntius der katholischen Kirche angeregt, dass vielleicht ein Impuls von den großen Kirchen ausgehen könnte, um die Diskussion zu füh

ren, um dann einmal diesen schwierigen Prozess- ich mache mir nichts vor, wie schwer das alles werden wird- anzugehen.

Als die erste internationale Umweltkonferenz abgehalten wurde, hat man sich auch nicht vorstellen können, dass man sich darOber einmal verständigen 'könnte, zumindest in einigen Grundzügen. Deshalb meine ich, müssen wir die Diskussion auch auf diese Ebene umsetzen und fortführen, weil ansonsten das Reden Ober die immer offener werdende Welt bedeuten kann, dass wir zwar immer mehr Möglichkeiten haben, aber dass die innerliche Katastrophe über unsere Gesellschaften hereinbrechen kann, wenn wir am Ende nicht mehr in der Lage sind, die Werte zu schützen, die das Zusammenlebenjeder freien Gesellschaft ausmachen.

Dazu einen Beitrag zu leisten, denke ich, können wir auch an dieser Stelle- ich will das bei Weitem nicht überhöhen--

Ich sage Ihnen abschließend -.. ich habe auch keine Lust mehr" sind die falschen Worte-, aber ich mag es nicht mehr hinnehmen und ertragen, dass wir monatelang Ober Rundfunkstaatsverträge reden, und dann sollen sie an einer solch entscheidenden Stelle nicht mehr das Papier wert sein, auf dem sie stehen. Ich möchte noch in den Spiegel schauen kön

nen, auch was diese Arbeit angeht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir bei aller Diskussion im Einzelnen - diese ist auch notwendig; auch die kritische Betrachtung dessen, was man macht - - - Ich bin selbst an vielen Stellen unsicher, wie man darangeht, löst man mit solchen Diskussionen nicht das aus,

was man ausdrücklich nicht will, nämlich den Voyeurismus noch zu befördern. Aber ich glaube, wir müssen die Diskussion öffentlich führen, sonst erschrecken wir eines Tages über

das, was Ober uns hereingebrochen ist, und sagen: Wenn wir das gewusst hätten! -Wenn wir hinschauen, wissen wir, was passieren kann. Noch haben wir die Zeit, zu versuchen, es zu verhindern.

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Gäste im Landtag begrüßen zu können, und zwar Klassensprecher der Klassen

stufen 7 bis 12 des Gymnasiums Kannenbäckerland HöhrGrenzhausen und Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Konz, natürlich mit ihren Lehrerinnen und Lehrern. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Meine Damen und Herren, den Fraktionen steht jeweils noch eine Redezeit von fünf Minuten zur Verfügung.

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Pepper.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde bewusst vor die Verabschiedung des Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrags gesetzt, um ein Zeichen zu setzen. Das Land wird im Verbund mit den anderen Bundesländern dem Jugendschutz eine noch größere Bedeutung zumessen als bisher. Das ist die eine Seite. Das ist die juristische Seite, vielleicht die formale Seite. Ich glaube, die Rede unseres Ministerpräsidenten hat sehr deutlich gemacht, dass dies ein viel größeres Thema ist, ein viel größeres Spektrum beinhaltet.

Kurt Beck hat Recht: Wir müssen diesen Diskurs nicht nur über Paragraphen führen- diese sind notwendig; dies sind Instrumente unseres Staates, wie wir Grenzlinien ziehen können -,aber darüber hinaus brauchen wir bei der Veränderung der Medienlandschaft einen Grunddiskurs, in welche Richtung wir uns eigentlich bewegen wollen, was wir dulden wol