Protokoll der Sitzung vom 10.05.2000

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das haben Sie genau richtig gesagt!} Selbst wenn es irgendwo einmal in einem Endlager wäre, was noch nicht absehbar ist, ist es nicht so, dass die Gefahr dieser Stoffe plötzlich· zu Ende ist. Wir werden uns noch Hunderte vor Jahren mit dem Müll, den wir produziert haben, beschäf- tigen müssen. Dies kann man beklagen, man kann es sehr be- klagen, aber es hilft nichts, dass man sich damit beschäftigen muss. (Unruhe im Hause)

Je mehr ich die ganze Politik und die Frage der Atompolitik diffamiere, desto weniger bilde ich in Deutschland die geeig-·

neten Menschen hierfür aus. Schauen Sie sich einmal an, wie rapide das Interesse an Atomphysik als Studienfach und an dem entsprechenden Studienfach für Atomingenieure zu

rÜckgeht. Es werden viele Lehrstühle nicht mehr besetzt.

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viele Kinder und Jugendliche sagen, Atomphysik, igitt, das ist etwas Schmuddeliges, das will ich nicht mehr studieren, ich kann meinem· Kollegenkreis gar nicht erklären, dass ich Atomphysiker werden will, das ist doch ein Beruf ohne Hoffnung und Zukunft.

Meine Kollegen von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ich kann Ihnen nur raten, vielleicht können Sie kurz einmal--

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

-Ich verstehe die Aufregung nicht. Stimmt es, oder stimmt es nicht? -Sie können sich die Statistiken der deutschen Universitäten anschauen. Vielleicht klopfen Sie einmal bei Herrn

Kollegen Trittin an. Vielleicht könnte man die Greencard noch auf Atomphysiker aus Indien erweitern. Ich sehe dies kommen, wenn wir weiterhin so unqualifizierte Atomdebatten führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei F.D.P. und SPD)

Meine Damen und Herren, die Geräuschkulisse ist besonders stark. Es ist schwierig, dem jeweiligen Redner oder der jeweiligen Rednerin zuzuhören.

Ich erteile Staatsministerin Frau Martini das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin sehr dankbar, dass wir wegen der Anträ

ge zur Aktuellen Stunde heute über dieses Gesamtverfahren sprechen können.

Ich möchte vorab noch einmal unterstreichen, es ist das ober

ste Ziel der Landesregierung und der sie tragenden Fraktio

nen, dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung in RheinlandPfalzund darüber hinaus oberste Priorität einzuräumen, und diese Landesregierung tut dies.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Es geht um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz. Vielleicht hatten sich einige Kolleginnen und Kollegen der Grünen etwas verirrt. Wir sind nicht im hes

sischen L;mdtag, sondern im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz.

Ich verstehe, dass es eine gewisse Schwierigkeit gibt, wenn man das Gesamtpaket dessen, was in Sachen Atompolitik in Berlin zu verhandeln ist, ~etrachtet, ob es um Biblis oder um andere Reaktoren geht. Aber' wir sprechen in Rheinland

Pfalz, und hierfür möchte ich in Bezug auf das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich einige Anmerkungen machen.

(Zu rufder Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über ein Vierteljahrhundert nach derErteilungder ersten Genehmigung durch die Regierung des Ministerpräsidenten Kohl streiten wir uns nach wie vor vor einer Vielzahl von Gerichten um das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich. Deshalb, um es einmal einfach.. platt" vorweg zu sagen, muss uns allen darangelegen sein, dass diese-unklare Situation in MülheimKärlich endlich zu einer klaren wird und der Zustand, den wir seit 1988 haben, dass'Mülheim-Kärlich nicht am Netz ist, so bleibt, wie er ist.

Meine Damen und Herren, es kann nicht darum gehen, Symbolpolitik zu betreiben, sondern reale Politik, die den Interes

sen der Bürgerschaft des Landes Rheinland-Pfalz entgegen

kommt.

(Beifall der SPD und bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, es ist mit dem Urteil aus dem Jahre 1988 durch. das Bundesverwaltungsgericht in Berlin zum ersten Mal bundesweit eine Entscheidung diese~ Tragweite getroffen worden, nämlich dass ein Kernkraftwerk, welches über Genehmigungen verfügte, vom Netz genommen wurde. Im Rahmen der entsprechenden Verfahren und der Gerichtsentscheidungen ist noch deutlich geworden, wie im Rahmen des Genehmigungsverfahrens weiter zu verfahren ist.

Die im Juli 1990 von der damaligen CDU-Regierung erteilte 1. TG neu/2 ist ebenfalls aufgehoben wordef]. Mit einer Ent

scheidimg durch das Oberverwaltun·gsgericht von 1995 und von 1998 sind diese Entscheidungen, dass die Genehmigungen rechtswidrig waren, noch einmal bestätigt worden.

Meine Damen und Herren, ausalldem ergibt sich, dass es nur einen Regelungsgegenstand gibt, nämlich, dass wir uns nur um die Erste Teilgenehmigung zu kümmern haben und uns nach der Rechtsprechung der Obersten Verwaltungsgerichte nur noch um eine solche kümmern dürfen, unabhängig davon, ob es uns passt oder nicht oder ob die GRÜNEN es gern anders hätten..Wir befinden uns in einem rechtsstaatliehen Verfahren, und die Landesregierung beabsichtigt, sich an sel

biges zu halten.

(Vereinzelt Beifall der SPD und der F.D.P.- Zuruf des Abg. Rieth, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ln dieser Sachlage unterstreiche ich, dass das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit selbstverständlich in all den letzten Jahren bis zum heutigen Tage voll über ·den Ablauf und die weiteren Schritte des Verfahrens unterrichtet war. ln den letzten Jahren gab es nicht die leiseste Kritikvonseiten des Bundesu_mw:eltministers an dem Verfahren, wie es die Landesregierung nach Recht und Gesetz vorgesehen und durchgeführt hat.

Ich mache deutlich, dass die Weisung, die Frage der Entsorgungssicherheit nicht nach der Auffassung der Landesregierung entscheiden zu dürfen, die vom damaligen Bundesumweltminister Töpfer vor vielen Jahren der Landesregierung erteilt wurde, bis zum heutigen Tag nicht aufgehoben wurde.

'(Mertes, SPD: Hört, hört!)

Ich betone, dass die Landesregierung die Auffassung vertre

ten hat und nach wie vor vertritt, dass keine Entsorgungssicherheit gegeben ist u!ld deshalb eine Dauerbetriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich nicht infrage. kommen kann.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Der Bundesumweltminister hat bis zum heutigen Tag in die

ser Frage keine dezidierte Meinung vertreten. Er hat aber auch nicht die Umweltministerin des Landes Rheinland-Pfalz aus diesem Weisungsverhältnis entlassen, was _er aber sehr wohl könnte; denn, meine Damen und Herren VOfl der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ich nehme Verantwortung herzlich gerne an, wenn ich.sie wahrnehmen kann.ln die~em Fall werde ich aber daran gehindert.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren; auch über die anderen Fragen, die im Vorfeld der Landtagswahl natürlich von der Opposition gern genutzt werden, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung_ oder ein neues Erörterungsverfahren durchgeführt werden muss, ist das Bundesministerium für Umwelt, Natur

schutz und Reaktorsicherheit völlig.informiert und hat nicht die leiseste Kritik an dem bisherigen Ablauf des Verfahrens in Mainz geäußert.

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher gehe ich davon aus, dass Herr Kollege Trittin in Berlin diese Auffassung teilt. Wenn Sie etwas anderes sagen, sprechen Sie mit gespaltener Zunge.

Beifall der SPD und der F.D.P.

Zurufdes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)