Aus dieser Situation gibt es eine ganze Reihe von Folgerungen, die heute unbestritten ist, und zwar Handlungsansätze im Interesse der alten Menschen und Thesen – das fand ich ganz interessant –, die 1995 in einem Memorandum zur Altenhilfe sehr deutlich dargestellt wurden. Ich gebe den Text verkürzt wieder. Darin heißt es: „Das Altern in Deutschland wird bunt.“ – Damit ist die große Vielfalt der Lebenssituationen gemeint. Es heißt weiter: „Das Alter in der ergrauten Gesellschaft ist kein Sonderstatus mehr. Auch hohes Alter ist normal geworden, wird überwiegend autonom gestaltet und gelebt. Wir müssen uns auf eine nachberufliche Lebensphase einstellen, die zeitlich länger ist, als es unsere Jugend war.“
Zum Thema „Pflege“ heißt es, dass die Teilhabe und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben im Alter auch gestaltet und gesichert werden müssen und diese Selbstständigkeit der Lebensführung auch in Situationen wachsender Unterstützungsbedürftigkeit des Einzelnen durchgesetzt werden muss.
Selbstbestimmung trotz Pflege – das ist ein selbstverständliches Gestaltungsprinzip für die Fachleute. Diese Erkenntnisse und Leitlinien sind in den Anträgen, Gesetzentwürfen und Initiativen der SPD-Fraktion und der SPD-geführten Landesregierung der vergangenen Jahre als roter Faden zu finden.
Herr Dr. Enders, die SPD-Fraktion hat mit den anderen Fraktionen an den Diskussionen in diesem Plenarsaal zum Streitfall Pflege mitgewirkt. Wir haben dazu eine Broschüre, die ausliegt. Wir haben uns mit der leistungsfähigen und bedarfsgerechten pflegerischen Versorgung in Rheinland-Pfalz 2003 beschäftigt. Herr Dr. Enders hat an den Antrag zum Thema „Demenz“ erinnert. Wir haben einen gemeinsamen Antrag dazu vorgelegt. Dann gab es die Große Anfrage der SPD-Fraktion im Jahr 2003 zum Thema „Pflegende Angehörige“. Es gab 2004 eine Anfrage zum persönlichen Budget in der Pflege. Es gab 2005 vor allem auch eine enge Zusammenarbeit mit der Landesregierung beim Landesgesetz zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur. Frau Staatsministerin Dreyer hat vor
hin schon einige der wesentlichen Punkte genannt. Das war ein Einstieg in einen Bereich, der heute auch in der Regierungserklärung einen wesentlichen Teil einnahm. Ich komme nachher noch einmal zu der Frage des Ehrenamts zurück.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, pflegebedürftige alte Menschen und ihre Angehörigen finden in Rheinland-Pfalz eine differenzierte und gut ausgebaute pflegerische Angebotsstruktur. Mit der Qualitätsoffensive „Menschen pflegen“ hat Sozialministerin Malu Dreyer einen deutlichen Schwerpunkt gesetzt. Mehr Qualität in der Pflege, eine Bildungs- und Fachkräfteoffensive, bessere Hilfen für Menschen mit Demenzerkrankungen und mehr Mitgestaltung für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sind Ziele, zu deren Verwirklichung sich in dieser Initiative, in diesem Bündnis viele Partner aus dem Gesundheits- und Sozialwesen des Landes zusammengefunden haben.
Schritte in die Praxis sind die Demenzkampagne, das Projekt „Schulung pflegender Angehöriger“, der Familienratgeber usw. Das alles kann man durchaus als eine stolze Bilanz bezeichnen. Das sind nachhaltige Investitionen in die Zukunftschance unserer Gesellschaft, einer Gesellschaft für alle Lebensalter, getragen auch von einer Kultur des bürgerlichen Engagements, für die wir in Rheinland-Pfalz schon gute Ansätze finden.
Ich möchte noch auf eines besonders hinweisen, das wir als Zukunftsmodell und auch gleichzeitig als ergiebige Ideensammlung für das, was jetzt an Perspektiven auch von Frau Staatsministerin Dreyer in der Regierungserklärung genannt ist, das Bürgergutachten „Miteinander der Generationen in einer alternden Gesellschaft“, beschreiben können. Es sind 162 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger stellvertretend für uns alle beteiligt gewesen und haben nach einer Bestandsaufnahme der Sorgen und Wünsche vielfältige Vorschläge und Empfehlungen für neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Solidarität der Generationen aufgeschrieben. Es werden modellhaft entwickelt – das findet sich auch in dem wieder, was die Landesregierung jetzt umsetzen will –: generationsübergreifende Wohnformen, familienunterstützende von Nachbarschaftshilfe und vom Ehrenamt getragene soziale Netze. Diese Botschaft finden wir auch in der Regierungserklärung.
Ich will noch auf zwei Kernbotschaften besonders eingehen. Wir werden uns einmal in Zukunft noch sehr stark auf die Stärkung der sozialen Netze einstellen werden, das, was mit Pflege-Mix bezeichnet ist, was auch Wohnen und Umfeld sehr stark angeht, was die Frage der demenziell Erkrankten, die von der Pflegeversicherung überwiegend nicht erfasst werden, angeht, was die Frage der illegalen Beschäftigung von zunächst Hauswirtschafts- aber dann doch als Pflegekräfte benutzten Menschen angeht. Das ist der eine Bereich.
Der zweite Bereich betrifft die Professionalisierung. Das wird zusammen gesehen werden müssen. Wir werden das nur schaffen – das hat Frau Staatsministerin Dreyer deutlich beschrieben –, wenn es uns gelingt, diesen Pflege-Mix zwischen denen herzustellen, die professionell pflegen, für die wir die Ausbildungsregelungen neu gemacht haben, für die wir dabei sind – dafür bin ich der
Landesregierung besonders dankbar –, die Entbürokratisierung, die Schaffung neuer Dokumentationsformen, die Zeit und Aufwand sparen, – – – Die Frage der Beschäftigung der illegalen Pflegekräfte habe ich schon angesprochen. Das Landesgesetz lässt den Einrichtungen, den ambulanten Diensten, erhebliche Spielräume bei der Gestaltung dieser Pflegestruktur.
Es gibt eine Reihe von Modellen, die als lokale Netzwerke angestoßen worden sind: im Bereich der Angehörigenschulung, die in den Bereich des integrierten Budgets gehen, die Assistenz von Pflege. – Die gemeinsame Ausbildung wurde beschrieben – eine ganz tolle Sache.
Abschließend möchte ich noch darauf eingehen, was in dieser Woche als sehr erfreulicher Ansatz herüberkam, nämlich die gemeinsame Erklärung des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit, des Ministeriums der Finanzen und des Ministeriums des Innern und für Sport zum Thema „Neue Wohnformen für das Alter“. Das ist eine zentrale Frage, die auch in der Regierungserklärung eine große Rolle gespielt hat. Das wird für die Zukunft ein Schlüssel für die Gestaltung der Lebenssituation älterer Menschen sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, RheinlandPfalz ist in der Pflege auf einem guten Weg. Die Politik der Landesregierung zeigt auch in dieser Regierungserklärung Kontinuität und gleichzeitig innovative Entwicklungsperspektiven. Die SPD-Landtagsfraktion wird diesen Weg und diese Handlungskonzepte unterstützen und aktiv begleiten.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben Ihre Rede fast mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit begonnen, die Pflegeversicherungsgesetzgebung des Bundes zu verändern. Sie haben gesagt, die Landesregierung würde sich in diesem Punkt positionieren, und sie würde sich aktiv an der Gestaltung beteiligen. Sie haben aber mit keinem Wort gesagt, wie Sie das machen wollen, mit welchen Inhalten Sie das machen wollen.
In dieser Hinsicht geht es mir nicht nur um Finanzierungsfragen. Dazu komme ich nachher noch. Ich sage das deshalb am Anfang meiner Ausführungen, weil ich denke, dass es einen erheblichen Änderungsbedarf beim Umgang mit der Pflege und natürlich beim Umgang mit der Pflegeversicherung gibt.
Ich will Ihnen einmal etwas vorlesen. Es geht um Menschenwürde, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn man auf Hilfe und Pflege angewiesen ist, dann ist das nicht nur deshalb unangenehm, weil man gehandikapt in gewisser Weise ist, sondern es ist auch gerade deshalb unangenehm, weil die Würde in Gefahr ist. Das wissen wir alle. Es gibt bei der Berechnung, wie viel Zeit bei der Pflege zur Verfügung stehen darf, so genannte Zeitkorridore, nach denen die Pauschalen in der Pflegeversicherung berechnet werden. Ich lese Ihnen einmal vor, damit Sie verstehen, dass es hier auch um Menschenwürde geht. Die Zeiten, die für eine Ganzkörperwäsche zur Verfügung stehen, betragen 20 bis 25 Minuten, Teilwaschen, Hände und Gesicht, ein bis zwei Minuten, Duschen 15 bis 20 Minuten, Kämmen ein bis drei Minuten, Zubereitung mundgerechter Ernährung zwei Minuten, Hauptmahlzeit 15 bis 20 Minuten.
Ich könnte das auch um noch weit unangenehmere Beispiele ergänzen. Ich erspare Ihnen und mir das an dieser Stelle. In diesem Zusammenhang wird über Menschen gesprochen. Wenn ein Pflegedienst so vorgehen muss, es eilig haben muss, dann ist die Würde des zu pflegenden Menschen in Gefahr. Deshalb sage ich das am Anfang. Ich sage Ihnen: Wenn es eine Änderung in der bundesgesetzlichen Regelung gibt, dann muss es auch hierbei Änderungen geben. Deshalb erwarte ich von der Ministerin, wenn sie schon eine Regierungserklärung abgibt, dass sie solche Rahmenbedingungen mit abdeckt. Das haben Sie versäumt.
Herr Mertes, schreien nutzt an dieser Stelle nichts. Dann unerhalten Sie sich mit ihm und anders mit mir.
(Zuruf der Abg. Frau Schmitt, SPD – Mertes, SPD: Dann werden die Lohnneben- kosten angeführt! Außerdem, das ist typisch Gutmenschart, die Sie anführen! Alle anderen, die wirtschaftlich damit umgehen müssen und die Beiträge einfordern, werden schlecht gemacht!)
Herr Kollege Mertes, wenn Sie anfangen – – – Wenn jemand das Wort „Menschenwürde“ in diesem Zusammenhang in den Mund nimmt, und Sie brüllen so unqualifiziert dazwischen, dann disqualifiziert Sie das.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Mertes, SPD: Das geht nicht anders! Sie haben das Mikrofon! – Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)
Dass Sie mit diesem unqualifizierten und unwürdigen Dazwischengebrülle ausgerechnet die Zustimmung von Herrn Dr. Schmitz bekommen, wundert mich an dieser Stelle nicht. (Beifall der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)
(Mertes, SPD: Wir sind diejenigen, die die Menschenwürde verletzen! – Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)
Herr Präsident, ich erwarte langsam, dass Sie das Recht auf freie Rede schützen. Der Kollege Dr. Schmitz hat von Gesülze gesprochen.
Herr Präsident, ich habe Sie nur darauf aufmerksam gemacht. Es geht schließlich von meiner Redezeit ab.
(Rösch, SPD: Gesülze ist ein sehr schönes Wort! – Schweitzer, SPD: Man muss sich doch nicht allen Mist hier antun!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Regierungserklärung weist nicht nur diese eine Lücke auf, die sich auf eine ganz wichtige Rahmenbedingung bezieht, sondern sie ist durchzogen von Lücken. Ich finde das sehr schade und der Sache nicht angemessen.
Wenn Sie sich überlegen, dass wir aktuell, was den Pflegebereich und die Alterstruktur unserer Gesellschaft angeht, noch gar nicht an der Stelle sind, wo es wirklich schwierig wird, sondern sich ab 2008 die Altersstruktur so deutlich verändert, dass der Anteil der über 75Jährigen sehr deutlich ansteigen wird, dann wissen wir, dass in drei bis vier Jahren das Problem erst richtig auf uns zukommt.
Dann muss man natürlich in aller Offenheit und sehr ehrlich in einer Bestandsaufnahme darüber sprechen, was zu tun ist. Das erwarte ich von einer Regierungserklärung.
Richtig ist nun an Ihren Ausführungen zum Beispiel – nicht, dass Sie mich falsch verstehen und meinen, ich würde Sie nur kritisieren; Sie werden jetzt immer wieder feststellen, dass ich sage: „Richtig ist“, ich sage aber auch: „Falsch ist“ –, dass die Pflegeversicherung bestenfalls eine Teilkaskoversicherung sein kann. Sie ist es und wird es auch bleiben. Richtig ist aber auch, dass die
Frau Ministerin, Sie haben eingangs Ihrer Rede die Frage gestellt: Was ist uns die Pflege wert? – Sie haben gesagt, dass häufig vor allen Dingen monetäre Aspekte im Vordergrund stünden und Sie das zwar für wichtig halten, aber fragen: „Wie viele gesellschaftliche Anstrengungen ist uns die Pflege wert?“
Ich halte diese Frage für berechtigt. Wenn man sie allerdings in die Realität übersetzt, dann bedeutet das: Wer trägt die Lasten der Pflege, wenn sie nicht bezahlbar ist?“ Da müssen wir sagen, die Lasten der Pflege, wenn sie nicht bezahlbar ist, tragen pflegende Angehörige, pflegende Bekannte, die oft so gerühmten ehrenamtlich Pflegenden.
Der Herr Kollege Dröscher hat vorhin sehr eindringlich darauf hingewiesen. Sie tragen im Durchschnitt acht Jahre lang zum Teil sehr drastische Lasten.
Wenn wir die Herausforderung, die sich daraus und aus der demografischen Entwicklung ergibt, bewältigen wollen, dann bedeutet das, dass wir offen eingestehen müssen, dass es nur dann geht, wenn sich mehr Menschen an der Pflege und an der Betreuung von Pflegebedürftigen und Hilfsbedürftigen beteiligen.
Diese Menschen werden wir aber nur gewinnen, und zwar sowohl die Professionellen wie die Ehrenamtlichen, wenn wir die Wertschätzung für diesen Beruf und für dieses Engagement steigern. Wertschätzung steigern heißt aber nicht, in Sonntagsreden oder nicht nur in Sonntagsreden zu sagen: „Das ist wichtig, was ihr da tut.“ Das hilft diesen Menschen, die 24 Stunden rund um die Uhr damit beschäftigt sind, nicht nur ihre Angehörigen zu pflegen, sondern sie auch zu beaufsichtigen, damit sie nicht weglaufen oder andere dumme Dinge tun, reichlich wenig.
Wir müssen wissen, dass Wertschätzung auch die verbale Wertschätzung sein kann, aber sie natürlich auch materielle Wertschätzung sein muss. Wertschätzung bekommen wir nicht darüber hin, dass wir das, was in der Pflege und in der Betreuung getan wird, abwerten.
Herr Pörksen, Sie habe ich sowieso noch nie etwas dazu sagen hören. Von daher weiß ich nicht, was Sie tun. Ich weiß nur, dass Sie zu allem Zwischenrufe machen können.