Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

Ich gebe das Ergebnis bekannt (siehe Anlage 3):

Abgegebene Stimmen 84, gültige Stimmen 84.

Mit Ja stimmten 34, mit Nein 49 Abgeordnete, eine Enthaltung.

Damit ist die Entschließung abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:

Diabetiker-Versorgung in Rheinland-Pfalz Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD und der Antwort der Landesregierung auf Antrag der Fraktion der SPD – Drucksachen 14/4194/4401/4516 –

Die Fraktionen haben eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart.

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Ebli das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf unseren Antrag hin wurde 1999 ein Diabetikerbeirat beim zuständigen Fachministerium eingerichtet. Vorausgegangen war eine Anhörung der SPD-Fraktion, die die Defizite bei der Diabetesversorgung noch einmal verdeutlichte.

Ich darf aus unserer Anhörung einige Zitate vortragen. Jemand sagte: Zum Frühstück Brot oder Brötchen, dann gab es nur noch Kartoffeln am Tag. –

(Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Mein Arzt sagte mir, ich sollte zu jeder Mahlzeit einen Schnaps trinken, dann würde der Blutzucker schon gesenkt, so die Leiterin einer Selbsthilfegruppe.

Janine, ein 12-jähriges Mädchen berichtete, dass sie mehr durch Zufall als durch ärztlichen Rat Teilnehmerin am TEDDY-Projekt in Montabaur wurde. Ihre Mutter hat

in einem AOK-Heftchen eine Anzeige von dem TEDDYProgramm gelesen und sich daraufhin bemüht, ihre Tochter in das Programm zu bekommen. Sie wurde ordentlich eingestellt, ihre Blutzuckerwerte sind im Normalbereich. Das Mädchen hat ungemein an Lebensqualität gewonnen, und sie berichtete, dass sie jetzt nicht mehr hungern muss und sogar einmal wegfahren kann.

Herr Dr. Küstner, ein Diabetologe der Universität Mainz sagte: Die eigene Arbeit lehrt uns, dass die unzureichende Versorgung der Diabetikerinnen und Diabetiker den normalen Zustand repräsentiert. Bestätigt wird dies ebenfalls von vielen diabetologisch tätigen Ärzten sowohl im niedergelassenen als auch im stationären Bereich. Auch das Beispiel von Janine stellt seines Erachtens keinen Einzelfall dar.

Viel zu häufig wurden Kinder auf eine starre Behandlung eingestellt, die den Lebensbedingungen der Betroffenen derart zuwider laufen, dass neben einer katastrophalen Einstellung auch psychisches Fehlverhalten die Folge sein müssen. Er führte aber auch aus, dass bei allem Versorgungsnotstand der Diabetesbehandlung aber auch durchdachte tragfähige Konzepte existieren, die die Diabetesversorgung gerade im stationären Bereich verbessern.

Der ehemalige Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung der Pfalz sagte in seinem Statement: Diabetes ist eine Massenerkrankung. Vier bis fünf Millionen Betroffene, das heißt, Versorgung ist nur durch eine dichte Versorgung in der Fläche zu gewährleisten. Es genügt nicht, dass alle paar hundert Kilometer irgendwo ein Zentrum aufgebaut ist. Er würde sich mit der heutigen Entwicklung sehr zufrieden geben und sich darüber freuen können; denn gerade wurde wieder ein Zentrum in Landau eingeweiht.

Er sagte aber auch, die Qualifizierung der Kollegen ist nicht so validiert.

Ich könnte Ihnen noch weitere Gäste unserer Anhörung zitieren, die allesamt aus ihrer eigenen beruflichen Erfahrung oder als Betroffene Erfahrungen zu dieser Volkskrankheit vorgetragen haben.

Herr Kollege Dr. Enders sprach in seinen Ausführungen zu dem Antrag der SPD-Fraktion zur Einrichtung eines Diabetesbeirats ebenfalls von einer Volkskrankheit. Dabei sprach er sicher auch als Arzt.

In Rheinland-Pfalz sind mehr als 200.000 Menschen betroffen. In der Bundesrepublik sind es mehr als sechs Millionen Menschen.

Im Übrigen wird in der Beantwortung unserer Großen Anfrage noch einmal sehr verdeutlicht, wie segensreich der Diabetikerbeirat war bzw. ist. Zu dem Zeitpunkt, als wir in diesem Haus die Einrichtung eines Diabetikerbeirats beschlossen haben, war die St.-Vincent-Erklärung bereits zehn Jahre alt, und man war von den Zielen der Verbesserung der Behandlung und Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus noch weit entfernt. Handeln war aus zweierlei Gründen dringend angesagt, aus Behandlungsgründen mit dem Ziel einer qualifizierten Verbesserung, aus Beratungsgründen, aus Schu

lungsgründen für medizinisches Personal und für Patientinnen und Patienten und für eine bessere und längere Lebensqualität auch zur Verminderung von kostenintensiven Folgekomplikationen bei nicht adäquater Behandlung.

Meine Damen und Herren, wir sind heute den Zielen der St.-Vincent-Deklaration eine beachtlichen Schritt näher gekommen – das ist wahr –. Wir müssen aber auch – so ehrlich müssen wir sein – feststellen, dass es bis zu dem selbst gesetzten Ziel noch einiger Anstrengungen bedarf, dies vor allem vor dem Hintergrund, dass nach den Prognosen aus Fachkreisen mit weiteren Zunahmen von Diabetes-Typ-2-Erkrankungen von mindestens 10 % bis zum Jahr 2010 gerechnet werden muss. Das sind sicher unbestritten Folgen unseres Wohlstands. Dies beginnt in der Tat schon bei Kindern. 10.000 bis 15.000 sind jünger als 14 Jahre. Die Neuerkrankungen steigen jährlich um 3 % bis 5 % an. Erfahrungen des großen Kinderdiabeteszentrums der Borromäerinnen in Trier deuten sogar auf noch höhere Werte hin.

Erschreckt hat mich die Beantwortung unserer Frage 4 über die Anzahl der Fußamputationen. In Deutschland werden jährlich rund 26.000 Amputationen der unteren Extremitäten aufgrund des Risikofaktors Diabetes mellitus durchgeführt.

Allerdings wurde uns in der Beantwortung auch aufgezeigt, dass es nicht immer erst so weit kommen muss und Patientinnen und Patienten bei guter Beratung und einer qualifizierten Versorgungsstruktur durchaus eine hohe Lebensqualität behalten können. Dies beweist beispielsweise die Uniklinik Mainz, wo eine interdisziplinäre Therapie des diabetischen Fußsyndroms durchgeführt wird. Dort liegt die Amputationsrate bei etwa 9 % bis 10 % vergleichsweise niedrig. Auch die Spezialisierung auf dem Gebiet der gefäßchirurgischen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Diakonissen-Stiftung-Krankenhaus in Speyer hat zu einem erheblichen Rückgang von Amputationen geführt.

Fachleute sind der Ansicht, dass in der Bundesrepublik 15.000 Amputationen der Beine verhindert werden könnten, wenn Diabetikerinnen und Diabetiker mit Wunden an den Füßen rechtzeitig gefäßmedizinisch untersucht und behandelt würden.

Zur Verminderung dieser Amputationen trägt sicher auch der mittlerweile vom Landesdiabetesbeirat empfohlene Amputationsbogen bei, der in den Praxen eingeführt wurde. Aber nicht nur Fußerkrankungen mit der grausamen Folge einer Amputation führen zur eingeschränkten Lebensqualität, Netzhauterkrankungen bis zur Erblindung ebenso. Das Erblindungsrisiko bei Personen mit Diabetes mellitus ist etwa fünfmal höher als bei nichtdiabetischen Patienten.

Jährlich werden ca. 8.000 neue Patienten dialysepflichtig durch die Erkrankung von Diabetes. Weitere schwere Erkrankungen bei der Diagnose Diabetes sind Herzerkrankungen. Mindestens 50 % der Todesfälle bei Diabetikerinnen und Diabetiker sind auf koronare Herzerkrankungen zurückzuführen. Außerdem ist das Risiko, bei

Diabetes einen Schlaganfall zu bekommen, ebenfalls erhöht, bei Frauen im Übrigen höher als bei Männern.

Eine wichtige Bedeutung kommt unseres Erachtens der Früherkennung zu. Es ist erwiesen, dass bei 53 % der Frauen, die eine so genannte Schwangerschaftsdiabetes hatten, nach acht Jahren mit der Manifestation eines Typ-2-Diabetes zu rechnen ist. Hier sind ScreeningUntersuchungen von Schwangeren zur Erfassung eines Gestationsdiabetes im Sinn einer Primärprävention ganz besonders wichtig.

Auch hier ist wieder die Krankenanstalt des Mutterhauses der Borromäerinnen besonders zu erwähnen. Ihnen ist es vorbildlich gelungen, mit dem MEDI-Verbund, einem freiwilligen Zusammenschluss von Vertragsärztinnen und -ärzten, Psychologen, Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, eine Initiative zu gründen, die betroffene Frauen langfristig betreut, um zu verhindern, dass es zu einer Manifestation von Diabetes mellitus kommt.

Mit der Einführung des DMP (Disease-Management- Programms) wurde gemeinsam mit den Krankenkassen ein weiterer wichtiger Weg zur besseren Versorgung von Patientinnen und Patienten beschritten. Im Jahr 2005 wurden allein in Rheinland-Pfalz 97.000 Versicherte in das DMP Diabetes mellitus eingeschrieben.

Mehr als 400 Ärztinnen und Ärzte führen aufgrund ihrer spezifischen Weiterbildung vermehrt Schulungen durch. Das ist sicher eine gute Entwicklung, aber erstaunt sind wir schon, dass bis heute nur in Rheinland-Pfalz als einzigem Bundesland die Diabetesweiterbildung als staatliche Weiterbildung anerkannt und angeboten wird. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass auch die Landespsychotherapeutenkammer begonnen hat, die Weiterbildung anzuerkennen und durchzuführen.

Insofern ist es natürlich zu begrüßen, dass beabsichtigt ist, die mehrjährigen Erfahrungswerte in das Landesgesetz zur Weiterbildung in Gesundheitsberufen mit aufzunehmen. (Glocke des Präsidenten)

Ich will abschließen. Herr Präsident, gestatten Sie, einen Dank an die Selbsthilfegruppen in unserem Land zu sagen, die eine wichtige Arbeit leisten. Mit über 60 Gruppen ist eine flächendeckende Versorgung gewährleistet. Wir meinen, dass das Ehrenamt eine wichtige Arbeit leistet. (Glocke des Präsidenten)

Wir werden uns dafür einsetzen, dass sie auch weiter gefördert werden. Insgesamt ist festzustellen, dass Diabetikerinnen und Diabetiker in unserem Land besonders gut betreut und versorgt werden.

(Beifall der SPD und der FDP)

Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Morsblech das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich im Namen der FDP-Fraktion der Landesregierung zunächst großen Dank sage für die umfassende Beantwortung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion „Diabetikerversorgung in Rheinland-Pfalz“.

Wenn sich jemand wie ich, die sich sonst nicht mit dem Thema beschäftigt, diese umfassenden Informationen in den verschiedenen Feldern Häufigkeit von Diabeteserkrankungen, medizinische Probleme des Diabetes mellitus, die Qualität der Diabetikerversorgung in RheinlandPfalz und die Maßnahmen zur Versorgung von Menschen mit Diabetes ansieht, muss ich feststellen, dies ist ein sehr umfassender Einblick und auch ein Einblick darin, was in Rheinland-Pfalz alles getan wird, um die Versorgung der Diabetespatienten auf qualitativ hohem Niveau zu gewährleisten.

Es ist festzuhalten, dass die Krankheit mit Sicherheit in der Öffentlichkeit noch oft unterschätzt wird und eine sehr gefährliche und häufig auftretende Krankheit ist. Europaweit sind 8 % der Menschen an Diabetes erkrankt. Gerade aufgrund der Tatsache, dass die Menschen immer älter werden, dürfte der Anteil an Diabetespatienten weiter ansteigen.

Auch bei uns in Rheinland-Pfalz ist leider ein steigender Trend an Diabeteserkrankungen zu verzeichnen. So hat die Universitätsklinik in Mainz im Jahr 2005 50 % mehr Erkrankungen als im Vorjahr festgehalten.

Bei den Informationen, die man sich durchliest, fand ich besonders die Zahl der Amputationen infolge von Diabetes mellitus allein Deutschland mit jährlich 26.000 sehr schlimm. Dies fand ich eine negativ beeindruckende Zahl. Das entspricht auch 50 % aller insgesamt medizinisch notwendig gewordenen Amputationen.

Besorgnis erregend ist auch ein starker Anstieg von Fällen von notwendig gewordenen Dialysen bei Diabetikern. Laut Antwort der Landesregierung, die sich auf eine Stichprobe aus Heidelberg bezieht, gehen bis zu 49 % aller Dialysen auf Diabeteserkrankungen zurück.

Als Frau halte ich es besonders für sinnvoll, bei allen Schwangerenuntersuchungen auf Diabetes das so genannte Screening durchzuführen, da die Gestationsdiabetes häufig nicht erkannt wird und somit nicht behandelt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es besonders bedauerlich, dass ein von der rheinlandpfälzischen Landesregierung auf der Gesundheitsministerkonferenz initiierter Beschluss, die Aufnahme einer Screening-Untersuchung auf Diabetes in die Mutterschaftsvorsorgerichtlinie einzubeziehen, bis heute vom gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht umgesetzt wurde. Der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz sollte nach Auffassung der FDP-Fraktion schnellstmöglich umgesetzt werden.

Aus medizinischer Sicht ist natürlich weiterhin die hohe Zahl an Herzinfarkten und Schlaganfällen bei Diabetikern bedenklich. Diabetes verstärkt alle negativen Faktoren um ein Vielfaches. Bei 50 % aller Todesfälle bei

Diabetikern liegt eine Herzerkrankung vor, mehr als doppelt so oft wie bei Nichtdiabetikern.

Je länger die Krankheit dauert, desto höher wird das Risiko. Allein 62 von 1.000 männlichen Diabetikern erleiden einen Schlaganfall. Bei Frauen ist das Risiko noch höher.