Protokoll der Sitzung vom 18.10.2001

(Kramer, CDU: Das ist doch nicht das Thema!)

Deshalb ist die Debatte, die wir führen, meiner Meinung nach von dieser Seite her von Ihnen nicht fair.

(Glocke des Präsidenten)

Diese mangelnde Fairness müssen Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde heute versuchen, etwas ruhiger zu sprechen, nachdem ich gestern etwas überzogen geredet habe. Ich schicke vorweg, dass ich das Gefühl habe, dass sich die CDU gerade durch die Aussprache über diese Mündliche

Anfrage von ernsthaften inhaltlichen Diskussionen in diesem Landtag ziemlich weit verabschiedet hat.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr richtig!)

Ich schicke ferner voraus – da Sie kritisiert haben, dass in dem Buch die Regierungszeit von Dr. Helmut Kohl weitgehend negativ beurteilt werde –, dass ich die Regierungszeit von Dr. Helmut Kohl auch weitgehend negativ beurteile.

(Unruhe bei der CDU)

Herr Dr. Gölter, ich bin noch nicht lange in diesem Parlament, aber ich habe sie als eine große Autorität kennen gelernt. Ich habe viel Respekt vor Ihnen. Ich bitte Sie, diesen Respekt durch eine solche Anfrage nicht zu verspielen; denn in Ihrer Regierungszeit wurden diese Gutachter berufen, worauf Herr Kollege Mertes bereits hingewiesen hat.

Für mich stellt sich die Frage, was an den Aussagen falsch ist. Ich nehme einmal die „Rheinpfalz“ vom 4. Oktober zur Hand und frage, was an folgendem Satz falsch ist: „Nicht ein Wählervotum, sondern ein Koalitionswechsel der FDP beendete im Oktober 1982 die sozial-liberale Ära und ermöglichte die Gründung einer christlich-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl.“ Was ist daran falsch? Das ist eine objektiv richtige Aussage.

Eine andere Sache ist, dass am Vorabend der Währungsunion der Altkanzler wie folgt zitiert wird: „Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser.“ Auch das hat er gesagt. Da ist es meiner Meinung nach richtig, dass man eine Bewertung vornimmt, da er Jahre später seine Aussage relativiert hat und gesagt hat, dass dies eine sehr optimistische und zu positive Bewertung der Lage gewesen sei.

Ich habe das Gefühl, dass die Diskussion vorgeschoben ist. Es handelt sich um eine innere Diskussion in der CDU über die Bewertung der Person von Helmut Kohl. Diese Diskussion ist in Gang. Seit 1999, seitdem es den Parteispendenskandal gibt, der übrigens in diesem Buch auch nicht erwähnt wurde, ist eine Diskussion über die Bewertung des Lebenswerks von Dr. Helmut Kohl in Gang. Das ist ein Problem des Bruchs von einem Staatsmann, der sehr wohl seine Verdienste hat, zu einer Person, die der parlamentarischen Demokratie in Deutschland auch einen großen Schaden zugefügt hat.

Ich bin der Meinung, dass eine Diskussion über die Person von Helmut Kohl ihn nicht rehabilitieren kann. Es wird eine Schattendebatte geführt. Ich habe selbst große Schwierigkeiten damit und bin sehr skeptisch, ob die Person Helmut Kohl überhaupt voll zu rehabilitieren ist. Ich bin nicht der Meinung.

Wir müssen meiner Meinung nach die Diskussion sachlich führen. Wir müssen ganz klar darauf verweisen, dass die Gutachter von Ihnen berufen worden sind und es eine kritische Betrachtung der Regierungszeit von Helmut Kohl durchaus geben muss. Deshalb muss das

Schulbuch des Cornelsen Verlag auch nicht zurückgenommen werden.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Morsblech das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In einem Punkt enttarnt sich das, was die CDUFraktion inszeniert hat, auch wenn Sie jetzt sagen, dass Sie zumindest die überzogene polemische Presseerklärung zurückgenommen haben, schon; denn es findet meiner Ansicht nach eine Diskussion statt, die die Waage zwischen Fachlichkeit, die – darauf komme ich gleich noch zurück – gerade im Bereich der Schulbuchprüfung oberstes Gebot sein muss, – – – Diese Fachlichkeit wird in einer Art und Weise mit politischer Polemik vermischt, wie das meiner Meinung nach in keiner Weise für diesen Bereich angemessen ist.

Ich möchte deshalb in dieser Debatte auch nicht auf die Inhalte und Aspekte eingehen, die, wie Sie meinen, die Geschichtsdarstellung verzerren, sondern auf der sachlichen Ebene bleiben, was tatsächlich das Verfahren und den Umgang mit solchen Schulbüchern anbetrifft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon ein sensibles Spannungsfeld. Wir haben auf der einen Seite eine Freiheit der Verlage, die es zu schützen gilt, und auf der anderen Seite einen besonderen Bereich, nämlich den der Schulbücher. Hier ist auch die Zeitgeschichte ein besonders sensibles Thema. Man muss besonderen Wert darauf legen, dass so etwas ausgewogen dargestellt wird und Schülerinnen und Schüler tatsächlich Informationen bekommen.

(Lelle, CDU: Genau darum ging es!)

Gerade deshalb haben Sie in Ihrer Regierungszeit als CDU ein durchaus sinnvolles Verfahren eingeführt, nämlich das Verfahren der unabhängigen Begutachtung.

Jetzt gehen Sie hin – das ist ein Punkt, den der Kollege Mertes richtig dargestellt hat – und stellen Ihr eigenes durchaus sinnvolles Verfahren infrage, fordern eine Ministerin auf, von politischer Seite in dieses Verfahren einzugreifen und fangen zudem noch eine politische Diskussion an, die auch in der Art und Weise, wie sie geführt ist, in keiner Weise angemessen sein kann und auch nicht dem entspricht, was wir uns an Qualität in der Diskussion der Fachlichkeit von Schulbüchern wünschen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Sie sagen, das wurde falsch geprüft. Was ist denn in den anderen Bundesländern geschehen? Wie prüfen die ihre Schulbücher? Warum ist gerade in CDU-regierten Bundesländern dieses Schulbuch trotzdem zugelassen? Sie könnten sich auch die Frage stellen: Wenn zwei von drei Gutachtern noch die Gutachter sind, die auch unter Ihrer Regierung und Ihrer Führung des Ministeriums gearbeitet haben, warum sollen gerade diese Gutachter solche Tendenzen zugelassen haben. Ich halte Ihre Argumentationslinie für äußerst fragwürdig und kann auch nicht ganz nachvollziehen, warum Sie sich hier in dieser Form aus dem Fenster lehnen.

Wir möchten diese Frage nicht politisch diskutieren. Wir halten das für eine Frage der Fachlichkeit. Wir möchten gern als FDP-Fraktion an dieser Unabhängigkeit der Begutachtung festhalten; denn wir halten diese Form für angemessen. Wenn Sie die Kritikpunkte anführen, die Gutachter seien beruflich zu sehr eingebunden und hätten zu wenig Zeit, man bräuchte mehr Gutachter, oder die Gutachter seien vielleicht nicht genügend ausgestattet, dann müsste man sich über das Verfahren unterhalten.

Zu einer solchen Diskussion wären wir als FDP-Fraktion durchaus gern bereit. Dann müssen Sie auch dort konkrete Kritikpunkte anführen und diese in der entsprechenden Sachlichkeit vorbringen.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP und der SPD)

Es spricht Frau Ministerin Ahnen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus meiner Sicht geht es im Kern in der Debatte um zwei völlig unterschiedliche Aspekte. Der eine ist die inhaltliche Bewertung bestimmter Passagen in diesem Geschichtsbuch. Der andere ist das Verfahren.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Dr. Gölter, CDU)

Zwischen beiden gibt es Bezugspunkte. Obwohl ich der Meinung bin, dass es an dieser Stelle primär nur um das Verfahren gehen kann, mich also klar von Ihnen unterscheide, Herr Dr. Gölter, will ich gerade in den von Ihnen angesprochenen Punkten auch etwas zu den Inhalten sagen. Sie haben völlig Recht, dieses Geschichtsbuch orientiert sich nicht primär an Personen und an einer personenbezogenen Geschichtsschreibung, sondern an Strukturen. Das ist übrigens ein prägendes Merkmal eines modernen Geschichtsunterrichts, dass die Strukturen und Zusammenhänge und nicht so sehr die Personen im Vordergrund stehen. Das ist heute Ansatzpunkt im Geschichtsunterricht.

Aus Ihrer Sicht ist dieser Anspruch – so haben Sie es formuliert – nur unzureichend gelungen. Dann haben Sie zwei Beispiele gebracht. Aus Ihrer Sicht wird zum Beispiel der Marxismus nicht ausreichend in seinen Kons equenzen behandelt. Ich kann mich nur auf die Beispiele beziehen, die Sie bringen. Zu diesem Beispiel muss ich darauf hinweisen, dass der Marxismus, die Ideengeschichte und ihre Folgen, primär im Sozialkundeunterricht behandelt wird.

Ich komme zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben. Sie haben gesagt, mit keinem Wort würde erwähnt, welche Verdienste die Regierung Kohl um die deutsche Einheit hat. Ich habe das Buch inzwischen in den entscheidenden Passagen auch gelesen. Es gibt zum Beispiel die Passage, in der gesagt wird, dass die außenpolitische Absicherung erstaunlich schnell gelungen ist. Das steht in diesem Buch drin.

Meine Antwort auf Ihre Beispiele soll deutlich machen, dass es natürlich Interpretationsbreiten gibt, wenn man sich mit der Darstellung deutscher Geschichte befasst.

(Dr. Schiffmann, SPD: Zu tausenden Punkten!)

Das ist aus meiner Sicht auch richtig und wichtig. Geschichtslehrerinnen und -lehrer nehmen Lehrbücher deswegen auch als ein Arbeitsmittel.

Die deutsche Vereinigung, die zudem nicht nur in der gymnasialen Oberstufe, sondern zum Beispiel auch in der Sekundarstufe I bereits ausführlich behandelt wird, wird mit Sicherheit von unseren Geschichtslehrerinnen und -lehrern besonders intensiv vorbereitet. Sie wird durch vielfältiges Material ergänzt und in der Schule behandelt. Ich denke, man sollte ein Stück weit auch bei der inhaltlichen Debatte Vertrauen in das pädagogische Engagement unserer Lehrerinnen und Lehrer haben, die sich dieser Aufgabe mit hoher Intensität annehmen. So viel aus meiner Sicht zu den inhaltlichen Punkten.

Das Verfahren ist auch nicht nur ein formales. Das Verfahren ist inhaltlich begründet, weil es bei allem Verständnis für die interessante Debatte über die deutsche Geschichte im Kern nicht darum geht, wie Sie diese beurteilen, und es geht nicht darum, wie ich sie beurteile. Es geht darum, ob im Geschichtsunterricht in einem Schulbuch Positionen vertreten werden, die sich in einer Bandbreite bewegen. Das ist bei diesem Schulbuch der Fall.

Ich meine, es hat einen guten Grund, dass hier unabhängige und in diesem Fall sogar langjährig erfahrene Gutachterinnen und Gutachter tätig werden. Es hat den guten Grund, dass es aus meiner Sicht nicht nur formal, sondern auch inhaltlich begründet ist, dass sich die Regierenden in dieser Frage der Einflussnahme auf die konkrete Darstellung eine gewisse Zurückhaltung auferlegen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Deswegen ist dieses Verfahren gewählt worden. Deswegen ist es auch unter Ihrer Regierungsverantwortung

angewendet worden. Deswegen ist es auch richtig, es heute anzuwenden.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht Herr Dr. Gölter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde die Debatte ganz interessant. Das sehe ich auch an Ihrer Aufmerksamkeit. Ich finde, warum soll man so etwas nicht auch einmal diskutieren.