Protokoll der Sitzung vom 14.12.2001

Es ist kein Recht, ein Atomkraftwerk mit Sicherheitsabschlag weiterlaufen zu lassen. Wir fordern eine klare Stellungnahme – deswegen möchte ich die Ministerin hören – und auch ein entsprechendes Zeichen von Baden-Württemberg und Hessen ein. Ich glaube, die Bevölkerung hat ein Recht, das hier zu hören.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Friederike Ebli das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von allen Vorrednern wurde die Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger angesprochen. Auch ich will das tun.

Herr Kollege Dr. Gölter, ich war etwas erstaunt. Ihren Ausführungen meinte ich zu entnehmen, dass Sie die Situation zwar sehr sachlich dargestellt haben, aber doch etwas beschönigen. Wenn man die Presse liest, gibt es jeden Tag Schlagzeilen, die auf die Ängste der

Bürgerinnen und Bürger aufmerksam machen. Es nutzt nichts, wenn man Ihnen erklärt, dass es einen Störfall gab, dieser aber zum Glück keine großen Auswirkungen hatte.

Wenn man mit den Menschen redet, bekommt man immer wieder gesagt, dass jede Krebserkrankung von dem Kernkraftwerk kommt.

(Dr. Gölter, CDU: Sagen Sie einmal, für was Sie sind!)

Die Menschen haben Angst. Es wurde abgeschaltet, und niemand hat dies gemerkt. Ich frage: Warum musste es wieder angeschaltet werden?

Ich unterstreiche, was der Kollege Hohn gesagt hat, dass die Sicherheit vor Profit geht. Solange Zweifel an der Zuverlässigkeit des Unternehmens und der Verantwortlichen bestehen, darf es nicht wieder an das Netz gehen.

Wir aus Rheinland-Pfalz dürfen nicht zur Hilflosigkeit verdammt sein. Ich bin unserer Ministerin sehr dankbar, dass Sie sich sehr engagiert einbringt und Sicherheit, Information und – wenn dies sein muss – auch ein Abschalten einfordert, weil die Sicherheit der Bevölkerung vorgeht. (Beifall bei SPD und FDP)

Ich erteile noch einmal Herrn Abgeordneten Dr. Gölter das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gar nichts gegen bekundete Betroffenheit. Ich habe kein Defizit, was Sorge, Kontrolle und scharfe öffentliche Kontrolle betrifft.

Meine Damen und Herren, ich fühle mich verpflichtet, es im rheinland-pfälzischen Landtag im Interesse einer sauberen Darstellung zu sagen, wenn ich nach bestem Wissen weiß, dass das, was wir befürchtet haben, nämlich das unkontrollierte Durchmarschieren des Reaktors, nicht hätte passieren können.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir kommen bei bestimmten Themen mit Betroffenheit allein nicht weiter. Wir müssen uns an den Fakten orientieren. Das gehört nun einmal zu der Beschreibung dazu.

Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt, dass die Geschichte auch ihre positiven Seiten hat. Dazu gehört die Präzisierung der Betriebshandbücher, die notwendig ist und die möglicherweise auch an anderer Stelle in Deutschland vorgenommen worden ist.

(Frau Ebli, SPD: Da stimme ich Ihnen zu!)

Ich bin der Überzeugung, dass es richtig ist, die Aufsicht in Baden-Württemberg umzustrukturieren. „Seilschaften“ – in Anführungszeichen – sind in allen Fällen immer problematisch. Wo Menschen sehr lange zusammenarbeiten, kann sich mangelnde Sorgsamkeit einschleichen. Insofern finde ich es richtig, dass das in BadenWürttemberg einem Rotationsprinzip unterzogen wird. Ich finde es auch richtig, dass die Rolle, die Auswahl und der Wechsel der Gutachter beim TÜV in Zukunft praktiziert werden.

Es sind ganz nüchterne Dinge. Betroffenheit ist sehr schön, aber das Kernkraftwerk ist nun einmal vorhanden. Herr Braun – das sage ich jetzt nur einmal für mich als Person –, zwischen Biblis A und Philippsburg mache ich bezüglich des Stands und der Einschätzung des Betriebs und der Betriebssicherheit einen Unterschied. Ich sage es nur für mich: Ich hätte auch nichts dagegen, wenn Biblis A in absehbarer Zeit abgeschaltet werden sollte.

Meine Damen und Herren, jetzt noch eine ganz kurze Bemerkung: Wir brauchen für die Grundlast weiterhin Kernenergie. 60 % der Grundlast werden durch die Kernenergie gestellt.

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entschuldigung, das ist auch die Position von Herrn Trittin. Lesen Sie einmal die Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Abgeordneten aus dem vergangenen Jahr. Das ist hoch interessant. Sie ist vom Bundeswirtschaftsminister und vom Bundesumweltminister gemeinsam veröffentlicht worden. Wenn Sie die einmal lesen, dann gibt es eine äußerst zurückhaltende Bewertung auch der Perspektive der regenerativen Energien.

(Glocke des Präsidenten)

Dass ein Land, das Kernkraftwerke abschalten will, das CO2 verringern will und das mit hohen öffentlichen Subventionen und hohen Kosten für die Verbraucher die regenerativen Energien ins Geschäft bringen will, auf Dauer bezüglich der Normalfamilie eine viel höhere Belastung bezüglich der Energiekosten hat, da hat der Bundeswirtschaftsminister Müller natürlich Recht. Das Thema hat eine ganze Reihe von Facetten. Diese gehören über die Betroffenheit, wenn man ehrlich ist, auch noch dazu. Wer sagt, das ist alles nicht zu verantworten, der muss auch sagen: Es muss sofort abgeschaltet werden. – Insofern müssen alle Fraktionen auch in diesem Hause in ihren Darstellungen ehrlich sein.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich begrüße Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Jahrgangsstufe des Gymnasiums Lauterecken. Seien Sie herzlich begrüßt!

(Beifall im Hause)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Creutzmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten das Thema schon einmal. Herr Kollege Braun, wenn ich immer wieder lese: AKWs in Biblis und Philippsburg abschalten –, dann frage ich mich, wer zuständig ist.

Wir hatten schon einmal das Thema vor ein, zwei Monaten. Die GRÜNEN machen das zum Ritual. Ich habe damals für die FDP-Fraktion erklärt, und das erkläre ich heute wieder: Sicherheit geht vor Profit. – Herr Kollege Braun, ich habe damals gesagt: Es ist auch zu prüfen, ob Strafanzeige zu stellen ist. – Ich habe das auch prüfen lassen und dann erfahren – sonst hätte ich die Strafanzeige gestellt –, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Betrieb von Großanlagen – das gilt für Kernkraftwerke, aber auch für chemische Anlagen – ist nur verantwortbar, wenn Gesetz und Verordnungen eingehalten werden. Meine Damen und Herren, hier ist Zuverlässigkeit verlangt.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Ich frage mich, wer für die Zuverlässigkeit im Endeffekt zuständig ist. Herr Stretz hat es gesagt: Das ist Herr Trittin.

(Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirtschaftsministerium, Herr Creutzmann!)

Frau Conrad – das haben Sie selbst eben eingestanden – kann gar nichts machen. Sie haben gesagt, die Atomaufsicht haben die Länder. Also wären BadenWürttemberg und Hessen zuständig und nicht das Land Rheinland-Pfalz. Aber der Ministerin Frau Conrad Nachlässigkeit oder Versäumnisse vorzuwerfen, ist schlicht schon aus diesem Grund eine Unverschämtheit, weil sie überhaupt nicht die Zuständigkeit hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend halte ich für die FDP-Fraktion fest: Sicherheit geht für Profit.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Für“ oder „Vor“! – Zuruf von der FDP: „Vor“!)

Die Zuverlässigkeit kann nur Herr Trittin – Klammer auf – (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) feststellen. Dann soll er die Kernkraftwerke zumachen. Wir haben überhaupt kein Problem. Aber hier unbewiesene Behauptungen aufzustellen, wieder den guten Menschen zu spielen, wie das immer so üblich ist, das halten wir für den falschen Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich der Umweltministerin Frau Margit Conrad das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Während wir heute diese Debatte zur Sicherheit der beiden Kernkraftwerke Biblis und Philippsburg führen, findet nicht nur ein Termin beim Bundesumweltminister statt, der von außerordentlichem Interesse für die heutige Debatte ist, sondern gleichzeitig wird heute im Deutschen Bundestag das Gesetz über den Atomkonsens, damit also die Novelle des Atomgesetzes insgesamt, verabschiedet, welche eine für diese Debatte ganz besondere Konsequenz hat. Wir werden zum ersten Mal in der Bundesrepublik die unbefristeten Betriebsgenehm igungen für alle Atomreaktoren reduzieren. Sie sind in Zukunft befristete Betriebsgenehmigungen. Für Rheinland-Pfalz bedeutet das, weil wir das einzige in Rheinland-Pfalz jemals im Betrieb befindliche Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich mit in den Atomkonsens eingebracht haben, dass Mülheim-Kärlich abgeschaltet bleibt und der Betreiber RWE einverstanden ist, ohne Klagen gegen das Land den Rückbau von Mülheim-Kärlich zu beantragen, sodass der Atomkonsens, der heute in Berlin verabschiedet wird, ein Riesenerfolg auch für RheinlandPfalz ist.

(Beifall bei SPD und FDP)

Noch etwas hat in diesem Atomkonsens Konsequenz für die heutige Debatte, weil auch Bestandteil der Novelle des Atomgesetzes ist, dass es in Zukunft periodisch wiederkehrende Sicherheitsüberprüfungen und Genehmigungen der Atomreaktoren und der Kernkraftwerke gibt. Das war zwar teilweise schon Praxis gewesen, es war aber nie gesetzlich verlangt. Insofern ist dies eine Fortentwicklung der Sicherheitsanforderungen für die noch in Betrieb befindlichen Atomreaktoren.

Ein weiterer Aspekt des Atomkonsenses ist für die heutige Debatte wichtig. Zum ersten Mal ist ein Rahmen festgelegt worden, der Instrumente bietet, Atomreaktoren, von denen man der Meinung ist, dass sie nicht dauerhaft auch aus Sicherheitsgründen am Netz bleiben dürfen, vorzeitig vom Netz zu nehmen, auch wenn man keine atomrechtlichen Möglichkeiten hat, wenigstens in Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen. Das ist ein wesentlicher Beitrag, um auch in Zukunft verhandlungs- und gestaltungsfähig zu sein, auch im Sinne der Sicherheit von Atomreaktoren.

(Beifall bei der SPD)

Auch dies hat etwas mit unserer heutigen Debatte zu tun. Ich begrüße es ausdrücklich, dass eine Überprüfung der Reaktoren stattfindet, insgesamt auch vor dem Hintergrund der geänderten Sicherheitslage, weil das zusätzlich die Bevölkerung verunsichert hat: Wie sicher sind eigentlich unsere Reaktoren? – Sollten nach dieser umfassenden Überprüfung Erkenntnisse vorliegen, die zum Handeln zwingen, dann sind jetzt die Instrumente vorhanden.

Ich komme jetzt zu den beiden Atomreaktoren in der Nachbarschaft. Herr Braun, natürlich haben Sie hier den Eindruck erweckt, als hätten wir die Atomaufsicht für Biblis. Ich zitiere einmal Ihren Antrag auf dem Landesparteitag der GRÜNEN. Dort fordern Sie die Atomaufsichtsbehörden in Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg auf, auf der Abschaltung dieser Anlagen zu bestehen und dies gemeinsam mit der Bundesregierung durchzusetzen. Ich bin gern bereit – nicht nur bereit, sondern weiß auch um diese Verantwortung –, zu sagen, dass wir nicht die Atomaufsicht für Biblis und Philippsburg haben, sondern für ein eigenes Kraftwerk. Auch Mülheim-Kärlich ist noch nicht aus der Atomaufsicht entlassen worden. Sie könnten mir Vorwürfe machen, dass wir nicht gehandelt hätten, wenn wir nicht Schlüsse aus den Vorkommnissen von Philippsburg für unser eignes Kraftwerk gezogen hätten.

Herr Braun, ich habe es Ihnen noch nicht gesagt, aber ich sage es Ihnen jetzt: Ich habe, als festgestellt worden ist, dass es in Philippsburg nicht nur einmalige Vorkommnisse gab, dass es wiederkehrende Vorkommnisse waren, dass sie insbesondere bei den Druckwasserreaktoren in mehreren Atomkraftwerken des Betreibers EnBW vorgekommen sind, veranlasst, dass man rückwärts betrachtet überprüft, ob bei einem ähnlichen Ereignis in Mülheim-Kärlich beim Anfahren des Reaktors nach einem Brennelementewechsel zum Beispiel solche Vorkommnisse geschehen sind. Ich kann Ihnen sagen, das hat für uns unheimlich viel Arbeit bedeutet.