Protokoll der Sitzung vom 22.05.2001

....................................................................................................................................39 Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.................................................................................. 98, 120 Abg. Dr. Schmitz, FDP:........................................................................................................................104 Abg. Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.........................................................................................116 Abg. Frau Spurzem, SPD:....................................................................................................................115 Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.....................................................................................60 Abg. Itzek, SPD:....................................................................................................................................96 Abg. Jullien, CDU:..................................................................................................................................93 Abg. Kuhn, FDP:.....................................................................................................................71, 119, 120 Abg. Lelle, CDU:..................................................................................................................................112 Abg. Mertes, SPD:.................................................................................................................................50 Abg. Schnabel, CDU:...........................................................................................................................123 Bauckhage, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau:..............................................107 Beck, Ministerpräsident:.........................................................................................................................83 Frau Ahnen, Ministerin für Bildung, Frauen und Jugend:.........................................................................121 Präsident Grimm:........................................................................................................................39, 49, 60 Prof. Dr. Zöllner, Minister für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur:...................................111 Vizepräsident Creutzmann:....................................................................................................83, 93, 96, 98 Vizepräsidentin Frau Grützmacher:..................... 104, 106, 111, 112, 115, 116, 119, 120, 121, 123, 127, 129 Vizepräsidentin Frau Hammer:................................................................................................................71 Zuber, Minister des Innern und für Sport:...............................................................................................127

3. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 22. Mai 2001

Die Sitzung wird um 9:30 Uhr vom Präsidenten des Landtags eröffnet.

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 3. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz.

Zu schriftführenden Abgeordneten berufe ich Herrn Alexander Fuhr und Herrn Matthias Lammert. Herr Fuhr führt die Rednerliste.

Entschuldigt sind für heute der Abgeordnete Johannes Berg und Staatsministerin Frau Klaudia Martini.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, hatten wir in der letzten Wahlperiode in Ergänzung der ausgedruckten Geschäftsordnung einige Regelungen beschlossen, die bis zur endgültigen Verabschiedung einer Geschäftsordnung den Charakter der Vorläufigkeit hatten. Dazu ist es in der letzten Legislaturperiode nicht mehr gekommen.

Der Ältestenrat hat sich in seiner jüngsten Sitzung damit befasst und schlägt Ihnen vor, dass die Regelungen, die die Kurzintervention, die Modifizierung der Fragestunde sowie die Kontingentierung der Mündlichen Anfragen und der Aktuellen Stunden betreffen, vorläufig weiter gelten sollen. Wir nehmen uns allerdings vor, so schnell wie möglich zu einer endgültigen Regelung zu kommen.

Der Ältestenrat hat beschlossen, in der nächsten Sitzung eine Arbeitsgruppe, der Vertreter aller Fraktionen angehören sollen, einzurichten. Sind Sie damit einverstanden, dass bis zu diesem Zeitpunkt diese Regelungen fortgelten? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung auf:

Aussprache über die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten

Die Redezeit pro Fraktion beträgt zwei Stunden. Für den jeweils ersten Redner einer Fraktion gilt eine unbegrenzte Redezeit.

Bevor ich dem ersten Redner das Wort erteile, freue ich mich, bereits Gäste im Landtag begrüßen zu können, und zwar Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrer der Anne-Frank-Realschule in Mainz. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile nun dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Herrn Abgeordneten Christoph Böhr, das Wort.

Vielen Dank! Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahlschlacht ist geschlagen. Es ist wie nach jeder Wahl: Es gibt Gewinner, und es gibt Verlierer. – Wir Christlichen Demokraten haben die Wahl verloren. Wir haben eine Niederlage erlitten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine bittere Niederlage erlitten. Jeder wird verstehen, dass eine solche Niederlage nicht einfach an einem abtropft.

Die Sozialdemokraten haben einen Sieg errungen. Sie haben – ich sage das neidlos – einen glänzenden Sieg errungen. Wenn ich das so sage, muss man das vielleicht noch ein klein wenig anders und genauer formulieren. Ich glaube, man trifft den Nagel auf den Kopf, wenn man sagt, der Ministerpräsident hat einen Sieg errungen. Ohne Kurt Beck wäre dieser Sieg nicht möglich gewesen.

Herr Ministerpräsident, deswegen möchte ich von dieser Stelle aus gern noch einmal das tun, was ich bereits am Wahlabend getan habe, nämlich Ihnen persönlich zu diesem Traumergebnis zu gratulieren. Ohne Kurt Beck wäre dieses Ergebnis so nicht zustande gekommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Gratulation verbinde ich eine zweite Bemerkung. Wahlkampfzeiten sind Zeiten der Zuspitzung. Im Eifer des Gefechts unterläuft einem gelegentlich eine Formulierung, die einem, wenn man sie sich nachher in Ruhe noch einmal vor Augen führt, selbst nicht besonders gefällt.

Deswegen möchte ich auch von dieser Stelle aus sagen: Ich habe im Wahlkampf auch bei manchem harten Wort – das gehört zum Wahlkampf dazu – niemanden verletzen wollen. Wenn dies doch geschehen ist, wenn jemand verletzt oder beleidigt wurde oder dies so empfunden hat, so möchte ich von dieser Stelle aus ausdrücklich dafür um Verzeihung bitten. Ich kann nicht garantieren, dass es für alle Zukunft ausgeschlossen bleibt, dass es mir noch einmal unterläuft. Ich glaube jedoch, wichtig ist, dass man im Nachhinein sozusagen auch das Korrektiv in sich trägt und weiß, was geht und was nicht geht.

(Beifall der CDU, der SPD und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun geht der Blick nach vorn. Die neue Legislaturperiode hat begonnen. Die Rollen sind zugeteilt. Der demokratische Alltag beginnt. Für die einen ist es der Alltag des Regierens, wie in den letzten zehn Jahren, für die anderen ist es der Alltag der Opposition. Ich mache keinen Hehl daraus: Regieren ist schöner. Wir hätten es uns von Herzen gewünscht, diesen Auftrag vom Wähler zu bekommen. Wir sind weit davon entfernt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist es in den nächsten fünf Jahren unsere Aufgabe, Oppositionsarbeit in diesem rheinland-pfälzischen Landtag zu leisten. Opposition bedeutet, die Arbeit der Regierung kritisch zu begleiten. Im Übrigen wird es der Regierung dadurch versüßt, dass sie sozusagen die schönere Seite

des parlamentarischen Geschäfts erleben und erfahren darf.

Wenn ich diesen Maßstab der Opposition als eine kritische Begleitung der Regierung an die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten von gestern anlege, so stelle ich fest: Diese Regierungserklärung war nun wirklich kein Signal des Aufbruchs, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall der CDU)

Ich habe nicht nur genau zugehört, sondern ich habe mir den Text der Regierungserklärung anschließend noch zweimal genau durchgelesen. In dieser gesamten Regierungserklärung, in diesem umfangreichen Dokument dieses Programms der Koalitionsparteien für die nächsten fünf Jahre, findet sich keine einzige Neuerung, die wirklich aufhorchen lässt. Es ist eine Ansammlung von vorsichtigen Vorhaben und Vorschlägen, eine Aufzählung von Vorschlägen und Vorhaben. Viele davon sind zustimmungsfähig, viele davon bieten, wenn überhaupt, nur ganz am Rand Anlass zum Streit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber der Preis, der gezahlt wird, um diese Zustimmung zu erkaufen, ist hoch. Es ist in einer ganzen Reihe wichtiger politischer Fragen die Unverbindlichkeit, die die Voraussetzung für die Zustimmungsfähigkeit dieser Regierungserklärung ist.

(Beifall der CDU)

Damit bin ich bei einem Punkt angelangt, der mich im Übrigen nicht nur heute beschäftigt, sondern der uns – die beiden Oppositionsparteien, wie ich vermute – in den vergangenen Jahrn schon häufiger beschäftigt hat, die Tatsache nämlich, dass diese Unverbindlichkeit – oft ist es die Unverbindlichkeit pur – auf den ersten Blick vielleicht eine Lösung von Problemen darstellt, aber auf den zweiten Blick eine Lösung von Problemen nur zum Schein ist.

Ich denke, dass wir schon im Vorfeld dieser Auseinandersetzung heute über die Regierungserklärung des gestrigen Tages einen Vorgeschmack auf das bekommen haben, was gelegentlich am Ende das Problem dieser Unverbindlichkeit wird: Dieses Scharmützel, das, ausgehend von einer Kommentierung der Gewerkschaften im Blick auf diese Regierungserklärung, ausgetragen wurde, wird kein ausufernder Streit werden.

Aber wenn eine wichtige gesellschaftliche Gruppe aus dieser Regierungserklärung am Ende doch eine Kleinigkeit herausliest, die ihr nicht gefällt, und die beiden Koalitionspartner sich daraufhin so einlassen, wie sie sich eingelassen haben, wenn der Ministerpräsident sagt: „Leute, nun seid einmal ganz ruhig, nichts wird eins zu eins so umgesetzt, wie es in der Regierungserklärung und im Koalitionsvertrag steht“, aber der Vorsitzende der FDP sagt: „Diese Regierungserklärung wird auf Punkt und Komma umgesetzt“, dann zeigt sich, dass Unverbindlichkeit pur am Ende nur eine Lösung zum Schein ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall der CDU)

Ich denke, das ist das Problem dieser Landesregierung auch in den nächsten fünf Jahren. Dieses Problem ist nicht neu. Unverbindlichkeit und Profilverzicht wird im Übrigen ein zunehmend schwierigeres Problem für den kleineren Koalitionspartner in dieser Koalition, der am 25. März einen gewissen Preis dafür bezahlt hat, wie er sich in den letzten fünf bis zehn Jahren verhalten hat. Auf Dauer wird daraus ein Problem erwachsen; denn wenn Unverbindlichkeit pur zum Maßstab der Politik wird, dann muss diese Politik am Ende richtungslos bleiben. Das ist jedenfalls nicht unser Verständnis von Politik.

(Beifall der CDU)

Wie zum Tage hat gestern einer der bedeutendsten Publizisten, die wir in diesem Lande haben, Konrad Adam, in einer großen überregionalen Tageszeitung zu genau diesem Thema einen, wie ich finde, sehr bemerkenswerten und sehr lesenswerten Kommentar geschrieben.

Ich erlaube mir, Ihnen ein paar wenige Sätze aus diesem Kommentar, der mehr ein feuilletonistischer Beitrag ist, vorzulesen. Konrad Adam schreibt: „Wo alle ungefähr dasselbe wollen, wird es für die Wähler immer schwerer, eine verantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, wer regieren soll. Nachdem sich der von der Verfassung gewollte Gegensatz zwischen Regierung und Parlament weitgehend abgeschliffen hat, scheint sich nun auch der Antagonismus zwischen Regierungsund Oppositionspartei zu verlieren. Was übrig bleibt, ist schierer Pragmatisums. Wenn dann noch, wie in Deutschland üblich, die großen Streitfragen nicht kontrovers, sondern einvernehmlich erledigt werden durch allerlei Konsensrunden und runde Tische,“ – bei uns sind es mehr ovale als runde Tische –„dann muss die Verwirrung wachsen.“

Genau hier liegt das Problem. Wenn Politik keine Klarheit schafft – diese Politik des puren und blanken Pragmatisums, der puren Unverbindlichkeit, schafft keine Klarheit –, dann stiftet sie am Ende nur Verwirrung. Sie zeigt jedenfalls keine Richtung. Das kann es am Ende doch nicht gewesen sein. Der Auftrag und die Aufgabe von Politik sind anders.

(Beifall der CDU)

Ich komme jetzt zur Regierungserklärung des gestrigen Tages. Der Herr Ministerpräsident hat am Beginn seiner Regierungserklärung gesagt – es liegt auf der Hand, dies zu sagen –, dieser Beginn des dritten Jahrtausends, den wir jetzt erleben, sei in vielerlei Hinsicht und damit auch für die Politik eine tiefe und einschneidende Zäsur.

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Ja, dieser Beginn des dritten Jahrtausends ist tatsächlich eine tiefe und eine einschneidende Zäsur. Wenn es aber eine tiefe und einschneidende Zäsur ist, die wir im Moment erleben, dann reicht es nicht, das Unentschiedene, das Unverbindliche, das Unscharfe in den Mittelpunkt der eigenen Politik zu rücken. Meine sehr verehrten Damen

und Herren, Politik braucht Konturen. Davon lassen wir uns als Opposition nicht abbringen.

(Beifall der CDU)

Dann reicht es eben nicht, eine Art Versandhauskatalog vorzutragen. Jeder kann sich bestellen, was er möchte. Wenn das, was er bestellt, gerade vorrätig ist – das hängt ein bisschen von der Kassenlage des Landes ab, ob es gerade vorrätig ist –, wird ihm die Erfüllung seiner Wünsche frei Haus geliefert, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist vielleicht gefällig. Es ist vielleicht sogar für den ersten Teil der Wegstrecke populär. Es bringt jedenfalls wenig Kritik ein. Das haben wir in den letzten fünf Jahren erlebt. Es ist vielleicht gefällig. Nur bedeutet der Gestaltungsauftrag von Politik mehr. Er bedeutet nämlich, das Notwendige zu tun und zwischen dem zu unterscheiden, was besonders wichtig ist, und dem, was nicht so ganz besonders wichtig ist. Genau diese Unterscheidung habe ich in der Regierungserklärung vermisst. (Beifall bei der CDU)

Deshalb frage ich mich, was diese Landesregierung eigentlich für notwendig hält, auch um den Preis, dass dann gegebenenfalls anderes zurückstehen muss. Das ist die entscheidende Frage.

Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, das Wahlergebnis vom 25. März 2001, insbesondere das Wahlergebnis für die SPD, beinhaltet nicht nur die übliche Verantwortung, eine Regierung zu bilden, sondern dieses Wahlergebnis, so hoch, wie es ausgefallen ist, beinhaltet eine besondere Verantwortung. Diese besondere Verantwortung stellt sich nach meiner Sicht der Dinge im Hinblick auf eine ganze Reihe von Fragen, auf die die Regierungserklärung überhaupt keine Auskunft gibt. Zu nennen ist beispielsweise die Frage, die nicht nur mich außerordentlich interessiert, sondern die in manchen Kommentaren in den Zeitungen heute auch eine Rolle spielt: Wohin geht denn die Reise in Rheinland-Pfalz? Wie soll sich denn unser Land in den nächsten Jahren entwickeln? Was ist uns denn besonders wichtig im Blick auf die zweifellos unzähligen Aufgaben, die sich der Landespolitik stellen? Was ist uns denn innerhalb dieser unzähligen Aufgaben ganz besonders wichtig? Wie wollen wir denn Zukunft gestalten?

Ich finde, diese Fragen lassen sich mit purer Unverbindlichkeit nicht beantworten. Wenn man diese Fragen beantworten möchte – ich möchte versuchen, heute Morgen einen kleinen Beitrag dazu zu leisten –, dann muss eine Voraussetzung erfüllt sein, die ich mit Bedacht und mit gutem Grund nenne. Meine Damen und Herren, ich nenne die Bereitschaft, Probleme auch in der Politik unseres Landes nicht nur zu leugnen, wenn sie beim Namen genannt werden. Ich weiss, dass jede Regierung ihre Schwierigkeiten damit hat. Wenn irgendjemand Probleme beim Namen nennt, ist jede Regierung ganz nah an der Verführung, abzuwiegeln und so zu tun, als ob es diese Probleme nicht gibt.

Wenn ich nun diese Regierungserklärung von gestern lese, dann geht sie noch über diese Attitüde von Regie

rungen schlechthin hinaus. Wenn ich die Regierungserklärung von gestern lese, dann gewinne ich den Eindruck, Rheinland-Pfalz ist das Musterländle in Deutschland schlechthin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Verlaub, das halte ich für ein ganz klein wenig übertrieben.

(Beifall der CDU)

Das Musterländle in Deutschland schlechthin sind wir noch nicht, im Gegenteil, ein paar „kleine“ Probleme gibt es auch noch in Rheinland-Pfalz. Wer davon redet, ist übrigens deshalb nicht böswillig. Er begeht übrigens auch keine Majestätsbeleidigung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn er auf Probleme aufmerksam macht, ist er auch kein Störenfried, der sozusagen die Eintracht der Klassengemeinschaft aufs Spiel setzt.