Protokoll der Sitzung vom 05.12.2002

Hat die Landesregierung wirklich neue Themenfelder entdeckt? Antwort: Nein. – Viel schlimmer ist, dass in dieser Regierungserklärung Punkte als neue Erfindungen der Landesregierung gepriesen werden, die vor Jahr und Tag von der CDU-Fraktion in den Landtag eingebracht worden sind.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Mertes, SPD: Dann muss es doch richtig sein!)

Ich habe eine Aufstellung über die vergangenen zwei Jahre gemacht. Auf zwei Seiten sind alle großen Initiativen der vergangenen zwei Jahre dokumentiert worden. Symptomatisch kann ich Ihnen ein Beispiel nennen. Jetzt kümmern Sie sich plötzlich um die Demenzkranken. Ich rufe in Erinnerung, dass die CDU nach der Stellung einer Großen Anfrage am 2. November 1999 am 17. Januar 2000 einen ersten Antrag für eine Verbesserung der Situation der Demenzkranken eingebracht hat. Leider ist seitdem noch nichts passiert. Übrigens haben alle anderen Fraktionen diesen Antrag mitgetragen.

Im vergangenen Jahr haben wir einen Berichtsantrag im Hinblick auf die Hilfen für Demenzkranke gestellt. Dieser ist im Plenum abgelehnt worden. Auch das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Heute wird genau das als große Neuigkeit verkündet.

Das Gleiche könnte ich jetzt über die Ausbildungszahlen in der Altenpflege sagen. Bereits im Jahr 1996 hat die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf genau zu dieser Thematik in den Landtag eingebracht. Er ist damals – wie es üblich ist – abgelehnt worden. Leider ist bis zum heutigen Tag auch in dieser Hinsicht nichts geschehen. Dass die Zahlen rückläufig sind und vor allen Dingen nicht so gestiegen sind, wie es hätte sein müssen, ist seit langem bekannt.

Es ist nichts getan worden. In der heutigen Regierungserklärung heißt dieses Nichtstun „Beobachten“. Beobachten hilft aber leider nicht, um die Probleme zu bewältigen. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, bewerten Sie diese Dinge selbst.

Sehr geehrte Frau Ministerin Dreyer, diese Regierungserklärung war wirklich überflüssig. Sie wollen mit dieser Maßnahme auf den letzten Waggon eines längst abgefahrenen Zugs aufspringen, damit Sie mitkommen. Wir, die CDU, sitzen aber vorne in der Lok dieses Zugs und haben dieses Thema seit dem Jahr 1996 kontinuierlich befördert.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Frau Ministerin, wir sagen heute klipp und klar zu, dass wir Sie als CDU-Fraktion bei allen möglichen Ideen und Änderungsvorschlägen unterstützen und konstruktiv begleiten werden, sofern sie endlich kommen m ögen.

(Mertes, SPD: Wie in dieser Rede belegt worden ist!)

Dieses Thema ist uns sehr ernst. Das können wir seit dem Jahr 1996 dokumentieren. Dieses Thema ist uns viel zu wichtig, als dass wir es als einen rein parteipolitischen Streit hervorheben würden.

(Beifall bei der CDU)

Allerdings lassen wir auch nicht nach außen den Eindruck zu, dass Sie alles besetzen können.

(Mertes, SPD: Das nennt man unter Seglern eine Q-Wende!)

Das Kernproblem haben Sie in Ihrer Offensive ganz klar umschifft, Frau Ministerin.

(Mertes, SPD: Q-Wende!)

Sie sprechen zwar ständig von Verbesserungen, und in jedem zweiten Satz kommt das Wort „Qualität“ vor, aber ich habe den Eindruck, dass man immer dann über Qualität spricht, wenn man heiße Eisen nicht angehen möchte. Das heiße Problem lautet nämlich ganz einfach: Wie finanzieren wir diese Pflege, die notwendig ist?

Wir brauchen keine großen Papiere mehr. Wir brauchen auch keine großen Dokumentationen mehr. Wir brauchen vor allen Dingen Zeit für die Pflege. Wir brauchen Pflege ohne Stoppuhr, und die ist teuer. Wir müssen uns überlegen, wie wir sie finanzieren.

(Mertes, SPD: Wir hören!)

Wir müssen uns überlegen, wie die Gesellschaft dies in Zukunft finanzieren möchte. Dabei müssen wir im Auge behalten, wie wir als Gesellschaft das gesellschaftliche Zusammenleben in Zukunft gestalten wollen.

(Mertes, SPD: Weiße Salbe!)

Für mich steht fest, dass man an dem Umgang mit älteren und pflegebedürftigen Menschen in einer Gesellschaft ablesen kann, welche sittlichen und moralischen Wertvorstellungen in dieser Gesellschaft vorhanden sind.

(Zuruf von der SPD: Ist das der Vorschlag?)

Wir möchten als CDU-Fraktion unseren Beitrag dazu leisten, wie wir es bereits durch viele Anträge seit dem Jahr 1996 getan haben. Das sollten Sie einfach einmal nachlesen, Herr Mertes. Das gilt insbesondere für den Umgang mit pflegebedürftigen und älteren Menschen.

Wir werden uns an dem Versprechen, das ich heute gegeben habe, messen lassen. Bringen Sie aber erst einmal eigene Vorschläge. Wir haben seit dem Jahr 1996 eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dröscher.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Qualitätsoffensive „Menschen pflegen“ hat die Landesregierung ein Vorhaben auf den Weg gebracht, das die SPD-Fraktion begrüßt und unterstützt.

(Beifall der SPD und der FDP)

Frau Staatsministerin Dreyer hat in ihrer Regierungserklärung sowohl die Ausgangssituation als auch die einzelnen Elemente der Qualitätsoffensive überzeugend dargestellt. Es besteht Handlungsbedarf. Die Qualitätsoffensive „Menschen pflegen“ ist die richtige Antwort auf diesen Handlungsbedarf. Es ist nicht die Lok, auf der Herr Abgeordneter Rosenbauer sitzt und die unter Dampf auf dem Abstellgleis steht.

(Beifall der SPD)

Nach der Polemik des Beitrags von eben greife ich für die SPD-Fraktion noch einige inhaltliche Aspekte aus dem Handlungsfeld auf, die ich für besonders wichtig halte. Das ist zum Ersten die Arbeitssituation in der Pflege, wie sie uns aus der Wahrnehmung der Pflegenden in intensiven Gesprächen vor Ort vermittelt wurde, zum Zweiten die Situation in Bezug auf die Fachkräfte in der Pflege und zum Dritten die besondere Problematik der Versorgung demenziell erkrankter alter Menschen. Das ist ein Preis, den wir für das lange Leben zahlen.

Zum ersten Punkt: Die Pflegenden fühlen sich in einem Spannungsfeld zwischen Bürokratie und Qualität, zwischen dem Sekundärbereich, nämlich dem, was Organisation, Dokumentation, Qualitätssicherung, Statistik, Meldeverfahren, Fortbildung, Dienstübergaben usw. von

ihnen fordern, und zwar zu Recht, und dem primären Bereich, der den direkten Dienst am Menschen beschreibt.

Wir müssen sicher zusehen, dass wir dieses Spannungsfeld in der Zukunft etwas entkrampfen, dass wir bei den gesetzlichen Regelungen und Verordnungen zu Hygiene, Arbeitsplatz, Verbraucherschutz und Datenschutz darauf achten, dass das eine oder andere an Überflüssigem abgebaut oder vereinfacht wird, die Fortbildung der Mitarbeiter zu einer besseren Handhabung führt, die Organisationsberatung in den Betrieben entsprechend wirkt und der Abbau von Unnötigem geschieht.

Ich nenne ein Beispiel: Ich habe heute Morgen einen Briefentwurf an Heimbewohner im Hinblick auf eine Erhöhung des Heimentgelts gesehen. In ihm waren auf vier Seiten so viele Paragraphen aufgeführt, dass ich als jemand, der sich ein bisschen auskennt, im persönlichen Fall wahrscheinlich einen Anwalt zu Rate gezogen hätte.

Es gibt eine zweite Rückmeldung bei den Mitarbeitern, nämlich die besondere Situation der Mitarbeiter der ambulanten Dienste, die nicht abrechenbare Leistungen aus dem Bereich Organisation des Alltags der zu Pflegenden organisieren. Auch da müssen wir darüber nachdenken, wie wir da eine Entlastung bringen.

Sie haben sicherlich das Geld vermisst, aber die Kostenschere ist eigentlich nicht das, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuvorderst drückt, sondern ihnen geht es darum, dass wir ihnen in diesem Spannungsfeld zur Seite stehen. Das wirkt sich auch auf die Situation der Fachkräfte aus. Wir haben auf der einen Seite in einigen Bereichen einen Fachkräftemangel, in anderen Bereichen wird es einen zusätzlichen Bedarf durch die demographische Entwicklung geben, und auf der anderen Seite haben wir zum Teil bei den Einrichtungen einen Ausstieg aus Vergütungssystemen bis hin zu Entlassungen zu verzeichnen.

Meiner Meinung nach müssen wir auch da ansetzen und dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen der Finanzierung, der Arbeitssituation, der Einkommenssituation, der Wertschätzung, der gesellschaftlichen Anerkennung – Frau Ministerin Dreyer hat das schon erwähnt – im Mittelpunkt unserer Gedanken stehen. Gleichzeitig müssen wir auf die Ausbildungssituation sehen, um sowohl die Verweildauer zu verlängern, die vielleicht die größte Quelle für zusätzliche Kräfte ist, als auch die Sicherung des Nachwuchses zu erreichen. Das Altenpflegegesetz mit der Option der gemeinsamen Pflegeausbildung und die Hinweise, die Frau Ministerin Dreyer zur praktischen Ausbildungssituation gegeben hat, sind da sicherlich ganz sinnvoll. Wir müssen Mut zu Modellen haben. Wir müssen Mitarbeiterpflege und Imagepflege betreiben.

Der dritte Punkt, die Versorgung demenziell erkrankter alter Menschen, ist zunehmend eine große Herausforderung. Das hat weder die CDU erfunden noch befinden wir uns da auf einem fahrenden Zug, auf den wir aufspringen, sondern es handelt sich um eine der großen

Herausforderungen, die in Zukunft noch stärker auf uns zukommen wird.

(Beifall der SPD und der FDP)

Die Entwicklung der Pflegeversicherung mit dem Pflegeleistungsergänzungsgesetz gibt einen ersten Ansatz, was man machen kann. Das ist bisher aber ein Tropfen auf den heißen Stein. Kreative Lösungen und neue Ideen sind gefragt. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe fordert in diesem Zusammenhang die Einrichtung von Demenzserviceentwicklungszentren. Ich will es einfacher sagen: Wir brauchen Leistungsdifferenzierung in der Pflege einschließlich der Möglichkeit besonderer Leistungen und Qualitätsvereinbarungen. Wir brauchen ein erweitertes Verständnis des Handelns unter dem Leitbild Normalisierung. Wir brauchen die Einbeziehung lebensweltnaher Personen – Angehöriger und Laien –, und wir brauchen – das hat Frau Staatsministerin Dreyer auch schon gesagt – die Überwindung des Widerspruchs zwischen Gesundheitssystem und Pflege und vor allem auch zwischen ambulant und stationär.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben derzeit in Rheinland-Pfalz fast 100.000 SGB-XI-Leistungsempfänger, davon 30.000 stationär. Für RheinlandPfalz wird es in Kürze wohl – so habe ich das gehört – neue Zahlen geben, die eine Modellrechnung ermöglichen bis in die 50er-Jahre dieses Jahrhunderts. Für die nächsten zehn Jahre stehen die Zahlen weitgehend fest. Es wird etwa eine Erhöhung des Pflegebedarfs um 21 bis 22 % geben. Wir werden zusätzlich mit etwa 11.000 demenziell Erkrankten und mit etwa 16.000 Leistungsempfängern nach SGB XI, wovon tendenziell zwei Drittel ambulant und ein Drittel stationär sein werden, in Rheinland-Pfalz rechnen müssen.

Die Männer werden in der Pflegebedürftigkeit aufholen. Der stationäre Bereich durch die Langlebigkeit wird ebenfalls aufholen. Wir können das aber durch Prävention, Rehabilitation, den Ausbau von Selbstständigkeit fördernden Angeboten, zum Beispiel durch die Tagespflege, die Verstärkung des ambulanten Bereichs, neue Wohnformen usw. beeinflussen. Das ist all das, was auch die Qualitätsoffensive „Menschen pflegen“ vorsieht.

Wir können diese Entwicklung also beeinflussen. Die Qualitätsoffensive „Menschen pflegen“ der Landesregierung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die SPD-Fraktion wird die Schwerpunkte dieser Offensive in den nächsten Monaten unterstützen und aktiv begleiten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und der FDP)