Protokoll der Sitzung vom 05.12.2002

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte zwei Besuchergruppen im Landtag begrüßen, und zwar Mitglieder und Senioren des Arbeitskreises Bergbau, Chemie, Energie aus Offstein

(Beifall im Hause)

und Mitglieder der Diwa – das ist die Dienstagswandergruppe – aus Nieder-Olm. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Ohne jeden Hintersinn wiederhole ich gern noch einmal das, was ich von dieser Stelle aus auch schon einmal gesagt habe: Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass Frau Ministerin Dreyer die gewaltige Aufgabe der Pflege ganz oben auf ihre Agenda gestellt hat. Daher spricht auch überhaupt nichts dagegen, dass diesem Anliegen das Gewicht einer Regierungserklärung mitgegeben wird. Ohne jeden Hintersinn kann ich das auch als Oppositionspolitiker sagen.

Ich möchte allerdings ergänzend hinzufügen: Im Interesse der Diskussion hätte ich mir gewünscht, dass wir die Anhörung, die wir im Sozialpolitischen Ausschuss zu der Thematik durchgeführt haben, zunächst einmal ausgewertet hätten, (Beifall bei der CDU)

um vielleicht die neuen Ergebnisse, die wir daraus gewinnen können, in unsere Arbeit und in unsere Diskussion einfließen zu lassen. So wirkt das etwas aus der Hüfte geschossen, wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben.

Zum Zweiten möchte ich festhalten: Eine Qualitätsoffensive ist zweifelsohne notwendig. Sie muss aber hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in Bezug auf die insgesamt zu lösenden Probleme richtig eingeordnet werden. Ich kann nur alle Beteiligten bitten, eine Qualitätsoffensive hinsichtlich ihrer Möglichkeiten weder überzubewerten noch unterzubewerten.

Durch den Bericht des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen hat sich gezeigt, dass sie notwendig ist. Durch ihn sind in vielen Einrichtungen der stationären Pflege zum Teil erhebliche Mängel festgestellt worden. Dabei kam heraus, dass Menschen vernachlässigt wurden, indem sie zum Beispiel nicht genügend zu trinken bekamen. Wir haben – das wurde von Frau Ministerin Dreyer eingeräumt – natürlich Mängel in der Pflege, und wir müssen diese Mängel nach Möglichkeit beseitigen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir es, wenn wir über Pflege reden, nicht nur mit alten, sondern auch behinderten Menschen oder Menschen zu tun haben, die aufgrund eines Unfalls, einer Krankheit oder anderer Ereignisse in ihrer Lebensführung eingeschränkt und auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Wir haben es mit einer sehr großen Gruppe zu tun. Wir haben es potenziell mit einer riesengroßen Gruppe zu tun, die sich in Zukunft auch aufgrund der demographischen Entwicklung noch vergrößern wird.

Man kann das Thema „Pflege“ aus verschiedenen Sichtweisen abhandeln. Ich will mit der Perspektive der

Betroffenen, der zu pflegenden Menschen, beginnen. Hier kommt es natürlich darauf an, dass wir neben der eigentlichen Pflegeleistung, die ihnen zuteil wird, gleichgewichtig darauf achten, dass auch Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, ein würdiges und möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Wir sind verpflichtet, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit der Pflege allein ist es nicht getan.

Wir müssen dabei immer bedenken, dass Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, den Pflegenden bzw. ihrem Umfeld – ich formuliere das wertneutral – in gewisser Weise ausgeliefert sind. Deshalb haben wir hier eine besondere Verantwortung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Novellierung des Heimgesetzes und des Pflegequalitätssicherungsgesetzes sind wichtige Schritte gewesen. Ziel ist es, dass Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, auch wenn sie auf die Unterstützung anderer angewiesen sind, möglichst eigenverantwortlich weiterleben können und in dem Rahmen, in dem das möglich ist, ihre Lebensführung selbst bestimmen können. Deshalb ist die Rechtsstellung der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner und der Heimbeiräte verbessert worden. Das war auch ein wichtiger Schritt.

Die Umsetzung des Heimgesetzes und des Qualitätssicherungsgesetzes muss natürlich Bestandteil jeder Qualitätsoffensive im Pflegebereich sein. Die Frage der Würde der Menschen, die gepflegt werden müssen, hat natürlich auch etwas mit dem Image des Pflegeberufs und der Pflegetätigkeit zu tun.

Ich komme zu der Frage, inwiefern Imagekampagnen wirksam sind. Zunächst einmal ist wichtig, dass wir die Tätigkeit der Pflege – wird sie nun professionell oder durch Angehörige bzw. Laien vollzogen – in jedem Fall verbessern. Aber auch hier darf man die Möglichkeiten von Imagekampagnen nicht überschätzen.

Ich will auch auf die Situation in unseren Gemeinden, Kommunen und Städten hinweisen. Die Frage, wie sozial eine Stadt ist, beantwortet sich auch danach, wie sie mit Menschen, Schwachen und denjenigen umgeht, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind, die gepflegt werden müssen oder andere Hilfen brauchen. Das heißt, der öffentliche Raum muss auch so gestaltet sein, dass wir diesen Menschen gerecht werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Alternativen der stationären, teilstationären oder ambulanten Pflege für die Betroffenen offen stehen.

Wir brauchen eine Kombination von verschiedenen Angeboten. An der Angebotsstruktur und der Frage, inwiefern Pflege wahrgenommen wird, entscheidet sich letztlich auch die Frage, auf welchem qualitativen Niveau sich Pflegestrukturen befinden.

Ein besonderes Augenmerk sollten wir auf die pflegenden Angehörigen und diejenigen richten, die die Menschen pflegen. Dazu gehören sowohl die Professionellen als auch die Laien. Was mich in diesem Zusammenhang immer ein bisschen stört, ist die Sichtweise, als wäre es eine automatische Pflicht, angehörige Menschen zu pflegen. Damit macht man sich zum Teil etwas vor. Nicht

erst seit heute sind auch in Familien die Beziehungen nicht unbedingt so völlig konfliktfrei, dass es reibungslos geht, dass etwa erwachsene Kinder ihre zu pflegenden Eltern ohne weiteres pflegen können. Ich glaube, wir können diesen Menschen, die die häusliche Pflege leisten, unsere Hochachtung entgegenbringen. Wir müssen ihnen auch unterstützende Angebote machen.

Wer einen Menschen pflegt, hat selbstverständlich auch Anspruch auf Urlaub und Freizeit. Wer einen Menschen ehrenamtlich zu Hause pflegt, hat auch einen Anspruch auf Urlaub und Freizeit. Es kann nicht sein, dass diese Menschen rund um die Uhr pflegen müssen. Wer sich schon einmal damit beschäftigt hat, weiß, welche immensen psychischen Probleme mit der Pflege eines Menschen verbunden sein können. Deshalb sollten wir verhindern, dass auch von der politischen Seite unnötig moralischer oder sozialer Druck auf die Angehörigen ausgeübt wird. Wir sollten uns vielmehr der Frage zuwenden, wie wir ihre Situation verbessern und sie bei ihrer wichtigen Tätigkeit unterstützen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich glaube, eine Qualitätsoffensive im Pflegebereich ist wichtig. Ich habe eingangs gesagt, sie löst nur in einem kleinen Segment die gewaltigen Probleme, vor denen wir stehen werden. Dazu gehört – das zeichnet sich nun ab – der Mangel an Pflegekräften. Die Regierungserklärung listet eine Reihe von Annahmen darüber auf, wie dieser Mangel zu erklären ist, und zwar, dass sich weniger Menschen für die Ausbildung entscheiden und weshalb so viele Menschen, die sich für die Ausbildung entschieden haben, so kurz in ihrem Beruf bleiben. Es sind im Schnitt sieben Jahre. Das ist natürlich zu kurz. Die Gründe hierfür, die sie anführen, mögen richtig sein. Nach meiner Kenntnis gibt es aber bisher keine ges icherte Untersuchung, die Aussagen dazu macht, ob das auch richtig ist.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Ende. Das ist ein wichtiger Punkt. Solange wir uns auf Annahmen verlassen und möglicherweise an den falschen Schrauben drehen, wird das Ergebnis möglicherweise auf hohem Kostenniveau nicht besser sein, als es heute ist.

Deshalb schlage ich vor, dass die Frage, warum sich so wenige Menschen für den Pflegeberuf entscheiden und weshalb sie so kurz in ihrem Beruf bleiben, einmal genauer untersucht wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Redezeit ist zu Ende. Ich denke und hoffe, dass uns das Thema noch viel mehr beschäftigen wird; denn vor uns liegen gewaltige Aufgaben.

Danke. (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben wieder einmal einen erfreulichen Zustand und eine Diskussion, die in den Inhalten sehr ähnlich ist, aber in der parteipolitischen Beurteilung natürlich unterschiedliche Akzente setzt. Ich verstehe schon, dass es einzelnen Parteien nicht recht ist, wenn Bereiche wie Pflege und Pflegende, das heißt, große Teile ganzer Bevölkerungssegmente, nicht in die Zuständigkeit dieser einen Partei gestellt werden. Das ist auf Dauer ärgerlich. Nichtsdestotrotz wird man damit leben müssen, dass auch eine Regierung, unter anderem von der Opposition aufgefordert, eine gute Arbeit leistet. Sie hätte dafür mehr als nur schablonenhafte Schimpfe verdient.

(Beifall der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, über allem Schablonenhaften – damit relativiere ich die Kritik –, was auch im Thema liegt, mit dem wir uns permanent auseinandersetzen, weil es so bedeutsam ist – man kann nicht jedes Mal die neuen originellen Ansätze finden; von daher wiederholt sich einiges zwangsläufig –, und unabhängig von dieser häufigen Betrachtungsweise ist eines klar: In allen Bundesländern dieser Bundesrepublik Deutschland haben wir eine ungeheuer schwierige demographische Entwicklung.

Das ist, was das Thema „Pflege“ angeht, eine Zeitbombe, so oder so. Wenn man – egal in welchem Beitrag – den eigentlichen Fragen ausweicht und die Finanzierung zwar als wichtig anspricht, aber Antworten schuldig bleibt, dann führt das nicht weiter.

Meine Damen und Herren, wir haben eine Situation, die in 20 Jahren bei 40 % von 5,1 Millionen Menschen zwei Millionen zu Pflegende prognostiziert hat.

Das ist eine Situation – das Wort „Herausforderung“ ist schon mehrfach gefallen –, eine Herausforderung, die nicht nur an einen Teil der Gesellschaft, beispielsweise an die Politik, sondern auch an die Betroffenen geht, beispielsweise die jungen Menschen von heute, die jetzt schon wissen, dass sie irgendwann einmal mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Gruppe der Pflegenden zählen werden. Das richtet sich auch an deren Familien.

Herr Marz, diesbezüglich stehe ich ein wenig im Widerspruch zu Ihren Ausführungen. Wer ein Leben als dauernden Konflikt begreift, der hat vielleicht mit Familiensolidarität etwas größere Probleme, als ich sie habe. Ich habe in der eigenen Familie und auch im Umfeld immer wieder erlebt, wie weit Familiensolidarität tragen kann. Das sollten wir nicht kaputtreden.

Meine Damen und Herren, es gilt auch, dass die Pflegeberufe vor einer großen Herausforderung stehen. Ich möchte ganz deutlich machen, was ich von diesen Menschen halte, die ihr Engagement in den Dienst des anderen stellen. Das ist für viele ein schöner Beruf, aber es ist sicherlich für alle ein sehr schwerer Beruf.

Diesen Menschen jetzt die Antwort schuldig zu bleiben, was wir über die begrüßenswerten Imagekampagnen,

wie Ausbildungsstandardsverbesserungen etc., hinaus zu tun gedenken, beispielsweise was die Frage angeht, wie wir auf Dauer eine adäquate Finanzierung dieser Menschen sicherstellen, das haben wir in der Anhörung auch deutlich vernommen, ohne auf die Auswertung warten zu müssen, dass viele mit der Entlohnung für diese schwere Arbeit unzufrieden sind, nach meinem Dafürhalten zu Recht.

Ich bin davon überzeugt, dass eine adäquate Belohnung der entscheidende Schlüssel für eine höhere Attraktivität dieses Berufs wäre.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Richtig!)

Dazu müssen wir uns aber der Frage der Finanzierung annehmen, Herr Dr. Rosenbauer. Ich werde im Laufe meiner Rede noch einige Sätze dazu sagen.

Es ist an sich selbstverständlich – ich hoffe, für uns alle –, dass wir die Würde dieser zu Pflegenden als ethisches Grundprinzip begreifen. Das ist bei uns religiös, humanistisch und auch sozialstaatlich ein tief verwurzeltes Paradigma unserer Kultur. Dabei wird es bleiben. Da bin ich optim istisch.

Dieses Thema eignet sich aber nicht, um parteipolitische Süppchen zu kochen. Dazu ist es zu wichtig, dazu ist es zu schwierig, und dazu haben wir alle noch zu viele offene Fragen im Gepäck.

Meine Damen und Herren, es wurde schon darauf hingewiesen, dass die berufliche Situation in der Pflege selbst, aber auch in der Ausbildung in Rheinland-Pfalz nicht überall gleich ist. Es ist vor allem so, dass in den Ballungsgebieten, in denen auch die Konkurrenz günstigere Gehälter und Löhne in anderen Berufen zugesteht, wir Schwierigkeiten haben, alle Plätze zu besetzen.

Es wurde schon angesprochen, dass man sich Gedanken macht, ob die Dokumentation in der jetzigen Art und Weise nicht hier oder da zurückgefahren oder optimiert werden kann. Das ist gut.

Es ist auch wichtig, dass wir diese Berufe durch das Land, durch die Arbeitsverwaltung fördern. Auch das ist wichtig und gut. Wir müssen auch in diesem Bereich flexiblere Arbeitsprozesse schaffen.

Das, was ich heute Morgen angesprochen habe, gilt auch für diesen Pflegebereich. Es genügt nicht, auf den guten Willen der Beteiligten zu setzen – von dem ich ausgehe –, sondern man muss auch seitens der Pflegedienstleitung, der Häuser und der ordnungspolitischen Strukturen dafür sorgen, dass dieser gute Wille in entsprechende Bahnen gelenkt wird. Diesbezüglich ist ebenfalls eine Optimierungsmöglichkeit und -chance vorhanden.

Organisatorische Verbesserungen und bauliche Verbesserungen, die schon zum Teil auf den Weg gebracht sind, werden dazu führen, dass ein Teil der Probleme zurückgefahren werden kann. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist das, was auch schon mehrfach angesprochen wurde: ambulant vor stationär.