Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

............................................................................................................................2763 Abg. Böhr, CDU:................................................................................................................................2736 Abg. Bracht, CDU:.............................................................................................................................2780 Abg. Creutzmann, FDP:............................................................................................................2796, 2800 Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:......................................................................................2789 Abg. Dr. Rosenbauer, CDU:...............................................................................................................2814 Abg. Dr. Schmitz, FDP:......................................................................................................................2815 Abg. Dröscher, SPD:..........................................................................................................................2812 Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD:..............................................................................................2806, 2809 Abg. Frau Morsblech, FDP:................................................................................................................2809 Abg. Frau Thelen, CDU:.....................................................................................................................2811 Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:........................................................................2755, 2803 Abg. Kuhn, FDP:................................................................................................................................2763 Abg. Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:....................................................................................2813, 2814 Abg. Mertes, SPD:.............................................................................................................................2746 Abg. Nink, SPD:.................................................................................................................................2805 Abg. Ramsauer, SPD:........................................................................................................................2787 Abg. Schmitt, CDU:............................................................................................................................2802 Abg. Schreiner, CDU:.........................................................................................................................2805 Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:..........................................................................2807, 2809 Bauckhage, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau:......................... 2800, 2802, 2803 Beck, Ministerpräsident:.....................................................................................................................2769 Frau Ahnen, Ministerin für Bildung, Frauen und Jugend:.......................................................................2810 Frau Dreyer, Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit:....................................................2815 Präsident Grimm:............................................................................................................ 2736, 2746, 2754 Vizepräsident Dr. Schmidt:......................................................... 2786, 2789, 2796, 2800, 2802, 2803, 2804 Vizepräsidentin Frau Grützmacher:........ 2805, 2806, 2807, 2809, 2810, 2811, 2812, 2813, 2814, 2815, 2816 Vizepräsidentin Frau Hammer:......................................................................................... 2763, 2769, 2780

41. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 20. Februar 2003

Die Sitzung wird um 9:30 Uhr vom Präsidenten des Landtags eröffnet.

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 41. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz.

Zu schriftführenden Abgeordneten berufe ich Barbara Schleicher-Rothmund und Christian Baldauf. Letzterer führt die Rednerliste.

Entschuldigt sind für heute die Abgeordneten Erhard Lelle und Ulla Schmidt. Ministerpräsident Kurt Beck und Staatsminister Hans-Artur Bauckhage können nur bis 17:00 Uhr an der Plenarsitzung teilnehmen, weil sie einen wichtigen politischen Termin in Berlin haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße erstmals im Landtag Herrn Hans-Jürgen Noss, der für Herrn Redmer nachrückt, der zum Landrat des Kreises Birkenfeld gewählt worden ist.

(Beifall im Hause)

Ich habe gestern versäumt, Herrn Redmer in der gebührenden Form zu verabschieden. Ich hoffe, er sieht mir das nach. Ich habe ihm geschrieben. Ich darf ihm dennoch an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für sein Wirken im rheinland-pfälzischen Landtag seit 1991 sicher im Namen aller Kolleginnen und Kollegen danken und ihm für sein neues Amt alles Gute wünschen.

(Beifall im Hause)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Aussprache über den Nachtragshaushalt 2003. Ich rufe daher die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung auf:

Landesgesetz zur Änderung des Landeshaushaltsgesetzes 2002/2003 (Nachtragshaushaltsgesetz 2003) Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 14/1900 – Erste Beratung

...tes Landesgesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung (Erhöhung der Transparenz der Beteiligungen und Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten des Parlamentes) Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/1650 – Zweite Beratung

dazu: Beschlussempfehlung des Haushaltsund Finanzausschusses – Drucksache 14/1893 –

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Böhr das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben seit vielen Monaten ein finanzpolitisches Beben, das die ganze Politik erfasst hat und das längst die öffentlichen Kassen nicht nur im Bund und in den Länder, sondern auch in den Gemeinden erschüttert, ein Beben, das bei vielen von uns quer durch alle Fraktionen und alle Parteien Ratlosigkeit auslöst, ein Beben, dessen Ende wir übrigens noch lange nicht absehen und das sicher eine haushaltspolitische Antwort erfordert. Das ist das, was heute und in den nächsten Wochen im Mittelpunkt unserer Arbeit steht, die haushaltspolitische Antwort, die wir auf diese Veränderung zu geben haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fürchte, allein eine haushaltspolitische Antwort wird nicht ausreichen, weil die Probleme tiefer wurzeln, als dass sie nur durch eine Reparatur unserer Haushalte gelöst werden können. Ich bin davon überzeugt, dass genauso wichtig wie die haushaltspolitische Antwort, die wir natürlich geben müssen, eine Antwort ist, die die Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik geben müssen. Florian Gerster hat gestern dazu erneut Bemerkenswertes gesagt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb erfordern Haushaltsberatungen heute und in den nächsten Wochen sicher einen Blick auf das politische Umfeld, in dem diese Haushaltsberatungen stattfinden. Dieses politische Umfeld, in dem diese Haushaltsberatungen stattfinden, ist bei nüchterner Betrachtung mehr als bedrückend.

Deutschland befindet sich auf einer wirtschaftlichen Talfahrt. Mit einer immer größeren Geschwindigkeit geht es bergab. Wir nähern uns seit vielen Monaten Wirtschaftsdaten, die an die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Ich denke beispielsweise an die Umsatzzahlen im Einzelhandel im letzten Quartal des vergangenen Jahres.

Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. Das Schlimmste ist, dass ich niemanden treffe, der die Hoffnung hat, dass unsere wirtschaftliche Lage sich in den nächsten Monaten bessert. Niemand hat diese Hoffnung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall der CDU)

Dieser Niedergang, den wir derzeit erleben, hat vor allem einen Grund. Dieser Grund, den dieser Niedergang vor allem hat, ist eine Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung, die grottenfalsch ist, mit Verlaub gesagt.

(Beifall der CDU)

Solange es keine Änderung dieser politischen Rahmendaten gibt, solange wird diese wirtschaftliche Talfahrt andauern, und solange werden wir über unsere Haus

haltsprobleme diskutieren können, aber eine Lösung wird kaum in Sicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Besonders der Mittelstand ist in Deutschland existentiell bedroht. Man übertreibt nicht, wenn man das so sagt. Diese existentielle Bedrohung ist deswegen für uns so dramatisch und dieses Thema gehört deswegen in eine Haushaltsdebatte, weil im Mittelstand in Deutschland die Arbeitsplätze liegen und weil alle die, die in die Arbeitslosigkeit gehen müssen, keine Beiträge und keine Steuern mehr zahlen.

Im Mittelstand werden die Steuern gezahlt. Es gibt für ihn nicht die Möglichkeit organschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten, wie andere sie haben, mit dem Ergebnis, dass dann überhaupt keine Gewerbesteuer mehr fließt. Die Lage im Mittelstand ist ein ganz wesentlicher Grund für dieses finanzpolitische Beben und die blanken öffentlichen Kassen. Im Mittelstand sitzen die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die, die arbeiten und Steuern zahlen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen sage ich bewusst am Beginn dieser Haushaltsberatungen in unserem Land, Mittelstand und Mittelschicht in Deutschland müssen wieder atmen können, sonst hält die wirtschaftliche Talfahrt an und bleiben die öffentlichen Kassen blank, sonst ändert sich nichts zum Besseren.

(Beifall der CDU)

Der DIHK hat vorgestern eine bemerkenswerte Prognose abgeliefert. Es war keine Prognose, sondern das Ergebnis einer Umfrage unter seinen Mitgliedsbetrieben. Der DIHK geht davon aus, dass wir in diesem Jahr null Prozent Wachstum in Deutschland haben werden.

Das muss man sich einmal vorstellen, was null Prozent Wachstum in Deutschland für unsere öffentliche Finanzwirtschaft bedeutet. Sein Sprecher hat ausdrücklich hinzugefügt, dass null Prozent Wachstum in Deutschland die optimistischere Variante ist. Der DIHK geht davon aus, dass wir in wenigen Wochen die FünfMillionen-Marke bei der Arbeitslosigkeit erreichen.

Der DIHK geht davon aus, dass wir im Laufe dieses Jahres, wenn sich die Politik nicht dramatisch ändert, in eine Rezession schlittern werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden über die blanken öffentlichen Kassen und unsere Haushaltsprobleme in diesem Zusammenhang. 15 % der Unternehmen planen in Deutschland in diesem Jahr eine Investition. Das bedeutet im Umkehrschluss, 85 % unserer Unternehmen in Deutschland planen in diesem Jahr keine Investition.

Deswegen ist es kein Wunder, wenn der DIHK die Schlussfolgerungen zieht, Deutschland steht vor einer neuen Kündigungswelle. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, ich fürchte Deutschland steht vor einer neuen Kündigungswelle, aber das ist auch bei dem Schlingerkurs der Berliner Politik kein Wunder. Niemand investiert, und niemand stellt neue Arbeitskräfte ein. Deswegen muss aus diesem Schlingerkurs wieder ein vernünftiger politischer Kurs in Deutschland werden,

damit wir auch unsere Haushalte wieder gestalten können. (Beifall der CDU)

Beispiele sind in Hülle und Fülle vorhanden. Ich denke nur an die „kleinen“ Beschäftigungsverhältnisse. Wir landen bei den „kleinen“ Beschäftigungsverhältnissen zum 1. April da, wo wir vor vier Jahren standen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch einem Unternehmer nicht mehr beizubringen. Das ist auch einem Nichtunternehmer nicht mehr beizubringen. Das sind vier verlorene Jahre für dieses Land.

Ich erinnere an das, was wir bei der Eigenheimzulage erleben. Vorgestern wird gemeldet, dass Anträge weiter gestellt werden können. Ursprünglich sollte die Eigenheimzulage zum 31. Dezember des Vorjahres auslaufen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die durch eine solche Entscheidung ausgelöste Torschlusspanik hat dazu geführt, dass der Staat, die öffentliche Hand, der Bund in den nächsten Jahren – ich sage das auch im Hinblick auf die Bemerkung des Finanzministers gestern, der diese 1,7 % mehr an Genehmigungen vorgetragen hat und als Morgenröte am Horizont der Konjunktur bezeichnet hat – – –

(Beifall der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Gölter, CDU)

Meine Damen und Herren, diese Schlingerpolitik hat dazu geführt, dass nach vorsichtigen Schätzungen in den nächsten Jahren die öffentlichen Kassen etwa das Fünffache an Zulagen zahlen müssen im Vergleich zu normalen Jahren. Wenn nichts geändert worden wäre zum 31. Dezember, würden die öffentlichen Kassen sehr viel weniger belastet, als sie so durch diese wirklich blödsinnige Politik belastet wurden.

So kann man sich natürlich zu all den Problemen, die man ohnehin hat und die wir alle haben, noch ein paar zusätzliche Probleme dazu schaffen, und dies erleben wir nun seit vielen Jahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles ist nicht durchdacht. Man tritt niemandem zu nahe, wenn man sagt, unser Land nimmt täglich einen größeren Schaden. Das ist schon eine dramatische Situation.

Die Bürgerinnen und Bürger stöhnen unter der Last von Steuern und Abgaben. Das sage ich bewusst auch noch einmal mit Blick auf die Theorie unseres Ministerpräsidenten, Deutschland sei ein Niedrigsteuerland. Das haben wir bei verschiedenen Gelegenheiten gehört.

(Zuruf aus dem Hause: Das ist Tatsache!)

Ich erlebe nur Bürgerinnen und Bürger, die unter der Last der Steuern und Abgaben stöhnen, und zwar seit dem 1. Januar dieses Jahres noch deutlich lauter als zuvor, und den Letzten vergeht die Lust.

Sehen Sie sich einmal Umfragen an, die unter jungen Deutschen gemacht werden, die im Ausland studieren,

und gelegentlich veröffentlicht werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die letzte Umfrage, die ich gelesen habe, hatte ein Ergebnis zur Folge, das mich wirklich bedrückt. Von den jungen Leuten, die im Ausland studieren, will inzwischen niemand mehr nach Ende seiner Ausbildung nach Deutschland zurück.

(Zurufe von SPD und FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das muss doch Gründe haben.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen bleibe ich für meinen Teil dabei: Wer es gut meint mit Deutschland – diesen Appell richte ich an alle Parteien, weil es in allen Parteien Leute gibt, die so denken –, der muss mit aller Kraft dafür sorgen, dass es einen Richtungswechsel in der deutschen Politik gibt. Das ist die entscheidende Voraussetzung für die Haushaltsberatungen auch der nächsten Jahre.