1. Ich glaube, dass wir in diesem gewachsenen Föderalismus in Deutschland, der eine lange Geschichte hat, die weit ins Mittelalter zurückreicht, auf die Entflechtung von Aufgaben, auch von Finanzströmen, Finanzverantwortlichkeiten, setzen müssen und deutlich Abstand von diesem Wildwuchs der Mischfinanzierung nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist unmöglich, dass inzwischen in Deutschland nahezu alles einer vierstufigen Mischfinanzierung unterliegt – die kommunale Ebene, die Länderebene, die Ebene des Bundes und die europäische Ebene – und politische Verantwortung aus den Parlamenten mit diesem verlockenden Angebot einer Finanzierungsquote vom Land, vom Bund, aus Europa weggenommen wird. Dann ist die Entscheidung schon gefallen, und über die Folgen mit all den Problemen, die daraus erwachsen, wird gar nicht mehr nachgedacht.
2. Statt dem weiteren Ausbau der Gemeinschaftsaufgabe müssen wir uns zu einem Trennsystem entscheiden.
Ich sage das ausdrücklich auch mit Blick auf das, was im Bereich der Finanzreform, der Bund-Länder-Finanzreform, vor uns liegt.
Wir brauchen – ich sage es sehr zurückhaltend – zumindest deutlich stärkere Elemente eines Trennsystems. Das heißt, dass wir drittens und letztens – auch das sage ich sehr vorsichtig, um niemanden an der falschen Stelle zu provozieren, was ich gar nicht will, liebe Kolleginnen und Kollegen – mehr Wettbewerbsföderalismus statt kooperativen Föderalismus brauchen.
Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der der kooperative Föderalismus sozusagen als die Erfindung des Jahrhunderts galt und alle Welt diesen Durchbruch zum kooperativen Föderalismus pries. Er hatte auch durchaus seine Berechtigung; denn es war eine sinnvolle und durchaus vernünftige Anwort auf die Probleme einer bestimmten Zeit. Ich denke, dass wir nun das Pendel aber in die andere Richtung stoßen müssen. Wir brauchen deutlich mehr Elemente des Wettbewerbsföderalismus zulasten dieses Wildwuchses des kooperativen
Meine Damen und Herren, das alles deutet auf ein Ziel hin. Wenn wir wollen, dass Politik wieder Verantwortung wahrnehmen kann und sie wieder die Möglichkeit und die Chance bekommt, Verantwortung wahrzunehmen, dann doch bitte nur dann, wenn sie auch die Zuständigkeiten hierfür hat.
In der nächsten Woche werden wir über den Haushalt reden. Wir alle wissen, welche Möglichkeiten wir haben, gestaltend in diesen Haushalt einzugreifen. Wenn sich das in Deutschland nicht grundlegend ändert, dann hat der Föderalismus in der Tat keine Zukunft. Ich möchte aber, dass er eine Zukunft hat, weil ich der Meinung bin, dass der Föderalismus zu einem System der Freiheit und zu einer Ordnung der Freiheit unverwechselbar dazugehört. Deshalb möchte ich ihn angesichts der Probleme, die in den vergangenen Jahren entstanden sind und vor denen wir heute stehen, retten.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, dass – nachdem Herr Dr. Schiffmann die Redezeit für die SPD-Fraktion ausgeschöpft hat – wir uns en bloc die Stellungnahmen der Fraktionen unabhängig davon, wie viele Redner sie haben, anhören. Ich denke, dass das sinnvoll ist. Ich sehe keinen Einwand. Die betroffenen Fraktionen sind also auch damit einverstanden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ohne diese von den Landesparlamenten wahrgenommenen Kompetenzen droht der Verlust der Eigenstaatlichkeit der Länder und deren Wandlung zu bloßen Verwaltungseinheiten.“ So beginnt der gemeinsame Antrag aller Fraktionen dieses Hauses.
Heute geht es um nicht mehr und um nicht weniger als unser Grundverständnis als Landesparlament. Es geht um den Platz, den wir als Landtag von Rheinland-Pfalz in der Zukunft einnehmen wollen. Außerdem geht es um die Frage, was der Föderalismus für Deutschland geleistet hat, wo wir stehen und wie wir vor dem Hintergrund der Eigenstaatlichkeit der Bundesländer einerseits und vor dem Hintergrund weit reichender Regelungen des Bundes und der europäischen Einigung andererseits ein föderales Deutschland gestalten wollen. Es geht heute also um die Eigenstaatlichkeit der Länder. Das bedeutet die politische Teilhabe insbesondere der gewählten Parlamente, aber nicht bloßes Verwalten.
Dabei geht es nicht nur um uns und unser Selbstverständnis als Landtag, sondern es geht in erster Linie um unseren Souverän, um das Selbstverständnis und um das Selbstbewusstsein unserer Bürger. Es geht um deren politische Teilhabe und darum, dass die Bürger die Wahl haben müssen. Vielleicht sind nur wenige dazu fähig, eine politische Konzeption zu entwerfen und durchzuführen. Wir sind aber alle dazu fähig, sie zu beurteilen. So hat schon vor rund 2.500 Jahren Perikles das Grundprinzip der Demokratie zusammengefasst. Für diese Teilhabe der Bürger waren der deutsche Parlamentarismus und Föderalismus immer ein Garant. Das Volk kann und muss abstimmen und wählen, braucht aber auch die Wahl. Das heißt, das Volk braucht den Wettbewerb der Ideen. An dieser Stelle knüpfe ich genau an das an, mit dem Herr Dr. Böhr vorhin seine Rede beendet hat.
Statt immer mehr Vereinheitlichung – zum Beispiel im Wege der Ausschöpfung der konkurrierenden Gesetzgebung – brauchen wir den Wettbewerb der Ideen. Wir brauchen echte Subsidiarität statt machtlose Gemeinderäte und Landesparlamentarier. Eine gute Wahl braucht aber auch klare Verantwortlichkeiten statt der Delegation der Verantwortung auf den immer jeweils anderen. Es bedarf klarer Verantwortlichkeiten inklusive der Einheit von Regelungskompetenz und Finanzierungsverantwortung auf allen Ebenen.
Unser deutscher Föderalismus braucht also mehr Wettbewerb, wieder mehr Subsidiarität und eine Entflechtung der Aufgaben inklusive eines funktionierenden Konnexitätsprinzips. An dieser Stelle unterscheiden wir uns dann auch in diesem Hause wieder für jeden sichtbar. Dann unterscheiden sich unsere politischen Konzepte. Den Menschen fällt die Wahl dann leicht, und das Wählen funktioniert wieder. Wir sind dann wieder ein Erfolgsmodell in Europa. Wir wollen als Landtag von RheinlandPfalz im Dialog mit dem Deutschen Bundestag und den Landesregierungen im Bundesrat dies erreichen. Das ist das Ziel der Arbeit des Konvents und das Ziel unseres Antrags.
Deutschland braucht also vor allem mehr Wettbewerbsföderalismus, aber nicht nur im Bereich der Bildung, der nach PISA immer in aller Munde ist. Man muss allerdings hinzufügen, dass Bildungspolitik ein augenfälliges Beispiel für einen funktionierenden Wettbewerbsföderalismus ist. Deshalb wird die Bildungspolitik in diesem Zusammenhang immer zitiert. Als ich zum Beispiel Abitur gemacht habe, war Herr Dr. Gölter noch Kultusminister. Ein Drittel meiner Klassenkameraden waren Bildungsflüchtlinge aus Hessen. Das war ein funktionierendes Beispiel für Wettbewerb zwischen den Bundesländern. Man muss aber zugeben, dass damals nur die Schüler und Eltern aus dem Rheingau die Wahl hatten. Ehrlicherweise muss aber auch zugegeben werden, dass im Jahr 1999 ganz Hessen ein neues Bildungskonzept gewählt hat, wie es Hessen aus Rheinland-Pfalz kannte.
Ich bleibe beim Beispiel Hessen. Wenn ein Ministerpräsident zu der Auffassung kommt, dass er das Sozialhilferecht oder das System der Arbeitsvermittlung für falsch
hält und wenn ihn und seine Fraktion das Konzept, das der Ministerpräsident in Wisconsin in Amerika gesehen hat, überzeugt, weshalb sollen diese Menschen dann nicht, da sie Verantwortung tragen, für ihre Ideen bei ihren Bürgerinnen und Bürgern werben können? Weshalb sollen sie es nicht auch ausprobieren können? Bislang versickert fast jede gute Idee in den Talkshows und in den Mühlen unterschiedlichster Mehrheiten auf den verschiedenen Ebenen. Es wird viel geredet, aber es passiert zu wenig. Irgendjemand findet sich leider immer, der eine gute Idee blockiert.
Deshalb fordern wir fraktionsübergreifend in unserem Antrag – dann auch im Konvent –, dass im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung eine Vorranggesetzgebung der Bundesländer für klar definierte Bereiche, zum Beispiel für den Bereich der sozialen Fürsorge, die so genannte umgekehrt konkurrierende Gesetzgebung, eingeführt wird. Das hieße dann, dass der Bund zum Beispiel den Bereich der sozialen Fürsorge umfassend geregelt hat. Wenn es ein Land will, dann könnte es Teile oder den gesamten Bereich in eigener Verantwortung neu und anders regeln. Ein Land könnte eine Idee dann ausprobieren. Die anderen Länder könnten sich dann erst einmal gelassen zurücklehnen, beobachten und vielleicht auch lernen von den Fehlern oder den Erfolgen, die eine Idee zeitigt. Vielleicht würden wir dann heute nicht die Diskussion über die Reform der Sozialversicherung und den Arbeitsmarkt führen. Vielleicht wäre das Wisconsin-Modell schon längst ein Vorbild für die anderen Bundesländer.
Die Bevölkerung bzw. die Wähler brauchen echte Alternativen. Sie brauchen einen Wettbewerb der Ideen. Machen wir uns nichts vor: Verantwortliche Politik ist immer Versuch und Irrtum. – Aus diesen Alternativen können Menschen wählen. Sie können eine erfolgreiche Politik bestätigen und durch eine Wahl belohnen oder die in ihren Augen falsche Politik abwählen. Der ständige Konsens aber, diese ständige Gleichmacherei durch den kooperativen Föderalismus lähmt uns in Deutschland. Die politische Teilhabe muss aus Kaminrunden in den Bereich parlamentarischer und demokratischer Kontrolle zurückgeholt werden.
Ich betone noch einmal, dass echter Föderalismus auch das Zusammenführen von Regelungskompetenz und Finanzverantwortung bedeutet.
Subsidiarität und Konnexität gehören zusammen. Der, der bestellt, der muss auch bezahlen. Erst wenn wir den Menschen ehrlich sagen, was eine Idee kostet und sie dann auch wirklich selbst finanzieren, nehmen wir den Wähler in seiner Verantwortung, in seiner Teilhabe und in seinem Wahlrecht erst wirklich ernst.
Deshalb bin ich – das möchte ich an der Stelle auch sagen – immer ein bisschen verärgert über die politischen Bestechungsversuche des Bundes, mit denen er immer wieder versucht, die Subsidiarität von hinten her
Wir nehmen das Geld gern, wenn Berlin es nicht braucht, aber wir würden auch gern selbst entscheiden, wo wir als Land in unserer Bildungspolitik Schwerpunkte setzen. Es könnte theoretisch sein, dass wir zu den gleichen Ergebnissen kämen, aber Bildung ist Ländersache. Die Verantwortung liegt bei uns. Das wissen die Wähler auch.
Wenn ich wähle, will ich wissen, für welche Fragen ich wähle. Ich will wissen, wer für die Antworten verantwortlich ist. Umgekehrt will ich, wenn ich gewählt bin, auch wissen, was ich zu verantworten habe und wo ich gefragt bin. Die Demokratie braucht diese klare Entflechtung von Aufgaben und braucht klarere Verantwortungen.
Ich wiederhole noch einmal: Nur wenige sind vielleicht fähig, eine politische Konzeption zu entwickeln und durchzusetzen, aber wir sind alle fähig, sie zu beurteilen. Dazu brauchen wir einen funktionierenden Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu brauchen wir starke Wähler und starke Landtage.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde es als einen Beitrag zur Gemeinsamkeit des heutigen Tages ansehen, wenn mein beabsichtigtes Zitat aus Carlo Schmids Erinnerungen genau zu diesem Thema heute nicht auf meine Redezeit angerechnet würde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der „ZEIT“ – sie ist immer lesenswert – schreibt am 22. August 2002 Fritz W. Scharpf unter der Überschrift „Die gefesselte Republik“ einen der faszinierendsten Aufsätze der vergangenen Jahre. Er beschreibt detailliert den Fesselungszustand entsprechend seiner These von der bundesdeutschen Politikverflechtungsfalle. Das ist ein wunderbares Wort.
Der Politologe Franz Walter – ich schaue jetzt die SPD an – titelt in der „Welt“ vom 23. November 2002 „Durchwurschteln als Daseinsform“.
Neu an dieser Kritik und schärfer geworden ist, dass das nicht nur Fragen des Arbeitsmarkts, der Sozialversicherungssysteme sind oder was auch immer betrifft, sondern dass diese Kritik mitten in das Herz dieser Republik, das heißt, in die Grundlagen dieser Republik, hineinzielt. Worin besteht die Kritik? Das sind drei Punkte:
1. Das sind die Verflechtungs- und Blockadephänomene unseres Bundesstaats, die institutionelle Blockade, die wir nicht mehr wegleugnen können.
3. Das sind – auch das muss genannt werden – der Zustand und die Strukturen unserer Parteien, denen die Wissenschaft quer durch alle Lager vorwirft, dass Verfassungsinstrumente im Sinn von politischen Zielsetzungen zu oft und ungut instrumentalisiert werden.
Von diesen drei Punkten – institutionelle Blockade, Verbändestaat und Parteien – geht es heute um den ersten Punkt. Ich habe mir gestern noch einmal angeschaut, was Konrad Adenauer und Carlo Schmid über den Parlamentarischen Rat und dieses Phänomen geschrieben haben. Beide – Adenauer und Schmid – wollten trotz dieses föderalistischen Ansatzes einen starken Bundesstaat, eine Stärkung der Zentrale im Bundesstaat. Wenn sich aber beide anschauen würden, was daraus geworden ist, würden sie sich wundern.
In Artikel 70 Abs. 1 des Grundgesetzes steht, dass die Länder das Recht der Gesetzgebung haben. Das steht da erratisch. Weiter heißt es dann: „soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“ Die Vorstellung war, dass die konkurrierende Gesetzgebung im Regelfall von den Ländern und nur im Ausnahmefall vom Bund wahrgenommen wird. Heute ist der Bund der Regelfall, und die Länder sind der Ausnahmefall.