Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Verfassung der Europäischen Union hat viele Facetten. Die Kolleginnen und Kollegen haben einige davon beleuchtet und darüber berichtet. Lassen Sie mich auf ein paar Bestimmungen eingehen, die alle den Menschen, den Bürger, mit seinen Rechten und Pflichten betreffen.
Meine Damen und Herren, bald haben wir alle mindestens zwei Staatsbürgerschaften. Neben deutschen Bürgern werden wir mit allen Rechten und Pflichten Bürger der Union sein. Wir werden – das ist eine wirklich große Entscheidung – nach dem Grundsatz der partizipativen Demokratie die Möglichkeit haben, ein Bürgerbegehren zu initiieren. Da unser Europa größer wird, müssen sich viele Bürgerinnen und Bürger daran beteiligen. Es sind mindestens 1 Million.
Durch dieses Bürgerbegehren wird die Kommission aufgefordert, Vorschläge zu bestimmten Themen zu erarbeiten. Natürlich muss dieses Bürgerbegehren durch ein europäisches Gesetz noch präzisiert werden. Über Rechte sowie die Arbeit der Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen wird ein europäischer Bürgerbeauftragter mit Argusaugen wachen, so wie es unser Bürgerbeauftragter in Rheinland-Pfalz tut.
Meine Damen und Herren, die europäische Verfassung hat sich als großes Ziel den Frieden gesetzt. So wie in unserem deutschen Grundgesetz und in vielen anderen Verfassungen die elementaren Grundrechte den höchsten Stellenwert haben, so ist die Präambel unseres Grundgesetzes für mich in ihrer sprachlichen Melodie unerreicht. Bereits vor 54 Jahren haben die Verfasser des Grundgesetzes in der Präambel von einem vereinten Europa gesprochen. Das war vor zwei Generationen. Die Weitsicht unserer Vorfahren ist beeindruckend.
Die Grundrechte der Menschen sind im zweiten Teil der europäischen Verfassung aufgelistet. Beispielsweise geht es um die Würde des Menschen. Es geht um Frei
heiten, um Gleichheit im weitesten Sinn, um Gleichheit vor dem Gesetz und um die Gleichheit von Mann und Frau. Außerdem geht es um Solidarität, die Bürgerrechte, die justiziellen Rechte und allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta.
Die Präambel der europäischen Verfassung stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns. Die Ausübung und der Anspruch auf die Grundrechte sind mit Verantwortlichkeiten und Pflichten sowohl gegenüber den Mitmenschen als auch gegenüber der menschlichen Gemeinschaft und den künftigen Generationen verbunden.
Meine Damen und Herren, dieser europäische Staat war lange eine Vision. Jetzt wird er Wirklichkeit. Dieser europäische Staat wird uns, so hoffe ich, ans Herz wachsen. Vielleicht werden wir ihn sogar lieben, obwohl Gustav Heinemann bei seiner Amtseinführung sagte: Ich liebe nicht den Staat. Ich liebe meine Frau. – Wir werden auf jeden Fall für diesen europäischen Staat eintreten.
25 Nationen wird Europa dann umfassen, die alle diese Verfassung anerkennen. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, der Europäische Verfassungskonvent hat gute Arbeit geleistet. Die endgültige Form der Verfassung ist ab Herbst dieses Jahres allein Sache der Staats- und Regierungschefs sowie der Außenminister. Ich bin sicher, dass sich diese Damen und Herren auf die entscheidenden politischen Fragen konzentrieren werden. Wünschen wir ihnen und uns viel Erfolg dabei.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Siegrist, ich will mir an Ihnen ein Beispiel nehmen und Schwerpunkte setzen und nicht all das vortragen, was ich weiß.
Politik lebt auch von Persönlichkeiten. Nicht nur die politische Idee ist wichtig, sondern es ist auch die Frage, wer sie vorträgt und wie sie vorgetragen wird. Deshalb gilt unserer Dank heute ganz besonders zwei Persönlichkeiten,
die diese Verfassung geprägt haben, wie kaum ein anderer aus der Bundesrepublik Deutschland. Unser Dank muss Herrn Ministerpräsident Teufel und Roman Herzog gelten. (Beifall bei der CDU)
Es gab zwei Konvente, die Europa nach vorn gebracht haben. Beide Konvente sind Erfolge geworden. Die beiden Persönlichkeiten aus Deutschland haben unsere Interessen vertreten. Im aktuell tagenden Konvent hat Erwin Teufel die Interessen der Bundesländer eingebracht.
Es ist interessant, dass die europäische Verfassung drei Führungspersönlichkeiten festschreibt. Das ist etwas Neues. Damit wird Politik personalisiert und für die Bürger verständlicher. Der Kommissionspräsident wird vom Europäischen Parlament auf fünf Jahre gewählt. Es gibt einen europäischen Außenminister, der vom Europäischen Rat ebenfalls auf fünf Jahre gewählt wird. Das Wichtigste ist, dass der Präsident des Europäischen Rates auf zweieinhalb Jahre gewählt wird. Damit wird es den halbjährigen Wechsel nicht mehr geben.
Es wird sich einiges ändern. Wir werden in Europa neue Formen von Wahlkämpfen erleben. Es wird nicht nur darum gehen, dass ein Bürger Vertrauen in die Lösungsansätze einer politischen Partei hat, die sich zur Wahl stellt, sondern es wird auch darum gehen, dass der Bürger Vertrauen in die Persönlichkeiten hat, die von dieser Partei in die erste Reihe gestellt werden.
Politik wird dann ganz konkret. Der Bürger kann Pers onen wählen und abwählen. Das ist eine gute Entwicklung; denn viele Fragen, die nach Antworten schreien, sind bei einem Wahltermin noch gar nicht bekannt. Dann brauchen wir jemanden, dem wir hinsichtlich seiner Lösungskompetenz an einer bestimmten Stelle vertrauen können. Der Wähler hat meines Erachtens ein sehr genaues Gespür dafür, wer nicht nur Fragen aufwirft, sondern wer auch die Kraft hat, auf diese Fragen Antworten zu geben.
Die Verfassung klärt Verantwortungen und schafft Transparenz. Die neue Kompetenzordnung stellt einen guten Weg dar, auf dem wir uns bewegen. Entscheidend wird sein, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland im Widerstreit zwischen den Bundesländern auf der einen Seite und dem Bund auf der anderen Seite Rechte und Pflichten der Länder deutlich machen und die Rechte und Pflichten der Landtage einfordern.
Die Europäische Union ist transparent, wird persönlicher und ist nicht mehr nur eine abstrakte Idee. Das war sie im Übrigen noch nie; denn die Europäische Union wurde von Anfang an von Persönlichkeiten gebaut. Ohne Menschen wie Konrad Adenauer und Charles de Gaulle wäre ein solcher Gedanke niemals so stark geworden und hätte niemals diese Leuchtkraft gehabt. Menschen wie Helmut Kohl und Valéry Giscard d’ Estaing haben diesen Prozess mehr nach vorn gebracht als die Worte, die sie ausgesprochen haben.
Ich greife noch einen Aspekt heraus, der auch in der Debatte im Ausschuss thematisiert wurde. Die europäische Verfassung, die von Staatsmännern nach vorn getragen worden ist, bezieht sich in einem Vorspruch noch vor der Präambel auf einen Historiker. Herr
Dr. Klär, mit dem ich mich in der Sitzung des Ausschusses für Europafragen heftig darüber gestritten habe, ist jetzt leider nicht anwesend. Herr Dr. Klär als Historiker hat sich natürlich darüber gefreut, dass ein Historiker zitiert wird.
Ich halte es aber für etwas schwierig. Wenn wir in unser deutsches Grundgesetz einen Vorspruch aufnehmen würden, dann würde ich ein Zitat von Konrad Adenauer einem Zitat von einem Journalisten oder einem Adenauer-Historiker vorziehen. Hier wird Thukydides mit dem Satz zitiert: Die Verfassung, die wir haben, heißt Dem okratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet wird. – Das ist zweifellos ein toller Spruch und ein tolles Buch. Politik und auch Europa muss mehr sein, als immer nur die Suche nach Mehrheiten. Es sollte vielleicht nicht immer nur um die mehrheitsfähige Lösung, sondern um die beste Lösung gehen.
Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn wir anstatt eines Historikers einen Staatsmann an die erste Stelle dieser Verfassung gestellt hätten.
Ich habe einmal geblättert. Aus der gleichen Zeit von Thukydides gab es andere Menschen, die große Sachen gesagt haben. Perikles von Athen hat gesagt: Nur wenige sind fähig, eine politische Konzeption zu entwerfen und durchzuführen, aber wir alle sind fähig, sie zu beurteilen. – Genau darum geht es. Wir brauchen ein Europa, das Menschen nach vorn stellt, die politische Konzepte für die Bürger in unserem Europa entwerfen, damit wir alle als Bürger Europas klar und transparent diese Konzepte beurteilen können.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns seit Einberufung des Konvents in bestimmten Zeitabständen, aber auch stetig über die Forderungen und Vorstellungen der künftigen europäischen Verfassung unterhalten. Dies geschah immer vor dem Hintergrund, dass wir wissen, wir wollen langfristig ein Europa in Frieden und Freundschaft.
Ohne dass ich die Forderungen noch einmal plakativ hervorrufe, möchte ich zunächst einmal feststellen, was bei der Arbeit des Konvents herausgekommen ist oder aus meiner Sicht besonders herauszustellen ist. Eine Forderung möchte ich dabei schon noch einmal wiederholen: Ich persönlich hätte mir gern den Gottesbezug in der Präambel gewünscht.
Wenn auch nicht alles erreicht werden konnte, so enthält der Entwurf des Verfassungskonvents doch viele gute Kompromisse. Es ist natürlich ein Grundlagendokument mit hoher Symbolkraft und bedeutet eine wichtige Etappe in der Geschichte der EU.
Wir begrüßen die Zuordnung der Kompetenzkategorien in drei Kompetenzebenen. Ganz besonders hervorzuheben ist natürlich die Stärkung der Überwachung des Subsidiaritätsprinzips durch das Klagerecht der nationalen Parlamente und des Ausschusses der Regionen (AdR).
Verständnis haben wir dafür, dass es sicherlich schwierig ist, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn alle Regionen einzeln Klage führen könnten. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine sinnvolle Regelung im Entwurf der Verfassung.
Die Transparenz der rechtlichen Grundlagen der EU wird deutlich erhöht, da die verschiedenen Gründungsverträge und Vertragsveränderungen in einem einzigen Dokument zusammengeführt worden sind. Die Verständlichkeit europäischen Rechts wird verbessert, indem die Zahl der Rechtsinstrumente reduziert und die Begrifflichkeiten an nationales Recht angepasst werden.
Als besonders interessant ist hervorzuheben, dass nun auch die Möglichkeit für ein Bürgerbegehren auf EUEbene möglich ist.
Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung wurde verankert. Der AdR und auch der Bundesrat werden künftig ein Klagerecht zur Überwachung des Subsidiaritätsprinzips erhalten. Dies alles ist von ganz besonderer Wichtigkeit.
Wenn die Mitentscheidungsverfahren von derzeit 40 auf über 70 Fälle ausgeweitet werden, ist dies eine Stärkung des Europäischen Parlaments und der demokratischen Legitimation zugleich. Die stärkere Personalisierung, die ebenfalls gefordert wurde, ist in gewisser Hinsicht erreicht. Es soll drei Führungspersönlichkeiten geben, die die EU für die Bürgerinnen und Bürger deutlich erkennbar verkörpern, nämlich einen Kommissionspräsidenten, einen Präsidenten des Europäischen Rats und den europäischen Außenminister.
Merkliche Fortschritte in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden nach meiner Ansicht wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Allerdings haben uns die vergangenen Monate deutlich gezeigt, dass wir, die europäischen Länder, nur dann in der Welt eine Rolle spielen, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Unser Bemühen muss also darin liegen, langfristig die außenund sicherheitspolitischen Interessen zu bündeln, wenn wir nicht wollen, dass wir überhört werden oder der EUAußenminister lediglich eine Figur ohne Bedeutung wird. Es ist unbestritten, dass dies einen Einschnitt in gewohnte und zum Teil liebgewordene Strukturen, beispielsweise der Bundeswehr, bringt. Doch sehe ich auch Chancen für das Zusammenwachsen Europas zum Beispiel in europäischen Brigaden, in denen Italiener, Spanier, Franzosen, Holländer oder andere gemeinsam ihren Dienst leisten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ergebnis des europäischen Verfassungskonvents ist ein brauchbares. Auch wenn nicht alle Einzelinteressen umgesetzt werden, so ist der Entwurf für die FDP-Fraktion doch gut, richtig und weist in die richtige Richtung. Die Nationalstaaten als solche haben mit diesem Entwurf zu einer europäischen Verfassung das bewiesen, was viele angezweifelt haben, nämlich dass sie durchaus als Staatenbund, als Europäische Union, denken und für die gemeinsame Sache auch Zugeständnisse machen können.