Protokoll der Sitzung vom 22.01.2004

Danke schön.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte Besucher im rheinland-pfälzischen Landtag begrüßen, und zwar die Mitglieder der Coronarsportgruppe Mendig sowie die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 a der FritzStraßmann-Realschule Mainz. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wiechmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Politik.

Liebe Frau Kollegin Brede-Hoffmann, wir investieren lieber in die Bildung und die Ausbildung als in die Straßenbauverwaltung und unwirtschaftliche Dauersubventionen.

(Zurufe von der FDP)

Daher nehmen wir die zusätzlichen Mittel, die wir für den Bildungsbereich einstellen. Wir setzen ganz klar unsere Schwerpunkte, nämlich mehr Investitionen in Köpfe statt in Beton. Das ist das, was Ihnen unsere Fraktionsvorsitzende gestern vorgestellt hat und wonach wir handeln. Wir haben unsere Schwerpunkte klar gesetzt. Wir investieren in die Bildung, in die Ausbildung und in die nachhaltige Technologie, weil wir glauben, dass das die zukunftsfähigen Felder sind, in denen wir auch in Rhein

land-Pfalz noch Nachholbedarf haben und in die wir mehr und kräftiger investieren müssen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Vorschläge zielen auf einen Abbau der Neuverschuldung bei gleichzeitiger Erhöhung der Investitionen in die Zukunft, ein Großteil davon zur Förderung von Bildung und Ausbildung im Einzelplan 09.

Herr Kollege Keller hat die Probleme angesprochen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind.

Herr Kollege Keller, ich muss Ihnen allerdings sagen, dass sich gestern Ihr finanzpolitischer Sprecher und Ihr Fraktionsvorsitzender verrechnet haben. Heute haben Sie sich ein bisschen verrechnet.

(Keller, CDU: Es gibt Schlimmeres!)

Nichtsdestotrotz ist die Situation an den berufsbildenden Schulen dramatisch. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Änderungs- und Entschließungsanträge zur Situation insbesondere auch der berufsbildenden Schulen vorgelegt.

Wir wollen insbesondere an den Hauptschulen und den berufsbildenden Schulen die Schulsozialarbeit stärken. Wir wollen zusätzliche Lehrkräfte an den berufsbildenden Schulen haben, weil es sich um die Schulart mit dem höchsten Unterrichtsausfall handelt. Wir wollen für die Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, an den berufsbildenden Schulen Möglichkeiten für anerkannte berufliche Ausbildungen schaffen. Wir wollen in den Grundschulen Stellen für Lehrkräfte erhalten, um mehr individuelle Förderung zu gewährleisten. Wir wollen wirkliche Konsequenzen aus den internationalen Leistungsvergleichsstudien ziehen und ein längeres gemeinsames Lernen sowie eine bessere individuelle Förderung gewährleisten. Wir wollen die berufsbildenden Schulen zu Aus-, Fort- und Weiterbildungszentren ausbauen, damit wir nicht immer mehr junge Menschen ohne Ausbildung ins Erwerbsleben entlassen müssen.

Frau Kollegin Brede-Hoffmann, das sind unsere Anträge zum Haushalt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU hat dies angemahnt. Wir tun tatsächlich etwas zur Verbesserung der Situation. Sie sehen, trotz schwieriger Finanzsituation geht es auch anders. Man kann Prioritäten setzen. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben dies getan.

Liebe Frau Kollegin Brede-Hoffmann, eine verantwortungsvolle und nachhaltige Bildungspolitik besteht nicht nur – ich weiß, dass auch Frau Morsblech darauf eingehen wird – aus der Ganztagsschule, auch wenn sie ohne Zweifel ein wichtiges Element darstellt, das Sie in Rheinland-Pfalz allerdings nur so erfolgreich umsetzen konnten, weil Ihnen die rotgrüne Bundesregierung so

massiv unter die Arme gegriffen hat. Ein Lob an die Bundesregierung.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ohne diese Mittel wäre in Rheinland-Pfalz offensichtlich nicht – – –

(Schreiner, CDU: Das hört sich in der Föderalismus-Kommission aber anders an! – Zurufe der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD, und der Abg. Frau Morsblech, FDP)

Herr Kollege Schreiner, es geht darum, dass die Bundesregierung 2004 zum Jahr der Innovation, der Bildung und der Kinderbetreuung gemacht hat und wir in Rheinland-Pfalz davon partizipieren. Was wollen wir mehr? Das sind doch die Punkte, um die es in der Zukunft geht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Schreiner, CDU)

Es gibt klare Regelungen, die die KMK mit der Bundesregierung abgeschlossen hat. Darin ist für den Bereich der Ganztagsschulen alles geregelt. Das wissen Sie auch.

Meine Damen und Herren, leider scheinen die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien bei einigen allerdings schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Das, was Herr Kollege Keller angesprochen hat, nämlich die Reaktion auf PISA, lässt in Rheinland-Pfalz in einigen Bereichen tatsächlich noch auf sich warten.

Wir GRÜNEN betrachten die PISA-Studie und die damit verbundenen Herausforderungen auch weiterhin als eine der wichtigsten Aufgaben in der Zukunft. Wir haben sie demzufolge auch weiterhin zur Grundlage für unsere Änderungs- und Entschließungsanträge gemacht, weil für uns die Frage der Bildungschancen die soziale Frage der Wissensgesellschaft und für mehr Chancengerechtigkeit in der Zukunft ist.

(Vereinzelt Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Frau Ahnen hat in diesem Jahr turnusgemäß den Vorsitz der Kultusministerkonferenz übernommen. Wir haben ihr schon alle gratuliert und viel Glück gewünscht.

Frau Ahnen, Sie haben erklärt, die Schnittstellen im Bildungssystem, nämlich zwischen Elementar- und Primarbereich und zwischen Schule und Ausbildung, in den Mittelpunkt Ihrer Präsidentschaft zu stellen. Das ist ohne Zweifel richtig. Die Schnittstelle aber, die die Experten der internationalen Leistungsvergleichsstudien für den Misserfolg des deutschen Schulsystems hauptsächlich verantwortlich machen – Sie wissen, wovon ich spreche –, nämlich die Schnittstelle des Übergangs von den Grundschulen in das gegliederte Schulwesen der Sekundarstufe I, wird von der Ministerin bezeichnenderweise nicht angesprochen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, gerade diese Schnittstelle ist es, an der gemessen werden kann, ob unser Bildungssystem geeignet ist, Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit herzustellen. Das vernichtende Urteil der Experten ist, dass es mitnichten der Fall ist. Kein anderes untersuchtes Schulsystem verteilt die Bildungschancen derart nach sozialer Herkunft wie das deutsche. Das Bundesland mit der größten Anzahl an Schularten in der Sekundarstufe I – Frau Ministerin, das wissen Sie – ist auch noch das unsere in RheinlandPfalz. Das halte ich für äußerst problematisch. Ich glaube, dass es vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung dringend einer Umstrukturierung bedarf.

Wenn wir die Leistungsfähigkeit unseres Systems erhöhen wollen, müssen wir uns die Frage der Schulstruktur stellen und dürfen diese Frage nicht links liegen lassen, wie Sie es tun. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind uns mit den Experten einig, dass die Schulstruktur hin zu einem längeren gemeinsamen Lernen geändert werden muss, um unser Bildungssystem nachhaltig zu verbessern.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das verstehen wir unter einer nachhaltigen und individuellen Förderung, die sich nicht auf eine unverantwortliche – wie gestern Herr Kollege Böhr gesagt hat und wie ich das unterstreichen möchte – Elitedebatte beschränken darf. Wenn Sie, Frau Ministerin Ahnen – Sie haben das sehr deutlich getan; ich danke Ihnen dafür –, diese Elitehochschuldebatte für falsch und für kontraproduktiv halten, dann müssten Sie, und auch Sie von der SPD-Fraktion im rheinlandpfälzischen Landtag, wenigstens dann auch so konsequent sein, auch von den geplanten Eliteschulen, die der gleichen Logik wie diese Elitehochschulen folgen, Abstand zu nehmen, wie wir es in einem Änderungsantrag aufgeschrieben haben. Deshalb bitten wir Sie in dem Bereich um Ernsthaftigkeit und Unterstützung unseres Antrags.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte gern auf zwei unserer Anträge etwas näher eingehen, die genau auf die von der Ministerin angeführten Schnittstellen zielen. In den internationalen Vergleichsstudien ist ganz deutlich geworden, dass die öffentlichen Ausgaben für Schülerinnen und Schüler der Grundschulen in Deutschland geringer sind als im internationalen Durchschnitt. Da in den Grundschulen die wesentlichen Grundlagen für die späteren schulischen Leistungen und auch für die persönliche Entwicklung gelegt werden, müssen auch dort die Möglichkeiten, auf die individuellen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen, nachhaltig verbessert werden.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will die rückläufige Zahl an Schülerinnen und Schülern in den Grundschulen zu einer wirklichen Qualitätsoffensive nutzen. Wir wollen damit die, nicht mehr für die Abdeckung des Regelunterrichts benötigten Stellen – wir haben das im Schuljahr 2004/2005 mit 150 Stellen beziffert – im Bereich der Grundschulen belassen. Sie wollen sie umressortieren. Wir wollen sie in den Grund

schulen belassen, weil wir damit insbesondere Kinder mit Sprachschwierigkeiten fördern wollen und Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund in der Verkehrssprache Deutsch verbessern. Wir halten das für eine zentrale Forderung. Wir halten gerade den Bereich der Grundschulen für einen Bereich, der im Mittelpunkt unserer Debatte sein muss. Deswegen haben wir dazu Änderungs- und Entschließungsanträge eingebracht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die andere Schnittstelle ist der Übergang von der Schule in den Beruf. Wir haben in Rheinland-Pfalz auch vor dem Hintergrund der weiterhin schwierigen Lage auf dem Ausbildungsmarkt und des negativen Trends der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge dringenden Handlungsbedarf. Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen treffen zum großen Teil auf den regionalen Lehrstellenmärkten aufeinander. Deswegen haben wir auch dazu Anträge gestellt. Dazu brauchen wir alle Möglichkeiten für ein flexibles Reagieren. Wir wollen insbesondere auch die Möglichkeiten der berufsbildenden Schulen als eine ganz wesentliche Partnerin für die berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung entscheidend ausbauen, weil es für uns als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht hinnehmbar ist, dass junge Leute beim Start in ihr Berufsleben auf ein Wiederanspringen der Konjunktur vertröstet werden. Ich glaube, dass wir als Staat Verantwortung tragen, damit natürlich nicht das duale System der Berufsausbildung kaputtmachen wollen, aber wir wollen es stärken und nachhaltig verbessern. Wir können nicht darauf warten, bis irgendwann die Wirtschaft tatsächlich für jeden ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbietet. Wir müssen gegensteuern. Das ist im Bereich der berufsbildenden Schulen am besten angesiedelt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf den Kinder- und Jugendbereich zu sprechen kommen. Ein bedarfsgerechtes und qualitativ hochwertiges Angebot zur Kinderbetreuung ist ein Gewinn für alle, für Kinder, für deren Eltern und auch für die Gesellschaft insgesamt. Eine gute und individuelle frühkindliche Förderung unterstützt die Kinder und verhilft ihnen zu guten, zu besseren Start- und Entwicklungschancen. Längst ist erwiesen und Konsens unserer Gesellschaft, dass sich Investitionen in die öffentliche Kinderbetreuung rechnen. Wir GRÜNEN betrachten gerade diese Weiterentwicklung der Kinderbetreuung sowohl qualitativ als auch quantitativ als eine vordringliche Aufgabe, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam leisten müssen. Die Bundesregierung will künftig jährlich 1,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung bereitstellen. Wir setzen uns dafür ein und haben eine Zielmarge in uns erem Antrag formuliert, 20 % der Kleinsten bis zu drei Jahren müssen bis 2008 die Möglichkeit bekommen, in einer Krippe unterzukommen. Wir glauben, dass diese Marge tatsächlich auch durch die Investitionen, die die Bundesregierung uns mit auf den Weg gibt, erreicht werden kann und sie erreicht werden muss. Wir glauben, dass wir Ihnen damit, auch mit unseren dementsprechenden Anträgen, ein bisschen mehr Dampf ma

chen können und sollten, in dem Bereich tätig zu werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Brede-Hoffmann, noch ein Satz zu Ihnen, weil Sie das angesprochen haben. Die Haushaltssperren der letzten Jahre haben insbesondere im Bereich der Jugendarbeit wirklich das Vertrauen und die Kontinuität von Jugendbildungs- und Freitzeitangeboten nicht gerade gefördert, sondern sie haben zu großen Verunsicherungen im Bereich der Jugendverbände geführt. Deshalb fordern wir Sie in einem Entschließungsantrag auf, die Jugendbildung, insbesondere die außerschulische und die verbandliche Jugendbildung, nachhaltig zu fördern und sie von künftigen Haushaltssperren auszunehmen.

(Ministerpräsident Beck: Aber wir sparen!)

Wir haben es doch gegengerechnet, Herr Ministerpräsident. Wir haben gesagt: Wir setzen Prioritäten. – Ich sage ganz besonders Ihnen: Wir brauchen in RheinlandPfalz endlich einen Paradigmenwechsel, endlich von unsinnigen Investitionen in Straßenneubauten und in Beton hin zu kreativen und umfassenden Investitionen in Kinderbetreuung, in Bildung, in unsere Schulen, in unsere Kindertagesstätten, in unsere Hochschulen und in unsere Aus- und Weiterbildungseinrichtungen. Das ist das, wofür wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen. Sie ärgern sich darüber. Aber es ist so.

(Ministerpräsident Beck: Ich ärgere mich nicht! Ich wundere mich über so viel Naivität!)