Protokoll der Sitzung vom 12.02.2004

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Wiechmann, wir würden alle gern beschließen, dass künftig überhaupt niemand mehr die Schule ohne einen qualifizierten Hauptschulabschluss verlässt. Wir wissen, dass dieser Traum den wir träumen, so schnell nicht Wirklichkeit werden kann. Dort hätten wir auch die Rechnung ein wenig ohne den Wirt – in dem Fall die betroffenen Jugendlichen – gemacht, die an diesem Prozess mitwirken müssen und wollen müssen.

Sicherlich ist es eine unserer vornehmsten Aufgaben und eine der vornehmsten Aufgaben des Ministeriums, dafür Sorge zu tragen, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass weniger Schülerinnen und Schüler die Schulen ohne Abschluss verlassen. Machen wir uns nichts vor. Wir wissen, dass der Anteil der Jugendlichen, der perspektivlos aus der Schule geht, keine Berufsausbildung findet, sich in Warteschleifen befindet und irgendwann in der Arbeitslosigkeit landet, viel größer ist als der Anteil, der ohne Schulabschluss ist.

Wichtig ist ein Zusammenwirken mit all denjenigen, die an dem Thema „Berufsausbildung“ mitwirken, indem sie im dualen System die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen müssen. Das haben wir gestern auch an dieser Stelle schon gesagt. Diese gesellschaftliche Aufgabe, nämlich Zukunftsperspektiven für Jugendliche zu bilden, kann und darf nicht allein dem System „Schule“ zugeschoben werden; denn dann verengen wir die Perspektiven auch dort ganz wesentlich.

Wir müssen auch darüber reden, dass Kommunen Aufgaben haben und sich die Arbeit in den Jugendzentren, in den Jobcentern und der Streetworker nicht vermindert, sondern vermehrt hat. Die wichtigste Debatte – auf diese sollten wir immer wieder hinweisen – ist, dass wir uns gesellschaftlich einig werden, dass das Wegschauen eine der schlimmsten Tätigkeiten ist, die stattfinden können, und das Starkmachen von Eltern, sowie die Solidarität zwischen Eltern und Schule, zwischen den Lehrkräften und den Schülerinnen und den Schülern ganz hoch sein muss, damit der Mut vorhanden ist zu sagen: Hier ist Gewalt geschehen. Wir werden dieser solidarisch entgegentreten. – Ich glaube, das ist eine Aufgabe, an der wir zusammen arbeiten müssen. Ich

erlebe oft genug in Diskussionen, wie zum Beispiel auf Elternabenden und mit Eltern,

(Glocke der Präsidentin)

dass Eltern mit dem spitzen Finger auf die Schule zeigen, wenn die Schule das Thema „Gewalt“ problematisiert, anstatt zu begreifen, dass die Solidarität zwischen dem Elternhaus und der Schule und dem Elternhaus und den Schülerinnen und Schülern gefragt ist. Hier müssen wir alle zusammenarbeiten.

(Beifall der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Schreiner das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz noch einmal auf die Inhalte von der Bildung in diesem Zusammenhang eingehen. Sie haben es alle gelesen. Der Weiße Ring fordert Benimm-Unterricht. Die CDU-Regierung im Saarland führt ihn ein. Die Stellungnahme der rheinland-pfälzischen Landesregierung lautet: Das brauchen wir nicht. Das wird schon geleistet.

Was ist Benimm-Unterricht? Wo findet dieser statt? Ich kann Ihnen sagen, wo dieser stattfindet. Dieser findet zum Beispiel in Sport und in Religion statt. Sie werden vielleicht lächeln. Wo soll man Fairness lernen, wenn nicht zum Beispiel im Sportunterricht? Wo soll man Toleranz lernen, wenn nicht zum Beispiel im Ethik- und im Religionsunterricht?

Wenn man sich den Unterrichtsausfall an den berufsbildenden Schulen ansieht, fällt auf, dass der Unterricht vor allen Dingen in den allgemein bildenden Fächern ausfällt, zum Beispiel in Sport und in Religion. Das ist schlimm. Wenn man sich überlegt, dass allein in Mainz in den vier berufsbildenden Schulen 25 Lehrerstellen fehlen, nehmen sich die landesweit 3,5 zusätzlichen Stellen, die Sie dankenswerterweise für die Schulsozialarbeit schaffen, sehr dürftig aus.

(Beifall der CDU)

Wir brauchen – das bemängeln auch die Ausbilder; das hatten wir gestern beim Bericht der EnqueteKommission „Zukunft der Arbeit“ gehört – nicht nur fachliche Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Sozialkompetenz, die man in den allgemein bildenden Fächern lernt.

(Itzek, SPD: Das kann man nur im Elternhaus erwerben!)

Hier können sich die SPD und die FDP nicht herausreden. Sie haben die Verantwortung. Die berufsbildenden Schulen brauchen eine Lobby. Leider haben sie diese Lobby in der amtierenden Landesregierung nicht.

Vielen Dank. (Beifall der CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Morsblech das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass es mir zeitweise jetzt langsam etwas schwer fällt, die Debatte auch in diesem Ton durchzuhalten, weil Sie Dinge ansprechen, Herr Abgeordneter Schreiner, bei denen ich komplett anderer Meinung bin und mich auch sehr echauffieren könnte, wenn wir jetzt nicht eine sehr ernste Debatte führen würden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Schreiner, CDU)

Ich möchte nur eine Anmerkung dazu machen. Ich finde das Dazwischengebrüll auch nicht so angemessen. Wir sind uns mit Sicherheit alle einig, dass wir die Eltern stärken müssen, wir Kinder und Jugendliche auch in den Schulen und in den Kindertagesstätten so erziehen müssen, dass sie überall dort, wo sie in diesen Institutionen erzogen werden, auch in die Lage versetzt werden, Konflikte zu bewältigen, wir Perspektiven bieten müssen, wir Zivilcourage fördern müssen. Aber das kann man doch nicht isoliert in einzelnen Fächern tun. Sie können mir nicht sagen, dass der Mathematiklehrer oder der Deutschlehrer nicht auch die Aufgabe wahrnehmen, Teamgeist und Konfliktfähigkeit zu fördern.

(Dr. Gölter, CDU: Das hat er gesagt!)

Er hat gesagt, dies geht nur im Sportunterricht und im Religionsunterricht. Dann sagte er, es geht nur in den allgemein bildenden Fächern. In der Metallwerkstatt in einer BBS kann ich sehr gut auch diese Dinge lernen.

(Beifall bei FDP und SPD – Zurufe im Hause)

Dann möchte ich auch nicht noch einmal die Debatte zum Unterrichtsausfall an der BBS wiederholen; denn diese haben wir gestern geführt. Da sahen Sie ziemlich alt aus.

(Vereinzelt Beifall bei FDP und SPD – Zurufe von der CDU)

Es ist sehr schwierig, das Ganze, was man so tut – das haben wir jetzt auch sehr umfangreich aufgezählt –, zu evaluieren. Seit dem Jahr 2001 gibt es immer eine Meldung an die ADD, zumindest sind die Schulen angehalten, Gewaltvorfälle zu melden. Vielleicht kann man dort noch einmal ein bisschen zielgenauer den Gewaltbegriff definieren oder häufige Vorkommnisse auch kategorisieren und vielleicht auch nach Alter erfassen und etwas besser systematisieren, damit wir vielleicht noch einen besseren Überblick haben, um Präventionsmaßnahmen, die dann konkret stattfinden, etwas zielgenauer einzusetzen als bisher; denn der gesamte Bereich der Evaluation, mit dem ich mich auch hier beschäftigt habe, ist

schon sehr komplex und auch ein ganz schwieriger. Das noch als konkreter Hinweis.

Vielen Dank.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Wir treffen uns um 13:45 Uhr wieder.

U n t e r b r e c h u n g d e r S i t z u n g: 12:42 Uhr.

W i e d e r b e g i n n d e r S i t z u n g: 13:47 Uhr

Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu Punkt 15 der Tagesordnung:

Regierungserklärung

„EU-Osterweiterung – Chancen für die rheinland-pfälzische Wirtschaft“

Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von 15 Minuten verständigt.

Das Wort hat Herr Staatsminister Bauckhage.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade noch 80 Tage sind es bis zum historischen EU-Erweiterungstermin 1. Mai 2004. Ein Datum, das ohne Frage in die Geschichte eingehen wird, ist doch die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Teilung Europas dann endgültig überwunden.

Gleichzeitig ist diese EU-Erweiterung eine der ganz großen Chancen der Europäischen Union. Sie ist angesichts der Zahl der Länder, des Reichtums der Geschichte, der Vielfalt der Kulturen die politische, historische und kulturelle Chance zur langfristigen Garantie von Frieden, Freiheit und Wohlstand in ganz Europa.

Ich darf die heutige Regierungserklärung nutzen, um vor diesem Hintergrund die Chancen für die rheinlandpfälzische Wirtschaft darzulegen. Vorstellen darf ich ferner den strategischen Service der Landesregierung mit der breiten Palette an Unterstützung für rheinlandpfälzische Unternehmen. Rund 80 % unserer Außenwirtschaftsaktivitäten sind derzeit auf Mittel- und Osteuropa konzentriert.

Meine Damen und Herren, ein klares Wort zu Beginn: Die rheinland-pfälzische Landesregierung steht zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und damit auch

zu den Prinzipien des freien Handels und der größtmöglichen Mobilität von Kapital und Arbeit.

Wenn deshalb jetzt mit der EU-Osterweiterung der weltweit größte einheitliche Wirtschaftsraum entsteht, dann ist das für unsere Wirtschaft und für unser Land in allererster Linie eine große Chance.

(Beifall der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, gleichzeitig steht für die Landesregierung fest: Die Menschen der Erweiterungsländer werden die EU neu prägen. Es sind Frauen und Männer, die in ihren Gesellschaften entschlossen zugepackt, aufgeräumt, Chancen ergriffen und den Neubeginn gewagt haben. Durch die Planwirtschaft verkrustete Staatsapparate wurden reformiert, wirtschaftliche Freiheiten und Unternehmergeist erfolgreich etabliert.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesam twirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten 2003/2004 die Beitrittsländer in diesem Sinn ausdrücklich gelobt. Dort heißt es: „Seit Beginn des Beitrittsprozesses haben die einst als zentrale Lenkungswirtschaften organisierten mittel- und osteuropäischen Länder in Tempo und Ausmaß außergewöhnliche Fortschritte erzielt in Richtung funktionsfähiger Marktwirtschaften.“

Auch ich bin gerade auch nach Besuchen in diesen Ländern überzeugt: Die Erweiterung wird der ganzen EU frischen Schwung und eine neue Dynamik verleihen. Der Wettbewerb der Wirtschaftssysteme innerhalb der EU wird gestärkt werden, und davon wird auch Deutschland profitieren.

Zweifelsohne wird dieser Wettbewerb auch die Schwachstellen unseres Wirtschaftssystems aufdecken. Wir sollten deshalb die EU-Erweiterung auch als zusätzlichen Ansporn nehmen, um die bei uns eingeleiteten Reformen weiter fortzusetzen.

(Beifall der FDP und bei der SPD)