„Partnerland Ruanda – 10 Jahre nach dem Völkermord“ auf Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 14/3102 –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident! Unser Partnerland hat 1994 in einem schlimmen Genozid rund eine Million Menschen verloren. Mehrfach haben wir darüber in diesem Parlament gesprochen. Herr Minister, Sie waren während der Trauerwochen anlässlich dieses Genozids in Ruanda und haben dadurch wieder einmal die Verbundenheit unseres Landes, aber auch Ihre ganz persönliche bewiesen.
Sie haben auch – so war es zu lesen – über die ungebremste Lebendigkeit dieser Partnerschaft berichtet. Es ist für uns alle sicher kaum nachvollziehbar, in welcher Ruhe dieses Land seine Entwicklung nach diesem Genozid nimmt, den Versöhnungsprozess langsam weiterführt trotz der ganz großen Probleme, die es gibt: wirtschaftliche Not, unendlich große Armut, kaum eine Infrastruktur, kein Gesundheitswesen, das in irgendeiner Form unserem Verständnis entspricht, Bewältigung der Kriegsfolgen, Bewältigung eines enormen Bevölkerungswachstums und Bevölkerungszustroms.
Ruanda hatte demokratische Wahlen. Es ist Ruhe im Land. Wie verlautet, sind die Truppen aus dem Kongo zurückgezogen worden. Die Partnerschaftsprojekte laufen weiter. Alles in Ordnung, könnte man meinen oder wird man fragen. Herr Minister, wir fragen Sie: Ist alles in Ordnung, oder ist diese Ordnung relativ oder vielleicht sogar trügerisch? – Aus Anlass Ihres Besuchs und der frischen Eindrücke und Gespräche bitten wir Sie, uns zu informieren und uns auch offen zu legen, wo ein offensichtlicher Handlungsbedarf noch oder wieder besteht.
Wir werden auf keinen Fall unsere Standards bei der Beurteilung zugrunde legen, aber können die Bedenken zurückgewiesen werden, welche von rheinlandpfälzischen Organisationen und amnesty international im Hinblick auf eine Beeinflussung bei den Wahlen vorgetragen werden? Wie sieht es aus mit den demokratischen Rechten, dem passiven Wahlrecht, der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit, keiner Beeinflussung der Medien? Herr Minister, wie beurteilen Sie den aktuellen Stand des Versöhnungsprozesses? Entwickelt
er sich dynamisch, oder müssen wir eine Stagnation feststellen? Wie sieht es vor allem mit der Gerichtsbarkeit aus? Kommen die Gacacas voran?
Ich habe da ein bedrückendes Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass noch immer vielleicht 100.000 Menschen in Gefängnissen zusammengepfercht sind, obwohl nach ruandischem Recht eigentlich schon fast alle aufgrund des Zeitablaufs entlassen sein müssten. Sollten wir die rheinland-pfälzischen Graswurzelpartnerschaften nicht noch stärker einbinden oder ergänzen in einer Kooperation mit den Regierungen, zum Beispiel Hilfen des Bundes oder der EU.
Diese Graswurzelpartnerschaften sind immer noch dringend notwendig, da sie die Menschen direkt erreichen, aber die Energieversorgung, die Versorgung mit hygienisch brauchbarem Wasser, die Beseitigung der Abwässer und die Abfallproblematik müssen auf einer anderen Ebene gelöst werden und müssen angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums dringend angegangen werden.
Selbstverständlich gilt dies auch für das wirtschaftliche Wachstum. Es gibt also noch eine Menge zu tun. Herr Minister, was können wir im Rahmen unserer Partnerschaft in Rheinland-Pfalz tun?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion begrüßt natürlich eine Aussprache über das Partnerland Ruanda. Wir haben uns aber schon gefragt, warum es Inhalt einer Aktuellen Stunde werden muss. Herr Kollege Franzmann, das hat uns schon etwas verwundert. Ansonsten sind wir immer gern bereit, über unser Partnerland zu diskutieren, war es doch der vormalige Ministerpräsident Bernhard Vogel, der diese Partnerschaft initiiert hatte. Aber unbeschadet dessen hätte ich mir gewünscht, dass wir etwas mehr Zeit hätten, um das Thema dann auch ausführlich zu behandeln. Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Partnerland Ruanda – 10 Jahre nach dem Genozid: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Rückblick, was ist in diesen zehn Jahren geschehen? – Herr Kollege Franzmann hat es angesprochen, es gibt eine offene Kritik von vielen Gruppierungen hier in Rheinland-Pfalz, die sagen, mit den Menschenrechten in Ruanda steht es nicht zum Besten. Ich selbst war als Diskussionspartner bei amnesty international, Koordinationsgruppe Ruanda, in Landau am 1. März, wo mir diese Fragen auch gestellt wurden. Ich habe damals darauf hingewiesen, dass wir alle einem Fehler unterliegen, wenn wir an die Entwicklung in Ruanda unsere Erfahrungswerte der Demokratie
anlegen. Das ist einer der grundlegenden Fehler. Man hatte damals auch die starke politische Stellung des Präsidenten kritisiert. Ich habe am 1. März auch gesagt, es ist gerade in diesen Zeiten des Übergangs notwendig, dass in einem Land, das über viele Jahre durch Bürgerkrieg und Genozid zerrüttet war, eine starke politische Führung installiert wird, um die Zeit der Vorbereitung der Demokratisierung sicher zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, wir dürfen die Leistung nicht verkennen, die in Ruanda in diesen zehn Jahren nach dem Genozid in politischer Hinsicht erbracht hat. Wir haben erstmals im Land Kommunalwahlen gehabt. Wir hatten Präsidentschaftswahlen. Wir hatten Parlamentswahlen. Das alles waren völlig neue Erfahrungen für dieses Land, und das vor dem Hintergrund oder nach dem Zustand des Genozids.
Kurzum, ich bin der Meinung, die Entwicklung in Ruanda kann sich sehen lassen. Sie befindet sich auf einem guten Weg. Wir müssen alles daran setzen, um diesen Prozess zu begleiten.
Die wirtschaftlichen Probleme sind auch bekannt, aber das ist nicht singulär für Ruanda. „Afrika, der verlorene Kontinent“, wie er auch immer genannt wird, ist einerseits die Wiege der Menschheit und andererseits der dynamisch sich entwickelnde Kontinent, was die Bevölkerungsentwicklung angeht. In Afrika sind derzeit mehr als 50 % der Bevölkerung jünger als 18 Jahre. Gleichzeitig sind aber mehr als 50 % der Bevölkerung bitterarm. Das ist leider Fakt und der Zustand des heutigen Afrikas. Dann nützt es auch nichts, wenn wir von Exotik und zum Teil auch von Erotik träumen. Die Probleme in Afrika sind zum Teil auch durch die Europäer hausgemacht. Ich erinnere an den Kongress von Berlin Ende des 19. Jahrhunderts, als die Grenzaufteilung Zentralafrikas erfolgte. Auch hieraus erwächst gerade uns Europäern eine vermehrte moralische Verpflichtung, diesem Kontinent zu helfen.
Das Jahr 2004, zehn Jahre nach dem Genozid in Ruanda, heißt für uns Deutsche insbesondere 100 Jahre nach dem Herero-Aufstand in Namibia, auch aus dieser Perspektive haben wir, die Deutschen, eine besondere Verantwortung. Das Land Rheinland-Pfalz, das auch in schweren Zeiten zu der Partnerschaft zu Ruanda stand, geht hier einen guten Weg voraus und ist beispielhaft.
Es ist in Ruanda auch nicht vergessen, dass es das Land Rheinland-Pfalz war, das nach Beendigung des Genozids im Juli/August 1994 als erstes ausländisches Land das Land Ruanda wieder besucht hat. Auch das soll erwähnt werden. Auch das ist in Ruanda nicht vergessen.
Meine Damen und Herren, es ist auch die Gerichtsbarkeit angesprochen worden, die Probleme mit der Aufarbeitung des Völkermords hat. Aber stellen Sie sich einmal vor, es gab in Ruanda keine Justiz mehr. Es gab kaum noch Rechtsanwälte. Es gab keine Richter. Es gab keine funktionierenden staatlichen Institutionen, und es gab 130.000 Menschen in Gefängnissen. Wir haben 1997 bei meiner ersten Reise mit dem Herrn Ministerpräsidenten erlebt, welche Zustände in Kigali damals herrschten. Ich habe dann 2000 und 2002 bei weiteren
Reisen doch eine deutliche Verbesserung dieser Lage feststellen können. Wenn nun der Staat versucht, mit den Gacaca-Gerichten einen Großteil dieser Probleme aufzuarbeiten und zur Versöhnung beizutragen, ist das lobenswert und unterstützungswert, aber wir dürfen auch diese Gerichtsbarkeit nicht überfordern; denn die Kolonialmächte hatten damals in den 30er-Jahren – – –
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schlimm, was vor zehn Jahren in Ruanda passierte. Rund 1 Million Menschen verloren damals ihr Leben. Minderheiten und Oppositionelle wurden brutal ermordet. Das grauenvolle Ausmaß dessen ist den Menschen in Ruanda bewusst. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Genozid-Prozessen, die bereits 1996 durchgeführt wurden.
Gerade weil dieser Genozid im April 1994 so brutal und verheerend war, war unsere Entscheidung, an der Partnerschaft festzuhalten, umso wichtiger.
Gerade in schwierigen Zeiten brauchten und brauchen die Menschen in Ruanda starke und verlässliche Partner. Heute gehört der Genozid der Vergangenheit an. Er darf jedoch niemals in Vergessenheit geraten. Daran sollten wir mitarbeiten. Genauso müssen wir aber auch an der Zukunft Ruandas mitarbeiten und den Blick nach vorn richten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Frieden stiftenden Beiträge, die den Menschen sehr helfen, waren und sind für ein Land wie Ruanda wichtig. Projekte in den existenziellen Bereichen Bildung, Gesundheit, Trinkwasserversorgung, berufliche Ausbildung, Landwirtschaft und Sozialwesen schaffen für die Bevölkerung die Grundversorgung und ein Stück Lebensqualität.
In der Wirtschaft ist die ruandische Bevölkerung bereits auf einem guten Weg. Durch die gemeinsame Vermarktung von beispielsweise Kaffee steigen die Chan
Ruanda hat durch die ausdauernde rheinland-pfälzische Unterstützung innere Stabilität bewahrt und auf mehr Menschlichkeit gesetzt. Davon konnte auch ich mich bei meinem Aufenthalt in Ruanda durch einige Beispiele überzeugen lassen.
Der Wunsch nach Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden zeigt sich im Vorantreiben des Demokratisierungsprozesses. Das Referendum zur Annahme der neuen Verfassung erhielt immerhin 93 % Zustimmung. Außerdem wurden Parlament, Senat und Präsident im vergangenen Jahr gewählt.
Meine Damen und Herren, die Bilanz, die wir zehn Jahre nach dem Völkermord für Ruanda ziehen können, ist sowohl politisch, sozial als auch wirtschaftlich eine pos itive.
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine persönliche Anmerkung. Gerade in diesen unruhigen Zeiten, in denen wir leben, in denen Terror und Gewalt um sich greifen, tut es mir gut zu wissen, dass wir mit der Partnerschaft in Ruanda genau dem entgegentreten. Wir helfen der ruandischen Regierung und dem ruandischen Volk durch unsere Unterstützung dabei, sich politisch zu stabilisieren und wirtschaftlich zu emanzipieren.
Es wäre wünschenswert, wenn sich auch weiterhin neue Kommunen in Rheinland-Pfalz fänden, die Projekte in unserem Partnerland unterstützten; denn eines steht fest: Wenn die Wirtschaft wächst und zumindest die Grundbedürfnisse der Bevölkerung gedeckt sind, können Stabilität und dauerhafter Friede existieren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Während vor genau zehn Jahren die Weltöffentlichkeit ihren Blick auf die ersten freien Wahlen in Südafrika gerichtet hatte – ich weiß das; denn ich habe das selbst als ein Aufbruchsignal für Afrika empfunden –, begann kurz zuvor in Ruanda einer der furchtbarsten Völkermorde seit dem Holocaust. Innerhalb von 100 Tagen wurden mehr als 800.000 Menschen teilweise auf bestialische Weise umgebracht.
Wir dürfen heute auch nicht verschweigen, dass die UNO und die gesamte Staatengemeinschaft beschämend versagt haben, indem sie ihre in Ruanda stationierten Blauhelmtruppen nicht verstärkten, sondern sogar abzogen und die Bevölkerung damit ihrem schrecklichen Schicksal überließen.
Die Vereinten Nationen müssen sich auch heute noch den Vorwurf gefallen lassen, vor zehn Jahren nichts unternommen zu haben, um diesen Völkermord zu verhindern, obwohl es Hinweise auf Vorbereitungen für die Massaker gab.