Protokoll der Sitzung vom 27.05.2004

Meine Damen und Herren, auch wir GRÜNEN verschließen uns nicht diesen Lösungsmöglichkeiten, wie sie dort vorgesehen sind. Wir wollen die Probleme, die das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat, lösen. Wir wollen das in einer Form, die gewährleistet, dass das der überragenden Bedeutung der Freiheitsrechte der Betroffenen gerecht wird.

Meine Damen und Herren, wir nehmen das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung auch als GRÜNE ernst, aber populistische Sprüche sind keine Lösung dafür. Wenn hier gerade dazwischengeredet wurde, dass die GRÜNEN den Rechtsstaat kaputtmachen, dann kann ich nur sagen, es ist umgekehrt. Eine Partei, die fordert, dass verfassungswidrige Gesetze eingeführt werden, sägt an der Wurzel des Rechtsstaats.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei SPD und FDP)

Es spricht Herr Abgeordneter Creutzmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Baldauf und im Einklang damit auch Frau Kollegin Kohnle-Gros, was die CDU in letzter Zeit im rheinland-pfälzischen Landtag oder wo auch immer verursacht, kann ich nur, fast nur mit tiefstem Abscheu – – –

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zurufe von der CDU)

Sie versuchen zu suggerieren, dass diese Landesregierung im Bereich des Rechts versagt hätte und wissen ganz genau als Juristen, dass selbst, wenn alles das, was sie fordern, schon dagewesen wäre, auch diese Fälle hätten passieren können, weil es unabhängige Gerichte gibt und unabhängige Richter auch nur Menschen sind und mit Sicherheit auch Fehl und Tadel ha

ben werden und diese Gesetze, wenn sie auch kommen, das, was geschehen ist, nicht ausschließen können.

Meine Damen und Herren, ich habe mich informiert, was den Fall „Polch“ betrifft. Das halte ich Ihnen, der CDU, jetzt vor, weil hier wieder indirekt suggeriert wurde, „Polch“ hätte nicht passieren können. Der Tatverdächtige, der im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt einer jungen Skaterin am 26. April 2004 bei Polch festgenommen worden ist, ist am 12. Februar 2004 nach vollständiger Verbüßung einer zehnjährigen Haftstrafe wegen Vergewaltigung aus der Haft entlassen worden, zu der er am 30. August 1994 durch das Landgericht Koblenz verurteilt worden war.

Die zuständige Kammer hat seinerzeit die Sicherheitsverwahrung nicht angeordnet, weil nach der damals geltenden Fassung des § 66 des Strafgesetzbuches die formellen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nicht vorlagen. Voraussetzung wäre gewesen, dass der Angeklagte wegen zweier Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von jeweils mindestens einem Jahr verurteilt worden wäre. Das war nicht der Fall, da zuvor in einem anderen Fall gegen den Angeklagten wegen einer einzelnen Tat eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt worden war.

Frau Kollegin Kohnle-Gros, nach Entlassung aus der Strafanstalt am 12. Februar 2004 war der Verdächtigte ab 14. Februar 2004 aufgrund richterlicher Anordnung vorübergehend als suizidgefährdet in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht. Er wurde am 24. März 2004 entlassen, nachdem gestützt auf ärztliche Gutachten weder eine Suizidgefahr noch eine krankheitsbedingte akute Fremdgefährdung bestätigt wurde. Dass der Mann als gefährlich, geistig und sexuell äußerst verwirrt eingestuft wurde, reicht allein nicht aus, um ihn sozusagen präventiv hinter Gitter zu bringen. Eine Diskussion um eine nachträgliche Sicherungsverwahrung greift hier nicht.

Das ist mein Vorwurf, dass wir uns hier im Parlament alle einig sind, dass wir alles tun müssen, gesetzgeberische Voraussetzungen schaffen müssen, dass nach Menschenmöglichkeit solche Täter vor der Allgemeinheit weggesperrt werden. Da sind wir uns einig. Herr Kollege Baldauf, da nicken Sie, aber wer schließt denn aus, wenn das jetzige Gesetz in Berlin verabschiedet wird, dass es trotzdem nicht zu solchen Dingen kommen kann?

(Baldauf, CDU: Machen wir alle Gesetze weg!)

Nein. Die Voraussetzungen müssen geschaffen werden. Wogegen wir uns hier immer verwahrt haben, ist, dass wir sehenden Auges als Land ein verfassungswidriges Gesetz in diesem Land verabschieden, obwohl wir wissen, dass dieses nicht verfassungskonform ist. Das ist das, was Sie uns immer weismachen wollen, dass Sie uns immer zu dem aufgefordert haben, wozu wir nicht bereit sind, auch in Zukunft nicht bereit sein werden.

Meine Damen und Herren, ein Rechtsstaat lebt vom Vertrauen. Dieses Vertrauen darf nicht beschädigt werden. (Frau Reich, SPD: Sehr richtig!)

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Justizminister Mertin.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, niemanden in diesem Raum lässt es unberührt, wenn schreckliche Verbrechen an Kindern, an Frauen, aber auch an Männern geschehen. Das lässt auch mich nicht unberührt. Wenn ich aber in meinem Amt zu entscheiden habe, muss ich weitgehend Emotionen ausschalten und prüfen, auf welcher sauberen verfassungsrechtlichen Grundlage überhaupt etwas unternommen werden kann. In der Frage der nachträglichen Sicherungsverwahrung war es meine Überzeugung, dass es nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Landes fällt und insoweit ein Gesetz, das die Landesregierung auf den Weg gebracht hätte, verfassungswidrig wäre. Herr Kollege Baldauf, wenn ich dieser Überzeugung bin, kann ich dies nicht tun. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung bestätigt. Es wäre ein verfassungswidriges Gesetz gewesen. Sie können von einem Justizminister nicht erwarten, dass er selbst sehenden Auges ein Gesetz auf den Weg bringt, das er für verfassungswidrig hält.

(Beifall der FDP und der SPD – Creutzmann, FDP: So ist es!)

Selbstverständlich muss der Rechtsstaat in dem ihm gesetzten Rahmen vorgehen. Der Rechtsstaat ist manchmal schwer auszuhalten, auch für einen Justizminister, weil der rechtliche Rahmen uns nämlich Grenzen für unser Handeln setzt. Das müssen wir akzeptieren. Insofern muss ich immer wieder prüfen, welche Möglichkeiten im Rahmen des gesetzlichen Handelns bestehen.

Herr Kollege Baldauf, es war klar, dass auf Bundesebene im Bundestag damals eine Mehrheit nicht zu finden war. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist auch gescheitert. Nach dem klarstellenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeichnet sich aber in beiden Häusern – sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag – eine Mehrheit ab. Das Gesetzgebungsverfahren ist von der Bundesregierung auch unverzüglich in die Wege geleitet worden, sodass ich davon ausgehe, dass wir im Herbst eine entsprechende Regelung auf verfassungskonformer und rechtlich sauberer Grundlage haben werden. Wenn Sie mir vorhalten, dass ich Ihnen in der Antwort auf die Kleine Anfrage mitgeteilt habe, dass die Landesregierung ihre Haltung erst in der Kabinettssitzung vor der letzten Bundesratssitzung festlegen wird, so entspricht dies den üblichen Gepflogenheiten im

Gesetzgebungsgang auf Bundesebene. Das macht die Landesregierung immer so. Es macht auch keinen Sinn, es vorher festzulegen, Herr Kollege Baldauf. Es macht nur Sinn, sich festzulegen, wenn die Beratungen abgeschlossen sind.

(Beifall der FDP und der SPD – Creutzmann, FDP: So ist es!)

Im Bundesrat finden nun einmal zwei Durchgänge statt. Der erste Durchgang hat stattgefunden. Eine Stellungnahme des Bundesrates ist verabschiedet worden. Jetzt verhandelt der Bundestag in seinen Gremien. Dann kommt das Gesetz in den Bundesrat zurück. Ich kann Ihnen zusichern, dass wir nach sorgfältiger Prüfung auch eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen werden. Das werden wir dann machen, wenn es das Gesetzgebungsverfahren erfordert. Das wird noch einige Wochen dauern. Sie können aber nicht sagen, dass nach den klarstellenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht unverzüglich ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gekommen wäre, das sicherstellt, dass diejenigen, die jetzt vorübergehend noch in Sicherungsverwahrung sitzen, nicht doch entlassen werden müssen, weil die Frist, die das Bundesverfassungsgericht für eine entsprechende verfassungskonforme gesetzliche Grundlage gesetzt hat, abgelaufen ist. Insofern gehe ich davon aus, dass wir dieses bis zum Herbst erledigt haben werden. Nur haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich bei aller Emotionalität in solchen Fällen nichts Verfassungswidriges als Justizminister vorschlagen kann und auch vorschlagen werde bei aller Schwierigkeit, die damit verbunden ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen Umstand hinweisen. Bei aller Perfektion, die unser Rechtsstaat hat, können wir nie ausschließen, dass wir einen Fehler machen. Genauso wie es in der Vergangenheit immer wieder dazu gekommen ist, dass jemand unter Umständen zu Unrecht verurteilt worden ist, können wir auch letztlich nicht ausschließen, dass in den Verfahren zur Sicherungsverwahrung jemand zu Unrecht in Sicherungsverwahrung genommen wird. Deswegen ist es umso dringender, hier sehr sorgfältig zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen wir dies tun wollen; denn Sie müssen eines sehen: Derjenige, der in Sicherungsverwahrung genommen werden soll, hat seine Strafe abgesessen. Insofern sind die verfassungsrechtlichen Hürden, die zu beachten sind, sehr hoch. Auch die verfahrensrechtlichen Hürden sind sehr hoch. Deswegen ist es vernünftig, wie die Bundesregierung vorgeschlagen hat, dass zwei voneinander unabhängige Gutachter dieses bestätigen müssen. Es ist auch vernünftig, wie es das Verfassungsgericht vorgesehen hat, dass dieses immer wieder zu überprüfen ist.

Herr Kollege Baldauf, die Gutachten sind nicht nur dann gut, wenn sie in Ihrem Sinn ausfallen. Die Gutachter müssen von uns auch beachtet werden, wenn sie umgekehrt sagen, es kann das Risiko der Freilassung eingegangen werden. Ich erinnere mich an Sitzungen in diesem Hause, wo mir vorgehalten wurde, dass wir solche Gutachten beachtet hätten.

(Abg. Frau Reich, SPD: Richtig, sehr richtig!)

Damals wurde dann eingewandt, diese Gutachten seien auf unsicherer Grundlage zustande gekommen, die Entwicklungs- und Prognosefähigkeit sei eingeschränkt und letztlich könne man nicht in den Kopf der Menschen schauen.

Herr Baldauf, das gilt aber nicht nur, wenn das Gutachten sagt, wir können es riskieren, das gilt auch umgekehrt. Auch das ist in einem Rechtsstaat zu berücksichtigen. Deswegen ist für einen Justizminister an der Stelle bei aller persönlichen Betroffenheit Emotionalität in der Entscheidung leider nicht möglich.

(Beifall der FDP und der SPD)

Ich erteile Frau Abgeordneter Kohnle-Gros das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen und der Landesregierung, ich kann Sie in dieser Diskussion nicht so ohne weiteres aus der Verantwortung entlassen. Sie können versuchen, uns mit den unterschiedlichsten Argumenten anzugreifen. Ich darf noch einmal an die Diskussion im Sommer 2001 erinnern.

Herr Kollege Creutzmann, wir haben damals ohne einen konkreten Fall diese Thematik in einer Art und Weise hochgezogen, für die wir uns in keiner Weise zu entschuldigen haben oder uns zu schämen brauchen.

Wenn ich noch einmal darauf zurückkomme, was hier zur Verfassungswidrigkeit der konkreten Gesetze von Baden-Württemberg und Bayern gesagt wird, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage der Kompetenz in den Vordergrund gestellt hat, aber in der Frage der Gefährlichkeit der Täter und des Schutzes der Bevölkerung vor diesen Tätern genau der inhaltlichen Ausgestaltung der Gesetze zugestimmt hat. Es war unser Anliegen im Sommer 2001, im Land eine Bewegung zu initiieren bzw. Initiativen zu unterstützen, die andere vorbereitet haben.

Das können Sie nur über den Bundesrat. Das kann das Plenum nicht. Das wissen Sie genau.

(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Sie wollten doch hier handeln!)

Herr Ministerpräsident, Frau Bundesministerin Däubler-Gmelin, damals SPD-Bundesjustizministerin, hat den Ländern, die Initiativen gestartet hatten, geschrieben, im Bund wird nichts passieren, man will das nicht machen, aber seid so gut und nehmt zur Gefahrenabwehr – darum geht es immer nur – in eure Polizeigesetze entsprechende Regelungen auf. Genau das haben die Länder dann getan. Dass es jetzt heißt, es liegt doch nicht in der Zuständigkeit der Länder, sondern der Bund

ist in der Verantwortung, Entschuldigung, das können Sie uns doch in dieser Debatte nicht anlasten.

(Beifall der CDU)

Da lasse ich nicht mit mir reden.

Auch das jetzt gebrachte Argument, da machen wir lieber gar nichts, weil wir uns nicht einig waren, ob in der Frage von Artikel 2 des Grundgesetzes – – –

Herr Pörksen, das war damals Ihr Thema. Es ging nicht um die Kompetenz, sondern es ging auch immer um inhaltliche verfassungsrechtliche Fragen.

(Pörksen, SPD: Natürlich ging es auch um Inhalte!)

Nein. Sie haben immer über diese Dinge geredet. Eben kam das auch noch einmal mit der Doppelbestrafung und all diesen Geschichten.

(Zuruf des Abg. Hartloff, SPD)

Entschuldigung. Das ist doch jetzt erledigt. Das war im Übrigen schon zu dem Zeitpunkt erledigt, als Bundeskanzler Schröder von Wegsperren, und zwar für immer, geredet hat.

(Beifall der CDU)

Nehmen Sie doch bitte einmal die Geschichte so zur Kenntnis, wie sie immer gewesen ist.

(Zuruf des Abg. Hartloff, SPD)