Protokoll der Sitzung vom 13.12.2004

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe eben sehr aufmerksam meiner Kollegin Marianne Grosse gelauscht und mir zunehmend die Frage gestellt, ob ich das verstehen muss. Ich habe mir die Frage so beantwortet, dass es reicht, wenn ich es in der Struktur verstehe, dass ich aber die Inhalte nicht verstehe.

Wenn das die zentrale sozialpolitische Haushaltsrede der Sozialdemokraten gewesen ist, war es eine Anein

anderreihung von etwas verwirrenden, um nicht zu sagen wirren Einzelaussagen.

(Zurufe von der SPD: Oje! – Schweitzer: Kann es sein, dass Sie jetzt ein bisschen verwirrt sind? – Rösch, SPD: Jetzt sind wir aber einmal gespannt auf Ihre Rede!)

Passen Sie auf, Herr Kollege Rösch, ich lobe gleich noch jemanden aus Ihren Reihen, dann wird es vielleicht noch schlimmer.

(Ministerpräsident Beck: So eine Arroganz! Unglaublich!)

Die Rede war so, dass man keinen Zusammenhang und kein Konzept erkennen konnte. Das muss mich nicht enttäuschen. Ich habe mich dann gefragt: Warum macht sie das? – Ich erkläre mir das damit, dass sie weiß, dass nach mir einer kommt, der Sozialpolitik nun wirklich sehr schwierig macht, zumindest, wenn man Sozialdemokrat ist,

(Schweitzer, SPD: War das ein Lob?)

oder wenn man von einer anderen Richtung Sozialpolitik machen will als die Freien Demokraten.

Ich wollte aber gleich ein Lob an den Anfang stellen. Ich wollte Frau Ministerin Dreyer an dieser Stelle loben. Mir ist aufgefallen, sie macht eigentlich nichts anderes als Frau Kollegin Grosse, nur macht sie es schöner.

(Hartloff, SPD: Oje! – Ministerpräsident Beck: Ihr müsst auch einmal gegendert werden! Den würde ich einmal gendern!)

Es hat dieselbe Ursache.

Ich habe gehört, der Ministerpräsident ruft jetzt zum Gendern auf, ein interessanter Aspekt.

(Ministerpräsident Beck: Ich würde sagen, höchste Zeit! – Rösch, SPD: Also bis jetzt war es Gelabere!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sozialministerin Malu Dreyer ist tatsächlich eine der Höherbegabten in dieser Landesregierung, was die Kommunikationsfähigkeit angeht. Deshalb gelingt es ihr – ich möchte das gar nicht abwerten, das ist auch ein wichtiger Aspekt –, Politik, die vielleicht nicht so nachhaltig stattfindet, wie sie das tun sollte, zumindest gut zu verkaufen.

Deshalb erleben wir immer wieder, dass Ankündigungen gemacht werden und moderiert wird. Das war im Jahr der Behinderten so. Das ist bei der Pflegeoffensive so. Es ist viel guter Wille dabei. Das will ich überhaupt nicht verhehlen. Die Möglichkeiten von Sozialpolitik sind in Rheinland-Pfalz sehr stark eingeschränkt.

(Zurufe der Abg. Rösch und Schweitzer, SPD)

Natürlich habe ich etwas gesagt. Hören Sie doch zu, Herr Rösch. Wenn Sie ständig die ganze Zeit selbst reden, können Sie es nicht verstehen.

(Rösch, SPD: Dazu würde man in Trier sagen – – –)

Herr Kollege Rösch, ich sage Ihnen ein Beispiel.

(Dr. Schmitz, FDP: Zur Sache!)

Herr Dr. Schmitz, Sie kommen noch dran.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel für 2005. Da sind wir beim Haushalt.

(Schweitzer, SPD: Sagen Sie einmal, was Sie wollen! – Schwarz, SPD: Was hat der Trappatoni gesagt, wat du wolle!)

Es soll eine Initiative unter dem Titel „Familien stärken“ gestartet werden. Das ist Ihnen wahrscheinlich bekannt. Malu Dreyer schreibt einen Brief, ich zitiere: „Ich möchte mit Ihnen gemeinsam mit dieser Initiative die Förderung der Kindergesundheit stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit rücken. Deshalb beabsichtige ich mit dieser Initiative eine Plattform zur Darstellung vielfältiger Aktivitäten in Rheinland-Pfalz einzurichten.“ – Schön und gut. Aber eine Plattform zur Darstellung vielfältiger Aktivitäten reicht in diesem Punkt nicht aus. Es reicht nicht aus, das darzustellen, was schon vorhanden ist, wenn man ein schwerwiegendes Problem erkannt hat. Man muss richtig zugreifen.

(Rösch, SPD: Man beginnt mit der Darstellung!)

Gerade bezüglich dieses Programms bleiben Sie die Antwort auf die Frage schuldig, was tun Sie über die Plattform hinaus. Haushaltsmäßig ist das nicht zu ermitteln. Mittel dafür werden im Vergleich zu vorher nicht erhöht. Wenn Sie in 2005 etwas anders oder mehr machen als in 2004 und in den Vorjahren, dann müssen Sie das haushaltsmäßig irgendwie abbilden. Das ist nicht der Fall. Wenn es doch der Fall ist und wir es nicht erkennen, dann müssen Sie sagen, in welchen Bereichen Sie möglicherweise deswegen streichen.

Ein weiterer Punkt ist das Thema „Armutspolitik“. Darüber haben wir hier vor kurzem diskutiert. Ich will nicht das wiederholen, was damals diskutiert wurde. Ich will auf einige andere Aspekte eingehen. Gerade bei Armutspolitik nutzt es nichts, Plattformen zu machen und zu moderieren. Man muss wirklich hart hineingehen.

Es gibt einen schwerwiegenden, aber zutreffenden Satz. Dieser lautet: Wer arm ist, stirbt früher. – Das hat etwas mit dem Thema „Gesundheit und Kindergesundheit“ zu tun. 37 % derjenigen in Rheinland-Pfalz, die Sozialhilfe beziehen, sind Kinder. Das ist eine enorm große Zahl. Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass die Erkrankungsrisiken für Menschen in Armut, insbesondere auch für kleinere Menschen in Armut, wesentlich höher sind. Das fängt bei der Säuglingssterblichkeit an und geht weiter bei der Zahngesundheit, Untergewicht, Unfällen

und Übergewicht. Das klingt ein bisschen widersprüchlich, ist aber so. Die Einkommensverhältnisse der Eltern spielen bezüglich der Kindergesundheit und der Chancen für Kinder eine ganz große Rolle. Wenn ich das weiß, muss das politische Konsequenzen haben.

Der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Bildungschancen sei nur am Rande erwähnt. Ich will auf einen wichtigen Aspekt hinaus. Wenn wir hier nicht anfangen, minimieren wir die Chancen der Kinder nicht nur im Bereich Bildung und Kultur, sondern auch im psychischen und physischen Bereich. Ich sage es ganz bewusst. Auch in diesem Bereich bleiben Sie Antworten auf die Frage schuldig, wie Sie in Gebiete und Sozialsysteme einsteigen, bei denen der Punkt „Kinderarmut“ eine zentrale Rolle spielt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Schweitzer, SPD: Beschreiben Sie mir erst einmal, was Sie wollen!)

Ich kann Ihnen gern sagen, was ich will.

(Schweitzer, SPD: Gott sei Dank!)

Herr Schweitzer, wenn Sie mir eine Frage stellen, bekommen Sie eine Antwort.

(Schweitzer, SPD: Das wäre das erste Mal, aber egal!)

Wenn Sie mir zuhören würden, würden wir auch durchkommen.

(Schweitzer, SPD: Ich habe es getan, aber es kommt nichts!)

Probieren Sie es doch einmal.

Herr Schweitzer, diese Landesregierung hat in einer Umfrage 2001 festgestellt, dass es in Rheinland-Pfalz 42 soziale Brennpunkte gibt. Zur Abdeckung der gemeinwesensorientierten Arbeit in Rheinland-Pfalz gibt es aber nur 16 Stellen. Wenn ich selbst zu der Erkenntnis komme, dass ich einen Bedarf habe und die eben genannten Zusammenhänge zwischen Armut und Chancen im Leben, Entwicklung usw. nur im Ansatz kenne, dann muss ich handeln. Ich sage es Ihnen, handeln Sie, wenn Sie schon selbst zu solchen Ergebnissen kommen, sonst können Sie solche Umfragen und Studien direkt in die Tonne stopfen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Schweitzer und Schwarz, SPD)

Herr Schweitzer, auch Sie wissen bestimmt, dass das Thema „Kindergesundheit“ mit dem Thema „Ernährung“ zusammenhängt. Viele Kinder aus schwierigen Verhältnissen bekommen manchmal nur in Kinderbetreuungseinrichtungen eine warme und richtige Mahlzeit. Ich muss darangehen und dafür sorgen, dass in den Kindertagesstätten ein ordentliches, vollwertiges und gutes Essen angeboten wird. Dafür kann ich sorgen. Da kann ich hart hineingehen. Ich brauche mich nicht in Plattfor

men zu ergehen, die bestehende Aktivitäten darstellen. Hier sind neue Aktivitäten gefordert.

(Schweitzer, SPD: Vom Land!)

Herr Schweitzer, Sie haben gefragt, was wir tun würden. Schauen Sie sich unsere Haushaltsanträge zum Thema „Armut“ an, dann wissen Sie, was wir tun würden. Ich habe bei der Kollegin Grosse nur dazwischengerufen, weil mir die Frage wichtig ist. Mit welcher Begründung lehnen Sie die Anträge ab? Es ist lächerlich, wenn Sie selbst zu dem Ergebnis kommen, sie wären bundesweit Spitze. Wenn sie immer und überall Spitze wären,

(Schweitzer, SPD: Das haben Sie jetzt Gott sei Dank einmal gerafft!)

würde die Notwendigkeit entfallen, überhaupt etwas zu machen. Das ist keine Begründung. Die Problemlagen sind im Land so heftig, dass ein Handlungsbedarf besteht. Man darf nicht mit einer solchen Begründung über einen notwendigen Mehrbedarf in diesem Bereich hinweggehen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Schweitzer, Sie brauchen grundsätzliche Beispiele. Ich nenne ein weiteres Beispiel dafür, wie man konkret Sozialpolitik machen kann und es abfedern muss. Wir haben 55 Schuldnerberatungsstellen im Land. In diesen Schuldnerberatungsstellen haben wir zum Teil Wartezeiten von einem halben bis zu einem ganzen Jahr. Man muss kein Experte auf diesem Feld sein, um zu wissen, dass bei der Schuldnerberatung oft die Zeit ein wichtiger Faktor ist, wenn man noch etwas retten will. Tun Sie etwas in diesem Bereich, damit sich die Wartezeiten verkürzen. Leisten Sie Ihren Beitrag dazu. Stattdessen wird das offenbar einfach hingenommen.