Protokoll der Sitzung vom 07.07.2005

was seriöserer Umgang mit Zahlen und Fakten könnte so verkehrt nicht sein.

(Beifall bei SPD und CDU – Jullien, CDU: Ausgeglichener Haushalt 2006!)

Ich sage nicht, damit ist die Einnahmenseite schon bis zum Jahresende in Ordnung. Wir haben noch ein halbes Jahr vor uns. Aber dieses Zwischenergebnis, das im Juni auch von einer Sonderentwicklung geprägt ist – erheblich schwächer als im vergangenen Jahr –, stimmt uns doch zuversichtlich, dass wir jedenfalls in der Bandbreite dessen liegen, was unsere Schätzung war.

Nun lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zur Steuerpolitik machen. Was die Reichensteuer angeht, so steht dies übrigens nicht im Programm der SPD. Das ist eine Erfindung der Presse.

(Lelle, CDU: Ach ja!)

Ja, das ist eine Erfindung der Presse.

(Zurufe von der CDU)

Hören Sie doch einmal zu. Ich will Ihnen jetzt etwas sagen. Hören Sie bitte einmal zu.

Ich erinnere mich sehr gut daran, es war im Juli 2000, als wir die Steuerreform gemacht haben. Da hat es eine Gemengelage gegeben, die es notwendig machte, den Spitzensatz auf 42 % abzusenken.

(Ramsauer, SPD: Bundesrat!)

Im Bundesrat. Dies hat auch mit der rheinlandpfälzischen Landesregierung und dem liberalen Koalitionspartner zu tun. Warum sollte ich das hier nicht sagen? Ich erinnere mich sehr lebhaft an die Gespräche.

Nunmehr bleibt nach dem Vorschlag der SPD – und zwar nicht durchgehend, der Tarif bleibt unverändert – auch über alles, was über die bisherige Schwelle geht, wo der Spitzensteuersatz von 42 % beginnt, dieser zunächst erhalten, und dann beginnt ein Sprung für die steuerpflichtigen Einkommen ab 250.000 bis 500.000 Euro auf 45 %. Sie haben zutreffend zitiert, dass ich gesagt habe, das sei ein Schönheitsfehler, aber mehr auch nicht.

Ich möchte Ihnen einmal sagen, wo wir mit unseren 45 % für Spitzenverdiener dann in Europa angesiedelt sind: Die Österreicher haben 50 %, die Japaner ebenfalls 50 %, die Niederlande 52 %, Finnland 52,2 %, Belgien 54 %, Frankreich 56,1 %, Schweden 56,5 %, Dänemark 59 %. Meine Damen und Herren, das sind alles Länder, die keine außerordentlichen Lasten wie die deutsche Einheit zu finanzieren haben, die in Höhe von 4 % unseres Bruttoinlandsprodukts unsere öffentlichen Haushalte, zwischen 80 und 90 Milliarden Euro, belastet. Das haben sie alles nicht zu leisten. Vor diesem Hintergrund für die wenigen Spitzenverdiener oberhalb von 250.000 bzw. 500.000 Euro „Gott sei bei uns“ auszuru

fen, damit kann man sich doch allenfalls lächerlich machen.

(Beifall bei der SPD – Jullien, CDU: Akzeptieren Sie diesen Schönheitsfehler?)

Im Übrigen sind Österreich, die Niederlande, Finnland, Schweden und Dänemark alles Staaten, die uns als Reformvorbilder vorgestellt werden mit Spitzensätzen bis zu 59 %.

Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat Recht, warten wir den 11. Juli ab.

(Jullien, CDU: Schauen wir einmal!)

Dann schauen wir einmal. Dann werden interessante Sachen zutage kommen. Das konnte man diese Woche schon in der Bild-Zeitung lesen, wie Stoiber, Koch, Merz und Frau Merkel sich in den vergangenen Monaten noch zur Ökosteuer verhalten haben. Warten wir einmal ab.

(Zuruf von der SPD: Und Böhr!)

Herr Dr. Böhr ohnehin; zu dem komme ich noch. Ich komme insbesondere zu Herrn Bracht, der jetzt die Mühe hat, seinen Internetauftritt noch zu ändern.

Ich zitiere: „Es gibt keine Mehrwertsteuererhöhung“. – So Frau Merkel am 19. Mai. Herr Dr. Böhr sagt in einem Interview auf eine Frage der „Mainzer Rheinzeitung“: „Die Bürger fürchten aber eine Mehrwertsteuererhöhung, wie sie einige Unionspolitiker schon ankündigen“.

Herr Böhr sagt dann, diese sei von der Hoffnung getragen, dass mehr Geld in die öffentlichen Kassen fließe, was aber nicht passieren werde, genau wie es ein Fehler gewesen sei, dass Eichel die Tabaksteuer und die Mineralölsteuer angehoben habe.

An anderer Stelle heißt es: „Es macht überhaupt keinen Sinn, über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nachzudenken“. – Also warten wir das ab. Herr Dr. Böhr, ich bin ganz sicher, dass diese Argumentation von Ihnen in Ihrer eigenen Partei folgenlos bleiben wird.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Nun haben Sie heute etwas zu den Kapitalgesellschaften gesagt, die dick gefüttert worden seien, Herr Dr. Böhr. Ich mache es Ihnen nicht zum Vorwurf; denn wahrscheinlich wissen Sie es auch nicht besser. Aber wenn es so wäre, dass die Kapitalgesellschaften dick gefüttert worden wären, obwohl man im Sachverständigengutachten nachlesen kann, dass die Personengesellschaften in Deutschland besser, günstiger besteuert werden als Kapitalgesellschaften; – – –

Dies ist auch das Ergebnis einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, dass die Kapitalgesellschaften ungünstiger als Personengesellschaften besteuert werden. Ich kann Ihnen die Zahlen nennen. Im Jahr 2000 hatten wir ein Körperschaftssteueraufkommen von 25 Milliarden Euro. Im

vergangenen Jahr hatten wir 13 Milliarden Euro, und zwar mit einem wichtigen Unterschied: Die 25 Milliarden Euro des Jahres 2000 konnten als Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer angerechnet werden. Die 13 Milliarden im letzten Jahr und die für das nächste Jahr prognostizierten knapp 17 Milliarden sind Definitivsteuern. Da gibt es nichts anzurechnen, sondern die bleiben in der Logik der Steuerreform des Jahres 2000 definitiv in der Kasse des Fiskus.

Wenn es richtig wäre, was Sie sagen, warum haben dann Angela Merkel und Edmund Stoiber beim JobGipfel im März aus gutem Grund dafür plädiert, den Körperschaftsteuersatz von 25 % auf 19 % abzusenken? Warum wohl? Herr Dr. Böhr, ich bin ganz sicher, dass Ihre Betrachtung auch an der Stelle einer seriösen Bewertung nicht Stand hält.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Jetzt wird gesagt, wir brauchen die höhere Mehrwertsteuer. Ob die Union die Gelegenheit dazu bekommt, das ist noch abzuwarten. Aber dass sie erhöht werden würde, wenn sie die Gelegenheit bekommt, das steht nicht mehr zur Diskussion. Es geht nur noch darum, in welcher Höhe und für welchen Zweck. Da wird gesagt, damit die Lohnkosten gesenkt werden können.

(Zuruf von der CDU: Um eure Schulden zu begleichen!)

Es spricht in der Tat etwas dafür, die Lohnnebenkosten abzusenken.

Meine Damen und Herren, eine Partei, die von 1990 bis zum Ende ihrer Amtszeit die Sozialversicherungsbeiträge von 35,6 % auf 42,1 % wider alle wirtschaftliche Vernunft hochgejagt hat, hat natürlich einen besonderen Grund, darüber nachzudenken, wie man von diesem Gipfel wieder herunterkommt.

(Beifall bei der SPD – Pörksen, SPD: Sehr wahr!)

Ein Teil dessen ist geschafft. Wir haben heute Sozialversicherungsbeiträge, die niedriger liegen, als es 1998 der Fall war.

(Zurufe von der CDU)

Das hängt mit den notwendigen Reformen zusammen, von denen Roman Herzog gesprochen hat. Sie werden noch nasse Füße bekommen, wenn es ernst wird. Das hängt auch mit dem Rentenbeitrag zusammen, der im Jahr 1998 noch 20,3 % betragen hat und nunmehr 19,5 % beträgt.

Meine Damen und Herren, Herr Dr. Böhr, Sie haben heute Morgen während der Rede des Ministerpräsidenten bestritten, dass Sie die Beitragsfreistellung in der Sozialversicherung gefordert hätten. Das lasse ich Ihnen nicht durchgehen. Ich beziehe mich auf die Broschüre „Kirche und Gesellschaft“, Nummer 320, herausgegeben von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, erschienen im Jahr 2005. Das Datum steht nicht dabei. Es muss aber im Mai gewesen

sein. Sie haben dort einen großen Aufsatz geschrieben: „Arbeit für alle – kein leeres Versprechen“. – Sie beschreiben dort, drei Schritte seien vor allem notwendig, um dieses Ziel zu erreichen, wie Sie sagen. Ich darf Sie daraus zitieren: „Deshalb sollte bis 1.300 Euro im Monat der Lohn frei von Steuern und Abgaben ausgezahlt werden. Die Sozialbeiträge kann gegebenenfalls der Staat übernehmen.“

(Itzek, SPD: Er hat nicht mehr gewusst, was er gesagt hat!)

„Für ihn ist das eine lohnende Investition, da er so in den allermeisten Fällen die Kosten der Sozialleistungen einspart und Wachstum ermöglicht, das die Steuereinnahmen steigen lässt.“ –

Jetzt will ich Ihnen einmal vorrechnen, wie der Ministerpräsident auf die 86 oder 87 Milliarden Euro kommt, die eine Freistellung bis 1.300 Euro verursachen würde. Steuer- und abgabenfrei heißt in der Steuerpolitik, dass der Steuerfreibetrag jährlich 15.600 Euro ausmacht. Das ist eine Verdopplung gegenüber heute, 8.000 Euro mehr. Wir haben in diesem Bereich eine durchschnittliche Steuerbelastung von 17,6 %. Von 8.000 Euro macht das 1.408 Euro pro Lohnsteuerzahler aus. Nun haben wir in der Einkommensteuer rund zehn Millionen Fälle, wo es Alleinveranlagung gibt. 10.000.000 mal 1.408 macht 14 Milliarden aus. Dann haben wir noch 13,4 Millionen Fälle, die zusammen veranlagt werden. Da haben wir es natürlich mit den doppelten Beträgen zu tun. Wir kommen unterm Strich auf Folgendes: 14 plus 37 sind 51 Milliarden Euro Steuerausfälle.

(Vizepräsidentin Frau Grützmacher übernimmt den Vorsitz)

Bei der Sozialversicherung sieht die Rechnung wie folgt aus: 1.300 Euro werden monatlich freigestellt, mal zwölf Monate, sind 15.600, davon 20,3 %, das Ganze mal 26 Millionen Beitragszahler, macht zusammen 86 Milliarden Euro.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Das gesamte Spiel, von dem Herr Dr. Böhr spricht, kostet den Staat rund 137 Milliarden Euro.

(Dr. Böhr, CDU: So ein Quatsch!)

Seriöse Politik á la Böhr.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Beck, des Abg. Jullien, CDU, und weiterer Abgeordneten der CDU)

Nun sagt Herr Böhr in seinem bereits erwähnten Aufsatz unter der Zwischenüberschrift „Einwände und Bedenken“; ich zitiere: „Gegen diese Vorschläge wird immer wieder, meist von den Finanzministern aller Parteien, eingewandt, sie seien nicht bezahlbar, weil die Einnahmenverluste des Staates zu hoch zu veranschlagen sind.“