Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

(Baldauf, CDU: Das interessiert kein Mensch!)

Ich bitte Sie, kommen Sie wieder zum sachlichen Teil zurück.

Ja, genau da bin ich.

(Harald Schweitzer, SPD: Scheinheiligkeit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich darf Sie einfach von gestern noch einmal zitieren. Das habe ich wörtlich mitgeschrieben. Ich danke, das ist dann auch in Ordnung. Sie sagten gestern Abend: Toleranz kann man nur leben, wenn man einen klaren Standpunkt hat. Die Verankerung unserer Kultur im Christentum ist wahr und muss wahr bleiben. – Das ist ein absolut zustimmungswürdiger Satz.

Derjenige, der dafür plädiert, die Kreuze zu entfernen, beruft sich gern auf weltanschauliche Neutralität und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Herr Minister, Sie hatten es noch einmal ausgeführt. Diese Leute liegen nicht nur juristisch falsch; denn das Verfassungsgericht hatte auch in den 70er-Jahren gesagt, niemand darf in Gegenwart eines Kreuzes gezwungen werden zu verhandeln. Aber deswegen ist das Kreuz als solches noch kein Stein des Anstoßes.

Nehmen wir das Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Wir konnten lesen, dort gibt es einen Saal ohne Kreuz, um dem Rechnung zu tragen, der nicht im Angesicht eines Kreuzes verhandeln möchte.

Wer mit der angeblichen Neutralitätspflicht argumentiert, der verwechselt Neutralität mit Farblosigkeit und Beliebigkeit. Dagegen habe ich etwas und viele mit mir.

Herr Ministerpräsident, ich darf Sie noch einmal zitieren. Sie haben gestern Abend auch gesagt, ich hätte eine andere Entscheidung getroffen. Schön, dass Sie das heute Morgen noch einmal bestätigen. Das ist wunderbar. Das ist ein Satz, der absolut korrekt und wichtig ist. Herr Ministerpräsident, was folgt daraus? Scheinbar nichts.

(Glocke des Präsidenten)

Gestern Abend beriefen Sie sich auf richterliche Unabhängigkeit. Aber eines ist klar. Mit richterlicher Unabhängigkeit hat das Anbringen von Kreuzen so viel zu tun wie die Topfpflanze mit der Milchkanne.

(Beifall der CDU)

Herr Ministerpräsident, deshalb fordere ich Sie hiermit noch einmal auf, machen Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch.

(Glocke des Präsidenten)

Sprechen Sie ein Machtwort, holen Sie die Kreuze in die Gerichtssäle zurück.

(Zurufe von der SPD)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltend Beifall der CDU)

Herr Kollege Hartloff hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Warum sprechen wir heute über dieses Thema, dass im Frühjahr letzten Jahres eine Entscheidung in einem Gericht getroffen worden ist, nach einer Renovierung Kreuze in Sitzungssälen nicht mehr aufzuhängen? Wir sprechen darüber, weil es dazu eine Debatte gibt, die so geführt wird, wie sie Herr Kaster führt. Ich darf Herrn Kaster zitieren: Die jetzige Situation sei „ein krasses Beispiel von ahistorischer Bindungslosigkeit und kultureller Beliebigkeit“ oder Herrn Billen: So weit sind wir mit der SPD-Alleinregierung in Rheinland-Pfalz schon gekommen, Kopftücher in Schulen werden zugelassen und Kreuze aus Gerichtssälen verbannt. –

Herrn Wilke haben Sie eben gehört. Wir diskutieren augenscheinlich nicht deshalb darüber, weil es so sehr um die Sache geht, sondern weil jemand glaubt, ein Thema gefunden zu haben, nachdem es in RheinlandPfalz seit über 60 Jahren unterschiedliche Regelungen gibt.

(Beifall der SPD – Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, Urteile werden gesprochen im Namen des Volkes.

(Pörksen, SPD: Das soll auch so bleiben! – Baldauf, CDU: Aber schon seit 50 Jahren unter Kreuzen! – Pörksen, SPD: Ob mit oder ohne Kreuz!)

Das ist gut so. Die Werteordnung, zu der wir stehen, ist niedergelegt im Grundgesetz und in der Landesverfassung. Da ist selbstverständlich die enge Bindung, die sich in vielen staatlichen Bezügen zu den Kirchen ausdrückt, niedergelegt. Sie ist Bestandteil unserer Verfassung.

Herr Wilke, Sie haben die persönliche Meinungsäußerung unseres Ministerpräsidenten gestern bei dem Martinsempfang der Bischöfe angesprochen. Im Mittelpunkt dieses Martinsempfangs stand die Rede von Bischof Kamphaus zur Frage der Auseinandersetzung mit anderen Religionen, dem Islam. Er hat hierzu weise Sätze gesagt, was das Verhältnis von Staat und Kirche miteinander anbelangt. Er hat auch ausgeführt, dass es eine moderne Errungenschaft ist, dass Staat und Kirche getrennt sind. Sie haben vorhin hier unser Landeswappen mit dem Trierer Kreuz, dem Mainzer Rad und dem kurpfälzischen Löwen angesprochen. Das waren Kurfürstentümer, und es gab damals die Trennung zwischen Kirche und Staat nicht. Das waren Bischöfe, die die weltlichen Herren waren. Natürlich fußt unser Staatswesen auch auf dieser Tradition wie auf der Tradition der Aufklärung.

Ich darf Herrn Bischof Kamphaus zitieren, der sagt: „Im christlich-islamischen Dialog spielt die Frage nach dem

rechten Verhältnis zwischen Religion und Staat eine wichtige Rolle. Dem Islam wird weithin die Fähigkeit abgesprochen, beide Bereiche zu trennen. Umgekehrt ist die Trennung ein ganz wesentliches Kennzeichen der westlichen Moderne und wird (wie die Menschenrechte) als ein enormer zivilisatorischer Fortschritt gewertet, der auf keinen Fall preisgegeben werden darf. Wir haben aus der Geschichte bittere Erfahrungen gewonnen und gelernt: aus den Konfessionskriegen nach der Reformation und nicht zuletzt aus den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Beide Kontexte liegen zeitlich weit auseinander, sie berühren sich aber in sachlicher Hinsicht: Einmal werden der Religion Grenzen gesetzt, zum anderen dem Staat. Das geschieht aus der Überzeugung, dass die wechselseitige Begrenzung beiden Seiten nutzt und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen dient. Der Versuch, christliche Staaten zu errichten (Staatskirche, Kirchenstaat), ist unter hohen Kosten gescheitert. Nichts spricht dafür, dass es den islamischen Staaten besser ergeht“.

Was können wir daraus lernen? Dass wir gerade bei der unabhängigen Justiz, die Rechtsprechung für alle Bürgerinnen und Bürger treibt,

(Baldauf, CDU: Seit 50 Jahren!)

eine ganz sensible Nahtstelle haben, wie wir damit umgehen und wie es individuell zu entscheiden ist. Natürlich tangiert es auch die richterliche Freiheit, die im Grundgesetz verbürgt ist.

Herr Kollege, entschuldigen Sie, so flapsig, wie Sie damit umgehen, da muss einem Angst und Bange um den Rechtsstaat werden.

(Starker Beifall der SPD)

Ich werde in der zweiten Runde – – –

(Lelle, CDU: Eine flapsige Bemerkung auf die Anwesenheit der SPD-Kollegen!)

Es war nicht nur eine flapsige Bemerkung.

(Zuruf des Abg. Lelle, CDU)

Herr Kollege Lelle, ich war auch gestern wie viele Jahre zuvor und wie viele andere Kollegen auch von allen Fraktionen beim Empfang der Bischöfe. Das gegeneinander auszuspielen, ob zufällig einer mal mehr oder weniger da ist, ist genauso erbärmlich.

Vielen Dank bis zur zweiten Runde.

(Beifall der SPD)

Frau Kollegin Dr. Lejeune, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn Sie durch die Gerichte des Landes gehen, werden

Sie feststellen, dass nicht in allen Gerichtssälen Kreuze oder Kruzifixe hängen. Das hat Herr Justizminister Dr. Bamberger ausführlich dargestellt. Ich kann es aus meiner eigenen Erfahrung nur bestätigen. Dieser Zustand ist in der Tat nicht erst seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1995 gegeben, was auch in der Vordiskussion mehrmals zitiert worden ist, sondern das war in der Tat schon vorher so. Sie können, wenn man es einmal grob vereinfachend sagen will, in der Tat auch ein Gefälle beobachten. In den eher südlichen Regionen des Landes ist man etwas zurückhaltender mit religiösen Symbolen, insbesondere mit dem Kreuz in öffentlichen und staatlichen Gebäuden, als vielleicht im Norden.

Ich kann dazu nur sagen, das muss man respektieren; denn die Ursachen für diese unterschiedliche Handhabung sind teilweise historisch, teilweise aber auch mit einem unterschiedlichen Verständnis der staatlichen Neutralitätspflicht zu Fragen der Religion begründet. Große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang – ich finde, das haben heute sowohl die Ausführungen des Justizministers als auch die Anfragen gezeigt – die Symbolkraft des Kreuzes. Während das Kreuz für die einen ein vielleicht nur religiöses Symbol ist, das auch den Absolutheitsanspruch eines Glaubens verkörpert – deswegen wird es auch sehr oft kritisiert –, sehen die anderen darin auch ein Zeichen für unsere durch das Christentum geprägte gesellschaftliche und staatliche Wertordnung. Ich glaube, dass die Mehrheit auch der Anwesenden dieses vielleicht eher säkulare Verständnis heute als das geltende akzeptieren würde, weswegen auch einige dafür streiten, dass die Kreuze bleiben.

Zudem darf man auch eins nicht vergessen. Es ist natürlich zutreffend – das ist auch mehrmals zitiert worden –, in der Verfassung ist die Trennung von Kirche und Staat festgelegt. Das ist auch gestern Abend sehr eindringlich von Herrn Bischof Dr. Kamphaus in einem für meine Begriffe ausgezeichneten Vortrag dargelegt worden. Man muss aber auch sagen, Deutschland ist kein laizistischer Staat wie etwa Frankreich. Hier herrschen etwas andere Traditionen.

(Baldauf, CDU: Genau!)

Diese Interpretationsbreite – darüber könnte man mit Sicherheit ganze Dissertationen oder Habilitationen schreiben; da werden Sie mir sicher zustimmen, wie groß die inhaltliche Breite ist – zeigt aber auch, dass das ein sehr sensibler Bereich ist. Den kann man nicht einfach per ordre de mufti – gestatten Sie mir diese saloppe Formulierung – regeln. Vielmehr sind hier die notwendigen Entscheidungen vor Ort zu treffen, und dies auch auf einer möglichst breiten Basis. Das heißt, die Richterinnen und Richter sind in die Entscheidung mit einzubeziehen. Es sind auch die Bediensteten des Gerichts insgesamt einzubeziehen.

Es empfiehlt sich, auch mit der Anwaltschaft vor Ort und auch mit der Staatsanwaltschaft zumindest einmal zu sprechen. Die Situation hat in Trier sogar gezeigt, dass die Befindlichkeit der Gerichtseingesessenen ein nicht zu unterschätzendes Gewicht haben kann. Dem muss, je nachdem, wie die Situation ist und wie auch die Mentalität vor Ort ist, oder sollte man dann auch entsprechend Rechnung tragen.

Ich kann nicht mit der Auffassung übereinstimmen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – gemeint ist wohl die von 1995 – gebiete das Abhängen der Kreuze. So habe ich die Entscheidung nicht verstanden;

(Ministerpräsident Beck: Das hat auch niemand gesagt!)

denn das Anbringen von Kreuzen ist in Gerichts- sälen – – –