Protokoll der Sitzung vom 27.01.2007

Herr Dr. Kahn, Sie haben es gesagt, die Zeitzeugen werden weniger. Was tun wir, die Nachgeborenen?

Die Landesregierung geht den Weg der Erinnerung, der Aussöhnung. Sie fördert Gedenkarbeit. Das ist ein breites und großes Feld, das nicht nur von Hinzert und Osthofen geprägt ist. Es wird breit getragen durch die Abgeordneten im Parlament und die darüber hinaus vertretenen demokratischen Parteien in diesem Land.

Schulen besuchen Auschwitz. In den Schulen ist heute, anders als zu meiner Zeit, die Geschichte des Dritten Reiches kein Tabu mehr; die Nazidiktatur bleibt Thema.

Meine Damen und Herren, ich habe seit 1996 alle Reden zum Gedenktag verfolgt. Wir alle haben die Reden verfolgt, die seit 1996 gehalten worden sind. Ich denke, es gibt für jeden von uns einen persönlichen Weg zur Auseinandersetzung.

Ich habe persönlich diesen Weg auch erlebt. Ich habe meine Familie gefragt: „Wie konnte das geschehen? Wie konntet ihr das zulassen?“ – Lieber Herr Dr. Kahn, da habe ich eigentlich die Falschen gefragt, weil ich die Großväter und die Großmütter hätte fragen müssen und nicht diejenigen, die beispielsweise 1920 oder 1923 geboren worden sind. Ich habe nach Schuld gefragt.

Als Bürgermeister habe ich erlebt, dass beispielsweise bei Gedenktagen der Deportation in Partnergemeinden in Frankreich Überlebende kamen und sagten: „Ihr habt

Schuld.“ – Ich habe keine Schuld, aber wir haben Schuld in deutschem Namen auf uns geladen.

Es gibt natürlich auch die Aussage, die wir täglich hören, nämlich es muss Schluss damit sein und wir müssen darüber nicht mehr reden. Wir haben uns aber damit auseinanderzusetzen. Für mich persönlich war es ein besonderes Erlebnis, als die Nachkommen von Victor Klemperer seine Tagebücher veröffentlicht haben, in denen minutiös die Daten der Entrechtung, die Erniedrigungen, die Abkehr vom Rechtsstaat, der tägliche Rassismus niedergelegt wurden. Das war für mich ein prägendes Erlebnis.

Das bringt mich dazu – das ist meiner Meinung nach auch das, was die Landesregierung insgesamt auszeichnet –, diese Gedenktage nicht nur als eine Fahrtroute durch das Jahr zu verstehen, sondern sie sind mehr. Es geht darum, diese Gedenktage nicht nur mit der heutigen Veranstaltung auszufüllen.

Wir reden heute auch über 100 tote Menschen, die seit 1990 durch Rechtsradikalismus nicht ums Leben gekommen sind, sondern die ermordet wurden, die getötet wurden, die totgeschlagen wurden. Ein Obdachloser wurde totgeschlagen, weil er angeblich wertlos war.

Ich meine, es gibt einen Handlungszwang des Staates und der Demokratinnen und Demokraten. Wir haben in Rheinland-Pfalz konsequent, sofort und rechtsstaatlich gehandelt. Wer bei uns für Rechtsradikalismus eintritt, muss damit rechnen, dass der Rechtsstaat ihn dafür zur Rechenschaft zieht. Dies geschieht nicht nur durch die Polizei und den Verfassungsschutz, sondern auch durch die demokratischen Kräfte, durch die Gemeinden, die Städte und den Landtag.

Ich persönlich frage mich: War es das? Ist das alles?

Roman Herzog hat 1996 Folgendes in seiner Rede ausgeführt: „Ich wünsche mir, dass der 27. Januar zum Gedenktag des deutschen Volkes, zu einem wirklichen Tag des Gedenkens, ja des Nachdenkens wird.“ – Den Gedenktag haben wir. Nachdenken, ja, das tun wir. Es muss aus diesem Nachdenken aber auch etwas wachsen. Ich meine, wir Deutsche müssen immer mehr tun als andere. Wir müssen gegen diesen neuen Rassismus Widerstand leisten und aktiv für den Rechtsstaat eintreten. Das ist der beste Staat, den wir im deutschen Sprachraum jemals hatten. Wir dürfen keine falschen Anfänge dulden.

Ich erinnere mich gut an Gedenktage wie den 8. Mai, als Richard von Weizsäcker seine Rede gehalten hatte und eine Aufwallung durch die deutsche Öffentlichkeit – auch durch die Intellektuellen – ging. Für viele war das ein Tag der Befreiung.

Ich erinnere mich gut daran, als der 27. Januar als Tag an die Befreiung von der Nazidiktatur zu erinnern hatte. Da gab es auch zunächst eine gewisse Zurückhaltung: Muss das sein? Ist das notwendig? – Diese Gedenktage sind mittlerweile mehr als nur diese Route durch das Jahr. Ich müsste mich ausdrücklich bei denen bedanken, die diese Gedenktage gesetzt haben. Um mit Berthold

Brecht zu sprechen: Damit waren die Berge erklommen, aber die Mühen der Ebene liegen vor uns.

Ich meine, dass wir diese Gedenktage brauchen, diese Gedenktage an die Verbrechen. Herr Dr. Kahn, wir müssen aber auch Ihnen gegenüber Dankbarkeit zeigen für Ihre Bereitschaft, die Hand für eine Aussöhnung und Versöhnung auszustrecken. Das muss ein „Denk“-Tag werden.

Wir haben die Zukunft zu gestalten. Dieser soziale Rechtsstaat muss jeden Tag neu errungen werden. Wir müssen das tun, und niemand sonst.

Ich danke Ihnen.

Schwarze Augen

Musik: Schnuckenack Reinhardt Text: Sascha Reinhardt Solistin: Loraine Reinhardt

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste! Zunächst einmal herzlichen Dank an die Band. Die Reinhardts machen einfach gute und an diese Stelle passende Musik.

Herr Dr. Kahn, auch an Sie einen herzlichen Dank.

Die Schülerinnen und Schüler der Ellerbach-Schule in Bad Kreuznach werden uns nun ihre Gefühle darstellen, die sie bei ihrem Besuch in Auschwitz gewonnen haben. Dies wird im Saal 7 und im Forum geschehen. Anschließend wird es auch die Gelegenheit zum Gespräch geben.

Ich bedanke mich bei Ihnen allen, dass Sie sich die Zeit genommen haben und in den Landtag gekommen sind. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, welchen Rang dieser Tag in unserem Leben einnimmt.

Herzlichen Dank.

E n d e d e r S i t z u n g: 11:21 Uhr.