Protokoll der Sitzung vom 27.01.2007

Dies wurde verwirklicht, und am nächsten Tag begann das Spiel wieder erneut. Der leere Fensterflügel wurde von mir mit einem Brot in das Lager gebracht und der verglaste Flügel wieder zurück, wobei wieder ein Brot im Geheimfach abgelagert wurde.

Auf dem Rückweg ging ich diesmal durch die SS-Küche und frug, ob ich einen Fisch haben könne. Man gab mir keinen, aber plötzlich war die Küche leer und ich nutzte

die Gelegenheit, die ganze Pfanne Fisch in meiner Kiste zu versenken. Ich ging damit ins Lager und begann zu essen. Die organisierten 25 bis 30 Pfund Fisch waren aber zu viel für mich. Das war aber ein gutes Geburtstagsessen.

Bis zum Ablauf der Blockschonung hatte sich mein Daumen verschlechtert und ich wurde in den Krankenbau aufgenommen. Dort war ein Freund von mir im Stubendienst tätig, der mit mir 1938 verhaftet wurde.

Ich konnte mich vom ersten Tag an im Block nützlich machen. Einmal versorgte ich einen französischen Boxer, der von einem Gerüst gefallen war, einen Schädelbruch hatte und besinnungslos einige Wochen mein Pflegling war.

Dann bat mich mein Freund, von Neuzugängen eine Jacke zu besorgen, während er die Bewacher ablenkte. Mit dieser Jacke flüchtete ein Freund meines Freundes. Dieser war Blockältester im Erziehungslager und hatte in längerer Nachtarbeit einen Gang aus seinem Block unter den Lagerzaun hinaus gegraben und mimte den betrunkenen Polen, der sich von außen dem Zaun näherte. Er wurde daraufhin von dem Posten vertrieben und nicht wieder gesehen.

Durch mein handwerkliches Geschick entwickelte ich diverse Gegenstände, die sich als brauchbar erwiesen. So entstand nach dem Prinzip des Eierschneiders ein Gerät, um die Margarinewürfel zu portionieren und Geräte zum Auf- und Abwickeln von Mullbinden. Außerdem ließ ich mir von meinem Glaserfreund eine Glasscheibe geben, die mit Sand auf einer Seite aufgeraut wurde. Unter dieser Scheibe wurde ein Bettenplan angebracht, und auf der Scheibe konnten wir mit Bleistift unsere Eintragungen machen, die wir mit Gummistopfen wieder löschen konnten.

Zwischendurch half ich bei dem Abbau und Transport einer Lokomobile, die die SS benötigte, um im Lager genügend Dampfdruck für die Desinfektion zu erlangen. Für diesen Zweck bekam ich Häftlingskleidung, die wir als Patienten im Krankenbau nicht hatten. Die Patienten hatten lediglich ein Hemd und unter Umständen eine Decke um die Hüfte.

Da ich stark beschäftigt war, behielt ich die Kleidung und übte die Funktion eines Pflegers aus. Als ich glaubte, es wäre Zeit, aus dem Krankenbau entlassen zu werden, sagte man mir, bleib mal hier.

Dann wurde mein Freund Addi Kessler verhaftet und später auch der Schreiber Erik Eisler, die beide später im Block 11 im Hauptlager erschossen wurden. So musste ich auch den Posten des Schreibers übernehmen.

Eines Tages, als ich gerade mit Schreibarbeiten beschäftigt war, kamen der Lagerarzt Dr. Fischer und mein Blockältester zur Türe herein. Ich meldete, wie es vorgeschrieben war, und der Lagerarzt frug den Blockältesten, was macht der denn hier, worauf dieser antwortete, der bleibt hier oder geht mit mir. Dr. Fischer frug mich daraufhin nach meinem Beruf. Ich antwortete Schlosser. Auf seine anschließende Frage, ob ich einen Verband

machen könnte, antwortete der Blockälteste, der macht hier jeden Verband. Daraufhin ernannte mich Dr. Fischer zum Pfleger, und der Blockälteste wurde Lagerältester im Hauptlager. Ich musste dann noch dessen Posten übernehmen, bis ein neuer Blockältester kam.

Während dieser Zeit fand auch die erste Selektion in meinem Block statt. Die SS übergab mir einige Karteikarten, die ich zur Schreibstube bringen sollte. Dort frug ich, haben wir keine Toten zum Austausch. Das geht aber auf deine Kappe, wurde mir gesagt, und ich akzeptierte. Inzwischen bekamen wir einen Chirurgen und einige polnische Pfleger in den Block. Eines Tages kam der Schreiber des Krankenbaus, Stephan Heymann, und sagte mir, er brauche mich in der Schreibstube. Warum er mich brauchte, habe ich schnell gemerkt. Stefan Heymann war der Leiter der Widerstandsgruppe im Lager. Meine Tätigkeit war die eines Läufers. Ich musste die Zu- und Abgänge im Krankenbau mit den Blöcken, der Schreibstube und dem Arbeitsdienst arrangieren und kam dadurch in alle Winkel des Lagers. Außerdem beteiligte ich mich nach wie vor morgens und abends in der Ambulanz, um Verbände anzulegen.

Eine meiner ersten Arbeiten war die Trennung der Schreibstube von dem Raum des Lagerältesten und der SS. Das war meine Arbeit in einigen Nächten. Die gezogene Trennwand war unten einschalig und oberhalb der Balkenlage doppelschalig. In diesen Zwischenraum hatte ich dann später die selbstgebastelten Handgranaten versteckt. Diese glaubten wir zu benötigen, da wir nicht wussten, was die SS beim Näherrücken der Front beabsichtigte, und wir hofften, dass die Partisanen das Lager von außen angreifen würden, sodass wir dann von innen helfen könnten.

In diesem Zusammenhang hatte ich auch bei einem Fliegeralarm den Elektrozaun an mehreren Stellen angezapft. Der Versuch, hierdurch einen Kurzschluss zu erzeugen, gelang nicht. Die in Wasser gelegenen Drähte dienten uns zeitweise als Tauchsieder.

Nach kurzer Zeit in der Schreibstube hatte ich auch die Verbände im SS-Revier zu machen. Dabei hörte ich die Nachrichten, ich wusste, was auf dem Schreibtisch des SDG war und bekam meine Verpflegung im SS-Revier. Meine Häftlingsration wurde abwechselnd verteilt, und mit den mitgebrachten Medikamenten und Essensresten wurde der Krankenbau mit zusätzlicher Verpflegung versorgt. Ich habe jedenfalls für ein Jahr nur SSVerpflegung genossen.

Als der erste SDG Neubert abgelöst wurde und durch Oberscharführer Hantl ersetzt wurde, sagte man mir, deine Tage sind gezählt. Auf meine Frage warum, erfuhr ich, dass Hantl bekannt sei, die Häftlinge abzuspritzen. Ich meldete mich bei ihm. Er frug mich, was ich dort mache. Nachdem ich dies geschildert hatte, übergab er mir ein Päckchen Zigaretten für mich und andere Raucher. Er kam dann häufig in die Schreibstube, saß auf meinem Platz und bereitete sich auf das Kriegsende vor.

Am 18. Januar 1945 begann der Abmarsch aus dem Lager bei winterlichen Temperaturen und hohem

Schnee. Vorher hatte ich noch die Unterlagen des Krankenbaus und auch solche der Häftlingsschreibstube, die verbrannt werden sollten, in Marmeladeneimer verpackt und verlötet und die Eimer anschließend in der Jauchegrube versenkt. Nach der Befreiung habe ich mitgeteilt, wo die Unterlagen liegen und habe diese bei dem Auschwitzprozess 1963/1964 wiedergesehen.

Die Häftlinge des Krankenbaus sind am Abend des 18. Januar 1945 aus dem Lager abmarschiert. Ein großer Teil der Einrichtung einschließlich des Röntgengeräts, das erst kurze Zeit vorher fertiggestellt wurde, wurden auf einem Handwagen mitgezogen. Wir übernachteten auf dem sogenannten Todesmarsch in der ersten Nacht in einer Ziegelei in Nicolai und in der zweiten Nacht in Gleiwitz III, einem Nebenlager von Auschwitz. Nachdem ich geschlafen hatte, sagte ich zu meinen Freunden, ich müsse mich um meine Kameraden kümmern.

Ich besorgte mir eine Kanne Kaffee und meldete mich am Tor in das SS-Revier ab, ohne zu wissen, wo dies war. Schließlich fand ich das SS-Revier und traf dort den ehemaligen SDG Neubert. Ich gab ihm Kaffee und frug ihn, wohin die Transporte gehen. Er nannte mir fünf Adressen, die ich wieder Stefan Heymann weitersagte. Stefan sagte mir, ich solle versuchen, dass wir nach Buchenwald kämen, da er dort früher Blockältester gewesen sei und noch gute Beziehungen habe.

Also ging ich zurück und sagte zu Neubert, dass ich den Krankenbau zusammenhalte. Dann könne er wieder Chef werden. Wenn wir nach Buchenwald gehen würden, wäre er dann auch in seiner Heimat. Er war sofort damit einverstanden und beorderte uns zu dem letzten Transport.

Bevor wir in die bereitstehenden offenen Güterwaggons einsteigen konnten, habe ich der SS gesagt, es wäre doch eine Schande, wenn wir den Russen alles in die Hände fallen lassen würden. Wir wollten die benachbarte Baracke abreißen und damit ein Dach über dem Wagon machen. Ich erhielt die Genehmigung, und ein Kollege und ich rissen die Baracke ab und errichteten ein Dach über dem Wagon. Auch der Inhalt der Baracke – Ofen, Heizmaterial und Strohsäcke – nahmen wir mit. Kaum waren wir fertig, war auch schon die SS – wie wir es wollten – bei uns im Waggon. So hatten wir die Sicherheit, dass sie nicht auf den Wagen schießen würden.

Einige Tage später wurden einige Freunde von mir und ich aus dem Waggon getrieben, um die letzten zwei Waggons zu räumen und die Toten in diesen Waggons unterzubringen, da die Häftlinge die Toten ausgezogen und über Bord geworfen hatten. Bei dem Halt hatte ich schon Verbindung zu Tschechen aufgenommen, die mir ein riesiges Brot mitgaben.

In der nächsten Nacht lag mir eine Koppel zu nah. Ich entnahm einen Revolver aus der anhängenden Tasche und legte einen Stein in die Tasche.

Als wir in Buchenwald angekommen waren, sagte ich zu Stefan Heymann, dass ich noch einen Revolver in der Tasche hätte. Er sagte, ich solle etwas warten. Dann kamen zwei Lagerschutzhäftlinge zu mir. Wir gingen

hinter einen Wagon. Einer der Lagerpolizisten tauschte seine Jacke mit mir und ich begleite den anderen Lagerpolizisten, während der andere für mich die Aufnahmeprozedur erledigte. Die Daten kannte Stefan Heymann.

Ich hatte ein Problem, da einige Häftlinge aus Auschwitz mich trotz der anderen Kleidung wiedererkannten. Ich sagte nur, es freut mich, dass mein Zwillingsbruder mitgekommen ist.

Die erste Nacht in Buchenwald musste ich über die Verhältnisse in Auschwitz und die ehemaligen Buchenwaldinsassen, die noch am Leben waren, berichten. Morgens tauschten der Polizist und ich wieder die Plätze, das heißt, ich kam in das kleine Lager als Zugang. Doch am Abend suchte man mich wieder, damit ich Kleider an Freunde verteilen konnte.

Nach einigen Tagen kam ich in das Hauptlager, Block 22, wo ich nach langer Abstinenz wieder ein Buch lesen konnte. Die ersten Bücher waren der „Grüne Heinrich“ von Gottfried Keller und das „Totenschiff“ von Traven. Das war etwas Besonderes, das es in Auschwitz als Vernichtungslager nicht gab.

Ich meldete mich für einige Tage Waldarbeit, um die Umgebung kennenzulernen und kam dann in die Widerstandsgruppe von Buchenwald unter Eugen Kogon. Zuerst zu ihm, dann in das Sektionskommando, wo ich nach kurzer Einarbeitung die Leitung übernahm. Damals mussten wir noch alle Leichen sezieren. Ein französischer Pathologe führte die Sektionen durch und stellte die Diagnosen, die aber von dem anwesenden SS-Mann in geradezu abenteuerlicher Weise abgeändert wurden. Das war nicht lange unsere Arbeit.

Der SS-Mann, ein Arzt, kam nicht mehr, als ich ihn mit Blut vollgespritzt hatte. Es war das erste Mal, dass der SS-Mann die Türklinke von innen angefasst hatte. Selbst seine Handschuhe ließ er auf dem Fensterbrett liegen. Für einige Tage lagen noch Leichen auf dem Seziertisch; dann unterließen wir auch das.

Wir mussten lediglich noch die Toten auf Goldzähne untersuchen und diese entfernen. Meine Aufgabe war es, diese zu registrieren und das Gold zu sammeln. Bei der Befreiung hatte ich noch einige Kilo Zahngold abgegeben.

Da in der letzten Woche vor der Befreiung das nebenan liegende Krematorium keine Kohle zum Verbrennen hatte, wurden die Toten auf dem Hof gestapelt, sodass, als die Amerikaner kamen, einige tausend Tote auf dem Hof lagen. Die Amerikaner brachten die Bevölkerung aus Weimar in das Lager, damit sie sich über die Verhältnisse ein Bild machen konnten.

Während meiner Zeit hatte ich meine Freunde aus Auschwitz in meine Gruppe aufgenommen. Da wir kommandiert waren, mussten wir auch hier nicht zum Appell und kein SS-Mann ist zu uns gekommen.

Wenn jemand kam, habe ich am Eingang nur gesagt: „Vorsicht Infektionsgefahr, Typhus und Flecktyphus.“ – Dann habe ich nur noch die Absätze gesehen.

Ich ließ mir meine Haare in Buchenwald nicht mehr schneiden und hatte Probleme, weil später niemand glauben wollte, dass ich die Haare aus Protest und wegen der unzureichenden Kontrolle wachsen ließ.

Aber auch mit den Kameraden gab es Probleme. Als ich nach der Befreiung meiner Gruppe sagte, nehmt das Fett von der Suppe oder esst nur die Hälfte, ihr könnt das jetzt noch nicht vertragen, sagte man nur: „Jetzt hast du nichts mehr zu sagen.“ – Die Folgen waren grausam.

Nachdem wir die Toten beerdigt hatten, ging ich wieder in den Krankenbau, weil ein 14-jähriger ungarischer Häftling, den ich in Auschwitz unterstützt hatte, zu mir kam und über Atemnot klagte. Ich ging mit ihm in den Krankenbau, wo eine Rippenfellentzündung festgestellt wurde.

Der Junge wollte sich aber nur von mir operieren lassen. Er willigte schließlich in die Operation durch einen russischen Arzt ein. Ich war Assistent. Als der Arzt mir sagte, ich solle eine Drainage einführen, stieß ich auf einen Widerstand. Eine Pistolenkugel war die Ursache der Pleuritis.

Nach einigen Wochen im Krankenbau fuhr ich mit einem jüngeren Kameraden nach Trier zurück. In dem elterlichen Haus meines Freundes richteten wir uns eine Wohnung ein. Ich reparierte noch das Haus meines Onkels, aus dem wir ausziehen mussten, als Gestapobeamte dort einzogen, und fuhr den angefallenen Schutt ab. Nachdem dies geschehen war, ging ich zum Arbeitsamt und frug, wohin sie mich jetzt vermitteln wollten. Der Direktor bat mich, die Stelle eines Vermittlers anzunehmen und später in die Beamtenlaufbahn zu wechseln.

Durch die Tätigkeit beim Arbeitsamt konnte ich einen großen Teil der Möbel unserer Familie auf die merkwürdigste Art wiederfinden, was ich sonst nirgendwo gehört habe. Außerdem gründete ich die Jüdische Kultusgemeinde Trier.

Eines Tages erschien der Veterinärrat Dr. Bushoff, stellte sich vor und sagte mir, dass er meinen Vater und mich in der Straßenbahn getroffen habe und mein Vater ihm gesagt habe: „Jetzt wird er Schlosser. Unter anderen Verhältnissen wäre er Tierarzt geworden.“ Als ich ihm sagte, dass ich kein Abitur hätte, meinte er, das würde von mir abhängen.

Er ging mit mir zum Gymnasium. Dort nannte man mir einige Lehrer, mit denen ich mich in Verbindung setzte. Nach einem Jahr Unterricht und Arbeit machte ich die Aufnahmeprüfung für die Oberprima und drei Monate später mit der Klasse das Abitur, um anschließend Veterinärmedizin zu studieren. Die ersten Semester studierte ich an der Humboldt-Universität in Berlin und anschließend in Gießen.

Seit 54 Jahren bin ich in Polch als Tierarzt tätig und leite die Jüdische Kultusgemeinde in Koblenz seit 20 Jahren.

Ansprache

Staatsminister Bruch, stellvertretender Ministerpräsident:

Sehr geehrter Herr Dr. Kahn, sehr geehrter Herr Landtagspräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren des Konsularischen Korps, sehr geehrte Damen und Herren des rheinland-pfälzischen Landtags, sehr geehrte Gäste! Herr Dr. Kahn, Ihnen darf ich herzlich für diese aufrüttelnde und aufwühlende Erinnerungsrede danken. Ich meine, dass damit der Gedenktag für uns, die wir Nachgeborene sind, einen Rahmen und eine Orientierung gibt als Tag der Befreiung, aber auch als Tag des Gedenkens an die Naziherrschaft.

Das sind monströse Verbrechen, die wir jetzt wieder von einem Zeitzeugen gehört haben, die für uns eigentlich nicht in Worte zu fassen sind. In der deutschen Sprache gibt es kein Wort für diese Vernichtung von Menschen. Die Shoa ist da wohl das bessere Wort.

Ich danke ausdrücklich dem Zeitzeugen, Ihnen, Herr Dr. Kahn, für diese Rede. Ich denke mir, ich weiß, wie schwierig es ist, eine solche Rede zu halten. Das war eine Rede, die geprägt war von Erinnerung, von großen Schmerzen, die aber doch, so finde ich, ein Angebot der Aussöhnung an uns enthielt. Jemand, der Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, kehrt zurück in seine Heimat. Er ist Deutscher jüdischen Glaubens, und er gibt uns ohne Anklage einen Bericht.

Herr Dr. Kahn, Sie haben es gesagt, die Zeitzeugen werden weniger. Was tun wir, die Nachgeborenen?