Protokoll der Sitzung vom 27.01.2007

Ich begrüße den Landesvorsitzenden der Jüdischen Gemeinden, Herrn Dr. Peter Waldmann. Für die Sinti und Roma begrüße ich Herrn Ludwig Georg. Herr Daweli Reinhardt lässt sich entschuldigen, da er erkrankt ist. An dieser Stelle begrüße ich die Enkel von Daweli Reinhardt, die mit ihrer Musik diese Sitzung mitgestalten. Zugleich bedanke ich mich sehr herzlich dafür.

Stellvertretend für die Kirchen begrüße ich Monsignore Klaus Mayer, den früheren Pfarrer von Sankt Stephan. Mit ihm begrüße ich alle Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen, Vereinen und Initiativen aus dem Land, die in der Gedenkarbeit engagiert sind.

Ich freue mich ganz besonders, dass die Generalkonsulin der Republik Türkei, Frau Berin Tulun, heute unter uns ist.

Außerdem begrüße ich die ehemaligen Mitglieder des Landtags, insbesondere Frau Luise Herklotz aus Speyer, die als Frau der ersten Stunde bereits dem ersten Landtag angehörte, und den früheren Präsidenten des Landtags, Herrn Dr. Johannes Baptist Rösler.

Ich begrüße den stellvertretenden Ministerpräsidenten, Staatsminister Karl Peter Bruch, der im Anschluss an die Rede von Herrn Dr. Kahn für die Landesregierung sprechen wird, und alle Mitglieder der Landesregierung e

benso herzlich. Ich freue mich, dass der Landtag praktisch vollzählig ist und damit zum Ausdruck bringt, welche Bedeutung wir diesem Tag für unser Land zumessen.

Die Brücke zwischen uns, die wir nach dem Krieg geboren sind, und Ihnen, die Sie das miterlebt haben, wird geschlagen, indem ich die Schülerinnen und Schüler der Förderschule am Ellerbach in Bad Kreuznach in meinen Gruß einbeziehe. Sie haben gemeinsam mit ihrem Lehrer Auschwitz besucht. Sie sind tief beeindruckt, betroffen und schockiert zurückgekommen. Ein Stück der Verarbeitung ihrer Eindrücke ist die Präsentation, die sie uns nach dieser Veranstaltung im Wappensaal durch Texte, Bilder und Musik zeigen werden.

Sehr geehrter Herr Dr. Kahn, damit ist der Bogen geschlagen aus dieser abgrundtiefen dunklen Zeit in unsere Zeit. Wir wollen die Erinnerung weitertragen. Wir wollen dafür sorgen, dass das alle wissen, auch jene, die in schwarzen Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln herumlaufen und glauben, sie könnten das durch Gewalt widerlegen.

Gestern hat die UNO-Vollversammlung diejenigen verurteilt, die die Auffassung vertreten, man könne den Holocaust leugnen. Sie wissen, dass der Iran das politisch versucht. Eines ist aber klar: In diesem Land werden die Demokraten nie relativierend darüber reden. Wir werden nur dann eine andere Zukunft gewinnen, wenn wir uns an unsere Vergangenheit erinnern.

Ich bedanke mich.

Thema aus „Schindlers Liste“

Musik: John Williams

Zeitzeugenbericht

Dr. Heinz Kahn, Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz:

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich entstamme einer konservativen jüdischen Familie, deren Vorfahren seit über 500 Jahren im Rheinland ansässig sind. Mein Vater, seine Brüder und auch die Brüder meiner Mutter kämpften im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite, wurden zum Teil getötet und verwundet, erhielten hohe Auszeichnungen und wurden nur einige Jahre später ihres Vermögens beraubt und aus ihren Geschäften vertrieben. Einige Familienmitglieder konnten unter unwürdigen Umständen ins Ausland emigrieren. Leider wurde ein großer Teil der Familie deportiert und kam bei der sogenannten Endlösung im von deutschen Truppen besetzten Osten ums Leben.

Ich bin der Einzige aus einer ehemals großen deutschen Familie jüdischen Glaubens, der Auschwitz und Buchenwald überlebt hat und in Deutschland geblieben ist.

Dies ist in kurzen Worten mein Schicksal in diesem christlichen Abendland.

Vielleicht wissen Sie etwas über die Verfolgungen, die Juden in Deutschland und in den von Deutschen besetzten Gebieten erdulden mussten. In dieser Zeit wurden die Juden als Angehörige einer Rasse verfolgt, während in früheren Zeiten die hier als Minderheit lebenden Juden wegen ihres Glaubens verfolgt und zum Teil ermordet wurden.

Meine Eltern und meine Vorfahren glaubten, dass nach der französischen Revolution und nach der Gleichberechtigung Benachteiligungen wegen einer Religionszugehörigkeit insbesondere in Deutschland, wo das Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen zu einer guten Symbiose geführt hatte, ein Relikt aus vergangenen Zeiten sei. Diesen irrtümlichen Glauben mussten sie mit ihrem Leben bezahlen.

Die Zahl der Überlebenden der Judenverfolgung ist gering. So leben heute sowohl im Regierungsbezirk Trier als auch im Regierungsbezirk Koblenz jeweils drei Personen, die vor 1933 hier lebten und nach dem Krieg hiergeblieben sind. Selbstverständlich sind diese Zeitzeugen alle über 70 Jahre alt, zum Teil schon über 90. Es ist abzusehen, dass sie nicht mehr lange über diese Schreckenszeit berichten können.

Das Interesse an ihrem Schicksal ist aber erst seit circa zehn bis 15 Jahren akut. Ich musste des Öfteren über meine Erlebnisse berichten und soll dies auch heute machen. Hierzu muss ich bemerken, dass man über jahrelange Verfolgungen nicht in einigen Minuten berichten kann. So werde ich heute nur über einige persönliche Erlebnisse berichten, aber nicht über alles, da ich die Aussagen hierzu mir und auch Ihnen ersparen möchte, da sie viele nur leicht bedeckte Wunden aufreißen würden.

Ich werde nicht über das berichten, was wir als Gefangene – einfach weil wir Juden waren – erleiden und miterleben mussten. Ich werde auch nicht versuchen, mit Ihnen darüber zu reflektieren, wie wir all das ertragen und überleben konnten. Vielmehr will ich versuchen, Ihnen einige Szenen und ganz persönliche Erlebnisse eines damals um die 20 Jahre alten Jungen aus dessen Alltag dieser Jahre in Deutschland und insbesondere aus den rund 20 Monaten eines Häftlings im Konzentrationslager Auschwitz zu schildern.

Mein Vater hatte nach seinem Studium, nach dem anschließenden einjährigen Militärdienst und nach dem vierjährigen Krieg wegen einer Verwundung das Kriegsende im Lazarett erlebt. Er war ausgezeichnet mit zahlreichen Eisernen Kreuzen, Verwundeten- und anderen Verdienstorden und eröffnete im Jahr 1920 seine tierärztliche Praxis in Hermeskeil. Er heiratete dort später meine Mutter. Neben seiner Praxis war mein Vater als Lehrer in der Landwirtschaftsschule und als Halbbeamter in der Fleischbeschau und in der Veterinärverwaltung tätig.

Im Jahr 1928 erkrankte meine Mutter. Sie lag mehrere Monate im Krankenhaus, und nach ihrer Rückkehr erkrankte mein Vater in der Folge seiner Kriegsverletzung.

Für ihn war die körperliche Arbeit enorm schwer. Daher hatte er in der Folgezeit meist ein bis zwei Assistenten, die bis zum Jahr 1935 unser Haus als Heimat betrachteten, danach aber Abstand nahmen, wie es viele ehemalige Freunde taten.

Nach dem Besuch der Volksschule kam ich im Jahr 1932 zur örtlichen höheren Schule. Im Jahr 1934 sollte ich bei einer Sportveranstaltung einen Preis bekommen, der jedoch nicht ausgehändigt wurde, da ein Jude eine Auszeichnung nicht erhalten durfte. Seit dieser Zeit wurde ich von einigen Lehrern in die letzte Bank versetzt. Meine Anwesenheit war nicht erwünscht, und meine Arbeiten wurden nicht zensiert.

Nach dem Krieg wollte der Hauptaktivist von mir einen sogenannten Persilschein. Er verzichtete jedoch darauf, als ich ihm sagte, was ich in dem Schreiben aufführen würde. Im Jahr 1936 musste ich die Schule verlassen, damit sie „judenrein“ wurde. Anschließend besuchte ich drei Monate lang eine kaufmännische Privatschule, die dann als jüdische Schule geschlossen wurde. Ich half dann meinem Vater – wie auch schon früher – in der Praxis.

Aus dieser Zeit möchte ich einen bemerkenswerten Fall schildern. Mein Vater kam mit mir zur Fleischbeschau zu einem Metzger, der erst vor kurzer Zeit diese Metzgerei übernommen hatte. Die Fleischbeschaugebühren wurden damals nach den Wiegescheinen berechnet. So gab der Metzger meinem Vater einen Schein. Mein Vater fragte, wo denn der zweite Schein sei. Darauf sagte der Metzger, er habe nur ein Tier geschlachtet. Als mein Vater bemerkte, er habe ein Unikum geschlachtet, was man sicher nicht dürfe, ging der Metzger mit einem Messer auf meinen Vater los. Mein Vater sagte, er solle das Messer weglegen, sonst würde er auch noch wegen Mordes bestraft. An dem Haken hingen jedenfalls zwei Hälften mit je einem Schwanz. Das war das Unikum, das man nicht schlachten durfte. Die Tiere wurden beschlagnahmt, und mein Vater wurde von dem Metzger angezeigt, er dürfe als Jude und Tuberkulosekranker keine Fleischbeschau ausüben. Mein Vater wurde dann in einer Klinik untersucht, wo festgestellt wurde, dass die Atemnot meines Vaters durch die Kriegsverletzung bedingt sei.

Meinem Vater wurden die Fleischbeschau und die amtlichen Tätigkeiten Ende 1935 entzogen. Nach dem Jahr 1945 erging sich gerade dieser Metzger mit Lobhudeleien, welch gutes Verhältnis er mit meinem Vater gehabt habe.

Im Verlauf der sogenannten Kristallnacht drang der damalige Amtsbürgermeister in unser Haus ein, indem er im Parterre ein Fenster einschlug, dann in das in der ersten Etage gelegene Schlafzimmer meiner Eltern kam und zu meinem Vater sagte, dass er ihn in Schutzhaft nehmen müsse. Mein Vater bemerkte, dass er von ihm keinen Schutz erwarte, worauf der Amtsbürgermeister sagte: „Machen Sie keine Mätzchen; kommen Sie mit.“

Ich lernte damals in einer jüdischen Anlernwerkstatt in Frankfurt Schlosser und wurde beim Betreten der Lehrwerkstatt verhaftet. Es gelang mir, als ich im Hof Müllarbeiter bemerkte, aus der ersten Etage herunterzusprin

gen und mit der Müllentsorgung das Gelände zu verlassen.

Gegen Abend fuhr ich in Richtung Heimat. Ich musste in Türkismühle umsteigen, als ein Bahnbeamter, ein Nachbar von uns, zu mir kam. Er schilderte mir die Situation in meinem Elternhaus und sagte mir, er würde den Zug an dem Signal vor der Einfahrt halten lassen, damit ich dort abspringen könnte, da sonst die Gefahr bestünde, dass ich an der Sperre festgehalten würde.

Ich tat dies auch und ging zuerst zu Verwandten, die ein Kaufhaus neben dem Bahnhof hatten. Als ich klingelte, hörte ich, wie die Angehörigen auf den Speicher gingen. Einem Posten, der mich ansprach, antwortete ich mit dem Zitat von Götz von Berlichingen.

Meine Mutter hörte mein Kommen und bat mich, meinem Vater eine Decke ins Gefängnis zu bringen. Zunächst gab ich die Decke beim Gefängnisbeamten wenige Häuser oberhalb von unserem Haus ab. Dieser nahm die Decke an, sagte aber, ich möchte die Genehmigung beim Amtsbürgermeister hierzu einholen.

Als ich mich dort meldete, gab es einen furchtbaren Krach. Erst als der Amtsbürgermeister hörte, dass ich erst 16 Jahre alt war, gestattete er, dass ich meinem Vater die Decke bringen durfte.

Ich nahm den kürzesten Weg ins Amtsgericht. Dort schickte der Gefängnisbeamte mich in sein Schlafzimmer, da der Amtsbürgermeister mich doch noch verhaften wollte. Der Bürgermeister kam dann auch, saß einige Stunden in der nebenan liegenden Küche und verschwand schließlich, da ich nicht erschien.

Der Beamte ging nachts mit mir ins Gefängnis, wo ich meinen Vater und die dort einsitzenden Juden sprechen konnte.

In der gleichen Nacht ging ich auf Anraten meines Vaters zwei Bahnstationen querfeldein weiter und fuhr von dort nach Trier. Dort sprach mich die Schwester eines Lehrers an, frug nach meinem Vater und sagte mir, mein Vater bekäme in den nächsten Tagen eine Aufforderung zur Untersuchung, die wir mit der neuen Adresse sofort zurückschicken sollten.

Mein Vater war inzwischen zur Gestapo nach Trier überstellt worden und wurde von dort zum Untersuchungsamt gebracht. Der Gestapobeamte sagte auf dem Weg zum Untersuchungsamt, wenn mein Vater einen Fluchtversuch machen würde, würde er ihn sofort erschießen. Auf dem Rückweg blieb er drei Schritte zurück, da man ihm gesagt hatte, mein Vater hätte eine offene Tuberkulose und sei nicht haftfähig. So wurde mein Vater am gleichen Tag entlassen, und wir feierten in Trier seine Rückkehr.

Derartige Hilfe war bis zum November 1938 noch möglich. Es gab noch gute Freunde, die helfen wollten, später aber immer ängstlicher wurden und es vermieden, mit Juden gesehen zu werden.

Mein Vater musste nach seiner Rückkehr nach Hermeskeil das Vorkaufsrecht an meinem Elternhaus der Ge

meinde übertragen, und wenige Monate später übernahm die Gemeinde das Haus zum Einheitswert, der auf ein Sperrkonto überwiesen wurde. Die Familie zog nach Trier in das Haus meines Onkels. Beide Familien mussten dann diese Wohnungen wieder verlassen, als ein Gestapobeamter diese Räumlichkeiten beanspruchte.

Ich ging anschließend nach Köln, ebenfalls in eine jüdische Lehrwerkstatt, um weiter als Schlosser ausgebildet zu werden. Am 10. Mai 1940, dem Beginn des Krieges gegen Frankreich, durfte ich dort nicht mehr weiterlernen.

Durch besondere Beziehungen kam ich in das Jüdische Asyl, ein jüdisches Krankenhaus, um dort als Heizer und Schlosser mit zwei Kameraden zu arbeiten.

Drei Monate später durfte ich dort nicht mehr arbeiten und kam in ein Modellwerk. Ich war dort der erste Jude. Es kamen anschließend noch sechs weitere Juden hinzu, die aber im Gegensatz zu mir nur in einer Gruppe getrennt von anderen Arbeitern beschäftigt wurden.

1941 erhielt ich eines Tages die Aufforderung, mich zum Transport in den Osten zu melden. Mein Gepäck habe ich abgegeben, bin aber dann zu meinen Eltern nach Trier gefahren.

Meine Vermögensaufstellung wurde im Oktober 1998 in einer Ausstellung in Düsseldorf über entzogenes Vermögen entdeckt. Es ist lächerlich, wie penibel die deutschen Behörden vorgegangen sind.

Bei meinen Eltern suchte mich die Gestapo und überwies mich zur Schwerstarbeit in die Ziegelei, um mit dem nächsten Transport abgeschoben zu werden. Ich kam sofort in die Schlosserei und blieb auch dort, als die anderen Juden zu einem Straßenbaubetrieb wechselten.

Als der Betrieb im Frühjahr nicht mehr kriegswichtig genug war, ging ich zu dem Innungsmeister der Schlosser, der mich gern eingestellt hätte, doch das Arbeitsamt gestattete dies nicht, und ich wurde in den Straßenbaubetrieb überwiesen, arbeitete aber auch dort nicht mit der jüdischen Kolonne, sondern in der Schlosserwerkstatt. Einige Monate später wurde diese Kolonne zum Eisenbahnoberbau verpflichtet – mit Ausnahme von mir.