Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Das war im Grunde genommen – das lasse ich nicht so stehen – der Versuch einer Geschichtsklitterung. Ich denke, es ist ganz wichtig, daraus zurückzugehen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Verständnis und zur Beurteilung der heutigen Situation ist ein Blick auf die bisherige Entwicklung notwendig.

Schließlich ist die Integrationspolitik nicht mit einem Donnerschlag aus heiterem Himmel gekommen. Wer weiß denn heute noch, dass in der Zeit von 1952 bis 1973 über 14 Millionen Menschen, größtenteils als sogenannte Gastarbeiter, nach Deutschland gekommen sind?

(Baldauf, CDU: Aber 1973 nicht mehr!)

1960 wurden Anwerbeabkommen mit Spanien und Griechenland abgeschlossen. 1961 folgte die Türkei, drei Jahre später Portugal, 1965 wurde – heute fast völlig vergessen – eine Vereinbarung mit Tunesien und Marokko getroffen und 1968 ein Abkommen mit dem damaligen Jugoslawien.

Zwar zogen in dem genannten Zeitraum ca. 11 Millionen Menschen wieder weg, aber zweifelsohne – und darin habe ich eine andere Auffassung als Sie, Frau KohnleGros – war Deutschland damals schon aufgrund dieser Situation de facto ein Einwanderungsland.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Die sind doch nicht eingewandert, sie waren doch als Arbeitskräfte da!)

Das sagen Sie, doch kaum jemand wollte das seinerzeit wahrhaben. Ich komme noch darauf zu sprechen.

Ausländerpolitik war schlicht und einfach Arbeitsmarktpolitik. Konzepte für eine sozial- und bildungspolitische Integration bestanden nicht; denn man rechnete fest mit einer freiwilligen Rückkehr der Gastarbeiter. Doch das menschliche Leben verläuft – Gott sei es gedankt – nicht immer nach ausgeklügelten Vorstellungen und nach Wunschdenken.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Ich habe doch nichts anderes gesagt!)

Der damals oft zitierte Satz: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und Menschen sind gekommen.“ hat seine eigene Dynamik entwickelt.

Der am 23. November 1973 beschlossene Anwerbestopp führte zu einem verstärkten Familiennachzug. Vielen ist heute noch nicht oder nicht mehr der hohe Beitrag der ausländischen Arbeitskräfte auf unserem Weg zu einer der reichsten Nationen der Welt bewusst. Daher ist es mir wichtig, dies zu erwähnen. Der Wissenschaftler Professor Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, Leiter der Abteilung „SWR International“ beim Südwestrundfunk und ein ausgewiesener Experte für die Themen „Migration“, „Integration“ und „Ausländerpolitik“, schreibt dazu: Oft wird vergessen, dass das sogenannte Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeutschland und der Aufbau der Sozialsysteme ohne die sogenannten Gastarbeiter nicht erreicht worden wäre. Viele Deutsche stiegen aufgrund der Beschäftigung von Gastarbeitern in bessere berufliche Positionen auf. –

Er schreibt weiter: Die ausländischen Arbeitnehmer zahlten Steuern, ohne in entsprechendem Umfang öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Den von den ausländischen Arbeitnehmern in die Rentenversicherung gezahlten Beträgen stand nur rund ein Zehntel an Leistungen gegenüber. Die Rentenversicherung wurde lange Zeit weitgehend von den ausländischen Arbeitnehmern geradezu subventioniert. –

Ich denke, dies ist im geschichtlichen Rückblick sehr wichtig.

(Beifall der SPD)

Nichtsdestotrotz wurde in der Wirtschaftskrise 1966/1967 die warnende Stimme vor einem Gastarbeiterboom laut. Die Ausländer wurden schnell zu Sündenböcken, rechte Populisten und Demagogen hatten – wie des Öfteren in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten – Hochkonjunktur. Wir erinnern uns alle: Die NPD kam zwischen 1966 und 1968 in sieben deutsche Landtage.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das war der Asylkompromiss!)

In Baden-Württemberg erreichte die Partei 1968 fast 10 % der Stimmen. Unter dem Motto: „Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung“ wurde zwischen 1973 und 1979 unter der sozialliberalen Koalition eine neue Phase der Ausländerpolitik eingeleitet. Ich erinnere mich noch gut an das von dem damaligen ersten Ausländerbeauftragten, dem früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn, vorgelegte Memorandum, das ich als damals schon an der Integrationspolitik interessierter Juso – so etwas war ich auch einmal – mit politischen Freunden diskutiert habe.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Er hat das schon gewusst! Er hat die Probleme schon erkannt!)

Schon damals, vor 28 Jahren, forderte Heinz Kühn die Anerkennung der faktischen Einwanderung und – man höre und staune – auch ein Kommunalwahlrecht für Ausländer. Die SPD ist diesen Forderungen bis heute

treu geblieben. Auch in dem neuen Programmentwurf spricht sich meine Partei klar für ein kommunales Wahlrecht auch für Ausländerinnen und Ausländer aus, die nicht aus EU-Staaten kommen. Damit wird ein wichtiger Beitrag für den Ausbau der politischen Partizipation von Einwanderern geleistet.

(Beifall der SPD)

Es war dann noch ein weiter und mühsamer Weg bis zum Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Wo sind denn die Türken?)

Dazwischen lagen – um die Entwicklung und unterschiedlichen Gemengelagen bis dahin kurz zu skizzieren – das am 22. Juni 1983 von der Kohl-Regierung beschlossene Gesetz zur befristeten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern, die Grundgesetzänderung im sogenannten Asylkompromiss nach dem Anwachsen der Asylbewerber auf 440.000 im Jahr 1992 sowie der gleichzeitige Zustrom von über 200.000 Aussiedlern vorwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion, angeworben von der Bundesregierung. Die Reisen von Herrn Dr. Horst Waffenschmidt sind vielen in diesem Zusammenhang sicher noch in Erinnerung.

(Baldauf, CDU: Ist das ein schlimmer Nachmittag!)

Ich denke, das ist für die Entwicklung der Situation, über die wir heute diskutieren, sehr wichtig.

Einen Wendepunkt in der Ausländerpolitik markierte die Abschaffung des Abstammungsprinzips durch die rotgrüne Bundesregierung am 1. Januar 2000, die sicherlich ein wichtiger Schritt zum Zuwanderungsgesetz war. Dieses Gesetz bedeutet einen Wendepunkt in der Ausländerpolitik Deutschlands. Die Ernennung von Frau Professor Dr. Maria Böhmer zur Staatsministerin für Integration und Migration, der Integrationsgipfel im vergangenen Jahr und eine erste Islam-Konferenz sind Zeichen eines Umdenkungsprozesses, der hoffen lässt.

Rheinland-Pfalz hat als eines der ersten Bundesländer eine durchdachte Integrationspolitik gestartet.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Applaus, Applaus!)

Auf Veranstaltungen zur Migrations- und Integrationspolitik, an denen ich recht häufig teilnehme, begegne ich sehr oft Menschen auch aus anderen Bundesländern, die voll des Lobes über die Integrationspolitik unseres Landes sind. Die entscheidende Rolle, die das Land bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts gespielt hat, ist den Menschen ebenso bewusst wie die bundesweit als vorbildlich geltende liberale Ausländerpolitik.

Auch die Initiative für ein Gesetz zur Zuwanderungssteuerung und Integration ist vielen bekannt. Bundesweite Beachtung hat die Arbeit von RIFI, der rheinlandpfälzischen Initiative für Integration, gefunden. Dankenswerterweise konnte ich an mehreren Sitzungen als Zuhörer teilnehmen. So weiß ich durch eigene Wahr

nehmung um die sehr innovative Arbeit dieses Gremiums.

(Beifall der SPD)

In den fünf Jahren ihres Bestehens hat RIFI einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet, die Integrationsfrage einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Deswegen hat man es jetzt eingestampft, oder was?)

Ich komme noch darauf zu sprechen.

Frau Maria Weber, die seinerzeit die Initialzündung für RIFI gegeben hat, gebührt zusammen mit ihrem aktiven Team ein großer Dank für die bisher geleistete Arbeit. Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die Entscheidung von Staatsministerin Malu Dreyer, anstelle von RIFI einen Beirat für Migration und Integration zu installieren, der den Sachverstand der zahlreichen Institutionen und Verbände auf diesem Gebiet bündelt. Mit den Vertretungen von Migrantinnen und Migranten, Nichtregierungsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, der Wissenschaft und den Kirchen, Sozialpartnern und anderen entsteht so ein wichtiges Kommunikations- und Handlungsnetzwerk. Ich bedanke mich auch ausdrücklich dafür, dass meine Anregung aufgegriffen wurde, die drei im Landtag vertretenen Fraktionen in den Beirat personell einzubinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kernaussage in der Regierungserklärung von Frau Staatsministerin Malu Dreyer ist für mich die genannte Zielsetzung der Landesregierung, die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen – das schließt die Menschen mit Migrationshintergrund ein – in unserem Land in allen Bereichen des täglichen Lebens, Wohnen, Arbeiten, Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit, Kultur und Familie zu gewährleisten. Ich füge noch hinzu, dies gilt auch für die politische Partizipation. Eine große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Ausländerbeiräten zu. Sie leisten vor Ort eine unverzichtbare Arbeit für die Wahrnehmung der Interessen von Migrantinnen und Migranten. Die von Staatsministerin Frau Dreyer im Januar dieses Jahres angekündigte Reform der kommunalen Ausländerbeiräte ist zu begrüßen. Deren Weiterentwicklung zu Beiräten für Migration und Integration bedeutet eine bessere Einbindung in die kommunalen Strukturen. Mit der Ausweitung auf alle Menschen mit Migrationshintergrund soll ein stärkerer Wirkungsgrad in der Ausländerpolitik erreicht werden.

Nur eine so verstandene Politik, die Integration als ganzheitlich und umfassend versteht, kann eine Gesellschaft des friedlichen Miteinanders gewährleisten. Aus diesem Verständnis heraus wird aus dem betreuten Ausländer der gleichberechtigte Mitbürger.

Integration bedarf der Wechselseitigkeit. Es braucht zwei Hände zum verbindenden Handschlag. Rheinland-Pfalz bietet mit seinem breit gefächerten Katalog von Angeboten viele ausgestreckte Hände. Frau Ministerin Dreyer hat etliche genannt, die ich nicht alle wiederholen möchte. Nennen möchte ich aber die vielfältigen Angebote zum Erlernen der deutschen Sprache – denn die Spra

che ist schließlich der Schlüssel zur Gesellschaft –, die Initiativen im beruflichen Bereich, das berufliche Qualifizierungsnetzwerk QBN, das Projekt „inpact“ für die Arbeit mit Multiplikatoren und insbesondere die Arbeitsmarktinitiative „Neue Chancen: 6000 plus für Jung und Alt“ sowie die kultursensible Pflege in Rheinland-Pfalz. Ich könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen.

Das für den Sommer angekündigte Integrationskonzept wird die Handlungsschwerpunkte für die weitere Zukunft festlegen. Bei der gesamten Diskussion über die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben sollte man allerdings Integration, Frau Kollegin Kohnle-Gros, nicht mit Assimilation verwechseln.

Ich komme nun auf einen Aspekt, den Sie auch angesprochen haben. Professor Dr. Dieter Oberndörfer, einer der renommiertesten Migrationsforscher, hat im November 2006 bei einer Veranstaltung in Mainz zu diesem Thema Folgendes ausgeführt: Forderungen nach Integration der Zuwanderer durch Assimilierung setzen unter anderem voraus, dass wir eine Messlatte für gelunge Assimilierung, für gelungene Integration besitzen. Eine solche Messlatte wäre der integrierte Deutsche. Aber – so fährt Professor Oberndörfer provozierend fort – was ist ein integrierter Deutscher? Sind Süd-, Nord- oder Ostdeutsche, Katholiken oder Protestanten, säkularisierte und kirchlich konfessionell nicht gebundene Bürger, zum Islam oder Buddhismus konvertierte Deutsche, Akademiker oder Bauern, Mitglieder der SPD oder der CSU – sagt er – jeweils das Modell für den integrierten Deutschen? –

So stellt er fest: Die Frage nach dem gut integrierten Deutschen und damit nach dem Messwert für Integration ist im Hinblick auf unsere sich in ihren kulturellen Lebensformen und -stilen ständig weiter polarisierende Gesellschaft nicht zu beantworten. Ihre verbindliche Beantwortung stünde zudem im Gegensatz zu dem weiten Spielraum individueller kultureller Lebensformen und der Selbstbestimmung, die die Verfassung freiheitlicher Demokratien, so auch das Grundgesetz, ihren Bürgern gewährt.

Die Freiheit des Kultus, die Freiheit der Weltanschauung und des religiösen Bekenntnisses sind das Fundament des demokratischen Verfassungsstaates. Was die deutsche Kultur für die Bürger bedeutet und wie sie von ihnen definiert wird, dürfen sie daher individuell entscheiden. –

Ich meine, wir sollten uns an der Vielfalt der Kulturen in unserem Land Rheinland-Pfalz erfreuen und ansonsten jeden nach seinen individuellen Vorstellungen leben lassen.

In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff „Leitkultur“, der oft vonseiten der CDU-Politiker gefallen ist, völlig abwegig. Leider wird er oft von einigen rechten Politikern als ideologischer Hammer benutzt. Da stimme ich ganz der Aussage einer deutschen Politikerin zu, die es so formulierte: Ich möchte den Ausdruck „Leitkultur“ nicht verwenden, weil er von einer feststehenden Kultur auszugehen scheint, statt von einer Kultur im Wandel. Diese Kultur wird von denen befruchtet, die zu uns gekommen sind und zu uns kommen. – Wer, was glauben

Sie wohl, hat das gesagt? Die Ausländerbeauftragte Maria Böhmer, CDU.

Unsere Kultur in Deutschland wandelt sich ständig und nimmt immer auch Einflüsse von außen auf. Das konnte man, um das einmal einzuwerfen, beispielsweise am 8. März 2007 sehr gut beobachten. Ich habe es mir mit Freude angesehen. Der niederbayrische Kabarettist Django Asül – ich weiß nicht, wer es gesehen hat – trat beim traditionellen Starkbieranstich auf dem Nockherberg als neuer Festredner auf. Der 34-jährige türkischstämmige Deutsche aus Deggendorf tat dies nicht in der Mönchskutte des Bruder Barnabas, sondern als klassischer Salvator-Redner, ein sicher etwas ungewohntes Bild für manche, aber ein sichtbares Zeichen für einen, wie ich meine, gelungenen Wandel in der Gesellschaft.