Protokoll der Sitzung vom 27.06.2007

Es wird manchmal so getan – das haben Sie jetzt auch wieder gemacht –, als ob an der Hauptschule die Schulentwicklung vorbeigegangen wäre. Ich will jetzt zu später Stunde darauf verzichten, all das aufzuzählen und zu bewerten, was in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde, und nur stichwortartig einige Bereiche nennen:

(Pörksen, SPD: Dafür muss Zeit sein!)

mehrfache Betriebspraktika, Lernwerkstätten, Bewerbertraining, Jobfüxe, Schulsozialarbeit, Arbeitsweltklassen, Praxistage und nicht zuletzt das große Projekt „Ganztagsschule“.

All dies hat aber die sinkenden Anmeldezahlen nicht verhindern können. Die Eltern stimmen mit den Füßen ab, weil sie wissen, dass, wenn überhaupt, nur ein Realschulabschluss ihren Kindern eine Perspektive auf einen Ausbildungsplatz geben kann.

Die beiden vorliegenden Anträge gehen in ihrem Kern davon aus, dass, wenn alle Modellprojekte und Angebote flächendeckend über das Land gezogen werden, das Problem gelöst ist.

Sie verkennen dabei, dass auch der Hauptschüler, der aus einer Ganztagsschule mit Jobfux und Sozialarbeiter kommt, ähnlich große Schwierigkeiten hat, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, wie die Schülerin, die diese Angebote zurzeit noch nicht wahrnehmen kann. Dabei stellt sich nämlich schlicht und einfach das Problem, dass es nicht genügend Ausbildungsplätze für alle Schulabgänger gibt und aufgrund dessen ein Verdrängungswettbewerb stattfindet. Hinzu kommt, dass die Anforderungen in den Ausbildungsberufen ständig gestiegen sind: Der Kfz-Mechatroniker ist nicht mehr mit dem Kfz-Schlosser oder dem Kfz-Elektriker vergleichbar.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige Anmerkungen zu den vorliegenden Anträgen machen. Ich möchte zunächst auf den Antrag der FDP eingehen. Schön finde ich die Formulierung unter Nummer I, wo es um die Risikogruppen geht. Sie schreiben im drittletzten Absatz:

„In Ermangelung fester erwachsener Ansprechpartner, Bezugspersonen und Vorbilder bilden diese Schülerinnen und Schüler Gruppen von Gleichaltrigen, die oft ihre alleinigen festen sozialen Bezüge bilden.“

Das heißt übersetzt: Die Kids sind unter sich. Die Konsequenz daraus wäre, diesen Schülerinnen und Schülern Mitschüler an die Seite zu stellen, an denen sie sich orientieren könnten, also ein klares Bekenntnis zum gemeinsamen Lernen.

(Beifall der SPD – Zuruf der Abg. Frau Morsblech, FDP)

Dies hat schon Johann Comenius im 17. Jahrhundert gefordert:

„Man solle die Langsamen unter die Geschwinden, die Schwerfälligen unter die Wendigen, die Hartnäckigen unter die Folgsamen mischen. Wenn der Lehrer einen Begabteren entdeckt, so soll er ihm zwei oder drei Langsame zum Belehren anvertrauen.“

So viel zur Schule „Gemeinsames Lernen“.

(Beifall der SPD)

Ich komme nun zu Ihrem Forderungsteil. Darin werden kleine Hauptschulen gefordert. Wir haben heute schon Hauptschulen, die fast durchgängig einzügig sind, und teilweise wird schon die 5. und 6. Klasse gemeinsam beschult. Das mag zwar sehr kuschelig sein und an die Zwergschulen aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts erinnern, aber der Qualität und der Vielfalt des dann auch im weiteren Teil des Antrags geforderten Angebots werden diese Schulen nicht gerecht werden können.

Des Weiteren fordern Sie: Alle Hauptschulen werden Ganztagsschulen, möglicherweise auch noch gegen den Willen der Eltern. – Wer soll das bezahlen?

Ihr dritter Punkt ist die Berufsvorbereitung ab der 5. Klasse. Ich denke, Sie wollen nicht wirklich schon die 10-Jährigen zum Tischler oder Schweißer ausbilden. In dieser Phase des Lebens ist meines Erachtens die Persönlichkeitsentwicklung und die Entwicklung der Kernkompetenzen wichtiger als die Verwertbarkeit der Person als Arbeitskraft.

(Beifall der SPD)

Alle Schulen sollen eigene Lernwerkstätten und Schulküchen erhalten. – Wer soll das bezahlen?

(Creutzmann, FDP: Wollen wir nun helfen, oder wollen wir nicht helfen?)

Alle rheinland-pfälzischen Hauptschulen sollen das freiwillige 10. Schuljahr anbieten, also auch die von

Ihnen geforderten Mini-Hauptschulen. Dies ist in dieser Kombination sicher auch unrealistisch.

Sie haben einen Antrag auf zusätzliche „Arbeitsweltklassen“ gestellt. Wo waren Ihre Anträge zum Doppelhaushalt 2007/2008? (Beifall der SPD – Zurufe von der FDP)

Wo sind Ihre Deckungsvorschläge gewesen?

Ich komme nun zum Antrag der CDU. Anders als bei der FDP ist dieser Antrag nicht mit der Überschrift „Zukunft“, sondern mit „sofort“, also „jetzt gleich“ betitelt.

(Zuruf der Abg. Frau Dickes, CDU)

Dem ersten Absatz kann ich mich übrigens voll anschließen.

In den Dank und die Anerkennung möchte ich die Lehrer an den Förderschulen ausdrücklich einbeziehen.

(Beifall der SPD)

Ich erlebe diese Lehrerinnen und Lehrer durchweg als engagierte Pädagogen, die ihren Schülern auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben das notwendige Rüstzeug geben wollen.

Umso frustrierender muss der Satz für diese Lehrerinnen und Lehrer sein, den Sie mutigerweise in Ihren Antrag geschrieben haben:

„Aber auch Schüler mit einem guten Abschluss haben es oft schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden.“, womit Sie das Problem beschreiben: das Image der Hauptschule.

(Keller, CDU: Deswegen wollen wir helfen. Sie nicht! Das ist der Unterschied!)

Ich komme dazu.

Ich komme nun auch zu Ihrem Forderungsteil. Sie fordern, die Klassenmesszahl auf 20 Schülerinnen und Schüler festzulegen. Wir haben in Rheinland-Pfalz eine durchschnittliche Klassengröße von knapp über 20 Schülern. Keine Eingangsklasse hat mehr als 26 Schüler. Wenn man Ihrem Vorschlag folgen wollte, müssten Dutzende neuer Klassen gebildet werden, ohne dass sich die Qualität entscheidend verbessert. – Wer soll das bezahlen?

(Zurufe von der CDU: Ach!)

Sie fordern, dass jeder Klasse fünf weitere Förderstunden zugewiesen werden. Abgesehen davon, dass die Hauptschule vielfältige Möglichkeiten für die Beantragung von Förderstunden hat, habe ich einmal überschlägig die Kosten Ihrer Forderung ausgerechnet: Es geht dabei um weit mehr als 10.000 Stunden und damit um fast 500 zusätzliche Lehrer. – Wer soll das bezahlen?

(Harald Schweitzer, SPD: Das Land hat’s doch!)

Ihr nächster Punkt ist die bisher angeblich verschleppte Schulsozialarbeit. Sie wissen, dass alle Hauptschulen ein Angebot erhalten haben, zu den bekannten Konditionen Schulsozialarbeit einzurichten. Einige Wenige haben dieses Angebot noch nicht angenommen.

Auch Punkt 4 kann ich Ihnen nicht ersparen. Es ist auch schon gesagt worden: Wo waren Ihre Anträge zum Doppelhaushalt, und wo sind Ihre Deckungsvorschläge?

(Beifall der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zum Schluss noch etwas Versöhnliches: Nicht alles, was in den beiden Anträgen steht, ist falsch; aber Sie werden sicher verstehen, dass wir aus den von mir vorgetragenen Argumenten diesen Anträgen unsere Zustimmung versagen. Ich biete Ihnen aber ausdrücklich an, im Herbst gemeinsam einen Weg zu diskutieren, wie wir den Schülerinnen und Schülern helfen können. Es geht nicht um Ideologie, um Verbände oder um uns, sondern es geht um die jungen Menschen.

(Beifall der SPD – Pörksen, SPD: Die CDU macht es sich immer einfach!)

Das Wort hat nun Frau Staatsministerin Doris Ahnen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich kann an den letzten Punkt meines Vorredners anknüpfen: Über vieles, was in den beiden Anträgen an Problemen beschrieben wird, und auch über so manches, was – im Übrigen vor allen Dingen in dem Bereich, in dem bereits gehandelt worden ist – an Maßnahmen vorgeschlagen worden ist, braucht man sich aus meiner Sicht nicht zu streiten, zumal wir in diesen Bereichen schon initiativ geworden sind. Aber der Duktus der Debatte heute Abend lässt einen auch auf diesen Punkt noch einmal kritischer schauen, das sage ich Ihnen ganz ehrlich.

Frau Abgeordnete Morsblech, Ihre Aussage, die Landesregierung habe zugesehen, wie die jungen Menschen nach der Hauptschule auf dem Ausbildungsmarkt und im System insgesamt keine Chance hätten, hat mich doch sehr verwundert, einmal ganz abgesehen von der Frage, die mir erlaubt sein muss: Wer hat da zugesehen? Wer war damals mit in der Verantwortung? – Ich finde eine solche Aussage bei den Bemühungen, die wir jedes Jahr am ovalen Tisch zusammen mit den Kammern, mit der Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit unternehmen, damit jeder Jugendliche eine Chance bekommt, schon ziemlich hart.

(Beifall der SPD)

Des Weiteren werden aber Forderungen in Bereichen erhoben, in denen die Dinge schon auf einem guten Weg sind. Nehmen wir das Beispiel der Ganztagsschule. Es war zu Anfang nicht so, dass das ganze Hohe Haus gleich „Hurra“ geschrieen hätte, als wir das Ganztagsschulprogramm vorgestellt haben, übrigens ausdrücklich mit einem Schwerpunkt in der Hauptschule. Aber ich mache es jetzt einmal so wie Sie und lobe jetzt auch: Man kann nur klüger werden, und deswegen bedanke ich mich für die Unterstützung zur Ganztagsschule.

Frau Morsblech, ich sage Ihnen aber auch, in der Debatte einerseits zu argumentieren, dies sei doch eigentlich sehr verwegen, den Weg zum achtjährigen Abitur mit der Ganztagsschule zu verknüpfen, um aber andererseits beim nächsten Tagesordnungspunkt zu sagen, dass man aber bei der Hauptschule die Ganztagsschule auf jeden Fall brauche, halte ich doch für abwegig. Ich sage Ihnen, so unterscheiden wir nicht zwischen den Schülerinnen und Schülern.