Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, dies sehen Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Landesparlamenten und in den Regierungen, zum Beispiel in BadenWürttemberg, genauso wie wir. Wir setzen auf die freie Form.

Die Mitarbeit, der strukturierte Tagesablauf, die Auseinandersetzung mit der Tat und die Folgen für das Opfer sind in der freien Form Forderungen an den jungen Straftäter.

Sätze in der Pressemitteilung des CDU-Abgeordneten Wilke, die Vollzugslockerungen müssten von den Gefangenen verdient werden, helfen uns wenig weiter.

(Beifall der SPD)

Wir sehen Lockerungen nicht als Gnadenerweis, sondern als ein notwendiges Mittel an, um Entlassungen vorzubereiten und um die Freiheit in Straffreiheit zu erproben. Junge Gefangene sollen zur Mitarbeit am Vollzugsziel motiviert werden. Grenzen und auch Konsequenzen bei Überschreitung sollen sie erfahren. Die Haftzeit soll genutzt werden. Verwahrvollzug, bloßes

Wegsperren darf es auf keinen Fall geben, sondern es muss ein ständiges Bemühen, ständige Angebote an die Inhaftierten geben.

Mehr junge Häftlinge brauchen die Chancen des offenen Vollzugs und auch Vollzugslockerungen. Ja, auch die freie Form ohne Gefängnismauern brauchen sie. Differenzierter den einzelnen jugendlichen Täter sehen, heißt, auch ihm eine differenzierte Haft zu ermöglichen, so auch durch Sozialtherapie.

Das Vollzugsziel muss im Mittelpunkt stehen, und wir dürfen nicht aufhören, an die Veränderung von jungen schwierigen Menschen zu glauben. Unerschütterliche optimistische Grundhaltung muss Basis sein; denn wir dürfen keinen jungen Menschen aufgeben.

Die CDU-Fraktion kritisiert den Entwurf der Landesregierung in wenigen Punkten. Wir kritisieren ihn nicht, sondern wir konkretisieren Punkte und ergänzen den Entwurf um Optionen wie die freie Form der Unterbringung.

Wenn die CDU grundsätzlich den geschlossenen Vollzug als die Regelvollzugsform ansieht und dies damit begründet, dass im geschlossenen Vollzug bessere Möglichkeiten sind, den erzieherischen Ansatz des Gesetzes umzusetzen und auf die Gefangenen einzuwirken, verkennt die CDU zum Beispiel die Möglichkeiten der Subkultur in den Anstalten und das wenig hilfreiche Wegschließen.

Sie sollte einmal genauer hinschauen, wie ernüchternd gering der Erfolg in den letzten Jahrzehnten im geschlossenen Vollzug war.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem neuen Gesetz haben wir sicher keine Garantie dafür, dass alles besser und jeder junge Häftling resozialisiert wird. Wenn nur ein Drittel mehr junge Straftäter auf den Pfad des straffreien Lebens zurückkehrt, hat sich die Mühe schon gelohnt. Für die SPD-Fraktion ist klar: Wir erreichen sicherlich nicht das letzte schwarze Schaf. Doch die Sorge um dieses muss uns auch weiter umtreiben.

95 Jahre Erziehungsvollzug in Rheinland-Pfalz haben wir hinter uns. Schauen wir, dass wir am hundertsten Jahrestag des Erziehungsvollzugs 2012 mit guten Erfahrungen und Resultaten aus dem Gesetz wieder ein Stück weitergekommen sind und viel mehr junge Häftlinge von krummen und schiefen Wegen weggeführt haben, damit junge Menschen wieder Chancen haben und sie nutzen können, und zwar für ihr Leben in Freiheit und unser Leben in Sicherheit.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD)

Zunächst begrüße ich Mitarbeiter des SPD-Ortsvereins Thalfang, Morbach und Neumagen-Dhron. Herzlich willkommen im rheinland-pfälzischen Landtag!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wilke.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Indem der Staat in die Freiheit des Jugendlichen eingreift, übernimmt er für die weitere Entwicklung des Betroffenen eine besondere Verantwortung. Das ist ein Satz des Bundesverfassungsgerichts. „Siegburg ist überall“ – das war eine Zeitungsschlagzeile. Beide Sätze zusammen genommen, beschreiben recht gut das Spannungsfeld, in dem wir uns beim Thema „Jugendstrafvollzug“ bewegen.

Wie bereits bei der ersten Lesung diskutiert und bei der Anhörung und der weiteren Beratung im Rechtsausschuss vertieft, haben wir es im Jugendstrafvollzug mit jungen Erwachsenen von ganz unterschiedlicher Entwicklung zu tun.

Es gibt welche, die aus Familien kommen, in denen sie kein Familienleben erlebt haben, keine Bildungschancen hatten und in vielerlei Hinsicht, auch im sozialen Umgang miteinander, Defizite aufweisen. All das hat dem Bundesverfassungsgericht vor Augen gestanden, als es nach der Föderalismusreform uns Landesgesetzgebern in das Stammbuch geschrieben hat: Kümmert Euch darum! Nehmt den Erziehungsauftrag wahr! Macht Gesetze, die dem gerecht werden! –

Wir haben aber auch den Auftrag, die Sicherheit der Bevölkerung im Auge zu behalten und die Jugendlichen im Vollzug so zu erziehen und zu resozialisieren, dass sie später straffrei leben können.

(Beifall der Abg. Frau Thelen, CDU)

Wir haben schon in der ersten Lesung anerkannt, dass es im Regierungsentwurf einige sehr gute Ansätze gibt. Ich darf die Stichworte noch einmal kurz aufführen: Wohngruppenvollzug, mehr Besuchskontakte, mehr Bildung, strukturierte Freizeit statt Gammeln im Knast und eine bessere Entlassungsvorbereitung.

Wir haben in der ersten Lesung aber auch die Bedenken angemeldet – das ist auch unser gutes Recht –, die wir dem Regierungsentwurf entgegenbringen. Ich denke, sagen zu können, dass die Bedenken, die wir damals in der ersten Lesung geäußert haben, nach den intensiven Beratungen im Ausschuss sowie in und nach der Anhörung auch bestätigt worden sind. Wir bleiben dabei. Unser Konzept für den Jugendstrafvollzug lautet: Fördern durch Fordern.

Auch der Kollege Hoch – das hat mich sehr gefreut – hat sich diese Worte bei der Beratung im Rechtsausschuss zu eigen gemacht. Das hat bei uns ein bisschen die Hoffnung keimen lassen, wir könnten angesichts der Wichtigkeit dieses Themas vielleicht sogar zu einem gemeinsamen Änderungsantrag kommen. Deshalb haben wir uns um diesen Konsens bemüht.

Leider lässt sich feststellen – Herr Burgard, im Grund genommen haben es Ihre Ausführungen bestätigt –, dass Sie in wichtigen Punkten unseren Anliegen nicht

entgegenkommen. So ist es doch dazu gekommen, dass Sie ihren eigenen Weg gegangen sind.

Umso dankbarer bin ich, sagen zu können, dass die FDP und die CDU einen gemeinsamen Weg gefunden haben.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Es ist gut und schön, wenn man immer damit konfrontiert wird. Sie haben die Mehrheit und gehen deshalb auf unser Anliegen nicht ein. Deshalb haben wir einen gemeinsamen Text erarbeitet, und diesen vorzustellen, ist mein zentrales Anliegen.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf Ihnen kurz aus meiner Sicht die wesentlichen Punkte unseres Änderungsantrags zur Diskussion stellen. Der wichtigste Punkt ist, die Grundwerte zu achten. Das ist unser zentrales Anliegen an den Vollzug. Das ist in vielen Äußerungen von Sachverständigen deutlich geworden. Das Thema war Siegburg.

Weitere Punkte heißen: Grundwerte vermitteln – dieses Thema kommt mir bei der SPD zu kurz –, die Menschlichkeit, die Freiheit des anderen und der Umgang miteinander. – Das sind Dinge, die viele dieser Gefangenen nie gelernt haben. Diese müssen ihnen im Strafvollzug vermittelt werden. Das ist der Punkt, den wir durch entsprechende Formulierungen des Gesetzes deutlicher herausstreichen wollen, als dies bisher der Fall ist.

Ich komme zum nächsten Punkt: Vollzug bestmöglich gestalten. – Es gab in dieser Abstraktheit Konsens im Hause. Wir müssen uns aber über ein paar grundlegende Dinge verständigen. Dazu gehört, dass wir die Vollzugsformen richtig sortieren. An diesem Punkt sind wir nicht zusammengekommen.

Wir halten daran fest, dass der Ausgangspunkt des Vollzugs der geschlossene Vollzug ist. Das ist in der Praxis so, und das bleibt auch so, und zwar vor dem Hintergrund, dass man im geschlossenen Vollzug am Besten auf die Gefangenen einwirken und das Erziehungsziel erreichen kann.

(Beifall bei der CDU)

Der geschlossene Vollzug muss für den Einzelnen eine Perspektive haben. Diese Perspektive lautet: offener Vollzug. – Ich möchte eines herausstreichen: Nicht nur, wenn keine Gefahr für die Begehung weiterer Straftaten besteht, ist ein offener Vollzug angezeigt. Nein, nur der oder die Gefangene, der oder die mitwirkt, an sich arbeiten lässt und an sich arbeitet, der oder die hat sich den offenen Vollzug damit verdient und rechtfertigt dieses Vertrauen des offenen Vollzugs, um dann Schritt für Schritt in ein straffreies Leben zurückzufinden.

Wir haben auch den Bedarf gesehen – wir teilen Ihre Grundeinstellung –, im Gesetz den Vollzug in freien Formen deutlicher herauszuarbeiten. Auch Kollegen unserer Fraktion waren im Seehaus in BadenWürttemberg und haben sich die Dinge dort angesehen. Sie haben den Eindruck gewonnen, dass das auch eine

Zukunftsform in Rheinland-Pfalz als Angebotsform sein könnte. Deswegen gehört eine entsprechende vertiefte gesetzliche Behandlung in das Gesetz hinein. So haben wir die richtige Sortierung, nämlich geschlossener Vollzug, offener Vollzug und Vollzug in freien Formen. Das ist auch Fördern durch Fordern.

Ich komme zum dritten Punkt, der Bildung, der Ausbildung, dem Training und der Arbeit, statt sich im Vollzug selbst überlassen zu bleiben. Auch das ist Grundkonsens zwischen uns. Das ist im Entwurf angelegt. Das haben wir in der ersten Lesung schon deutlich herausgearbeitet. In diesem Punkt gehen wir weiter als die Regierung. Wir sagen, dass dieser ganz zentrale Aspekt dem Erziehungsauftrag des Gesetzes und des Bundesverfassungsgerichts entsprechend als Recht ausgebildet werden muss.

Es reicht nicht, einen allgemeinen Programmsatz in das Gesetz zu schreiben. Wir wollen ein echtes Recht, und zwar abgeleitet nach den Fähigkeiten, die in einem intensiven Diagnoseverfahren beim Einzelnen festgestellt werden. Wir wollen, dass er das subjektive eigene Recht bekommt zu verlangen, dass er dort Bildung, Ausbildung und soziales Training erfährt, wo er es benötigt.

Der vierte Punkt lautet Sicherheit in den Anstalten. Ich komme direkt auf einen Punkt zu sprechen, der mich schon in der ersten Lesung sehr beschäftigt hat, nämlich der Suchtmittelmissbrauch. Der Suchtmittelmissbrauch im Strafvollzug ist eine der großen Geißeln. Das ist im Erwachsenenvollzug, aber auch schon im Jugendstrafvollzug so.

Was haben wir bisher im Gesetz stehen? Wir haben einen zahnlosen Tiger. So gibt es einerseits die Pflicht, sich solchen Untersuchungen zu unterziehen, um Suchtmittelmissbrauch festzustellen, wenn der Verdacht besteht. Wir haben aber andererseits keinerlei Möglichkeit, ihn zu überprüfen und festzustellen, wenn die Mitwirkung verweigert wird, zum Beispiel, wenn der Gefangene nicht mitmacht, keine Urinprobe abgibt oder in anderer Weise mitwirkt.

Wir wollten dafür eine andere Lösung haben. Man kann der Geißel Suchtmittelmissbrauch nur dann entgegenwirken, wenn man eine Möglichkeit hat, einzugreifen oder zwangsweise zu untersuchen. Da im Gesetzentwurf keine Durchsetzung gegeben ist, haben wir § 68 entsprechend ergänzt, damit im Vollzug Sicherheit praktiziert und der Suchtmittelmissbrauch energisch bekämpft wird.

Ich komme zum fünften Punkt, der Entlassungsvorbereitung, Entlassungsbegleitung oder, um das moderne Wort zu benutzen, dem Übergangsmanagement. Wichtig ist, dass wir eine gesetzliche Grundlage auch für nachsorgende Einrichtungen benötigen. Wir haben bisher nur nachsorgende Maßnahmen im Gesetz stehen.

In anderen Ländern gibt es Konzepte, um Gefangene, die entlassen werden, aufzufangen, wenn droht, dass sie wieder in alte Strukturen und Verhaltensweisen zurückfallen. Deshalb wollen wir heute im Gesetz eine entsprechende Grundlage schaffen. Wann und wie wir sie umsetzen, muss die Zukunft zeigen.

Aber wir haben eine Grundlage geschaffen, für die das Gesetz und unser Änderungsantrag gut sind.

Die nächsten Punkte in diesem Kontext sind die Entlassungsbegleitung und das Übergangsgeld. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt für uns. In der Anhörung wurde deutlich, dass der Aspekt des Überbrückungsgeldes so oder so gesehen werden kann.

Wir, FDP- und CDU-Fraktion gemeinsam, sind letztlich nach Abwägung aller Gesichtspunkte dazu gekommen, das Überbrückungsgeld zu fordern, wie es auch Gesetze anderer Länder schon kennen. Das heißt, der Jugendliche spart an, um damit seinen Lebensunterhalt nach der Entlassung wirklich sicherstellen zu können, unabhängig davon, ob der Staat, die kommunalen Trägern oder die ARGEn dann gleich zur Verfügung stehen und einspringen, um ihm seinen ganz einfachen Lebensunterhalt zu gewährleisten.

Dieses Überbrückungsgeld hat noch viele Vorteile, die der Regierungsentwurf nicht aufgegriffen hat. Es geht darum, dass man damit erzieherisch wirken kann, indem Bewährungshelfer Unterstützung dabei leisten, mit dem Geld sorgfältig umzugehen. Dadurch kann ich etwas beibringen und zeigen, wie ich mit dem Geld ordentlich umgehen kann, um damit zu vermeiden, dass Jugendliche wieder rückfällig werden und auf die schiefe Bahn geraten.