Protokoll der Sitzung vom 06.07.2006

Vor allem unser Grundgesetz und die Menschenrechte sind einzuhalten. Dies nicht deshalb, weil sie Selbstzweck wären, sondern weil Gewalt und Intoleranz in der Geschichte der Menschheit nie Gutes bewirkt haben, aber immer viel Not und Leid über die Menschheit gebracht haben.

Weil das Thema so ernst ist und nicht parteipolitisch strittig behandelt werden sollte, sollten wir versuchen, im Rahmen einer Ausschussbehandlung aus den drei Anträgen einen gemeinsamen Antrag aller drei Fraktionen zu formulieren und zu verabschieden. Ich meine, dass wir damit das wirksamste Zeichen nach außen setzen und der Sache und den Betroffenen am Besten dienen.

(Beifall der FDP)

Ich erteile Herrn Justizminister Dr. Bamberger das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! So genannte Zwangsverheiratungen und so genannte Ehrenmorde sind in jüngster Zeit verstärkt in das öffentliche Bewusstsein und in die öffentliche Diskussion gerückt. Es waren vor allem Hilfsorganisationen wie beispielsweise Terre des Femmes, die erfolgreich mit Nachdruck und verdienstvoll die Aufmerksamkeit auf die Opfer lenken konnten und auf den dringenden Handlungsbedarf zu der Problematik hingewiesen haben.

Die angestoßene Debatte ist gerade mit Blick auf die Opfer dringlich und mit allem Nachdruck zu führen.

(Beifall der SPD und vereinzelt bei CDU und FDP)

Möglichkeiten, die Situation der vor allem betroffenen Frauen zu verbessern und ihnen zu helfen, sind dabei wo immer möglich umzusetzen. In allen drei Anträgen der Fraktionen wird von so genannten Ehrenmorden oder auch – ich finde den Ausdruck treffender – Unterdrückungsmorden gesprochen.

Das Wort „Ehrenmord“ für sich ist in der Tat eine zweifelhafte, die schlimme Wahrheit des Sachverhalts verdeckende Wortschöpfung.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Es geht meistens um die Tötung von Frauen aus niedrigen Beweggründen und um schlimme Fälle des Mordes. Nach Schätzungen der UN gibt es weltweit jährlich 5.000 Opfer solcher Unterdrückungsmorde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesgerichtshof hat in den vergangenen Jahren mehrfach klargestellt, dass die so genannten Ehrenmotive nichts anderes als niedrige Beweggründe sind. Der dabei anzulegende Maßstab der Bewertung ergibt sich aus den Werten unserer Rechtsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland, vor deren Gerichten sich die Täter zu verantworten haben.

Tötungsdelikte, bei denen sich der Täter seiner persönlichen Ehre und der Familienehre wegen als Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über einen anderen Menschen hinwegsetzt, sind besonders verwerflich und rücksichtslos. Ich denke, die Richterinnen und Richter in unserem Land, die über entsprechende Fälle zu befinden haben, wissen das. Ihnen ist die Problematik vollkommen bewusst.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Inzwischen!)

Frau Kohnle-Gros, das ist richtig. Leider fehlen ausreichende statistische Zahlen für die Problematik der Ehrenmorde – ich komme nachher noch darauf zu sprechen – und auch der Zwangsverheiratungen.

Eine kursorische Durchsicht unserer Akten der letzten 20 Jahre über verhängte lebenslange Freiheitsstrafen hat gezeigt, dass in insgesamt vier Fällen die Wiederherstellung der Familienehre dem Fall zugrunde lag. Die vier Fälle zeigen, dass unsere Gerichte ohne Probleme derartige Fälle als Mord bewerten und mit der schwersten Strafe ahnden. Die Staatsanwaltschaften des Landes verfolgen einschlägige Straftaten konsequent und werden das auch weiter tun.

Zwangsheirat verletzt elementare Menschenrechte. Es geht um die Verletzung des Artikels 6 unseres Grundgesetzes, aber auch um die Verletzung unserer Grundnorm des Artikels 1. Es geht um die Verletzung von Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN.

Zwangsheirat muss deutlich öffentlich geächtet werden. Sie ist entschieden zu verurteilen. Weder aus patriarchalisch-traditionellen noch aus vermeintlich religiösen Gründen ist es akzeptabel, dass Zwangsverheiratungen in Deutschland stattfinden.

Schon heute verstößt selbstverständlich der Tatbestand der Zwangsverheiratung gegen geltendes Strafrecht. Es handelt sich um Fälle schwerer Nötigung. Es können Fälle der Vergewaltigung gegeben sein. Gleichwohl ist auch hier festzustellen, dass nur in relativ wenigen Fäl

len der Sachverhalt zur Anzeige gebracht wird und dann auch verfolgt werden kann.

Wahrscheinlich liegt das daran, dass Zwangsheirat als strafwürdiges Unrecht im allgemeinen Bewusstsein, insbesondere aber auch im Bewusstsein der Betroffenen nicht ausreichend verankert ist und deshalb die Strafverfolgungsbehörden nicht eingeschaltet werden. So haben die Staatsanwaltschaften unseres Landes bisher kein einschlägiges Ermittlungsverfahren gehabt. Aus anderen Bundesländern werden ähnliche Sachverhalte gemeldet.

Allerdings kann in dem Fehlen solcher Verfahren nicht gesehen werden, dass der Sachverhalt ebenfalls nicht gegeben ist. Es gibt Schätzungen, die darauf hinauslaufen, dass es in Deutschland jährlich in 30.000 Fällen zu Zwangsverheiratungen kommt. Ich glaube, das Dunkelfeld ist groß. Auch hier wäre zu wünschen, dass der Sachverhalt in die polizeiliche Kriminalstatistik eingearbeitet wird, was derzeit auch geschieht.

Meine Damen und Herren, um den Betroffenen ein Signal zu geben, hat der Bundesrat schon in der vergangenen Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz in den Bundestag eingebracht. Das ist in der derzeitigen Legislaturperiode erneut geschehen. Es geht um einen Gesetzentwurf, der den Tatbestand der Zwangsverheiratung ausdrücklich unter Strafe stellt. Der Entwurf sieht eine Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Es ist ferner vorgesehen, dass für die Aufhebung der Ehe in solchen Fällen eine längere Frist laufen soll – nämlich drei Jahre –, als dies derzeit mit einem Jahr der Fall ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Vorhaben sind wichtig. Wir müssen sie kritisch begleiten. Ich denke, genauso wichtig wie neue Gesetze und eine konsequente Verfolgung ist die Prävention. Prävention bedeutet vor allem Sprachförderung, Aufklärung im weitesten Sinne und bei allen irgendwie nur Beteiligten Hilfe und Unterstützung für die betroffenen Frauen.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Die Landesregierung hat ein gutes Konzept, das es konsequent weiterzuverfolgen und zu erweitern gilt. Ich nenne die wichtige Stelle der Beauftragten der Landesregierung für Migration und Integration und den Arbeitskreis „Rheinland-pfälzische Initiative für Integration“, der Erfahrungen und Sachverständigenwissen für die praktische Arbeit der Integration zur Verfügung stellt.

Schon genannt worden ist das rheinland-pfälzische Interventionsprojekt „Gewalt in engen sozialen Beziehungen“, das mit seinen Stellen Unterstützung und Hilfe besonders für Migrantinnen anbietet. Vor allem das stationäre Schutzangebot in Frauenhäusern wird von Migrantinnen stark genutzt. In Rheinland-Pfalz beträgt der Migrantinnenanteil in Frauenhäusern 41 %. Hinweisen möchte ich auch auf die intensive Sprachförderung von Kindern bereits im Vorschulalter, von dem vor allem Kinder mit einem Migrationshintergrund besonders profitieren.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt zum Themenbereich „Zwangsheirat“ inzwischen länderübergreifend verschiedene Arbeitsgruppen. Die diesjährige Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz hat sich intensiv und ausführlich mit dem Thema befasst.

Meine Damen und Herren, wichtig – damit komme ich zum Schluss – ist eine umfassende Aufarbeitung und Prüfung der zugrunde liegenden Tatsachen. Was sind die Gründe für ein derartiges Verhalten? Wo passieren diese Dinge? Wie sind die Auswirkungen auf die Betroffenen?

Ich meine, hier müssen alle vorhandenen Erfahrungen und Erkenntnisse ausgewertet werden. Es sollte versucht werden, in intensiver wissenschaftlicher Arbeit neue dazuzugewinnen. Ich halte deshalb eine umfassende wissenschaftliche Studie über die Problematik für hilfreich.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat sich – wie dargelegt – der in den Anträgen dargestellten Problematik bereits in vielfältiger Weise angenommen. Sie wird auch weiter alles in ihrer Macht Stehende tun, um Zwangsheirat und so genannte Ehrenmorde zu verhindern.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD, der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Die Redezeit der Fraktionen, die zur Verfügung stand, ist überschritten. Wenn es gewünscht wird, können wir noch eine weitere Runde eröffnen. Aber da sowieso eine Ausschussberatung vorgesehen ist, würde ich vorschlagen, dass wir die Anträge – Drucksachen 15/58/59/87 – unmittelbar an die Ausschüsse überweisen, einmal an den Rechtsausschuss – federführend –, an den Innenausschuss und an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung.

Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen! – Ich stelle fest, dass die Anträge einstimmig überwiesen sind.

Wir kommen zu den Punkten 9 und 10 der Tagesordnung:

Arbeit und Arbeitsergebnisse des Ausschusses der Regionen (AdR) im Zeitraum Juli 2003 bis März 2005 Besprechung des Berichts der vom Landtag Rheinland-Pfalz entsandten Mitglieder des Ausschusses der Regionen (Drucksache 14/4128) gemäß Beschluss des Landtags vom 22. April 1999 zu Drucksache 13/4100

Arbeit und Arbeitsergebnisse des Ausschusses der Regionen (AdR) im Zeitraum März bis Dezember 2005 und Bilanz der 3. Mandatsperiode (2002 – 2006) Besprechung des Berichts der vom Landtag Rheinland-Pfalz entsandten Mitglieder des Ausschusses der Regionen (Drucksache 14/4902) gemäß Beschluss des Landtags vom 22. April 1999 zu Drucksache 13/4100

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Klöckner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Europa befindet sich in der Krise“, das ist der Tenor zahlreicher Schlagzeilen und Kommentare in den Medien. Besonders nach der Ablehnung der europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sind diese Stimmen verstärkt aufgekommen. Selbst einer der unbestritten großen Europäer, der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, äußert sich in diesem Sinn.

Befragt nach den Gründen antwortet er noch vor wenigen Wochen am 15. Juni 2006 in einem Interview der „Welt“ – ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten –: „Europa steckt in einer tiefen Krise. Diese Krise besteht darin, dass ein Teil der Bevölkerung denkt, wir hätten nicht genug Europa, der andere Teil der europäischen Bürger denkt, wir hätten längst zuviel Europa, und die Politik schafft es nicht, den Spagat zwischen diesen beiden Polen zu machen und sich in ihnen zu vermitteln.“

Wenn man mit den Menschen draußen über das Thema „Europa“ spricht, dann erfährt man nur allzu oft – jedenfalls höre ich das allenthalben –, dass dieses Europa für viele ganz weit, sprich zu weit, weg ist. Auf Nachfrage kommt dann häufig die Antwort, im fernen Brüssel treffe man Entscheidungen fernab von der realen Lebenswelt der betroffenen Menschen. Diese subjektive Einstellung führt zu einer noch weiter wachsenden Europaverdrossenheit.

Wohl eine der besten und wirksamsten Vorbeugungsmaßnahmen – so will ich es einmal nennen – war sicher die Gründung des Ausschusses der Regionen im Jahr 1994, um der Gefahr einer EU ohne Bodenhaftung entgegenzuwirken. Wie keine zweite europäische Institution ist der Ausschuss der Regionen dafür geeignet, Europa den Menschen nahe zu bringen. Durch die Verwurzelung der AdR-Mitglieder auf regionaler und kommunaler Ebene sind sie ein ideales Bindeglied zwischen den europäischen Einrichtungen bzw. Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern.

Durch den AdR werden zum einen regionale Aspekte gestärkt, andererseits werden Entscheidungen auf eine bürgernahe Ebene gerückt. Der AdR hat sich in seiner Rolle als beratendes Gremium vor allem gegenüber der Kommission in den letzten Jahren außerordentlich bewährt. Dies wird bei der Ausrichtung der Strukturförderung der Europäischen Union besonders deutlich.

Vor wenigen Wochen hat man sich auf das Finanzpaket für die Jahre 2007 bis 2013 geeinigt. Viele Vorstellungen des AdR wurden dabei von der Kommission aufgegriffen. Für besonders wichtig halte ich es, dass die Kom

mission auch in Zukunft noch Projekte in wohlhabenderen Regionen wie Rheinland-Pfalz fördert.

(Beifall bei der SPD)

Eine weitere wichtige Aufgabe sieht der AdR in der Stärkung des Subsidiaritätsgedankens in Europa, ganz im Sinn des Maastricht-Vertrags. Das Vertrauen vieler Europa skeptisch oder gar eher ablehnend gegenüber stehenden Bürgerinnen und Bürgern kann sicher nachhaltig dadurch gestärkt bzw. wieder gewonnen werden, dass geplante Maßnahmen erst einmal auf der regionalen und einzelstaatlichen Ebene geprüft und beschlossen werden. Eine Übertragung auf EU-Ebene soll nur dann erfolgen, wenn durch das gemeinsame Vorgehen die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf eine klare Wertsteigerung des jeweiligen Projekts dies rechtfertigt. Aber in den Bereichen, in denen die EU Vorteile bietet, sollte sie auch mit den notwendigen Instrumenten ausgestattet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle möchte ich dafür eintreten, dem AdR ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof zu gewähren. Damit könnten die Rechte des AdR weiter gestärkt werden, zum Beispiel bei vermuteten Subsidiaritätsverstößen aktiv zu werden. Dieses Klagerecht des AdR ist im europäischen Verfassungsvertrag vorgesehen. Ein Grund mehr, dass die Verfassung möglichst rasch in Kraft tritt.

Die vorliegenden Berichte über die Arbeit des AdR zeigen, dass seine Bedeutung in der Praxis weit über seine Funktion als rein beratendes Gremium hinausgeht. Dass der AdR sehr ernst genommen wird, zeigt die regelmäßige Teilnahme von Mitgliedern der Europäischen Kommission an den Sitzungen der verschiedenen Fachkommissionen. Auch Präsident Barroso diskutierte mit den Teilnehmern der Plenarsitzung im November vergangenen Jahres. Der AdR sieht sich als strategischen Partner der Kommission.