Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Deshalb ist es so, dass – bevor der Gesetzentwurf überhaupt den Landtag erreicht hat – in einigen Gebietskörperschaften die neue Struktur bereits beschlossen ist.

Meine Damen und Herren, als Kernstück – auch das hat die Frau Ministern heute wieder gesagt – ihres Gesetzentwurfs sieht diese Landesregierung die Realschule plus an.

(Vizepräsident Schnabel übernimmt den Vorsitz)

In der Realität vor Ort wird gerade diese allerdings oft nur als eine Notlösung angesehen. Fest steht, die Realschule plus ist zumindest einmal keine Lösung für die Probleme der Hauptschule und für die ihrer Schülerinnen und Schüler.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD – Hartloff, SPD: Wo steht denn das fest?)

Fest steht auch, die Realschule plus wird es sehr schwer haben, wenn sie sich in unserer Schullandschaft einen stabilen Platz erkämpfen soll. Schulen und Kommunen haben heute schon Angst, dass sie in wenigen Jahren dasselbe Problem, das sie heute zum Teil mit ihren Hauptschulen haben, wieder diskutieren müssen. Sie versuchen deshalb, an ihren Standorten möglichst gleich Integrierte oder Kooperative Gesamtschulen oder Gymnasien zu errichten. In nahezu allen Bundesländern, die bisher Haupt- und Realschulen zwangsfusioniert haben, sind die ungelösten Probleme der Hauptschulen einfach nur in die Realschule und damit in die neue Schulform hinein verlagert worden.

(Beifall bei der FDP)

Die Akzeptanzprobleme der Hauptschulen bei den Eltern werden sich allen Erfahrungen nach auf die neue Realschule plus übertragen. Im Bundesland Bremen z. B. schicken drei Jahre nach einer vergleichbaren Reform über die Hälfte der Eltern ihre Kinder aufs Gymnasium. Ein weiteres Drittel besucht die Integrierte Gesamtschule.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Gut so!)

Die neue Sekundarschule wird noch schlechter angenommen als seinerzeit die Hauptschule.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Hartloff, dort findet dann tatsächlich eine Abstimmung mit den Füßen, wie Sie sie skizziert haben, statt.

(Beifall der FDP)

Für die Hauptschülerinnen und Hauptschüler selbst bedeuten die neuen Schulen natürlich größere und un

übersichtlichere Lernanstalten mit in der Regel erheblich größeren Klassen. Wenn Sie dann wieder sagen, Sie senken in der Orientierungsstufe die Messzahl auf 25, deshalb werden dort natürlich auch kleinere Gruppen zustande kommen, dann ist das schon richtig. Wir haben aber in der Hauptschule im Moment Klassen mit im Schnitt 20 Kindern. Die Messzahl wird nur in der Orientierungsstufe gesenkt und nur in den neuen Realschulen plus, nicht bei bestehenden Regionalen Schulen und Dualen Oberschulen, nicht in der Integrierten Gesamtschule und nicht bei den Gymnasien. Damit fällt ein erheblicher Teil der Schülerinnen und Schüler überhaupt nicht darunter.

(Beifall der FDP)

Dort müssen sich dann gerade Hauptschülerinnen und Hauptschüler und schwächere Hauptschülerinnen und Hauptschüler ihren Platz erkämpfen, wenn sie nicht hinten runterfallen wollen. Die in Ihrem Gesetzentwurf auch immer wieder betonte bessere individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern wird ein Spagat für die Lehrerinnen und Lehrer, die in der neuen Schulform dann unter schlechteren Bedingungen allen gerecht werden sollen.

(Vereinzelt Beifall bei FDP und CDU – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Was die alles schon weiß!)

Es hilft dann auch sehr wenig, Schülerinnen und Schülern, die nach der 9. Klasse keinen Abschluss erreichen können, noch ein angehängtes Jahr intensiver Förderung zu bieten. Wenn Sie wollen, dass diese Schulreform auch den Namen verdient, dann müssen Sie auch wirklich für Lernbedingungen sorgen, die eine individuelle Förderung jedes Einzelnen von Anfang an ermöglichen und insbesondere für schwächere Schülerinnen und Schüler einen Rahmen schaffen, der es ihnen erlaubt, in kleinen Gruppen praxisnah und intensiv vom ersten Tag an im Hinblick auf einen erfolgreichen Schulabschluss gefördert zu werden.

(Beifall der FDP)

Herr Kollege Keller hat es gesagt, Sie zerschlagen mit dieser Schulreform gleichzeitig die erfolgreiche Realschule, die jungen Menschen bisher einen guten Einstieg in die Berufsausbildung genauso ermöglicht hat wie eine weitere erfolgreiche gymnasiale Laufbahn. Schon heute haben rund 40 % der Eltern hier in Rheinland-Pfalz ihre Kinder an Gymnasien angemeldet, davon ein Drittel ohne die entsprechende Empfehlung. Dieser Trend wird sich mit Abschaffung der Realschule noch verstärken. Die Kommunen reagieren schon heute in ihrer Schulentwicklungsplanung genau auf dieses Schulwahlverhalten. Damit wird das rheinland-pfälzische Gymnasium zu einer heimlichen Gesamtschule, einer Schule für alle, obwohl es hierauf in keiner Weise ausgerichtet ist.

(Harald Schweitzer, SPD: Auf so was muss man kommen!)

Sie untergraben damit, auch wenn Sie sich jetzt aufregen, die Qualität und die erfolgreiche Weiterentwicklung

des Gymnasiums. Gerade an dieser Stelle wird auch sehr deutlich, dass an überfüllten Gymnasien in Klassen mit 30 Schülerinnen und Schülern und einem mittlerweile enormen Leistungsspektrum an eine individuelle Förderung wohl kaum zu denken ist.

(Beifall der FDP)

Hier an den Gymnasien unter diesen Bedingungen befindet sich ein Großteil der Schülerinnen und Schüler. Als Alternative setzen Sie dann auf die massive Ausweitung der Integrierten Gesamtschulen. Auf diese setzen auch viele Kommunen, die Angst haben, dass die Realschule plus in kurzer Zeit wieder zu einer Restschule wird. Hier baut man auf eine Schulform, die bei den PISA-Studien gerade einmal knapp über dem Hauptschulniveau abgeschnitten hat, obwohl dort natürlich Schüler aller drei Bildungsgänge getestet wurden. Trotz der schlechten PISA-Leistungen und obwohl erst jüngst der Reformpädagoge Helmut Fend mit seiner Studie belegt hat, dass es die Integrierte Gesamtschule auch nicht schafft, soziale Benachteiligungen auszugleichen, werden hier große zentralisierte Schulen ohne zusätzliche Ressourcen und damit ohne pädagogische Möglichkeiten zur individuellen Förderung in der Fläche geschaffen.

(Beifall bei der FDP)

Die Qualität der Abschlüsse wird unter all diesen Entwicklungen leiden. Sie schließen davor die Augen, indem Sie sich standhaft weigern, zentrale Abschlussprüfungen einzuführen.

(Beifall der FDP und bei der CDU)

Damit die Realschule plus in diesem Spektrum, das ich jetzt auch noch einmal skizzieren durfte, noch eine Chance haben kann, wollen Sie hier die Möglichkeit der Einrichtung einer Fachoberschule eröffnen. Jede Schulart soll so nach Möglichkeit direkt vor Ort einen höheren Abschluss in Form der Fachhochschulreife oder des Abiturs anbieten. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird sich die Konkurrenz um motivierte junge Menschen erheblich verschärfen. Frau Ministerin, auch wenn Sie immer wieder betonen, die Landesregierung lege sehr viel Wert darauf, junge Menschen in die betriebliche Berufsausbildung zu führen, werden künftig mehr junge Menschen zunächst einmal in den Schulen bleiben und insbesondere unserer mittelständischen Wirtschaft nicht mehr für die eigene Nachwuchsförderung zur Verfügung stehen.

Auf die Kompetenz der berufsbildenden Schulen greifen Sie weder beim Projekt „Keine(r) ohne Abschluss“ noch bei der Einrichtung von Fachoberschulen zurück, obwohl diese seit Jahren die Hälfte unserer Studienanfänger ausbilden und unzähligen jungen Menschen ohne Schulabschluss einen Einstieg in den Beruf ermöglicht haben. Ich war auf der Fachtagung. Da war niemand von der berufsbildenden Schule. Entschuldigung. Ich habe mich sehr gewundert. Das war alles sehr qualifiziert. Aber da kam niemand vor, der in dem Bereich der berufsbildenden Schulen eine Rolle spielte.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend kann ich für die FDP-Landtagsfraktion deutlich machen, dass wir diesen Gesetzentwurf in der vorliegenden Form ablehnen werden.

(Hartloff, SPD: Das überrascht uns jetzt!)

Ich würde mich freuen, wenn wir einzelne Teile wie die Regelungen für die gemeinsame Landesschülerinnenvertretung dann in der letzten Lesung getrennt abstimmen könnten; denn natürlich haben wir da gemeinsam etwas in diesem Hause erarbeitet. Die Schulstrukturreform selbst bewerten wir nach wie vor als nicht an den Bedürfnissen von Rheinland-Pfalz orientiert, sondern als Ausfluss des ideologisch formulierten Ziels der BundesSPD, in Deutschland schrittweise eine Schule für alle Kinder zu schaffen.

(Beifall der FDP – Zurufe von der SPD)

Das ist unsere Bewertung. Die müssen Sie so akzeptieren. Unter den gegebenen Lernbedingungen an unseren Schulen sehen wir die Qualität der schulischen Bildung in Rheinland-Pfalz und die individuelle Lernentwicklung der jungen Menschen durch diese Schulreform gefährdet. Wenn Sie wollen, dass Ihre Reform auch wirklich den Namen verdient, dann reicht es nicht, einen Verschiebebahnhof für junge Menschen aufzumachen.

(Zuruf der Frau Abg. Brede-Hoffmann, SPD)

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Staatsministerin Ahnen das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Konstellation hatten wir heute Morgen schon einmal. Die FDP erklärt gleich heute, sie lehnt den Gesetzentwurf ab. Da weiß man wenigstens, woran man ist und mit was man sich auseinandersetzen kann.

Ich wäre ein klein bisschen vorsichtig mit der Wortwahl, Frau Kollegin Morsblech. Es ist schon etwas schwierig, für Konzeptionen den Teufel an die Wand zu malen, von denen wesentliche Teile Ihrer Parteikolleginnen und -kollegen in Nordrhein-Westfalen versuchen, sie der CDUgeführten Landesregierung nahezubringen. Wenn Sie hier den Teufel an die Wand malen, dann wird er von vielen, die Ihnen nicht so ferne stehen, auch in anderen Bundesländern vertreten. Vielleicht etwas Zurückhaltung, dann kann man sich in der Frage noch sachlicher auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie von Ideologien sprechen, das Wort ist in der Tat relativ diskreditiert, wobei ich es im Grundsatz nicht schlecht finde, wenn sich politische Einzelmaßnahmen und Strukturen auch aus einer wertorientierten Politik heraus entwickeln.

Sie haben recht, in dieses Schulstrukturkonzept gehen auch solche Grundwerte wie Chancengleichheit ein. Dazu stehe ich ganz ausdrücklich. Das hat aber nichts mit Ideologie zu tun.

(Beifall der SPD)

Wie allerdings der Grundwert der Liberalität damit in Einklang zu bringen ist, dass man permanent gegen den Elternwillen argumentiert, hat mir bis heute nicht eingeleuchtet.

(Beifall bei der SPD)

Bei der CDU ist das Problem, dass wir nicht wissen, mit welcher Position wir es in den nächsten Monaten zu tun haben werden. Jetzt kann man positiv sagen, Sie sind für Argumente noch offen.

Herr Abgeordneter Keller, ich darf Ihnen versprechen, wir werden uns bis zum Letzten bemühen, Sie zu überzeugen.