Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Bevor ich kurz auf die Vorschläge eingehe, eine grundsätzliche Bemerkung: Es muss uns endlich wieder gelingen, mehr Datenschutzbewusstsein bei der Bevölkerung, insbesondere bei den jungen Menschen, zu entwickeln.

(Beifall der SPD)

Für mich ist es schon erschreckend, wie leichtsinnig mit den eigenen Daten bis hin zu Bankverbindungen umgegangen wird. Da muss sich etwas ändern; denn sonst nützen die besten Gesetze nichts. Daran zu arbeiten, ist unsere Hauptaufgabe.

Zu der Gesetzesänderung komme ich in der zweiten Runde.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat nun Herr Kollege Lammert.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unerlaubte und lästige Telefonwerbung, betrügerische Online-Überweisungen, Ausspähung der Telefondaten, illegale Abbuchungen von Konten, CDs mit persönlichen Daten von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern – die Liste der Skandale im Zusammenhang mit Datenmissbrauch ließe sich beliebig fortsetzen. Insbesondere in den letzten Jahren scheint eine massive Häufung von Fällen vorgekommen zu sein. Auch Herr Pörksen ist darauf schon eingegangen.

Auffallend bei allen Skandalen in der letzten Zeit war, dass die Wurzeln fast ausschließlich im privaten Bereich liegen, also der Missbrauch in der freien Wirtschaft stattfindet. Die Probleme bestehen in diesem Bereich insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten CallCentern und den Daten, die im Zusammenhang mit Online-Überweisungen und unserem Konsumverhalten gespeichert werden.

Zwar gibt es auch im staatlichen Bereich immer wieder Verletzungen der Datenschutzvorschriften, dort haben aber die skandalträchtigen Fälle weniger mit Missbrauch, Betrug oder illegaler Geschäftemacherei zu tun. Die Probleme beruhen vielmehr auf Fahrlässigkeit oder Schlamperei im Umgang mit Daten und Datenträgern.

(Beifall bei der CDU)

Eine systematische Bespitzelung der Bürgerinnen und Bürger nach dem Prinzip des sogenannten Big Brother ist aber nach meinem Dafürhalten noch nicht zu befürchten. Herr Wagner, der Landesdatenschutzbeauftragte, der heute ebenfalls anwesend ist, hat der Verwaltung in Rheinland-Pfalz in seinem letzten Tätigkeitsbericht grundsätzlich ein positives Datenschutzbewusstsein ausgestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit den Zeiten der Debatten über die Volkszählung in den 80erJahren sowie seit der Internetnutzung haben sich die Vorzeichen natürlich verändert. Wir haben eine Bedrohung neu erfahren. Dabei geht die eigentliche Bedrohung für die Privatsphäre des Bürgers heute weniger vom Staat aus als vielmehr von sogenannten illegalen Machenschaften innerhalb der freien Wirtschaft und – dies muss man ebenfalls deutlich sagen – in letzter Konsequenz auch vom Bürger selbst, der die Daten manchmal zu offen weitergibt. Wir führen des Öfteren Zahlungen mit EC- und Kreditkarten durch, sammeln Punkte mithilfe von PAYBACK-Karten, jeder Einkauf wird genauestens registriert, und jeder weiß genau, was wir wann gekauft haben. All diese Dinge werden gespeichert, für die PAYBACK-Punkte bekommt man vielleicht einen Cent und irgendwann einmal eine Gutschrift. Viele benutzen diese Karten sehr arglos und geben so ihre Daten weiter. Wenn Sie selbst einmal darüber nachdenken, wie oft Sie diese Karten benutzen, stellen Sie fest, welche Gefahr mit der Datenweitergabe verbunden ist.

Es geht mir nicht darum, das Konsumverhalten zu kritisieren. Geschäfte über das Internet sind heute für viele Menschen Standard, und sie sind auch von großem Vorteil. Der Gesetzgeber muss aber mit diesen neuen

Formen der Kommunikation Schritt halten. Im Bundesdatenschutzgesetz finden sich einige Paragrafen, die einerseits einen Schutz gewähren, andererseits mittlerweile aber auch der Anpassung bedürfen.

Das Bundesdatenschutzgesetz soll im Herbst einer Novellierung zugeführt werden. Dabei sind konkret folgende Vorschläge vorgesehen: Die Weitergabe von Daten zu Werbezwecken und auch zum Zweck des Adresshandels sind nach den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes unter gewissen, häufig natürlich recht dehnbaren Voraussetzungen – wie dies bei der Juristerei des Öfteren der Fall ist – erlaubt. Einer Einwilligung – Herr Pörksen, das hatten Sie ebenfalls ausgeführt – bedarf es für die Weitergabe grundsätzlich nicht. Es ist zu überlegen, ob diese Regelung nicht geändert werden sollte und nicht eine Umkehr dergestalt in das Gesetz aufgenommen werden sollte, dass die Datennutzung und -weitergabe zu Werbe- und Geschäftszwecken nur mit einer ausdrücklichen Einwilligung des jeweiligen Betroffenen geschehen sollte.

Des Weiteren wäre natürlich auch zu prüfen, inwieweit am Telefon geschlossene Verträge grundsätzlich zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung in Textform bedürfen. Dies kann sicherlich auch per E-Mail erfolgen, aber es ist notwendig, dass derjenige, der einen Vertrag abschließt, dies später noch einmal in aller Ruhe schriftlich bestätigt oder eben gerade nicht bestätigt und damit den Vertrag auch ablehnen kann.

Manchmal wird man durch derartige Telefonanrufe regelrecht überrumpelt. Ich denke, jeder von uns hat schon einmal solche Anrufe bekommen. Diese Anrufe kommen meist um die Mittagszeit oder zu unpassenden Gelegenheiten. Vielleicht willigt jemand arglos in eine Handlung ein und hat plötzlich eine Zeitschrift abonniert. Es muss die Möglichkeit geben, dies im Nachhinein zu widerrufen oder abzulehnen.

Weiterhin müssen wir sicherlich die bestehenden Möglichkeiten der Repression, sprich, die Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren, konsequenter nutzen und ausnutzen. Letztendlich kann man feststellen, dass es weniger um rechtliche Lücken geht als vielmehr um eine sehr hohe kriminelle Energie bei der Weitergabe von personenbezogenen Daten. Davor muss sich sicherlich jeder selbst in gewisser Weise schützen.

Alles Weitere dazu hören Sie in der zweiten Runde.

Danke schön.

(Beifall der CDU und vereinzelt bei der SPD – Frau Kohnle-Gros, CDU: Sehr gut!)

Das Wort hat nun Herr Kollege Mertin.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten 20 Jahren sehr häufig öffentli

che Debatten über den Datenschutz geführt. Diese Debatten betrafen in der Regel Sicherheitsgesetze.

Ich erinnere mich sehr gut daran, dass in diesen Debatten diejenigen, die für den Datenschutz eintraten, sehr häufig in die Nähe der Beihilfe zu Straftaten gerückt wurden. Dies geschah sehr häufig mit einem sehr eingängigen Argument, das aber ebenso falsch ist wie es eingängig ist, nämlich dass derjenige, der nichts getan habe, auch nichts zu befürchten habe.

In der jetzigen Situation müssen wir feststellen, dass offensichtlich viele Bürger dies so wahrgenommen haben und nun feststellen müssen, dass gerade die Tatsache, dass sie nichts getan haben, sich nun gegen sie kehrt; denn sie haben bei Vertragsabschlüssen nicht widersprochen, dass ihre Daten verwendet werden.

(Beifall der FDP)

Sie haben, wenn sie irgendjemanden kontaktiert haben, nicht widersprochen, dass ihre Daten weitergegeben werden.

(Baldauf, CDU: Das ist aber eine liberale Entscheidung!)

Herr Kollege Baldauf, dies ist auch eine Folge der Argumentation, die aus Ihren Reihen sehr häufig vorgetragen wurde.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Darum ging es aber nicht in der Debatte! Es ging um die staatlichen Stellen!)

Sie haben dem Bürger vorgegaukelt: Wer nichts getan hat, habe nichts zu befürchten.

(Beifall der FDP und bei der SPD – Frau Kohnle-Gros, CDU: Nein, er hat nichts von staatlichen Stellen zu befürchten! Seien Sie doch nicht unfair!)

Nun haben wir eine Situation, wo sich gerade diese Haltung gegen den Bürger kehrt, und wir müssen den Bürger nun wieder mühsam darauf hinweisen, dass eben doch Risiken im Umgang mit seinen Daten verbunden sind.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Seien Sie nicht unfair! Das ist eine liberale Haltung! Es ging damals um den Staat!)

Sehr geehrte Frau Kollegin Kohnle-Gros, wenn ich im Fernsehen sehen muss, dass eine öffentlich-rechtliche Krankenkasse verdächtigt wird, entsprechende Daten weitergegeben zu haben, bewege ich mich im staatlichen und nicht im privaten Bereich.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Frau Kollegin, also ist es doch durchaus berechtigt, dass diejenigen, die in der Vergangenheit darauf hingewiesen haben, dass Datenschutz ein Problem sein kann,

eben nicht einfach in eine bestimmte Ecke gestellt werden können.

(Beifall der FDP und des Abg. Alexander Schweitzer, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann doch nicht richtig sein, dass ein Mittelständler, der zur Bank geht und einen Kredit beantragt, plötzlich von der Bank einen höheren Zinssatz abverlangt bekommt, nur, weil ihn irgendeine Rating-Agentur aufgrund irgendwelcher Angaben als kreditunwürdig oder als mit höherem Kreditrisiko behaftet ansieht, obwohl er immer seine Rechnungen und seine Kredite bezahlt hat. Wenn man dann nachlesen muss, dass dies auf der Basis der Tatsache geschieht, dass jemand zwei Handy-Verträge oder zwei Kreditkartenverträge hat, vielleicht noch in der falschen Straße wohnt und sich dann gegen eine solche Einsortierung wehren will, halte ich das für einen nicht hinnehmbaren Vorgang. Wenn er dann gesagt bekommt: Du kannst dich dagegen nicht wehren, weil wir dir nicht sagen werden, auf welcher Basis wir dies kategorisieren,

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Mit der FDP zurück in die Steinzeit!)

das ist geheimhaltungswürdig, wie diese Rating-Agentur zu dem Ergebnis kommt, dann muss ich Ihnen sagen, das kann nicht geheimhaltungswürdig sein.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Es ist essenziell, dass sich jemand gegen eine solche Krediteinstufung wehren kann. Wenn dies auf wissenschaftlichen Daten dargelegt werden kann, sollte diese Agentur es offenlegen, und dann kann sich der Betroffene dagegen wehren. Wenn es aber nur Hokuspokus ist, verdient es keinen Geheimschutz. Dies muss gesetzlich schlichtweg neu geregelt und neu verankert werden, damit jeder Mann und natürlich auch jede Frau in der Bundesrepublik Deutschland in der Lage ist, dies nachzuvollziehen und sich gegebenenfalls dagegen zu wehren.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Dies müssen die Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich tun können und tun dürfen. Ich meine, in diesem Bereich ist durchaus Handlungsbedarf auf gesetzgeberischer Ebene gegeben.

Natürlich berufen sich heute viele, die Daten erheben, auf die Aussage, wenn niemand widersprochen hat, kann ich sie weitergeben. – Nein! Es muss so geregelt werden, dass sie nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betroffenen weitergegeben werden können.

(Beifall der FDP und der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Wochen ist in diesem Zusammenhang auch vorgeschlagen worden, das Grundrecht auf Datenschutz in der Verfassung – ich sage ausdrücklich – schriftlich zu verankern. Ich bin durchaus mit Herrn Simitis in Hessen der Auffassung, dass sich damit an der Verfassungsrechtslage grundsätzlich nichts ändern wird, da das Bundesverfas

sungsgericht das schon ausgesprochen hat. Gleichwohl halte ich es für sehr wichtig, es schriftlich im Grundgesetz zu verankern, wie wir dies in unserer Landesverfassung getan haben, damit ein Schüler, der in der Schule einen Aufsatz über dieses Thema schreiben muss, es in der Verfassung nachlesen kann und nicht in irgendein Urteil hineinschauen muss, das für ihn nur schwer zugänglich ist.