Protokoll der Sitzung vom 27.01.2009

.............................................................................................................................. 3636 Präsident Mertes:......................................................................................................................................... 3629 Theo Wieder:............................................................................................................................................... 3631 Dr. Georg Lilienthal:..................................................................................................................................... 3633

59. Plenarsitzung am 27. Januar 2009 aus Anlass des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus

B e g i n n d e r S i t z u n g: 11:10 Uhr

Musik

Das hat die Welt noch nicht gesehen Musik und Text: Söhne Mannheims Interpretation: ST-Band

(Beifall)

Begrüßungsansprache

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erinnern wir uns heute gemeinsam mit vielen Menschen in Europa, Israel, den USA, Kanada und vielen Ländern der Welt an die Opfer des von den Deutschen begangenen Holocaust, einem Menschheitsverbrechen.

Heute ist der Tag, an dem vor 64 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde, das zum Symbol für den Massenmord der Nazis an den Juden wurde. Es ist Roman Herzog zu verdanken, der diesen Gedenktag proklamierte, dass wir die russische Armee heute als Befreier bezeichnen können – vorher wäre dies wegen des Feindbilds vieler nicht möglich gewesen.

Auschwitz ist Symbol für unvorstellbares Grauen, unsägliches Leid und für die Todesangst von Millionen von Menschen.

Zum Gedenken bitte ich Sie, die Damen und Herren des Landtags, der Landesregierung und unsere Gäste, sich von den Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen)

Meine Damen und Herren, wir gedenken der jüdischen Kinder, Frauen und Männer, die ermordet wurden. Wir gedenken der Kommunisten, Sozialdemokraten, der Politiker des Zentrums, anderer Männer und Frauen, die als politische Gegner verfolgt wurden, wie die Gewerkschafter. Wir denken an Sinti und Roma, an Priester, Pastoren und engagierte Christinnen und Christen, an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, an Homosexuelle, an Zeugen Jehovas, an die Kriegsgefangenen und Opfer der eigenen Militärgerichtsbarkeit und an psychisch Kranke und behinderte Menschen, die durch die Diktatur ihr Leben verloren haben.

Wir haben uns erhoben, um zu versprechen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, damit ein solches Geschehen nie wieder vorkommt. Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen wieder Platz)

Meine Damen und Herren, „Euthanasie“ bedeutet „der gute Tod“. Kaum ein Wort ist von den Nazis so zynisch in das Gegenteil verkehrt worden wie dieser Begriff. Wenn sich der rheinland-pfälzische Landtag heute am Gedenktag im Pfalzklinikum in Klingenmünster versammelt hat, gibt es dafür verschiedene Gründe.

Zum einen sind wir zusammengekommen, um das Leid der psychisch kranken und geistig behinderten Kinder, Frauen und Männer zu würdigen, deren systematische Ermordung vor 70 Jahren begann. Denn Euthanasie steht seit der verbrecherischen Nazi-Diktatur auch für hunderttausendfachen Mord. Schätzungen sprechen sogar von 300.000 Patientinnen und Patienten, die gestorben sind.

Meine Damen und Herren, was werden diese Menschen gedacht haben?

Sie dachten, die Ärzte wollten ihnen helfen. – Sie wurden zwangssterilisiert und litten in Menschenversuchen unsägliche Qualen.

Sie dachten, Tabletten, Tropfen und Spritzen seien zu ihrem Besten – und wurden vergiftet.

Sie dachten, sie würden in Heil- und Pflegeanstalten gut versorgt. – Man ließ sie, wie hier zum Beispiel, verhungern.

Sie dachten, sie gingen duschen – und wurden vergast.

Meine Damen und Herren, heute garantieren nicht nur das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das dieses Jahr 60 Jahre alt wird, sondern auch die Verfassung für Rheinland-Pfalz das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Zudem schützt Artikel 64 unserer Landesverfassung behinderte Menschen vor Benachteiligung und verpflichtet den Staat, auf ihre Integration und die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. Erst vor Kurzem haben wir dazu im Landtag ein Gesetz verabschiedet.

Die Ultima Ratio aus den Menschheitsverbrechen der Nazis fasst unser Grundgesetz in Artikel 1 Satz 1 in die Worte: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Sie heißt in der rheinland-pfälzischen Verfassung in Artikel 1 Abs. 1 Satz 1: „Der Mensch ist frei.“

Über Gesetz und Recht wacht in unserem Land heute die unabhängige Justiz. Ich begrüße deshalb den Präsidenten des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofes, Herrn Prof. Dr. Karl-Friedrich Meyer.

Zum anderen sind wir hier, weil es das gemeinsame Anliegen des Landtags ist, die Botschaft des Gedenktags hinaus in die Städte und Gemeinden zu tragen. So haben wir es gehalten, als wir 2006 in der Gedenkstätte des SS-Sonderlagers/KZ Hinzert und 1998 in der Gedenkstätte KZ Osthofen waren.

Der Landtag möchte die Botschaft des Gedenktags nicht nur im Land, sondern auch in seinen Partnerregionen

verbreiten. Wir unterstützen deshalb die Kooperationen in der Gedenkarbeit mit den Nachbarländern.

Zum Beispiel wird im Moment im Rahmen der Partnerschaft unseres Landes Rheinland-Pfalz mit der polnischen Woiwodschaft Oppeln eine Kooperation zwischen den hiesigen Gedenkstätten und dem international bedeutsamen „Kriegsgefangenenmuseum Lambinowice/ Lamsdorf“ aufgebaut.

Als wir zum ersten Mal das Kriegsgefangenenlager besucht haben, war es für uns nicht einfach. Dort sind über 700.000 russische Kriegsgefangene gestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Deutschen, die ausgesiedelt werden sollten – das waren fast nur Frauen und Kinder –, im vorderen Teil ebenfalls interniert worden. Ich will damit deutlich machen, wie verwoben unsere Geschichte ist. Vor den Russen waren 1870/71 in diesem Lager französische Kriegsgefangene untergebracht.

Die drei Fraktionen des Landtags haben deshalb in den Haushalt für 2009/2010 zusätzliche Mittel z. B. für eine kleine, aber wichtige Geste in der Gedenkstätte Hinzert eingestellt. Dort sollen die deutsch-französischen Texte – hierbei handelt es sich um die Sprachen der Opfergruppen – ins Niederländische übersetzt werden, weil dort auch aus dem flämischen Raum viele Opfer zu beklagen sind und mir eine Witwe einen Brief geschrieben hat, warum die Texte bisher nicht ins Flämische übersetzt worden sind.

Herzlichen Dank an alle Fraktionen, dass wir dies jetzt gemeinsam anpacken. In einer Entschließung wurde der Stellenwert der Gedenkarbeit als ein wichtiges Element der historisch-politischen Bildung beschrieben. Für dieses Engagement gibt es eine breite Unterstützung aus dem Land.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass Herr Ministerpräsident Kurt Beck und die Mitglieder der Landesregierung bei uns sind. Sie setzen damit ein Zeichen der Wertschätzung. Unter unseren Gästen sind auch der Vizekonsul des Generalkonsulats der Russischen Föderation, Herr Aleksej Perov, und Herr Konsul James Morris als Vertreter des Generalkonsuls der Vereinigten Staaten von Amerika. Seien Sie uns herzlich willkommen!

Ich begrüße den Geschäftsführer der jüdischen Kultusgemeinde Neustadt, Herrn Manfred Erlich, und den Landesvorsitzenden des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, Herrn Jacques Delfeld. Ich freue mich darüber, dass wir hier gemeinsam gedenken wollen.

Ich freue mich auch, dass Frau Rosi Beck bei uns ist, die sich mit ihrer „Stiftung für Gemeindenahe Psychiatrie“ beispielgebend für die Eingliederung psychisch kranker Menschen einsetzt, um deren Ausgrenzung und Stigmatisierung entgegenzuwirken.

In diesem Zusammenhang seien auch die Behindertenverbände aus dem Land, die Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen, Institutionen, Vereinen und Initiativen, die sich der Gedenkarbeit widmen, herzlich begrüßt. Wir sind froh, dass wir Sie haben.

Meine Damen und Herren, zum Dritten sind wir hier, weil wir uns einer anderen Opfergruppe erinnern wollen, nämlich an die rund 400.000 zwangssterilisierten Menschen, die bereits vor 75 Jahren, ab 1934, im damaligen Deutschen Reich als erste Minderheit Opfer der NSGewaltherrschaft und ihrer Helfer wurden.

An ihnen wurde das sogenannte „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vollzogen. Es waren geistig behinderte Menschen, aber auch Alkoholkranke, Schizophrene, Menschen, die unter Epilepsie litten, oder Manisch-Depressive, Taube oder Blinde. Die Amtsärzte und Anstaltsleiter entschieden über diese gravierenden körperlichen und seelischen Eingriffe – auch hier in Klingenmünster – ohne die Zustimmung der Patientinnen und Patienten oder der Eltern.

Bis heute ist dieses Thema aus der NS-Zeit ein Tabuthema geblieben. Das liegt sicherlich an den schwierigen Forschungsbedingungen, die wir hier haben.

Meine Damen und Herren, bei einem Vortrag vor einer Woche im Landtag zu Hadamar wurde uns auch deutlich gesagt, dass unser Landesarchivgesetz in diesem Zusammenhang nicht besonders bedienerfreundlich ist. Insofern hat der Landtag vor, das Landesarchivgesetz im Herbst neu zu formulieren. Das zeigt, wir können auch dazulernen.

Meine Damen und Herren, zum Vierten sind wir hier, weil es an dieser Stelle im Pfalzklinikum einen ganz besonderen Umgang mit der Vergangenheit gibt. Man erinnert sich hier öffentlich der Schicksale von Euthanasie-Opfern und weiß, wie schwierig dieser Weg ist. Das habe ich selbst erlebt.

In einer Chronik, die zur 950-Jahrfeier meines Heimatdorfes Buch erstellt wurde, ging es auch um die Frage, ob dort ein Kapitel für die vier Frauen und Männer aus unserem Dorf aufgenommen werden solle, die Opfer der Krankenmorde in Hadamar und Meseritz in Böhmen wurden. Ich habe mich dafür eingesetzt.

Die Autoren waren wankelmütig und haben mir den Auftrag gegeben, zu den Nachfahren zu gehen und mit ihnen zu sprechen. Es hat einige Überzeugungsarbeit gebraucht, bis wir diese Lebensgeschichten in der Chronik aufarbeiten konnten, weil auch die Verwandten zunächst nicht mehr daran erinnert werden wollten.

Meine Damen und Herren, es gehört auch zur selbstkritischen Betrachtung, dass wir in den 50er- und 60erJahren behinderte Menschen noch versteckt haben. Es war nicht immer so, dass wir in den Dörfern nur Friede und Freude hatten. Dort wurden die Behinderten als billige Arbeitnehmer gesehen, und sie hatten schlechte Arbeitsplätze.

Das alles hat sich geändert. Das ist der Grund, weshalb wir Gedenkarbeit leisten. Die Verantwortlichen in Klingenmünster sind mit der Aufarbeitung der NSVergangenheit viel weiter als andernorts. So begannen Historiker bereits im Jahr 1989 damit, die Geschichte aufzuarbeiten. Seit Langem erinnert ein Gedenkstein vor dem Gebäude, in dem wir uns gerade befinden, an die Opfer.

Im letzten Mai wurde auf dem Klinikfriedhof eine „Pfälzische Gedenkstätte für die Opfer der NS-Psychiatrie“ eingerichtet. Dort wollen wir uns im Anschluss an diese Gedenkstunde versammeln und einen Kranz niederlegen.

Diese vielfältigen Aktivitäten wären ohne die Unterstützung des Bezirksverbandes Pfalz als Träger des Klinikums nicht vorstellbar. Ich begrüße die Mitglieder des Bezirkstags Pfalz und stellvertretend dessen Vorsitzenden, Herrn Oberbürgermeister Theo Wieder. Außerdem danke ich dem Geschäftsführer des Pfalzklinikums, Herrn Rainer Anstätt, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Unterstützung dieser Veranstaltung.

Meine Damen und Herren, wir haben in der Vorbereitung dieser Plenarsitzung eine Aufnahme unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlebt, wie wir sie kein zweites Mal an Kooperation und Mitarbeit verzeichnen konnten. Herzlichen Dank dafür an all diejenigen, die an ungenannten Plätzen dafür gesorgt haben, dass wir heute so tagen können!

(Beifall)

Aus dem Landkreis Südliche Weinstraße begrüße ich auch Frau Theresia Riedmaier, die Landrätin, sowie Herrn Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer aus Landau. Seien Sie herzlich willkommen!