Aus dem Landkreis Südliche Weinstraße begrüße ich auch Frau Theresia Riedmaier, die Landrätin, sowie Herrn Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer aus Landau. Seien Sie herzlich willkommen!
Ich habe am Anfang noch nichts zu unseren Musikanten gesagt. Sie haben zu Beginn die ST-Band gehört. Das „ST“ im Namen steht für „Sozialtherapeutische Station“. Damit ist der Name Programm. Die Musikerinnen und Musiker sind keine Profis. Vielmehr haben acht jugendliche Patientinnen und Patienten der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie erst während ihres Aufenthalts hier zur Musik gefunden. Das Liedprogramm haben sie auch selbst ausgesucht. So haben wir eben etwas von den Söhnen Mannheims gehört.
Unter uns befinden sich auch zwei Klassen mit Auszubildenden in Pflegeberufen, die im Pfalzklinikum lernen. Seien Sie ebenfalls herzlich willkommen!
Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserer Gedenkarbeit immer auf den Tag genau am 27. Januar – es gibt auch Parlamente in Deutschland, die die Gedenkfeier an einem anderen Tag durchführen, wenn der 27. Januar etwa auf einen Sonntag fällt – daran erinnern, dass wir neue Wege gehen und alle Gründe dafür haben. Wir tun es, weil wir zwar nicht die persönlichen, aber die nachträglichen Zeugen der „Aktion T4“ sind.
Bei dieser Aktion wurden 70.000 Patientinnen und Patienten ermordet. Dies war ein gewisser Probelauf für den Holocaust.
Eben erwähnte ich die vier Opfer aus meinem Dorf, die in Hadamar gestorben sind. In Hadamar wurde eine Gedenkstätte eingerichtet. Deren Leiter, Herrn Dr. Georg Lilienthal, begrüße ich besonders herzlich. Sie werden uns gleich in einem Vortrag nahelegen, was geschehen ist.
Der 27. Januar ist nicht nur ein Gedenktag, er ist auch ein Nachdenktag und ein Weiterdenktag. Zum Weiterdenken werden wir Gelegenheit bei der Kranzniederlegung haben.
Meine Damen und Herren, der Landtag ist eine Stätte der Erinnerungskultur. Wir müssen uns auch dessen erinnern, was schwieriger ist und vielleicht in den 50er- und 60er-Jahren der Generation noch nicht zumutbar war oder schien. Aber wir, diejenigen der so oft geschmähten 68er-Generation, haben nicht nur mit Steinen geworfen, sondern auch mit Fragen konfrontiert, was wirklich geschehen ist. Deshalb stehen wir heute hier. Hier wissen wir, was wirklich geschehen ist. Wir gedenken jener, die es erleiden mussten.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Dr. Lilienthal, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das am 27. Januar 1945 befreite Konzentrationslager Auschwitz steht heute symbolhaft für den Völkermord und die Millionen Menschen, die durch die Nationalsozialisten entrechtet und ermordet wurden, ein in der Geschichte beispielloses Menschheitsverbrechen.
Als die NSDAP im Frühjahr 1933 die Macht übernahm, wollte sie von Anfang an den totalen nationalsozialistischen Staat mit einer Gesellschaft, die völlig gleichgeschaltet sein und in der es nur noch eine Leitlinie geben sollte: den Nationalsozialismus und seine Ideen. – Wer sich ihnen verweigerte oder nicht in das abstruse Weltbild des Regimes passte, wurde gnadenlos verfolgt.
Auch die Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster gehörte zu den Orten, an denen Menschen unendliches Leid zugefügt wurde. Ärzte der Anstalt beteiligten sich seit 1934 aktiv an der Anzeige und Beurteilung von Personen im Rahmen von Zwangssterilisationen. 1940 wurden 240 Patienten aus Klingenmünster über bayerische Kliniken in Tötungsanstalten verlegt. 1943 wurden sogenannte Hungerstationen eingerichtet, in denen Menschen durch systematischen Nahrungsentzug ermordet wurden. Noch 1944 haben Transporte von Zwangsarbeitern in die Tötungsanstalt Hadamar stattgefunden.
An diese und all die anderen Opfer des NS-Regimes wollen wir heute erinnern. Was bedeutet die Erinnerung an die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 für eine Generation, die die Ereignisse nicht selbst erlebt hat? Was bedeutet sie für diejenigen, die erst noch geboren werden?
Ist Erinnern wirklich noch notwendig? Ja natürlich, werden wir alle übereinstimmend antworten; denn auch ohne eigene Schuld tragen wir Verantwortung dafür,
dass sich dies niemals wiederholt. Ohne Erinnerung wird dies nicht gehen. Erinnern, so hat Gotthold Ephraim Lessing einmal geschrieben, heißt nicht, das Gedächtnis zu belasten, sondern den Verstand zu erleuchten.
Auschwitz war die Endstation der Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten. Diese Maschinerie hätte allerdings nicht funktioniert, hätte es nicht überall in Deutschland Vorhöfe zur Hölle gegeben, in denen die Vernichtung vorbereitet wurde. Sie hätte auch nicht funktioniert, wäre den Taten nicht ein Vorhof des Denkens vorausgegangen, in dem menschliches Leben zur willkürlichen Disposition staatlichen und politischen Handelns gestellt wurde.
Meine Damen und Herren, was aber hat Menschen dazu gebracht, ihren Mitmenschen unendliches Leid zuzufügen und sie schließlich millionenfach fabrikmäßig zu ermorden? Von mehreren KZ-Kommandanten und hohen SS-Führern wird berichtet, dass sie sich als Familienväter am Morgen liebevoll von ihren Kindern verabschiedet haben und am Abend wieder in diesen Kreis häuslicher Familienidylle zurückgekehrt sind. Dazwischen lagen Stunden, in denen die gleichen Menschen ohne jegliche Skrupel Familien auseinandergerissen, Kinder jeglichen Alters, Frauen und Männer gequält und der systematischen Vernichtung zugeführt haben.
Wie passt dies zusammen? – Alleine der Hinweis auf ein verbrecherisches Regime, auf eine alles durchdringende Staatsideologie oder auf die Mechanismen von Befehl und Gehorsam dürfte als Grund hierfür nicht ausreichen. Auch ein verbrecherisches Regime braucht Menschen, die bereit sind, solche Befehle auszuführen und damit das aufzugeben, was jenseits aller Ideologie als kulturelle und humanitäre Wurzeln eigentlich jedem menschlichen Wesen innewohnt, weil – wie es Immanuel Kant einmal formuliert hat – jeder Mensch ein Zweck an sich ist und niemals anderen Zwecken unterworfen werden darf.
Warum wurde und wird der Mensch aber trotz dieses kulturgeschichtlich entwickelten Erfahrungsschatzes einer ihm angeborenen und unabdingbaren Würde dennoch immer wieder Opfer des Menschen? Entscheidend dürfte sein, dass Menschen von Menschen offenbar dazu gebracht werden können, ihren Mitmenschen aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen diese jedem menschlichen Lebewesen zustehende elementare Menschenwürde und damit letztlich das persönliche Existenzrecht als Mensch abzusprechen oder dies anderen, vermeintlich höherwertigen Zielen unterzuordnen.
Für denjenigen aber, der bereit ist, eine solche Relativität menschlicher Würde als Maxime seines Handelns auch nur gedanklich zu akzeptieren, ist der Sprung vom Denken zur Tat nur noch ein kleiner Weg. Dem gedanklichen Entzug der Menschenwürde folgen die Ausgrenzung aus gemeinschaftlichen Konventionen, der Ausschluss aus der für alle gleich geltenden Rechtsordnung, die öffentliche Ausgrenzung aus der Gemeinschaft und schließlich der Entzug des Existenz- und Lebensrechts als Teile der gleichen Grundeinstellung.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis stellt das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland seit 1949 die
elementare Würde des Menschen als unantastbares, nicht abdingbares Grundrecht mit höchster Priorität an die Spitze unserer Verfassung und verpflichtet alle staatliche Gewalt bereits darauf, jeglichem Gedanken einer Relativität menschlicher Würde entschieden entgegenzutreten. Dies ist eine staatliche und darüber hinaus eine allen Gliedern einer freiheitlichen Gesellschaft als geradezu existenziell zwingend übertragene Aufgabe.
Wenn wir heute mit der Erinnerung an Auschwitz nicht zuletzt verhindern wollen, dass sich dies jemals wiederholt, tun wir dies auch mit dem Wissen, dass ein verfassungsrechtlicher Programmsatz für sich genommen noch nicht ausreicht, die mögliche Aberkennung oder Relativierung der Würde eines Menschen allumfassend zu verhindern. Erinnerung an Auschwitz erfordert deshalb darüber hinaus auch und gerade heute, jeder Missachtung der Würde des Menschen entschieden entgegenzutreten, wo immer sie auch anzutreffen ist: bei der Behandlung von Gefangenen in Guantanamo, beim Umgang mit Flüchtlingen aus aller Welt, beim Eintreten gegen den Hunger in Afrika, bei der Frage nach dem Beginn oder dem Ende menschlichen Lebens, bei der Behandlung von kranken, alten oder sterbenden Menschen, beim Umgang mit Menschen mit Behinderungen, bei der Akzeptanz oder der Forderung nach der Todesstrafe, bei der Hinnahme alltäglicher Gewalt oder freiwilligem Verzicht auf menschliche Würde als Mittel von Unterhaltung in unseren Medien.
Entschieden entgegentreten müssen wir auch all denjenigen, die auch heute noch die mit dem Namen Auschwitz verbundenen Verbrechen leugnen oder relativieren. Die Ehre und die Würde der Opfer wird dadurch ein weiteres Mal verletzt. In diesem Sinne ist Erinnerung an Auschwitz als ein in der Geschichte beispielloses Menschheitsverbrechen weit mehr als die Beschäftigung mit einem historischen Ereignis; denn junge Menschen, die bei ihrer Beschäftigung mit der Rolle ihrer Großeltern bei Besuchen in den Gedenkstätten von Auschwitz, Dachau, Bergen-Belsen oder im Lager Gurs diesen Zusammenhang von wertorientiertem Denken und Handeln verinnerlichen, werden immun gegen diese gedankliche Vorstufe von Auschwitz, die menschliches Leben zur Disposition stellt und als Mittel zum Zweck relativiert. Sie werden dadurch gleichzeitig befähigt, eine auf elementaren, unveräußerlichen Grundwerten stehende Gesellschaft, in der allen Menschen die gleiche Würde zukommt, für die Zukunft zu erhalten und zu gestalten.
Die Erinnerung an den Holocaust muss deshalb deutlich machen, dass Menschen auch heute anfällig dafür sein können, die Würde ihres Mitmenschen aus vermeintlich höherwertigen Gründen aufzuheben oder zu relativieren. Die Tat beginnt im Denken. Wer sie verhindern will, muss deshalb gegenüber allen erkennbaren Ansätzen hierzu auch dann entschieden seine Stimme erheben, wenn dies unbequem sein oder dem jeweils geltenden Zeitgeist nicht entsprechen sollte. Der Satz „Wehret den Anfängen“ bekommt so einen weitergehenden Sinngehalt gerade auch dann, wenn wir die Notwendigkeit der Erinnerung an Auschwitz über das historische Ereignis hinaus auch künftigen Generationen als elementare Zukunftsaufgabe weitergeben wollen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist 1949 als Gegenentwurf und Antithese zum Unrechtsstaat der Nationalsozialisten gegründet worden. Erinnerung an Auschwitz heißt deshalb auch weiterzugeben, wie wichtig die politischen, ethischen und philosophischen Werte sind, die den Geist einer funktionsfähigen, freiheitlichen und sozialen Demokratie bestimmen, einer Demokratie, in der Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Rasse oder Religion in friedlicher Koexistenz zusammenleben können, in der Vorurteile, Ignoranz und Hochmut keine Chancen haben.
Wenn wir heute der Opfer des NS-Regimes gedenken, so erinnert uns dies daran, dass das Einstehen für diese Werte die unabdingbare Voraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens der Völker und Menschen ist; denn allein das Denken in für alle Menschen verpflichtenden elementaren Werten verhindert die Tat, im Großen und im Kleinen. Das Pfalzklinikum und der Bezirksverband Pfalz werden sich auch in Zukunft dieser Aufgabe stellen.
Krankenmord in der NS-Zeit und das Gedenken in Rheinland-Pfalz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Präsident des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofs, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete aus dem rheinland-pfälzischen Landtag, sehr geehrter Herr Vorsitzender des Bezirkstags Pfalz, sehr geehrter Herr Geschäftsführer des Pfalzklinikums, meine sehr geehrten Damen und Herren!
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieser Satz aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht an hervorgehobener Stelle, nämlich in Artikel 1.
Vor 60 Jahren wurde das Grundgesetz verkündet und damit die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Die Menschenwürde stellt den obersten Wert des Grundgesetzes dar. Auf ihm beruht unser rechtsstaatliches demokratisches Gesellschaftssystem. Mit Artikel 1 bis 19, in denen die Grundrechte verankert sind, wurden die Lehren aus den Erfahrungen mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus zum Schutze jedes einzelnen Menschen gezogen.
Ein Akt besonders brutaler Verletzung der Menschenrechte geschah vor 70 Jahren. Hitler stellte die Ermächtigung zum Krankenmord aus, rückdatiert auf den 1. September 1939. Sie ist die einzige schriftlich erhaltene Anordnung Hitlers für einen Massenmord. Die Befehle für die anderen Massenmorde, z. B. die Vernichtung der Juden, erteilte er höchstwahrscheinlich nur mündlich.
Der Landtag von Rheinland-Pfalz setzt mit seiner heutigen Plenarsitzung aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus ein Zeichen, nämlich dass die Opfer des Krankenmords nicht weniger Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen waren als Juden, Sinti und Roma und zahlreiche andere Opfergruppen, derer am 27. Januar jeden Jahres gedacht wird.
Wie wenig die Menschenwürde in den Jahren und Jahrzehnten vor der Gründung der Bundesrepublik galt, ist besonders an dem Schicksal psychisch kranker, geistig behinderter und sozial unangepasster Menschen abzulesen. Schon in der Weimarer Republik wurden sie in Propagandaschriften als „lebensunwertes Leben“ bezeichnet und ihre „Vernichtung“ gefordert; denn sie entsprachen nicht dem rassenhygienischen Modell des gesunden, leistungsstarken arischen Volksgenossen.
Nach 1933 waren diese Menschen dem Zugriff staatlicher Gewalt schutzlos ausgeliefert. Nicht nur ihre Menschenwürde wurde verletzt, sondern auch ihre körperliche Unversehrtheit. Schließlich wurde ihnen das Lebensrecht genommen. Es waren staatliche Stellen, die sie zu Hunderttausenden der Zwangssterilisierung unterwarfen, und es war die höchste Autorität im nationalsozialistischen Staat, nämlich Adolf Hitler, die ihre Ermordung anordnete und legitimierte.
Der Massenmord an Kranken – auch als „Euthanasie“Verbrechen bezeichnet – wurde seit Herbst 1939 organisiert und in verschiedenen Aktionen durchgeführt. Die bekannteste ist die „Aktion T4“, benannt nach der Behörde, die für den Zweck des Krankenmords gegründet wurde und ihren Sitz in der Tiergartenstraße 4 in Berlin hatte.
Sie wählte mit Hilfe eines Fragebogens unter ca. 500.000 Anstaltspatienten diejenigen aus, die als „lebensunwertes Leben“ beseitigt werden sollten. Sie wurden nach einem zeitlich und regional gestaffelten Plan seit Januar 1940 in besondere Anstalten gebracht, in denen sie mit Kohlenmonoxydgas ermordet wurden.
Der T4-Zentrale in Berlin unterstanden sechs solcher Tötungszentren. Die frühere Landesheilanstalt Hadamar war eine von ihnen. Die Tötungsanstalten waren alle nach demselben Muster aufgebaut: eine Gaskammer, die als Duschraum getarnt war, ein Sektionsraum, in dem Leichen, die vom Tötungsarzt gekennzeichnet worden waren, Gehirne entnommen wurden, und ein Krematoriumsraum, in dem die Leichen sofort verbrannt wurden.
In der Regel wurden die Patienten am Tag ihrer Ankunft in der Tötungsanstalt ermordet. Die Gasmorde wurden von Hitler am 24. August 1941 gestoppt, nachdem Bischof Graf von Galen in Münster die Morde öffentlich angeprangert und Anzeige gegen Unbekannt wegen Mordes erstattet hatte. In der Zeit von Januar 1940 bis August 1941 starben insgesamt 70.000 Patienten und Patientinnen in den Gaskammern.
Das Morden endete aber nicht mit dem Stopp, sondern wurde mit anderen Mitteln fortgesetzt. In dieser zweiten Mordphase wurden die Tötungsverbrechen nicht mehr reichsweit von der Berliner T4-Zentrale aus angeordnet und organisiert, sondern Initiative und Verantwortung lagen jetzt in den Spitzenverwaltungen der Länder bzw. der preußischen Provinzen.
Auch die Tötungsmethode hatte sich geändert. Sie bestand aus überdosierten Beruhigungsmitteln, verabreicht entweder in Tablettenform oder mithilfe einer Spritze, aus gezielter Hungerkost und aus der Verweigerung medizinischer Versorgung.