Protokoll der Sitzung vom 21.09.2006

Lieber Herr Präsident, ich habe kein Problem damit. Ich habe unbegrenzte Redezeit. Ich nutze sie auch. Sie können so lange rufen, wie Sie wollen, das macht mir überhaupt nichts. Ich sage Ihnen, wie ich die Dinge sehe, und das ist meine Verantwortung.

Deshalb sage ich noch einmal: Wir haben dann in einem mühsamen Kompromiss einen Einstieg in die Steuerfinanzierung gefunden, ohne dass neue Steuerquellen nach dem Willen der Union erschlossen werden. Aus dem Haushalt heraus soll der Anteil, der rechnerisch auf die Kinderkosten im Gesundheitswesen entfällt, eingesteuert werden, und zwar schrittweise.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Aha!)

Jetzt sagt er „Aha!“. Was soll man denn mit so etwas anfangen? Es ist wirklich unglaublich.

Ich sage Ihnen: Wir haben damit erhebliche Mühe, diese Finanzen darzustellen. Ich prophezeie Ihnen, wer immer es machen muss, wird in der nächsten Legislaturperiode nicht daran vorbeikommen, dort nachzusteuern. Aber sei es drum. Wir haben uns darauf verständigt, und es gilt.

Dann kommt natürlich ein entscheidender Punkt hinzu, den wir im Übrigen – darauf haben wir gemeinsam Wert gelegt –, vorweggeschaltet haben, nämlich Effizienzuntersuchungen zu machen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich hatte mir als Ergebnis mehr erwartet als das, was herausgekommen ist, aber nicht weil dort Leute am Werk waren, die es nicht wollten, sondern weil man sich täuscht, wenn man darangeht, obwohl dieses System so viel Geld beinhaltet, wie wenig wirklich bewegbar ist,

wenn sie nicht in die Patientenversorgung eingreifen wollen.

Wer in diesem Bereich nach Effizienz sucht – ich gehöre auch dazu –, der sieht, wie die Widerstände sind, wenn man nur einiges auf den Weg bringen will. Ich räume ein, dass es für die rheinland-pfälzischen und alle Krankenhäuser in Deutschland nicht einfach ist – ob das bei dem einen Prozent bleibt, darüber wird noch geredet –, einen zusätzlichen Beitrag zu bringen, seien es 0,5 %, 0,7 %oder 1 %. Warten wir einmal ab, darüber ist noch zu reden. Das ist schwer zu erbringen. Ich habe auch mit den Leitern großer Krankenhäuser in RheinlandPfalz darüber in meiner Sonntagssprechstunde gesprochen. Ich sehe deren Schwierigkeit. Das ist gar keine Frage.

Aber auf der anderen Seite: Wo wollen wir es denn machen? – Es wird jeder seinen Beitrag erbringen müssen. Daran wird kein Weg vorbeiführen. Ich habe gerade gestern einen Brief des Apothekerverbands bekommen, der mir sagt, das mit den Rabatten geht ganz unmöglich. Da werden wir weniger Personal beschäftigen können. Ich will all diese Sorgen dieser Menschen nicht kleinschreiben. Ich warne nur davor, dass wir meinen, wir könnten in einem solchen Bereich irgend etwas bewegen, ohne dort auch auf Widerstand und auf entsprechende Gegenargumente zu stoßen.

Es muss auf Effizienz geachtet werden, aber die Grenzen sind eng, wenn man nicht an die Leistungen für die Patienten heranwill. Das will ich nicht.

Schauen wir jetzt einmal, welches die wichtigen Eckpunkte sind. Herr Kollege Dr. Schmitz, Sie haben auf einen Gesetzentwurf, den es nicht gibt, Bezug genommen. Es gibt einen Entwurf einiger Leute, die ihn aufgeschrieben haben. Ich sage Ihnen offen, ich habe ihn nicht gelesen, weil ich ihn nicht lesen wollte. Ich lese keine Papiere von Beamten, die nicht von irgend jemandem autorisiert sind. Wenn ich das anfange, dann werde ich wahnsinnig in Berlin.

(Dr. Schmitz, FDP: Das wollen wir nicht!)

Das hat gar keinen Sinn. Was nicht autorisiert ist aus einem Haus, kann keine Grundlage für eine ernsthafte politische Bewertung sein. Das hat gar keinen Wert, sonst kommen wir mehr auseinander, als wir irgendwo zusammenkommen. Deshalb sage ich: Das Ganze wird, wenn es fertig ist, noch einmal politisch auf seine Verträglichkeiten hin beleuchtet werden, und erst dann ist es ein Entwurf, der ernsthaft auf seine Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz beobachtet werden kann.

Aber wir haben die Eckpunkte. Die müssen gelten. Darüber haben wir, Frau Bundeskanzlerin Merkel und ich, uns auch gestern noch einmal verständigt. Das wird auch so sein. Einer der ersten Punkte, der uns gemeinsam wichtig war, ist, dass alle Menschen versichert sind. Wir haben in Deutschland zwischenzeitlich – wir wissen keine genauen Statistiken – ca. 200.000 bis 300.000 Menschen, die nicht mehr versichert sind. Meine Damen und Herren, es sind nicht, wie man meinen könnte, die Clochards unter den Brücken, weil die im Zweifelsfall über die Sozialhilfe abgesichert sind.

(Billen, CDU: Zum Beispiel insolvent gewordene Mittelständler!)

Zum Beispiel insolvent gewordene Mittelständler oder von Scheidungen Betroffene in einem mittelständischen Betrieb. Vorher hat man sich eine hohe Prämie leisten können, hinterher können sich beide eine hohe Prämie nicht mehr leisten. Es ist eine wirklich ernst zu nehmende Herausforderung. Deshalb haben wir gesagt, alle Kassen müssen einen Grundtarif anbieten und jeden aufnehmen, der sich bewirbt, auch die privaten Kassen.

Was ist daran verwerflich? Das ist aber eine der zentralen Kritikpunkte der privaten Kassen. Was ist daran verwerflich? Wer vorher in einer privaten Kasse war, muss in einem Grundtarif in Zukunft wieder aufgenommen werden, wenn er aus der üblichen Privatversicherung herausfällt. Ich halte das für ein Gebot der Vernunft und der Menschlichkeit, und es ist auch verkraftbar.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Eckpunkt: Wir haben erstmals mit einer winzigen Ausnahme keine Lastenverschiebung auf die Patienten vorgenommen. Alles andere ist früher nur so gelaufen, die Zuzahlungen zu Medikamenten erhöht, bestimmte Medikamente und Hilfsmittel herausdefiniert, die müsse man privat bezahlen. Das wird mit dieser Reform nicht sein.

Die Union hatte uns in den Verhandlungen vorgeschlagen, den gesamten Bereich der Unfälle nicht mehr gesetzlich zu versichern, sondern privat abzusichern. Das wären die Automobilunfälle, soweit nicht über eine Insassenversicherung abgedeckt. Wenn Sie allein fahren, haben Sie keine Extraversicherung, dann ist die Krankenkasse zunächst zuständig.

Das sind Sportunfälle. Dort ist ein großer Teil über die Sportversicherung abgesichert, aber die Freizeitsportunfälle wären es nicht. Ich sage, darüber könnte man theoretisch noch reden, aber es sind vor allem die häuslichen Unfälle.

Wer sich einmal die Kostenstrukturen anschaut – wir haben sie uns aufbereiten lassen –, der sieht, der Großteil der Kosten im stationären Bereich entsteht durch Unfälle alter Menschen mit der typischen Unfallsituation Oberschenkelhalsbruch, Beckenbruch.

Diese altersbedingten Unfälle sind mit sehr hohen Kosten verbunden, weil sie lange Heilungszeiten mit sich bringen. Deshalb war für uns klar, einen solchen Weg kann es nicht geben. Wer hätte diese alten Menschen noch versichert oder zu welchen Bedingungen? Ich glaube, das kann man nicht machen, durfte man nicht machen. Deshalb haben wir uns nach harten Verhandlungen darauf verständigt, dass dies nicht der Fall ist.

Das Einzige, was an Leistungen nicht mehr bezahlt wird – dazu stehe ich –, sind Folgeerkrankungen bei denjenigen, die sich piercen oder tätowieren lassen. Das ist leider häufig der Fall.

(Zuruf des Abg. Billen, CDU)

Piercing, das sind diejenigen, die sich Löcher in die Zunge stechen lassen.

(Billen, CDU: Wie heißt die Krankheit?)

Das ist durchaus ein Betrag, der zusammenkommt, eine sehr aufwändige Sache, weil es häufig hinterher zu Entzündungen kommt, weil das oft

(Zuruf des Abg. Billen, CDU – Pörksen, SPD: Er kennt nur die Maul- und Klauenseuche!)

nicht von einem Arzt gemacht wird, sondern von – – –

Na ja, reden wir nicht darüber.

Das ist das Einzige. Ich finde, wer Geld hat, um sich ein paar Löcher in die Zunge machen zu lassen, der soll auch das Geld haben, um die Entzündungen zu behandeln. Das ist kein Punkt, glaube ich.

(Beifall der FDP – Zurufe von der FDP: Sehr gut!)

Ansonsten haben wir keinerlei Lastenverschiebung. Woher also dieser Ruf, die Patienten müssten es bezahlen? Ist es reine Unkenntnis oder böser Wille?

(Pörksen, SPD: Mehr das!)

Wir kommen zu einem weiteren Punkt, nämlich dass wir gesagt haben, wir müssen nicht nur schauen, was an Leistungen möglicherweise nicht mehr erbracht wird, sondern auch was an Leistungen notwendig ist. Frau Kollegin Ebli hat drauf hingewiesen. Ich bekenne mich auch dazu.

Ich war einer derjenigen, die mit darauf gedrängt haben, dass der Bereich dar Palliativmedizin und der Hospizversorgung mit einbezogen wird. Das sind wir der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft schuldig. In Würde sterben zu können, das gehört dazu.

(Beifall der SPD und bei der FDP)

Ich will auf die anderen Leistungen nicht eingehen, Frau Ebli hat sie angesprochen.

Ein vierter Komplex ist zu regeln, nämlich die Frage, wie wir diesen Gedanken der integrierten Medizin umsetzen können. In der früheren Gesetzgebung war das schon verankert, aber die materiellen Bedingungen zwischen der niedergelassenen Ärzteschaft und den Krankenhäusern waren so geregelt, dass sie in der Praxis bisher so gut wie nicht gegriffen haben.

Das wird jetzt neu geregelt. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe, aber das wird jetzt neu geregelt. Ich halte es für richtig und notwendig, gerade wenn man an die ländlichen Regionen und die dortige Versorgung denkt.

Meine Damen und Herren, dass es notwendig ist, die Vergütungsgrundlagen für die niedergelassenen Ärzte auf eine neue Basis zu stellen, kann zwischen uns nicht wirklich umstritten sein; denn dieses Punktesystem ist

alles andere als leistungsgerecht oder für die wirtschaftliche Situation der Praxen vertretbar und verkraftbar.

(Creutzmann, FDP: Sehr richtig!)

Wenn man erst nach einem halben, manchmal erst nach einem Dreivierteljahr oder noch später, erfährt, was man eigentlich verdient hat, dann kann kein Mensch eine wirtschaftliche Planung darauf aufbauen oder investieren oder Ähnliches, was dazu gehört. Das muss und wird neu geregelt werden.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, ich bin beim Stichwort „mehr Wettbewerb“. Dazu habe ich eine Menge erlebt. Wir wollten schon – nicht für die bestehenden Verträge, aber für künftige Verträge zwischen Krankenkassen und insbesondere der Fachärzteschaft – eine Möglichkeit der einzelvertraglichen Regelung schaffen.

Die Lobby ist stark. Die Union ist ihr erlegen.

(Frau Ebli, SPD: Ganz neu!)

Das wird es nicht geben. Wir haben mit großer Mühe versucht, im Bereich der Medikamentenversorgung ein Stück mehr Markt hineinzubringen. Die Lobby ist groß. Es wird nur sehr begrenzt kommen. Ich hätte mir mehr gewünscht.

Ich will das gar nicht weiter ausdehnen. Ich will Ihnen nur sagen, ich höre immer Wettbewerb, Wettbewerb. Aber wenn eine bestimmte Klientel betroffen ist, dann ist der Ruf auf einmal nicht mehr zu hören. Ich weiß, wovon ich rede.