Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

angeschaut. Ehrlich gesagt, mir fehlt die technische Fachkenntnis, um bis ins letzte Detail nachvollziehen zu können, was alles möglich ist. Aber die eingebauten juristischen Sicherungen für diesen Fall, die Hürden, die gelegt werden – der richterliche Vorbehalt und vieles mehr –, treffen das, was auch unser Empfinden an dieser Stelle ist.

Auch wenn wir uns bisher im Laufe der Debatte zurückhaltend geäußert haben, kann ich sagen, wir werden im Ergebnis zustimmen. Herr Kollege Auler und ich haben uns dies näher angeschaut und haben uns auch mit anderen beraten. Im Großen und Ganzen finden wir, dass es in diesem für Menschenrechte sehr sensiblen Bereich, in dem es zwischen den Gefahren für Leib und Leben auf der einen Seite und anderen Grundrechten auf der anderen Seite abzuwägen gilt, sehr gut gelungen ist, eine vernünftige Abwägung zu treffen. Deshalb kann ich sagen, wir werden im Ergebnis zustimmen.

Bei der Verwaltungsmodernisierung, die Sie durchgeführt haben, begrüßen wir außerordentlich, dass es bei der 64er-Liste erhebliche Bewegung gegeben hat, die vieles verhindert hat, was nach einer Anhörung, die auch die FDP durchgeführt hat, für unser Land nicht gut gewesen wäre. Dass wir Ihnen bei der von Ihnen vorgeschlagenen Neugliederung der Verwaltungsstrukturen nicht folgen konnten, wird Sie allerdings nicht sonderlich überraschen; denn von allen im Landtag vertretenen Fraktionen waren wir von Ihrem Vorschlag am weitesten entfernt. Wir konnten Ihnen – auch im Hinblick auf den Auftrag, den wir zu erfüllen haben – nicht zustimmen.

Das Thema wird bei der SPD genauso kontrovers diskutiert wie bei uns. Ich weiß, dass es in Einzelfällen vor Ort so ist, wie es ist. Die bedeutende Verbandsgemeinde, die Sie im Auge haben, habe ich auch im Auge. Ich kenne auch die Haltung meines Kollegen dazu. Dies ändert aber nichts daran, dass wir, betrachtet auf die lange Frist und angesichts der demografischen Entwicklung, die wir zu verzeichnen haben, darüber nachdenken müssen, wie man zu effizienteren Strukturen kommt. Ich lasse gern mit mir darüber streiten, welches der richtige Weg ist. Unser Weg war der Vorschlag, die politische Mittelinstanz in den Landkreisen abzuschaffen und nicht die darunterliegende Verwaltung, so wie es in Schleswig-Holstein in weiten Teilen der Fall ist. So ein Land funktioniert auch, aber man muss es nicht machen wollen. Man kann es auch so machen, wie Sie es vorschlagen; allerdings hätte ich mir dann gewünscht, dass Sie den Mut gehabt hätten, zu noch größeren Einheiten und zu einer weitreichenderen Verschlankung zu kommen. Dies hätte uns in die Lage versetzt, Ihrem Vorschlag gegebenenfalls zuzustimmen.

(Beifall der FDP)

Die politischen Motive, die dahinterstehen, kann ich nachvollziehen. Es ist nicht so, dass ich sie nicht verstehen könnte. Ich möchte jedoch nur erläutern, weshalb wir an dieser Stelle einen anderen Vorschlag gemacht haben.

Es wird immer so dargestellt, als wären wir dafür, die Gewerbesteuer ersatzlos zu streichen. Das sind wir nicht. Wir würden die Gewerbesteuer in den Kommunen

nie abschaffen, ohne ihnen dafür einen adäquaten Ersatz zu verschaffen. Es geht aber darum, möglicherweise einen Ersatz zu finden, der nicht so sprunghaft immer rauf- und runtergeht wie die Gewerbesteuer.

(Beifall der FDP)

Wenn die Achterbahn am Nürburgring in ihrem Achterbahneffekt so gut funktionieren würde wie die Gewerbesteuer, wären wir am Nürburgring besser dran. Aber dies ist eben nicht gut für die Kommunen. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht, die Gewerbesteuer gegebenenfalls abzuschaffen und durch etwas anderes zu ersetzen. Bei dieser Gelegenheit – dies gilt für alle im Bundestag handelnden Parteien und Fraktionen – muss natürlich auch etwas getan werden, um die Kommunen von den Soziallasten zu befreien. Herr Kollege Hartloff, Sie haben vorhin ein Konnexitätsprinzip auf Bundesebene oder etwas Ähnliches in den Raum gestellt. Ich erinnere mich noch gut an die Verhandlungen in der Föderalismuskommission I. Dort habe ich das einmal angesprochen. Ich habe aber kein Bundesland gefunden, das bereit gewesen wäre, dies mitzutragen, und die Bundespolitik schon gar nicht. Von daher müssten wir noch viel daran arbeiten.

Es hat sich natürlich auch einiges getan, unter anderem durch die Änderungen des Grundgesetzes. So einfach ist es mittlerweile für den Bund auch nicht mehr, Aufgaben nach unten durchzureichen. Dagegen kann man sich mittlerweile durchaus effizienter wehren, als dies früher der Fall war. Insofern wurde schon der Versuch unternommen – und er ist, wie ich finde, zum Teil auch gut gelungen –, Schranken einzubauen. Nichtsdestotrotz besteht aber natürlich die alte Gesetzeslage weiterhin fort und trifft die Kommunen. So hilfreich der Entschuldungsfonds auch sein mag, er wird auch an diesem Problem langfristig nichts ändern; denn es kann nur auf Bundesebene erledigt werden.

Ich möchte nun nicht in die Debatte eintreten, wer zuerst diesen Vorschlag unterbreitet hat. Ich möchte nur wiederholen, was ich an dieser Stelle schon einmal gesagt habe: Derzeit wird bei der öffentlichen Wahrnehmung des Entschuldungsfonds für die Kommunen eher die süße Medizin wahrgenommen und nicht die bittere Pille, die in der dritten Säule steckt. Sie wird häufig nicht wahrgenommen.

(Beifall der FDP)

Das verstehe ich auch sehr gut; denn die dritte Säule kommt erst zum Zuge, wenn eine Kommune sich entschließt mitzumachen, diesen Vertrag abschließt und plötzlich damit konfrontiert wird, dass sie bestimmte Bedingungen erfüllen muss. Dies wird natürlich erst irgendwann im Jahr 2012/13 sein. Die bittere Pille ist also noch in ferner Zukunft, aber man darf sie nicht verschweigen.

Was mich an dieser Stelle bisher stört und worauf ich bislang noch keine vernünftige Antwort habe finden können, ist die Tatsache, dass Sie uns versprechen, dass die eine Säule der Entschuldung das Land übernimmt und wir die andere Säule durch eine Umverteilung im Finanzausgleichsystem erreichen. Dort soll also von

den Kommunen, die bisher wenig von Soziallasten betroffen sind, zugunsten derjenigen umgeschichtet werden, die – wie die Landkreise und kreisfreien Städte – in hohem Maße von Soziallasten betroffen sind. Es findet also eine Umschichtung statt.

Nun kann es aber in der dritten Säule dazu kommen, dass diejenigen, zu deren Lasten schon umgeschichtet worden ist, noch einmal zur Kasse gebeten werden. Wenn zum Beispiel ein Landkreis einen entsprechenden Vertrag abschließt, könnte man ihm zur Auflage machen, dass er seine Einnahmenseite steigern muss. So viele Möglichkeiten hat ein Landkreis dazu nicht, also erhöht er die Kreisumlage. Die Kreisumlage wiederum müssen die Ortsgemeinden bezahlen, die aber schon zuvor in der zweiten Säule auch schon einmal bezahlt haben. Sie müssen dann doppelt bezahlen, und das ist eigentlich nicht gerecht.

(Beifall der FDP)

Es ist nicht gerecht, weil dann unter Umständen jemand bestraft wird, der bis dahin solide finanziert hat.

(Beifall der FDP und bei der CDU)

Wenn er zum Beispiel Begehrnissen der Bürgerinnen und Bürger nicht gefolgt ist, dieses oder jenes zu machen, um einen solide ausfinanzierten Haushalt zu haben, muss er plötzlich die Grund- oder die Gewerbesteuer anheben und bestraft seine eigenen Leute, die bisher Verzicht geübt haben, um einen soliden Haushalt zu haben. Diese Menschen muss er nun bestrafen, um die Kreisumlage zu bezahlen. Also, so ganz gerecht scheint mir das System an dieser Stelle nicht zu sein.

(Beifall der FDP)

Herr Sarrazin wurde heute schon erwähnt. Ich möchte ebenfalls noch einige Worte dazu sagen.

Wissen Sie, das Problem ist nicht Herr Sarrazin. Das Grundgesetz erlaubt es jedem, ziemlich viel Unfug zu sagen – das ist alles von der Meinungsfreiheit gedeckt –, und es erlaubt uns glücklicherweise auch – das ist auch von der Meinungsfreiheit gedeckt –, zu sagen: Das ist Unfug, was der redet. –

Es ist unbestreitbar, dass Herr Sarrazin an der einen oder anderen Stelle Unfug erzählt hat, ganz ohne Zweifel, wie zum Beispiel auch der Bundesvorsitzende der SPD, Herr Gabriel, Unfug erzählt, wenn er Wirtschaftsleute, die den Außenminister begleiten, als „Lumpenelite“ bezeichnet. Das ist auch Unfug.

(Beifall der FDP)

Es ist auch von der Meinungsfreiheit gedeckt, dass ich das als Unfug bezeichne. Aber wir machen es uns in der Debatte zu leicht, wenn wir sagen, wir stempeln Sarrazin als Unfug ab.

(Baldauf, CDU: So ist es!)

Sarrazin hätte nicht diesen Erfolg, wenn es in unserer Gesellschaft nicht Probleme gäbe, die nicht gelöst sind.

(Beifall der FDP – Eymael, FDP: Das ist der Punkt!)

Wir müssen dafür sorgen, dass Sarrazin und andere keinen Erfolg haben, indem wir die Probleme lösen und anpacken. Das ist die Aufgabe, der wir uns zu stellen haben. Daran wollen wir gerne mitarbeiten.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Herr Kollege Pörksen, welches Problem haben Sie?

(Pörksen, SPD: Aber doch nicht durch Streichen des Migrantenunterrichts! Das ist doch keine Maßnahme, oder sehen Sie das anders?)

Ach wissen Sie, wie, wo und an welcher Stelle man das machen muss, ist vielgestaltig. Das hat nicht nur etwas mit Unterricht zu tun. Dann muss man sich schon genauer anschauen, wie man zum Beispiel mit Migranten bei Einstellungen in Unternehmen umgeht und Vieles mehr.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Da gibt es aber auch Anforderungen, die man an die Zuwanderer selbst stellen muss.

(Pörksen, SPD: Richtig!)

Die Sache hat zwei Seiten. Das muss man immer wieder sagen.

(Pörksen, SPD: Da sind wir einer Meinung!)

Wenn ich aber zum Beispiel feststelle, dass, seitdem bestimmte Terroristen, die nicht, aber in keiner Weise repräsentativ für den Islam sind, sich aber bei ihren Gräueltaten auf ihn berufen, die Menschen bei uns jetzt Angst davor haben und das auf den Islam projizieren, dann, glaube ich, ist es auch keine Lösung, wenn ich konstatiere: Ach, das ist der typisch latent vorhandene Rassismus. – Das ist auch ein solches Totschlagargument, das nicht weiterhilft.

(Baldauf, CDU: Das ist richtig!)

Man muss sich dann schon damit auseinandersetzen, was denn den Menschen Angst macht.

(Pörksen, SPD: Auch mit dem Christentum!)

Aber natürlich. Dann muss man sich aber damit auseinandersetzen. Was macht ihnen Angst? Man muss dann versuchen, diese Angst aufzuheben.

Deshalb muss ich sagen, ich bin sehr mit dem Innenminister einverstanden, dass er sich einmal hingestellt und den USA gesagt hat, nun hört einmal auf, dauernd irgendwelche Drohbotschaften in die Welt zu setzen, als ob latent ständig etwas wäre. Natürlich kann latent jederzeit etwas geschehen, aber wir helfen der Gesellschaft nicht weiter, wenn wir Panikmache betreiben. Das

ist nicht geeignet, um Ängsten abzuhelfen. Aber wir müssen schon daran arbeiten, diese Ängste in irgendeiner Weise zu bewältigen, damit alle hier eine lebensfähige und lebenswerte Gesellschaft vorfinden, mit gesellschaftlicher Toleranz, bei der man sich gegenseitig akzeptiert, bei der man durchaus aber auch Anforderungen gegen sich gelten lassen muss. Sonst funktioniert eine Gesellschaft nicht.

Ganz in diesem Sinne wünschen wir uns, dass sich auch Rheinland-Pfalz fortentwickelt. Wir wollen gerne – in welcher Funktion auch immer, derzeit aus der Opposition heraus – hieran arbeiten und sind immer bereit, vernünftige Vorschläge, wenn es diese denn gibt, zu unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Lang anhaltend Beifall der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als weitere Gäste im Landtag begrüße ich Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Geschwister-Scholl-Realschule Westerburg sowie Mitglieder des SPD-Ortsvereins Holzheim. Herzlich willkommen hier in Mainz!